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PROŠČANIE S MA TÉROJ

UNBEKANNTE MATERIALIEN

Michael Hagemeister (Marburg/Bochum)

Pavel Aleksandrovič Florenskij (1882-1937) - Priester, Philosoph, Theologe, Mathematiker, Physiker, Chemiker, Elektrotechniker, Ingenieur, Geologe, Kunst- Wissenschaftler, Volkskundler, Archäologe - , von seinen Zeitgenossen wegen seiner vielfältigen Begabungen und tiefgründenden Gelehrtheit m it Leonardo da V inci, Pascal, Leibniz und Lomonosov verglichen, ist heute als eine der bedeu- tendsten und zugleich eigenartigsten Persönlichkeiten der neueren russischen Geistesgeschichte anerkannt.1 Internationale Kongresse in Leningrad, Moskau, Bergamo und Austin belegen dies ebenso wie die zahlreichen in den letzten Jah- ren erschienenen Ausgaben und Übersetzungen seiner Werke und die rasch an- wachsende Forschungsliteratur.

In Deutschland hatten bereits 1925/26 Hans Ehrenberg, N icolai von B ubnoff und Lev Kobylinskij-É llis die Beschäftigung m it Florenskij eingeleitet.

1984 stellte Michael Silberer in einer großen Studie über die Trinitätsidee bei Florenskij den Russen neben Thomas von Aquin, und im Jahr darauf erschien der ausführlich kommentierte Nachdruck des legendären Buches M nim osti v geo־

m e trii (1922).3 Die weiteren Forschungen und Publikationen fielen m it der durch die Perestrojka ermöglichten (und m it kleineren Texten lange vorbereiteten) Frei- gäbe des Werkes in Rußland zusammen. Seit 1988 sind vier Werke Florenskijs

1 Herm Professor Harder und seiner Aufgeschlossenheit gegenüber kultur- und geistesgeschicht- liehen Fragen ist zu verdanken, daß die Bibliothek des Instituts för Slawische Philologie der Philipps-Universität Marburg alle seit Mitte der 80er Jahre erschienenen Werke Florenskijs und seines Umkreises (hier sind v.a. Sergej Bulgakov und Aleksej Losev zu nennen) anschaffen konnte; das Marburger Institut besitzt überdies eine außergewöhnlich umfangreiche und wertvolle Sammlung zur russischen Philosophie- und Geistesgeschichte.

2 Siehe M. Hagemeister, ,,Pavel Florenskij: Zu neuen Ausgaben. Stat'i po iskusstvu, Paris 1985;

La prospettiva rovesciata e a ltri scritti, Roma 1984; Ikonostas i inne szkice, Warszawa 1984.H In:

Ostkirchliche Studien, 36 (1987), 1, S. 45-50. Dass. russ. "Novye izdanija syjaSć. P.A.

Florenskogo." In: Vestnik RChD, 150, 1987, S. 34-41. Ders., “P.A. Florenskijs ״Wiederkehr1:

Materialien zu einer Bibliographie (1985-1989).11 In: Ostkirchliche Studien, 39 (1990), 2/3, S.

119-145. Ders., "Publikācijā trudov P.A. Florenskogo v 1985-1991 gg. (M ateriały к biblio- grafii)." In: Načala. Religiozno-ßlosofskij žurnal, 3 (1993), 4, S. 159-170.

3 M. Silberer, Die Thnitätsidee im Werk von Pavel A. Florenskij, Würzburg 1984. M . Hage-meister, ״Pavel Florenskij und seine Schrift ,Mnimosti v geometrii* (1922).״ In: P.A. Florenskij, Mnimosti v geometrii, Moskva 1922. Nachdruck München 1985, S. 1-60 (Specimina philologiae Slavicae; Suppl.-Bd. 14). Dass. russ. (gek.) "Pavel Florenskij i ego rabota 'Mnimosti v geo־

m etrii'." In: Načala. Religiozno-ßlosofskij žurnal, 3 (1993), 4, S. 129-158.

Michael Hagemcister

auf deutsch erschienen;4 hinzu kommen ein "Lesebuch" sowie die ersten beiden Bände einer auf zehn Bände geplanten repräsentativen Werkauswahl.5 Weitere Publikationsvorhaben, darunter ein umfangreiches Werk über Florenskijs Leben und Denken in Zeugnissen und Selbstzeugnissen, stehen kurz vor dem Abschluß.

