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6 Das Experiment zur Umsetzung des Puzzle-Modells im Fremdsprachenunterricht

6.2 Experimentelle Bedingungen: Fremdsprachenunterricht in einer berufsorientierten

6.2.3 Unterrichtsmaterial und Lehrwerk

Die interkulturellen Inhalte des PEIK sind als Zusatzmodule zu einem regulären Fremd-sprachenunterricht gedacht. Jeder Unterricht stützt sich normalerweise auf ein oder mehre-re Lehrwerke, die den Anforderungen des Programms und den Zielen des Fmehre-remdsprachen- Fremdsprachen-lernens in einer bestimmten (Hoch-)Schule entsprechen. In diesem Kapitel wird die Frage behandelt, ob das in den experimentellen Gruppen eingesetzte Lehrwerk den interkulturel-len Gedanken nachweislich fördert.

Für den Zeitraum des Experiments wurde ein für diese Fakultät neues Lehrbuch „Deutsch für zukünftige Brandschutzingenieure“ (Pjatschina 2002) eingesetzt. Dieses Buch löste ein anderes Lehrwerk, und zwar „Deutsch. Lehrwerk für die Hochschulen des MdI Russland“

von Maslowa, Slusarenko, Bisgeimer und Gorbunowa (1998) ab. Das neue Buch wurde von einem russischen Autorenkollektiv zwar für eine andere Fakultät verfasst, enthielt aber alle allgemeinen Themen, die vom Lehrprogramm vorgeschrieben wurden. Wie schon in Kapitel 6.2.1. erwähnt, fand das Experiment im ersten Semester statt, d.h. es wurden ledig-lich allgemeine, nicht berufsorientiere Themen behandelt. Daher war es mögledig-lich, dieses neue Lehrbuch als Hauptlehrwerk im Unterricht einzusetzen54.

Der interkulturelle Gedanke basiert auf dem Bewusstsein der Unterschiede zwischen der fremden und der eigenen Kultur und auf der Akzeptanz des Fremden als Normalität. Bei der Analyse des Lehrwerkes wurde die Frage gestellt, ob die angebotenen Themen für die Arbeit an dem interkulturellen Gedanken tauglich sind und ob sie den Lernenden eine posi-tive Öffnung für das Fremde ermöglichen (vgl. Volkmann 1999, S. 122). Analysiert wurden der Einführungskurs und die ersten drei Kapitel des Lehrwerks („Willkommen in unserer Hochschule“, „Beruf und Arbeit“, „Hallo Deutschland“), da genau diese während des

Ex-54 Auf der Grundlage des Lehrbuches „Deutsch für zukünftige Brandschutzingenieure“ wurde ein weiteres Lehrbuch „Deutsch für zukünftige Milizbeamte“ des (fast) gleichen Autorenkollektivs einige Jahre später ausgearbeitet. So konnten zugleich die allgemeinbildenden Themen aus dem Lehrbuch für die Brandschutzingenieure auf ihre Tauglichkeit auch für den Unterricht in der Juristischen Fakultät geprüft werden.

periments im Unterricht eingesetzt wurden.

Die Normen und Kriterien für die Analyse des Lehrwerkes wurden aus den Artikeln von Volkmann (1999) und Abendroth-Timmer (1997, 1999) entnommen. Zur Erfassung der im-pliziten und exim-pliziten Normen und Werte in Lehrwerken schlägt Volkmann vier Komplexe vor:

• Selektionsfrage: „Wie steht es mit Selektion, Räpresentation, Stereotypik?“

• Homogenisierungsmethoden vs. Differenzstruktur: „Werden homogenisierende Vorstellungen bevorzugt? Oder wird Differenz betont und geschaffen?“

• Wertung und Konfiguration der Lebensformen: „Besteht die Koexistenz von unter-schiedlichen Lebensformen?“

• Ausgewogenheit der Elemente: „Wie steht es mit dem ‚ausgewogenen‘ Verhältnis der einzelnen Elemente?“ (vgl. Volkmann 1999)

Diese Fragen lassen sich anhand von bestimmten ausgewählten Kriterien operationalisie-ren. Bei der Analyse des eingesetzten Lehrwerkes ergaben sich anhand der oben angeführ-ten Kriterien folgende Schlussfolgerungen:

