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U LRICH H ÜBNER IN L ÜBECK , T RAVEMÜNDE UND H AMBURG

Im Dokument Ulrich Hübner - Stadt, Land, See (Seite 105-135)

3 KUNST, MARKT UND ANERKENNUNG

3.2 U LRICH H ÜBNER IN L ÜBECK , T RAVEMÜNDE UND H AMBURG

künstlerischem Umbruchs

Auch Ulrich Hübners folgende Ausstellungen im Kunstsalon Cassirer wurden nun von Wer-ken aus Travemünde dominiert.411 1906 ist dies noch äußerst erstaunlich, da Hübner of-fensichtlich seine Gemälde aus Florenz den Secessions- und Künstlerbundausstellungen vorbehielt und diese nicht bei Cassirer zeigte. Es erweckt ganz den Anschein, als ging es ihm bei der Präsentation in der Kunsthandlung um einen heimischen Markt mit heimischen Motiven, während er in der Secession und im Künstlerbund um die Stellung als Künstler auch andere Sujets, wie eben jene aus Florenz, zeigte. Im Winter 1906 fielen diese Interes-sen zusammen. Trotz wiederkehrender Kritik der engen Verbindung zwischen der Berliner Secession und dem Kunstsalon Cassirer, fand die Schwarz-Weiß-Ausstellung des Jahres 1906 aus organisatorischen wie wirtschaftlichen Gründen in den Ausstellungsräumen Cas-sirers statt.412 Wie schon in vorherigen Schwarz-Weiß-Ausstellungen, dominierten aber auch hier die Motive aus Travemünde. Ebenso wie in der direkt im Anschluss statt finden-den Ausstellung mit Gemälfinden-den von Max Beckmann und Plastiken von Georg Minne Anfang

Maler Professor Ulrich Hübner. Archiv der Akademie der Künste zu Berlin, Nr. PrAdK Pers BK 242. Zunächst kam Ulrich Hüb-ner mit seiHüb-ner Lebensgefährtin Irma MacLachlan und deren Tochter Marita im Travemünder Strandhotel unter. Ende 1907 erwarb die Familie das Haus in der Kaiserallee 47. Grundbucheintrag. Archiv der Hansestadt Lübeck, 3.4-3, 4145, Blatt 4.

Hübner lebte wohl schon seit 1906 unverheiratet mit der verwitweten Irma mit MacLachlan zusammen, die seine Schülerin im Verein Berliner Künstlerinnen gewesen war. Die Tochter Marita aus erster Ehe adoptierte er später. Siehe Blühm 1988, S. 12-13.

409 Doede 1977, S. 99. In der Satzung von 1909, §6, ist zudem festgehalten, dass man als Vostandsmitglied seinen „dauern-den Wohnsitz“ in „Groß-Berlin“ haben musste. Doede 1977, S. 62.

410 Siehe dazu in der Einleitung S. Einerseits gab es Künstler, die sich vornehmlich aus der Stadt zurückzogen und beispielsweise in Künstlerkolonien tätig wurden21 und Fußnote 139.

411 Siehe dazu das Ausstellungsverzeichnis, vgl. auch N.N.: Im Kunstsalon Paul Cassirer, in: Berliner Börsen-Courier, 4.1.1907b.

412 Echte, Bernhard: „Bei Cassirer blüht frisches Leben ringsum“. Die Ausstellungen des 9. Jahrgangs, in: Bernhard Echte und Walter Feilchenfeldt (Hg.): „Den Sinnen ein magischer Rausch“. Kunstsalon Paul Cassirer. Die Ausstellungen 1905-1908.

Kunstsalon Cassirer. Die Ausstellungen. Wädenswil 2012, S. 216–234, hier S. 226.