Während Florenskijs Lebensgeschichte und sein wissenschaftliches Werk breites Interesse finden und Gegenstand der Forschung sind, ist der in der Tradi- tion von Nietzsche und Solov'ev stehende Dichter-Philosoph nach wie vor fast unbekannt.6 Das liegt nicht zuletzt daran, daß bislang nur ein kleiner Teil seines lyrischen Werkes veröffentlicht worden ist. Zu Lebzeiten erschienen lediglich in den Jahren 1906 und 1907 einige Gedichte in der Kiever Zeitung N arod und in der in Sergiev Posad herausgegebenen Monatsschrift C hristianin. Hinzu kam eine kleine Sammlung von Gedichten m it dem Titel V večnoj lazu ri\ das Bändchen, 1907 in der Druckerei der Troice-Sergieva Lavra hergestellt, hatte eine Auflage von nur 50 Exemplaren und ist heute eine bibliographische Rarität.

Inzwischen wurden im Zuge der Florenskij-Renaissance in Rußland weitere Gedichte aus dem Nachlaß veröffentlicht.7 Sie erschienen - nicht immer solide ediert und manchmal gekürzt - an den verschiedensten Orten: von der Tages- presse bis zu entlegenen Zeitschriften. Sich hier einen Überblick zu verschaffen, dürfte nicht nur fur den westlichen Leser schwierig sein. Die Beschäftigung m it dem dichterischen Werk Florenskijs muß deshalb m it einer bibliographischen Übersicht beginnen. Im Rahmen dieses Beitrags w ird dies erstmals versucht.

Der größte T eil der noch unveröffentlichten Gedichte Florenskijs befindet sich im A rchiv der Familie in Moskau und in Sergiev Posad. Die Sammlung des Verfassers dieses Beitrags enthält (neben frühen Erstausgaben, Photos und Ma- nuskriptkopien) auch drei Gedichte in Abschriften und sechs als Autographen.

Sie werden hier erstmals veröffentlicht.

Zunächst aber soll der biographische Kontext, in dem Florenskijs Gedichte entstanden sind, wenigstens skizziert werden. Dies erscheint angebracht, da bis- lang nicht auf eine vollständige und zuverlässige Biographie verwiesen werden kann. Trotz aller Forschungen und Publikationen sind noch immer wichtige

* Die Ikonostase (Stuttgart 1988, 21990). Das Salz der Erde. Bericht über das Leben des Starez Isidor, Priestermönch im Gethsemane-Skit (München 1989). Die umgekehrte Perspektive (München 1989). Meinen Kindern (Stuttgart 1993). Ein Kapitel aus Mnimosti v geometrii wurde separat veröffentlicht unter dem Titel: Die Göttliche Komödie und das Relativitdtsprinzip (Berlin 1994).

5 An den Wasserscheiden des Denkens (Berlin 1991; 2. veränd. u. erw. Aufl. 1994). Denken und Sprache (Berlin 1993). Namen (Berlin 1994). In Kürze erscheint Zeit und Raum (Berlin 1995).

6 Die einzige wissenschaftliche Untersuchung zur Dichtung Florenskijs stammt von Valentin N ikitin: "Gnostičeskie motivy v poézii P.A. Florenskogo." Unveröffentlichter Vortrag auf dem In- temationalen Kongreß "Optina Pustyn"’, Bergamo, 19.-23.4.1990.

7 Im Rahmen des von der Florenskij-Nachlaßkommission vorbereiteten und auf 15 Bände (zu je 2-3 Büchern) berechneten Polnoe sobranie sočinenij Florenskijs ist auch ein Band Sticho- tvorenija i poèmy vorgesehen. Doch werden bis zum Erscheinen des ersten Bandes dieser Ausga- be wohl noch mehrere Jahre vergehen.

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Pavel Florenskij als Dichter: Unbekannte Materialien

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Aspekte von Leben und Werk Florenskijs unklar und umstritten und werden von Legenden und Gerüchten beherrscht. Dies g ilt z.B. für den Verdacht des A n ti- semitismus; hier könnten Materialien aus dem Archiv, insbesondere die vo ll- ständige Publikation des Briefwechsels m it V a silij Rozanov, zur Klärung beitra- gen. Ungeklärt sind auch Inhalt und Verbleib des philosophischen Nachlasses des Archimandriten Serapion (Maškin), den Florenskij m it der Zusage einer (dann allerdings nie erfolgten) Publikation an sich genommen hatte und dessen Bedeu- tung fü r sein theologisches Hauptwerk so groß sein soll, daß sogar der V orw urf des Plagiats erhoben wurde. Auch Florenskijs Bekanntschaft m it Sergej Nilus, dem Herausgeber der berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion", oder sein - anscheinend gutes - Verhältnis zu Lev Trockij sind, da Zeugnisse offenbar zu- rückgehalten werden, Gegenstand von Gerüchten und Spekulationen.