Länder, Regionen, Raum

Die alte Vorstellung, dass die Sprache einer festen kulturellen Gemeinschaft zugehört, ent-spricht nicht dem interkulturellen Gedanken. Die nationale Kultur versteht sich als Bund von mehreren Gemeinschaften und Individuen. Im Lehrbuch ist aber eindeutig zu sehen, dass der Ausdruck „in Deutschland“ bevorzugt wird. Es mangelt an Ausgewogenheit be-züglich der Informationen über andere deutschsprechende Länder wie Österreich, die Schweiz, Luxemburg oder Liechtenstein. Selbst Deutschland wird als ein einheitliches Konzept verstanden, ohne dass regionale Unterschiede oder Unterschiede zwischen der Stadt und Land zum Ausdruck gebracht werden.

Ethnische Gruppen

Da im Lehrbuch Deutschland als ein einheitliches Konzept behandelt wird, wird auch die ethnische Zusammensetzung des Landes nicht hervorgehoben. Leider sind keine Hinweise auf die zahlreichen Bevölkerungsgruppen zu finden wie Sachsen, Hessen, Bayern etc, die innerhalb des Landes leben, dabei aber oft unterschiedliche Traditionen, Dialekte und Bräuche haben. Es gibt auch keine Versuche, die Beziehungen zwischen den ehemaligen ost- und westdeutschen Bürgern anzusprechen. Das einzige Thema, das in Bezug auf natio-nale Minderheiten aufgegriffen wurde, sind die in Deutschland lebenden Ausländer. Aussa-gen über sie haben meist informativen Charakter, dabei wird auch versucht, die

Binnenper-spektive der Bürger mit Migrationshintergrund zu zeigen, was Verständnis und Sympathie für solche Gruppen weckt (vgl. S. 37, 142-144). Es werden keine klischeehaften Charakte-risierungen vermittelt, nationale Stereotype werden zum Teil aufgedeckt (vgl. S. 142-146).

Darüber hinaus wird jedoch nicht das Bild einer multikulturellen Gesellschaft vermittelt, die von ethnischer Vielfalt geprägt ist. Ausländer mit ihren Einstellungen werden eher als Außenseiter präsentiert und den imaginären Deutschen gegenübergestellt.

Geschlechterrollen/Geschlechterdifferenz

Genauso wenig Platz nehmen die feministischen Ideen in diesem Lehrbuch ein. Die Ge-schlechterrollen sind traditionell zwischen Mann und Frau verteilt, wie z.B. beim Thema

„Zeit- und Tagesablauf“ (S. 58), wo eine Mutter Frühstück macht, Kinder in den Kinder-garten bringt und der Vater lediglich zur Arbeit geht. Eine ähnliche Situation wird auch beim Thema „Beruf und Arbeit“ beobachtet, wo frauentypische Berufe wie Kranken-schwester oder Sekretärin den durch die Männer besetzten Berufen wie Pilot, Feuerwehr-mann, Polizist gegenübergestellt sind (Bild S. 111). Die patriarchalen Muster haben sich auch in der Sprache durchgesetzt, indem weibliche Pronomina und Wortbildungen nicht gebraucht wurden (Bürokaufmann, aber keine Bürokauffrau; Feuerwehrmann, aber keine Feuerwehrfrau etc.) Die Genderproblematik wird nicht thematisiert, genauso wenig werden die Leser des Lehrbuches für die neuen Konstrukte von Männlichkeit oder Weiblichkeit in der modernen Gesellschaft sensibilisiert.

Kulturelle Praktiken

Da dieser Aspekt breitgefächert ist, ist die Zusammenfassung der Analyse kompliziert.

Nach der Meinung der Verfasserin fehlt diesem Lehrbuch ein einheitliches Konzept, dessen Ziel es sein soll, die Fremdkultur als breite Palette unterschiedlicher Alltagspraktiken be-wusst zu machen. Da die Texte und Übungen aber aus authentischen Quellen entnommen wurden, tauchen Differenzen und Kontraste des Alltags in Deutschland in unterschiedli-chen Themenbereiunterschiedli-chen auf. So wird z.B. beim Thema „Hallo Deutschland“ die Binnen- und die Fremdperspektive beim Blick auf Deutschland präsentiert, wobei die Diskussion über typische/nicht typische Angewohnheiten und der Vergleich mit der eigenen Kultur an-geregt wird. Zum gleichen Thema ist aber auch der Text über Weihnachten zu finden, der alle Deutschen pauschalisiert, dabei entsteht der Eindruck der Gleichheit und der Ähnlich-keit. Dieser Eindruck wird auch in den weiteren Übungen nicht bearbeitet. Meistens tragen die Texte und Übungen einen informativen Charakter, es werden aber auch ab und zu eini-ge Aspekte zwischenmenschlicher Beziehuneini-gen thematisiert, wie z.B. in der Übung (S. 47) zum Thema „Meine Familie“ mit der Frage „Was ist für Sie eine Familie?“ und den