1907, in der auch Hübner mit 15 Werken vertreten war, von denen mindestens die Hälfte einen Bezug zu Travemünde hatten, darunter das heute in der Alten Nationalgalerie Berlin befindliche Landhaus in Travemünde.413 Erneut wird Hübner – dieses Mal in der Gegen-überstellung mit dem jungen Beckmann – als gemäßigt und zum Teil gar als langweilig bez.

und es bestätigt sich das Muster, das Cassirer bei seinen bisherigen Ausstellung mit Betei-ligung Hübners ausgewiesen hatte: Hübner wird als solider Maler unter französischem Ein-fluss präsentiert und dabei mehrheitlich positiv wahrgenommen.414

„Und wie man eine 'Brandung' breit und wuchtig gibt, und dabei doch wahr, und nicht - etwa wie ein verschwommenes Filzteppichmuster, das könnte Beckmann hier sehen.“415

In der Tat, Hübner hatte mittlerweile Erfahrung mit der Brandung und der Darstellung des Meeres. Der dauerhafte Aufenthalt in Travemünde war für Hübner der Anstoß, seine See-landschaften zu den für ihn zum Alleinstellungsmerkmal werdenden Hafenansichten wei-terzuentwickeln. Bereits in seinem Frühwerk hatte Hübner sich mit Seelandschaften be-schäftigt.416 Frühe Beispiele mit bemerkenswerter Auffassung des Meeres sind der Ausfah-rende Dampfer von 1901 sowie der Warnemünder Hafen aus demselben Jahr. (Abb. 41 und 51) Hübner fasste darin das Wasser besonders impressionistisch auf, was an der lockeren Malweise und typischen Elementen wie farbige Schatten und Reflexen zu erkennen ist.

Auch die Ausschnitthaftigkeit und der tief liegende Betrachterstandpunkt sind Kennzeichen für etwaige französische Einflüsse, die von einigen Kritikern, wie erläutert, vehement kriti-siert wurden. Doch wie schon im ersten Kapitel festgestellt, sind es keineswegs ausschließ-lich französische Inspirationsquellen, die Hübner heranzieht. Auch von Carlos Grethe gibt

413 Landhaus in Travemünde, 1906, Öl auf Leinwand, 70x81cm, SMBPK Alte Nationalgalerie NG 1279 (WVZ-Nr. 57)

414 Vgl. bspw. für die Wahrnehmung der gemäßigten aber positiven Arbeiten Hübners: „Neben den Jungen, die sich in der Sezession ihre ersten Lorbeeren verdient haben und ihre Kraft rasch und fröhlich entfalten konnten, gehört auch Ulrich Hübner. Von ihm bringt Cassirer gleichfalls eine kleine Kollektivausstellung. Neben Beckmann wirkt er ungleich gemäßigter, harmonischer und reifer. Gerade im letzten Jahr hat er sich zu großer Tonschönheit durchgerungen, wozu sein Aufenthalt in Florenz gewiß einen wesentlichen Anstoß gegeben hat. Eine der feinsten Arbeiten, die hier ausgestellt sind, ist das Haus in Travemünde, in dem das Grün der Koniferen, das warme Gelb des Hauses, das Braun der Bäume und das lichte Blau des Himmels schön zusammen gestimmt sind. Auch sein Naturempfinden hat sich verfeinert und vertieft. Wie er die kahlen Bäume mit ihrem Geäst, das sich zart vom Himmel hebt, zeichnet, darin liegt große Innigkeit und Wärme des Gefühls.“ Au-erswald, Annemarie von: Kunstausstellung im Salon Cassirer, in: Neue preußische Zeitung, 9.1.1907, S. Beilage. Vgl. auch:

Osborn, Max: Kecke Talente, in: National-Zeitung, 20.1.1907, S. 4. Lediglich die mangelnde Eigenartigkeit Hübners wird von Ernst Schur wieder aufgegriffen: „Bei Ulrich Hübner, der gleichfalls der jüngeren Generation der Berliner Sezession an-gehört, überwiegt die Anregung. Er hat Manet, Monet, Liebermann zu oft und zu eingehend gesehen. Er kommt über ein talentiertes Schülertum nicht hinaus. Man sieht die hübsche, graue front eines Landhauses mit grünen Türen, ein Ack-erstück mit hübschen braunen Tönen und heller, grauer Luftstimmung, ein geschmackvolles Stilleben und eine Herbstland-schaft, die wegen der Zusammenstellung von Braun und Grün in dem Laub der Bäume gut wirkt. Aber all das glaubt man schon einmal gesehen zu haben.“ Schur, Ernst: Aus den Berliner Kunstsalons, in: Vorwärts, 12.1.1907, S. 34.