Es bleibt zu hoffen, daß die Verwalter des - im Familienbesitz befind- liehen - Archivs von Pavel Florenskij der Versuchung widerstehen, durch selek- tive Publikation und Unterdrückung 'kompromittierender' Texte und Textstellen eine makellose, von allen Schatten und Widersprüchen gereinigte Ikone einer K u ltfig u r zu zeichnen, nach der so viele Verehrer des konservativen Denkers,

£

russischen "Patrioten" und orthodoxen "Märtyrers" gegenwärtig verlangen.

*

Fast alle bekannten Gedichte Florenskijs entstanden zwischen 1900 und 1908, al־

so in jenem Zeitraum, da ih r Verfasser an der Moskauer Universität und an der Geistlichen Akademie in Sergiev Posad studierte. Einige der Gedichte tragen die Ortsangabe "Moskau" oder "Sergiev Posad", andere entstanden offenbar bei Be- suchen und auf Reisen im heimatlichen Kaukasus, in "T iflis ", "Kodžori",

"Boržom i" oder "auf dem Weg von Manglis".

8 Nachtrag vom März 1995: Leider wird diese Befürchtung durch den soeben erschienenen 1.

Band einer vierbändigen Werkausgabe Florenskijs bestätigt (P.A. Florenskij, Sočinenija v ćetyrech tomach, t. 1, M. 1994 [Filosofskoe nasledie; 122]). Die tendenziöse Auswahl aus den Frühschriften (1903-1909) versammelt fest ausschließlich Werke religiösen und theologischen Inhalts. N icht aufgenommen wurden hingegen Texte, die Florenskijs Nähe zum Symbolismus zeigen, wie seine Dichtung oder die in rhythmischer Prosa verfaßte Predigt Radost׳ na veki (1907), ferner Schriften, die als politisch oder moralisch anstößig gelten, wie die Predigt VopV krovi (1906) oder der Aufsatz Falličeskij pamjatnik Kotachevskogo monastyrja (1908), und schließlich so bedeutende Abhandlungen wie Kosmologičeskie antinomii Immanuila Kanta und Obščečelovečeskie komi idealizma (beide 1908), die Florenskij als Neoplatoniker ausweisen.

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß Florenskij, entgegen einer vom Moskauer Patriarchat verbreiteten und seither immer wieder geäußerten Behauptung, nicht von der russischen Auslandskirche in den Kreis der heiligen Neumärtyrer aufgenommen worden ist, da seine theologischen Positionen (insbesondere zur Sophiologie und zum imjaslavie) wie auch seine ausgesprochen loyale Haltung gegenüber der Sowjetmacht von konservativen Kirchen- kreisen heftig kritisiert werden.

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Im Jahre 1900 schrieb sich Florenskij, nachdem er das Gymnasium in T iflis m it der Goldmedaille abgeschlossen hatte, an der Physikalisch-Mathematischen Fakultät der Moskauer Universität ein, wo er das Fach reine Mathematik belegte.

Sein Lehrer wurde der Mathematiker und Philosoph Nikołaj Bugaev (1837- 1903), der Vater von Andrej Belyj. Neben mathematischen und physikalischen Studien, die er weitgehend selbständig betrieb, besuchte Florenskij Vorlesungen und Seminare über antike Philosophie bei Sergej Trubeckoj (1862-1905) und über Psychologie bei Lev Lopatin (1855-1920).