Multi-ple-Choice-Antworten oder dem Infopoint „So leben junge Erwachsene“ (S. 52). Dieses Bild ignoriert die Tatsache, dass ein „Mittelklassenleben“ als ein implizites Ideal in diesem Lehrbuch zu finden ist, wobei versäumt wird, Unterschiede und Verhältnisse zwischen der Elitekultur und der Massenkultur darzustellen.

Kommunikation

Dialoge finden sich in deutlich geringerer Anzahl als Texte und Übungen. Die Kommuni-kation darin ist sehr formell aufgebaut, passt meistens eher zum gedankenlosen Auswen-diglernen, als dass sie zum eigenen Denken anregt. Die Dialoge haben meist eine geschlos-sene Struktur und lassen keinen Platz für Variationen. Auf Seite 151 wird das Thema „non-verbale Kommunikation“ eingebracht, indem die auf den Bildern dargestellten Gesten von Deutungsbeschreibungen begleitet sind. Es sind aber keine weiteren Infospots bezüglich der Höflichkeitsnormen oder Kommunikationsregeln zu finden.

Textvarianten und Textkorrelation

Bei den Textvarianten geht es um die Authentizität und die Repräsentativität der Texte. Mit wenigen Ausnahmen sind die Texte in dem analysierenden Lehrbuch authentisch. Sie prä-sentieren meistens Erscheinungen aus dem Leben junger Menschen, deshalb werden die Texte und ihre Sprache dem Alter und den Interessen der Studierenden gerecht. Die die Texte begleitenden Bilder (gezeichnet, nicht farbig) decken sich nur zum Teil mit den Aus-sagen der Texte. In anderen Fällen entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen den Infor-mationen aus dem Bild und den Inhalten des Textes, indem verschiedene Meinungen über ein Problem dargestellt werden, was die Studierenden zum Nachdenken und zu Diskussio-nen animiert. Solche Darstellung von Vielfalt ist z.B. im Spannungsverhältnis zwischen dem Text über die Familie Bosse (S. 51) und dem bildlich dargestellten Infopoint „So le-ben junge Erwachsene“ (S. 52) zu beobachten. Ein gutes Zeichen für die Tauglichkeit des Lehrbuches hinsichtlich des Ziels „Interkulturelle Kompetenz“ ist, dass der Inhalt der Tex-te meisTex-tens eine Problematik aufwirft, die späTex-ter zu einer Kommunikation anregen soll. Es sind die eigenen Meinungen der Kursteilnehmer zum jeweiligen Thema gefordert, was den kreativen Umgang mit den Texten fördert. Zusätzlich wünschenswert sind aber Fragen, in denen der Bezug zur eigenen Kultur der Teilnehmer aufgenommen wird.

Ein Teil der Texte ist allerdings nicht authentisch. Dies betrifft das Thema „Willkommen in unserer Hochschule“, wo sowohl einige Texte als auch einige Dialoge künstlich gemacht sind. Diese Texte haben einen Beschreibungscharakter, sind geschlossen in ihrer Struktur und regen eindeutig zum Auswendiglernen an.

Sprache

Das Lehrbuch ist zweisprachig aufgebaut. Die Aufgabenstellungen werden am Anfang des Buches auf Russisch und erst ab dem Thema „Willkommen in unserer Hochschule“ auf Deutsch geschrieben. Außerdem gibt es zu jedem Thema eine Wortschatzliste mit deutsch-russischer Übersetzung. Ab und zu sind auch einige Informationen bezüglich grammati-scher und kultureller Erscheinungen auf Russisch zu finden. Diese und einige andere Merkmale, wie z. B. nicht authentische Texte sind der lernerorientierten Funktion55 als Lehrbuch zuzuschreiben.