415 Norden, Julius: Aus Berliner Kunstausstellungen, in: Magdeburgische Zeitung, 17.1.1907.

416 Siehe dazu und zu seinem Verhältnis zu Carlos Grethe Kapitel 1.

es eine Ansicht von Segelbooten im Hafen, deren Auffassung Hübner durchaus aus Karlsru-her Tagen bekannt gewesen sein dürfte. (Abb. 46)

Bereits 1902 beschäftigte er sich intensiv mit der Darstellung von Fischerbooten, die eine Ähnlichkeit zu Grethes Werk aufweisen. (Vgl. Abb. 46, 47 und 49, 50) Das Gemälde von Claude Monet mit Booten in Etretat ist hier als exemplarische Verortung des Motivs im Verhältnis zu französischen Vorbildern zu verstehen. (Abb. 48) Hübners Auffassung stimmt beispielsweise in der leichten Untersicht der Fischerboote mit Monet überein, was er in dem Gemälde Auf dem Helgen noch viel stärker betont. (Abb. 50) Trotz der möglichen Vor-bilder fand Hübner einen ganz eigenen Zugang zu dem Motiv und passte sich den lokalen Begebenheiten an. Er deutete im Hintergrund das Hafenbecken mit der Warnemünde und weiteren Booten an. Was bei Grethe im kleinen Format noch starken skizzenhaften Cha-rakter hatte, entwickelte Hübner viel mehr zum eigenständigen Bildmotiv in großem For-mat und hellem Farbspektrum. (Abb. 47) Die Darstellungen der Segel- und Fischerboote und die hier gezeigten Vergleichsabbildungen machen deutlich, dass Hübner sich aus den im ersten Kapitel genannten Traditionen heraus einem durch und durch impressionisti-schen Bildmotiv zuwandte.417 Eindeutig handelte es sich hier nicht um Marinedarstellun-gen oder klassische Schiffsporträts. Das Interesse der Maler an den Booten folgte jedoch einem grundsätzlichen Interesse an dem Segelsport. Grethe war lange auf Seereisen un-terwegs gewesen, Monet war in der Freizeit Segelsportler, Gustave Caillebotte nahm nicht nur an Regatten teil, sondern war sogar Bootsbauer und ist für seine Verdienste um den

417 Schon das Gemälde Impression, Soleil levant von Claude Monet aus dem Jahre 1872, das schließlich zur Namensgebung der Impressionisten führte, zeigt den Hafen von Le Havre. Vgl. Wilson-Bareau, Juliet und Degener, David (Hg.): Manet and the Sea. Ausst.-Kat. Chicago 2003. Dieser gut bebilderte Band macht deutlich, welchen Einfluss die Kenntnisse des Segel-sports hatten und wie umfangreich die Seestücke im Werk bedeutender Impressionisten sind (passim). Siehe auch: Rewald, John: Die Geschichte des Impressionismus. Schicksal und Werk der Maler einer großen Epoche der Kunst, Köln 1965, S. 207.

Die hier für diese Arbeit ausgewählten Vergleichsabbildungen sind lediglich als Beispiele zu verstehen.

Abb. 46: Carlos Grethe: Segelboote im Hafen, Öl auf Lein-wand, Standort unbekannt, WVZ 1895, 14

Abb. 47: Ulrich Hübner: Fischerboote im Hafen, 1902, Öl auf Leinwand, 80,5 x 100,5 cm, Verbleib unbekannt, WVZ-Nr. 30

Segelsport eher bekannt als für seine Malerei.418 Die realistische Darstellung der Boote ist für diese Künstler deshalb wichtig, auch wenn es sich nicht um die klassische Marinemale-rei handelte. Hier fügt Hübner sich nahtlos an. Es ist zwar nicht bekannt, ob er einen per-sönlichen Bezug zum Segelsport hatte, doch waren seine Darstellungen von Segelbooten, insbesondere in Travemünder Darstellungen, durchaus realistisch und an der korrekten Ausführung orientiert. Für das Lübecker und Travemünder Publikum, das sein Geld zum Teil der Segelschifffahrt als Händler verdankte und aufgrund des Hafens eine gute Kenntnis der Boote hatte, waren diese Kriterien sicher nicht zu vernachlässigen. Die Segelboote und ihr technischer Aspekt waren auch aus künstlerischer Sicht ein interessantes Motiv, insbe-sondere, wenn sie in ihrer ganzen Größe betrachtet werden konnten, so wie in dem Ge-mälde Auf dem Helgen von 1905. (Abb. 50) Die Faszination Boot und dem ihren Bau zu