Im Frühjahr 1904 schloß Florenskij sein Studium m it einer Arbeit "Über die Besonderheiten flacher Kurven als Orte der Kontinuitätsdurchbrechung" ab. Die ihm angebotene Hochschullaufbahn schlug er aus. Er wollte Mönch werden, stieß m it diesem Vorhaben jedoch auf den Widerstand seines geistlichen Führers, des Bischofs Antonij (Florensov). In einem B rie f an die M utter vom 3. März 1904 er- klärte Florenskij seine Absicht, sich m it der Kirche zu verbinden, und fand die Formel für seine künftige Tätigkeit, die schließlich sein gesamtes Lebenswerk be- stimmen sollte:

Proizvesti sintez cerkovnosti i svetskoj kul'tury, vpolne soedinit'sja s cerkov'ju, no bez kakich-nibud' kompromissov, čestno, vosprinjat' vse položitel'noe učenie cerkvi i naučno- filosofskoe rrürovozzrenie vmeste s iskusstvom i t.d ....

Im Herbst 1904 trat er - selbst für seine Freunde überraschend - in die Moskauer Geistliche Akademie ein, wo er neben der Theologie in den folgenden vier Jahren alte und neue Sprachen, symbolische Logik, Erkenntnistheorie, Philosophiege- schichte und Archäologie studierte, sich eingehend m it Platonismus, Gnosis, Theosophie, Okkultismus und Kabbalistik beschäftigte und zudem noch Zeit für naturwissenschaftliche, volkskundliche und kulturgeschichtliche Forschungen fand.

Noch an der Moskauer Universität hatte sich Florenskij der "Sektion für Religionsgeschichte" angeschlossen, einem religiös-philosophischen Zirkel, zu dessen M itgliedern Andrej Belyj, Florenskijs Schulfreund Vladim ir Ém (1881- 1917) und der später als religiöser Schriftsteller und Publizist hervorgetretene Valentin Svencickij (1879-1931) gehörten. Belyj, der häufig m it Florenskij, Ém und Svencickij zusammentraf, zeichnet in seinen Erinnerungen ein scharfes, m it- unter karikierendes B ild dieser "Troika der Apokalyptiker". Besonders beein- druckt war er von Florenskij, der ihn durch die überragende Begabung und die O riginalität seiner Ideen faszinierte, gleichzeitig aber durch seine äußere Er- scheinung irritierte und abstieß:

Michael Hagemeister

9 Z itiert nach "Iz nasledija P.A. Florenskogo. К istorii otnošenij s Andreem Belym." In: Kontekst - 1991, M. 1991, S. 5.

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Pavel Florenskij als Dichter: Unbekannte Materialien

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Vsja sut' - v Florenskom.

S koriònevo-zelenovatym, ves'ma nekrasivym i staroobraznym licom, uglovatym nosatikom sel on v krēslo, как budto prikovan к noskam zorkim vzorom; on ele spadajuščim lepetom v nos, s uvlekatel'noj ostrost'ju zagovoril ob idejach otca [N.V. Bugaev; M .H .], emu bliz- kich. (...) Po mere togo как ja sluSal ego, on menja pobeždal...

Florenskij ... govoril umirajuSčim golosom, stranno sutuljas' i vidjas' nadgrobnoj figuroju, gde־to v peskach provisevšej nemym barel'efom veka i vdrug dar slova obretíej...

... v tajnom napuge, ne gljadja v glaza, lepetal udivitel'no: original'nye mysli ego vo mne ž ili.12

Die enge, wenn auch kurze Freundschaft zwischen Florenskij und Belyj fä llt in die Jahre 1903 bis 1905. Sie beginnt Ende 1903 und ist besonders intensiv im Jahre 1904; im Herbst 1904 kommt es zur Entfremdung, als Florenskij in die Geistliche Akademie eintritt; Belyj war darüber empört. 13 Das Jahr 1905 sieht dann das Ende der Freundschaft. In Belyjs erstem 1904 erschienenem Gedicht־

band Zoloto v Lazuri findet sich ein Florenskij gewidmetes Gedicht ("Svja- Sćennye d n i״). Florenskij wollte den Band rezensieren, doch ist er über Entwürfe nicht hinausgekommen. 14 Im A p ril 1904 verfaßte Florenskij ein Gedicht auf Belyj ("Andreju Belomu״) und widmete ihm das ebenfalls 1904 entstandene Poem B elyj kamen,ś9 beide Werke blieben jedoch zu Florenskijs Lebzeiten unveröffent- lic h t.15 Auch die unter dem Eindruck von Zoloto v Lazuri entstandene Dichtung ÈschatologiCeskaja mozaika wurde von Florenskij zurückgehalten. 16

10 A. Belyj, Načalo vekat M. 1990, S. 299. Der Quellenwert der veröffentlichten Fassung von Belyjs Erinnerungen (es existiert auch eine nicht veröffentlichte Fassung von Načalo veka) ist wiederholt angezweifelt worden.

11 Ebd., S. 301f.

12 Ebd., S. 302. Eine ähnliche Beschreibung gibt Florenskijs Kommilitone Leonid Sabaneev:

"Florensky's appearance was strange, strikingly unusual: oriental features, oddly spare move- ments, eyes that avoided looking at you, always cast down, looking inwards, contemplative. It al- ways seemed to me that he was himself apprehensive o f that baneful effect o f his glance. (...) Be- yond any dbubt there was a demoniac element in him, and as indubitably he was an extraordinary man, an outstanding personality, quite beyond comparison with any other prominent man o f his time." L. Sabanecff [Sabaneev], "Pavel Florensky - Priest, Scientist, and M ystic." In: The Russian Review, 20 (1961), 4, S. 312, 325.

13 "On [Belyj] vozmuščen byl mnoju, kogda ja postupil v Duchovnuju Akadēmiju." P.A. Flo- renskij in einem Gespräch m it N.Ja. Simonovič-Efimova, 5.7.1926. In: Literaturnaja gazeta, 45 (9.11.1994), S. 6. Zum Verhältnis zwischen Florenskij und Belyj vgl. "Iz nasledija P.A. Flo- renskogo." In: Kontekst - 1991y M. 1991, S. 3-67. V.M . Piskunov, "Pavel Florenskij i Andrej Belyj." In: M. Hagemeister, N. Kauchtschischwili (Hgg.), P.A. Florenskij i kuVtura ego vremeni (i.D r.). Siehe auch: A. Bely, P. Florenski, "...nicht anders als über die Seele des anderen". Der Briefwechsel. Texte. Ostfildern 1994.

14 P.A. Florenskij, ",Zoloto v Lazuri' Andreja Belogo. Kritičeskfaja] stat'ja." In: Kontekst - 1991 (wie Anm. 13), S. 62-67.

15 Teilweise postum veröffentlicht; siehe die Angaben im Anhang zu diesem Beitrag: "P.A.

Florenskijs Gedichte - Materialien zu einer Bibliographie"

16 Teilweise postum veröffentlicht in: Kontekst - 1991 (wie Anm. 13), S. 68-92.

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Durch Belyjs Verm ittlung tra f Florenskij in Moskau m it Aleksandr Blok

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sammen; auch m it V alerij Brjusov wurde er bekannt. Gelegentlich war er in Petersburger Literatenkreisen zu Gast. Florenskij kannte D m itrij Merežkovskij und dessen Frau Zinaida Gippius, die ihn als "umnyj i žestokij" in Erinnerung be-hie lt. 19 Eine Zeitlang verkehrte er im "Turm" von Vjačeslav Ivanov, wo er m it M aksim ilian Vološin und Aleksandr Skijabin bekannt wurde.20

Vorübergehend scheint Florenskij einer religiös-revolutionären Vereinigung nahegestanden zu haben, die von Ém und Svencickij in Moskau im Februar 1905 unter dem Namen "Christliche Bruderschaft des Kampfes" (Christianskoe bratstvo bor'by) gegründet worden war. Die M itglieder dieser stark apokalyptisch geprägten Vereinigung forderten tiefgreifende politische, soziale und kirchliche Reformen, wobei sie die Autokratie und die sie stützende Geistlichkeit ablehnten

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und sich zu einer A rt christlichem Sozialismus bekannten. Unter dem Eindruck solcher Bestrebungen verfaßte Florenskij die Predigt Vopl' krovi, die er am 12.

März 1906 in der Kirche der Geistlichen Akademie hielt. Darin wandte er sich gegen das Todesurteil, das ein M ilitärgericht wenige Tage zuvor gegen den revo- lutionären Leutnant Petr Smidt verhängt hatte. Florenskij wurde verhaftet und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, doch kam er auf Fürsprache seines Freundes G rigorij Račinskij schon bald wieder frei.

Im Herbst 1906 schloß sich Florenskij der auf Initiative Sergej Bulgakovs gegründeten "Religiös-philosophischen V ladim ir Solov'ev-Gesellschaft" (R eligio- zno-ßlosofskoe obSčestvo im. Vladim ira Solov'eva) an, der u.a. Andrej Belyj, N ikołaj Berdjaev, Vjačeslav Ivanov und Fürst Evgenij Trubeckoj angehörten.