418 Zu Grethe: Stocke 2008. Zu Caillebotte und Monet: Thomson, Richard: Caillebotte und Monet. Einige Gemeisnamkeiten und Unterschiede, in: Anne-Birgitte Fonsmark u.a. (Hg.): Über das Wasser - Gustave Caillebotte. Ein Impressionist wieder entdeckt. Ausst.-Kat. Bremen/Kopenhagen/Madrid, Ostfildern 2008, S. 31–42. – Charles, Daniel: Caillebotte und die Boote, in: Anne-Birgitte Fonsmark u.a. (Hg.): Über das Wasser - Gustave Caillebotte. Ein Impressionist wieder entdeckt. Ausst.-Kat.

Bremen/Kopenhagen/Madrid, Ostfildern 2008, S. 107–120.

Abb. 48: Claude Monet: Boats on the beach. Etretat, 1885, Öl auf Leinwand, 65,5 x 81,3 cm, The Art Institute of Chi-cago, Charles H. and Mary F.S. Worcester Collection, 1947.95

Abb. 49: Carlos Grethe: Cuxhaven Werft, Öl auf Leinwand, 33 x 46 cm, WVZ 1895,13, Privatbesitz

Abb. 50: Ulrich Hübner: Auf dem Helgen, 1905, Öl auf Pappe, 46,5 x 66,5 cm, Privatbesitz, WVZ-Nr. 49

Abb. 51: Ulrich Hübner: Ausfahrender Dampfer, 1901, 85,5 x 109cm, Öl auf Leinwand, Bez. und datiert u. r. „Ul-rich Hübner / 1901“, Verbleib unbekannt, WVZ-Nr. 18

Grunde liegenden physikalischen Gesetzen trifft hier auf das malerische Erforschen ihrer Ausmaße und die Schwierigkeit dies perspektivisch zu erfassen. Dies ist ein weiteres Motiv, das ihm möglicherweise sein Lehrer Grethe zugänglich gemacht hat. Von ihm ist ein solches Motiv von 1895 dokumentiert. (Abb. 49)

Der Aufenthalt in Warnemünde und Rostock 1904 brachten neben der Darstellung der Stadt am Wasser zudem auch einen neuen Blick auf den Hafen mit sich, der in der Bildauf-fassung und bewegten Darstellung des Wassers an den ausfahrenden Dampfer von 1901 anknüpfte. (Abb. 51 und 52) In Travemünde konnte Hübner auf diese Malerfahrungen zu-rückgreifen. Zunächst widmete er sich, wie bereits in Warnemünde, dem Hafen. Dabei the-matisierte er zum ersten Mal die menschliche Anwesenheit im Hafen genrehaft. (Abb. 53) Malerisch lernte er die Umgebung besser kennen und stellte dabei die Stadt dar, sei es, dass er die alte Kirche oder einen Straßenzug festhielt.419 (Abb. 54 und 60) Auch in den eher seltenen Straßenansichten greift Hübner nun häufiger zu Genreszenen. Wie auf dem Hafengemälde sind es auch in Alt-Travemünde die ruhenden Menschen vor den Häusern, die dem Bild eine Idylle verleihen.

In der bereits besprochenen Ansicht von Hamburg gelang es Hübner 1902 zum ersten Mal den Blick auf die See bzw. das Wasser und die Schiffe in Verbindung zu der Stadt zu setzen.

(Abb. 38) So integrierte Hübner die Stadtansicht in die Seelandschaft. Hübner nutzte 1907 nun auch die Travemünde gegenüberliegende Halbinsel Priwall, um einen ganz neuen Blick auf die Stadt zu gewinnen. (Abb. 55) Erneut zeigt sich von diesem Standpunkt die Stadt eingebettet in die Seelandschaft. Von dem Betrachterstandpunkt auf dem Priwall und über

419 Die Darstellung der alten Travemünder Kirche ist eindeutig nachweisbar erst 1911, WVZ-Nr. 116. Eine Nennung von 1904 macht aber deutlich, dass Hübner derartige Motive mehrfach aufgriff: Alter Hof in Travemünde, in der „Internatio-nalen Kunstausstellung Düsseldorf“ 1904, Nr. 799, Verbleib unbekannt.