1907 erschien in Sergiev Posad Florenskijs Gedichtsammlung V večnoj lazuri.

Der T itel erinnerte an Belyjs 1904 erschienenen ersten Gedichtband Zoloto v Lazuri. Die Auflage von 50 Exemplaren gelangte nicht in den Handel; einige we- nige Exemplare wurden von Florenskij an Freunde verschenkt. Ein Exemplar

Michael Hagemeister

17 A. Belyj, "Vospominanija 0 A.A. Blöke." In: Èpopeja, 1922, 1, S. 228f. - Zu Beginn der 30er Jahre schrieb Florenskij einen Vortrag über Blok und dessen "dämonische" Dichtung; unter dem Titel "O Blöke" zuerst anonym in der von Berdjaev herausgegebenen Zeitschrift Put' (26, 1931) erschienen, danach mehrmals wiederabgedruckt, zuletzt in: Literaturnaja učeba, 1990, 6, S. 93־

103. Zur umstrittenen Verfasserschaft siche E.V. Ivanova, "Florenskij podlinnyj ili mnimyj?"

Ebd., S. 106-114.

21 Zum Christianskoe bratstvo bor'by vgl. M. Hagemeister, Nikołaj Fedorov. Studien zu Leben, Werk und Wirkung. München 1989, S. 166-168, 218. E.V. Ivanova, "Florenskij i Christianskoe Bratstvo Bor'by." In: Voprosyfilosofii, 1993, 6, S. 159-166.

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Pavel Florenskij als Dichter: Unbekannte Materialien

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hat sich im Archiv der obersten Kirchenbehörde erhalten, wo es zusammen m it einem Sonderdruck der Predigt V opl' krovi als Beweis für "Freidenkertum an der Geistlichen Akademie" diente.22

1908 legte Florenskij seine Kandidatendissertation О religioznoj istine vor, die er später zur Magisterarbeit О duchovnoj istine erweiterte und aus der schließlich sein 1913 veröffentlichtes theologisches opus magnum "Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit" (Stolp i utveridenie Istin y) hervorging.23 Im September 1908 wurde er, nachdem er zwei Probevorlesungen p ro venia legendi über "D ie kosmologischen Antinomien Immanuel Kants" (Kosmologičeskie antinom ii Im m anuila Kanta) und "Die allgemein-menschlichen Wurzeln des Idealismus" (ObSčečelovečeskie korni idealizm a) gehalten hatte, in den Dozen- tenkreis der Geistlichen Akademie berufen und übernahm den Lehrstuhl für Ge- schichte der Philosophie.

In den Jahren 1909 und 1910 beschäftigte sich Florenskij m it der - auch eigenen - Erfahrung dionysischer Rauschzustände und ekstatischer Selbstent- grenzung. W ohl zu jener Zeit entstand "eine ganze Reihe von Entwürfen bac- chantischer Gedichte, deren Manuskripte im Archiv der Familie erhalten sind";24

nichts davon wurde je veröffentlicht.

1910 heiratete Florenskij die Rjazaner Bauemtochter Anna Michajlovna Giacintova (1889-1973). Im darauffolgenden Jahr wurde er zum Priester geweiht.

Von da an sind keine Gedichte mehr aus seiner Feder bekannt.

Erst gegen Ende seines Lebens, in der Lagerhaft im Femen Osten um die M itte der 30er Jahre, kehrte Florenskij noch einmal zur Dichtung zurück: Neben seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten und der Materialsammlung für ein Wörterbuch der Orotschen-Sprache begann er ein Poem über die Orotschen zu schreiben; es trägt den Titel Oro und ist in den Lagerbriefen an seinen Sohn M ichail erhalten.25

*

Im Archiv von Pavel Florenskij findet sich das unveröffentlichte Inhaltsver- zeichnis eines Gedichtbandes, den der Autor im Juli 1905 in T iflis zusammenge- stellt hat:26

22 "12 nasledija..." (wie Anm. 13), S. 16f.

23 Zur komplizierten Entstehungsgeschichte dieses berühmten Werkes und seinen Druckvarianten erstmals ausführlich E.A. Gollerbach, "Putnik Zapozdalyj: P.A. Florenskij i moskovskoe religiozno-filosofskoe izdatel'stvo 'Put1.״ In: Solanus, 8 (1994), S. 53-74; hier S. 62-69.