Abb. 52: Ulrich Hübner: Ausfahrender Dampfer, 1904, Verbleib unbekannt, WVZ-Nr. 40

Abb. 53: Ulrich Hübner: Im Hafen von Travemünde, 1906, Leinwand, 71 x 86cm, Verbleib unbekannt, WVZ-Nr. 61

die Travemündung hinweg ist die deutlich zu identifizierende Travemünder Vorderreihe zu erkennen. Die Häuserreihe wirkt wie zwischen der Wasserfläche der Travemündung und dem Wolkenverhangenen Himmel als einzige Trennlinie, mehr Raum wird der Stadt und ihrer Architektur in diesem Gemälde nicht gelassen. Der Himmel und das Wasser stehen hier im Mittelpunkt des Interesses.

Sowohl die Freiflächen des Priwall als auch das Leuchtenfelde auf der städtischen Seite der Travemündung wurden von den Fischern zum Auslegen und Flicken der Netze genutzt.

Auch dies hat Hübner in seinen Gemälden festgehalten. (Abb. 58) In dem Motiv der Netz-flicker gelingt Hübner die Entwicklung einer eigenen Auffassung des Sujets, das aus der niederländischen Kunst stammend von Max Liebermann prominent in die deutsche Male-rei eingeführt wurde.420 Im Vergleich zu Malern der Düsseldorfer Malerschule wie Andreas Achenbach waren die Figuren jedoch keine reinen Staffagefiguren in seinen Landschaften, sondern Liebermann „konzentrierte sich stattdessen ganz auf die Menschen, ihren Alltag

420 Eberle, Matthias: Max Liebermann. 1847 - 1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band I: 1865-1899. 2. Bde, München 1995b, S. 334. Die Entdeckung der Fischerinnen, die in den Dünen die Netze ausbessern verdankt Liebermann seinem Kollegen Jozef Israels, der ihn 1884 auf seiner Hochzeitsreise in Scheveningen begleitet hatte. Israels selbst malte 1886 ein Gemälde zu diesem Thema.

Abb. 54: Ulrich Hübner: Alt-Travemünde, 1906, Verbleib unbekannt, WVZ-Nr. 54

Abb. 55: Ulrich Hübner: Travemünde vom Priwall gesehen, 1907, Öl auf Preßpappe, 47,2 x 75cm, Privatbesitz, WVZ-Nr. 65

Abb. 56: Wilhelm Hambüchen: Netzflicker an der Schleuse von Nieuwpoort, Öl auf Leinwand, 30,5 x 40 cm, Dr. Axe-Stiftung

Abb. 57: Max Liebermann: Netzflickerinnen, 1887-89, Öl auf Leinwand, 180,5 x 226 cm, Hamburger Kunsthalle, WVZ Eberle 1889/1

und ihr soziales Gefüge, die in der deutschen Malerei bisher keine Berücksichtigung gefun-den hatten und damit künstlerisch unverbraucht waren.“421

Hübner zeigte sich motivisch in dem Gemälde der Netzflicker also vielfach inspiriert. Er malte die Stadt Travemünde in der Seelandschaft eingebettet, zugleich griff das alltägliche Leben der Netze flickenden Fischer auf, ohne dies zu beschönigen. Dazu trat er näher an das Motiv heran, als bei seinen Blicken über das Wasser hinweg. Er befindet sich selbst auf dem Leuchtenfelde und kehrt der Stadt den Rücken zu und nimmt die Netze flickenden Fischer auf den Wiesen in den Blick. (Abb. 58) Im Hintergrund sind ein Dreimaster wie auch in großer Entfernung der Priwall zu erkennen. Trotz der Nähe zu den Fischern bleibt Hüb-ners Blick so weit, dass die zwei arbeitenden Fischer in der Küstenlandschaft unter dem weiten Himmel wenig auffallen und in der Landschaft aufgehen. Der realistisch-naturalisti-sche Blick auf die schwere Arbeit der Firealistisch-naturalisti-scher blieb erhalten, ohne sie monumental in den Vordergrund zu rücken, wie in Liebermanns Gemälde. (Abb. 57) Darin orientierte Hübner sich an Malern der Düsseldorfer Schule, die sich an der belgischen und holländischen Nord-seeküste ebenfalls diesem Motiv widmeten und größeren Abstand zu den Personen hielten als beispielsweise Liebermann und Wilhelm Hambüchen. (Abb. 56 und 57)