24 Der einzige Hinweis darauf an entlegener Stelle: L.A. ll'junina, "Terminy 'apolloničeskij1 i 1dionisijskij1 v tvorčestve P.A. Florenskogo." In: MysV i žizn'. К stoletiju so dnja roidenija A.F.

Loseva. Sb. statej. Ufa 1993, S. 212-219; hier S. 213.

25 Siehe dazu M. Hagemeister, "Pavel Florenskij, Lagerbriefe." In: Der Pfahl. Jahrbuch aus dem Niemandsland zwischen Kunst und Wissenschaft. Bd. 7, München 1993, S. 195-223.

26 Typoskript im Archiv von Pavel Florenskij, Sergiev Posad.

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P.A. Florenskij STUPENI. 1900-1905 gg.

I. Bez Boga:

1. Na neobchodimost1 pit' (iz Anakreona).

2. К samomu sebe (iz Anakreona).

3. Iz skazki.

4. Noč'ju.

5. Otryvok iz rasskaza.

6. Danse macabre.

7. More.

8. Večerom.

9. V poezde.

10. Korabli. "Vsju cholodnuju noč'ja odin probrodil".

U. Idealizm:

1. Čto takoe poézija? (iz Al'freda de Mjusse).

2. Junoša i Archimed (perevod stich-ja matematika Jakobi).

3. Pesnja vol'nych kamenščikov [М . 1902 g., 19.4.]

4. Na pereput'i.

5. Na m otiv iz Platona.

6. Za čteniem Šellinga.

7. "Posvjaščenie" iz nenapisannoj poémy (Andreju Belomu).

8. Otryvok.

9. V lesu.

10. Na smert' V. Solov'eva. [М ., 1900 g.]

11. Subliminal'noe soznanie (posv. L.M . Lopatinu).

12. Ručeek.

ПІ. Apokaliptika:

1. Detskaja pesnja.

2. Svi danie "tam".

3. Triptích:

Zachód.

Noč*.

Voschod.

4. Na vysotach:

Idem bez dorogi...

Probralis'...

5. B elyj kamen'. Pesn' voschoždenija.

Michael Hagemeister

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Pavel Florenskij als Dichter: Unbekannte Materialien

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IV . Pravoslavie:

1. Èkspromt.

2. M olitva.

3. Dve noči (diptich):

Pozdnjaja osen'.

Vesna.

4. Pered žertvoprinošeniem (Avraam Icgaku).

5. Aaron Moiseju.

6. Beethoveniana.

7. Iz gimnov.

8. In pace. (Akafist).

Zakončen étot sbomik tisneniem i perepleten 22 iju lja (v den' M arii Magdaliny) 1905 goda, v T iflise

*

Von den 39 genannten Gedichten wurden 16 veröffentlicht: 10 erschienen 1907 in V večnoj lazuri, 6 wurden postum veröffentlicht. Das Verzeichnis vom Juli

1905 erlaubt eine Datierung ad quem vieler später veröffentlichter Gedichte.

Michael Hagemeister

1. Pesnja voVnych kamenSčikov

unveröffentlicht, datiert: Moskau, 19.4.1902 2. Danse macabre

unveröffentlicht, undatiert; da in Stupeni verzeichnet, nicht später als Juli 1905 entstanden

Ъ.Моге

datiert: Ende November 1903; m it leichten Abweichungen 1989 veröffentlicht; siehe Bibliographie 12.6

4. "Sladkoj toskoj iznyvaja..."

datiert: Karfreitag 1904 (?); m it leichten Abweichungen unter dem T itel Vesna. (N adM oskvoj-rekoj) 1907 veröffentlicht; siehe Bibliographie 2.4.2.

5. Ručeek

unveröffentlicht, datiert: Sergiev Posad, 14.1.1905

6. К Sereíke

unveröffentlicht, datiert: Sergiev Posad, 11.2.1905 7. К M oiseju

datiert: Sergiev Posad, 29.4.1905; m it erheblichen Abweichun- gen unter dem T itel Aaron M oiseju 1907 veröffentlicht; siehe Bibliographie 2.2

8. Sol invictum [sic]

datiert: Boržomi, 18.7.1907; 1907 veröffentlicht; siehe B iblio-

datiert: Boržomi, 18.7.1907; 1907 veröffentlicht; siehe B iblio-