Sein Interesse an Meeresdarstellungen und Küstenlandschaften baute Hübner in Warnemünde, Hamburg und Travemünde schließlich dahingehend aus, dass ihn insbeson-dere die Lage der Hafenstädte in der Landschaft inspirierte. Ausgehend von den geschil-derten Seelandschaften und Seestücken entwickelte Hübner so eine ganz eigene Form der Seelandschaft. Dabei nahm die Entfernung zum Motiv mit der Zeit weiter zu. In den Werken

421 Faass, Martin: Max Liebermann am Meer. Annäherung an ein problematisches Motiv, in: ders. (Hg.): Max Liebermann am Meer. Ausst.-Kat. Berlin, München 2011, S. 10–21, hier S. 11.

Abb. 58: Ulrich Hübner: Leuchtenfelde, (vor) 1908, Ver-bleib unbekannt, WVZ-Nr. 71

Abb. 59: Ulrich Hübner: Dreimaster im Hafen von Tra-vemünde, 1908, Öl auf Leinwand, 90 x 106 cm, Berlinische Galerie, Zustiftung der Dr. Jörg Thiede Stiftung 2014, WVZ-Nr. 72

aus Travemünde rückten die Schiffe und das Meer sehr viel mehr in den Mittelpunkt, ins-besondere an dem wesentlichen Punkt der Stadt, der Hafenausfahrt. Zwei Werke aus dem Jahre 1908 zeigen die Travemünder Hafenausfahrt aus zwei unterschiedlichen Perspekti-ven. (Abb. 58 und 59)

Wie in dem Gemälde Travemünde vom Priwall ist der Betrachterstandpunkt auch in dem Werk Leuchtenfelde für ortskundige deutlich erkennbar. Auch in Abbildung 59 lässt sich der Standpunkt klar festlegen; vom Hafen Travemünde aus ist ein Dreimaster zu sehen, wie er von einem Schlepper aus der Hafenausfahrt gezogen wird. Im Hintergrund ist der üppige Baumbewuchs des Priwalls zu erkennen. Seit 1908 entwickelte Hübner von diesen Stand-punkten aus seine typischen Hafenmotive, mit denen er sich der traditionellen auf techni-sche und historitechni-sche Genauigkeit angelegten Marinemalerei mit ihrem ausgeprägten Re-präsentationscharakter einerseits annäherte, andererseits dies mit seiner impressionisti-schen Malweise und der Auffassung von Stadt, Hafen und See als landschaftlicher Einheit kombinierte, und in seinen Seestücken so zu der wiederholt von den Kritikern geforderten Eigenartigkeit gelangte.422 Dieses Motiv setzte Hübner wiederholt ein, es wurde zu seinem Markenzeichen und er schuf einige großformatige Ansichten dieser Zeit, die einerseits von privaten Sammlern bis heute hoch geschätzt wurden und andererseits auch von staatlichen Institutionen gewürdigt und angekauft wurde.423

Hübners Eigenartigkeit zeichnete sich nun dadurch aus, dass er sich sowohl auf das Motiv der Stadt und ihrem lebhaften Treiben als auch der „Stille und Weite der Küste“ sowie den maritimen Ansprüchen an Schiffsdarstellungen gerecht wurde und diese in seinem Werk verband.424 Damit unterschied er sich von der meist einseitig ausgeprägten Interessenlage seiner Kollegen wie Lesser Ury, der sich auf die Großstadt konzentrierte, Walter Leistikow, der sich vornehmlich mit menschenleeren Landschaften beschäftigte, oder Liebermann, der sich der Menschen an der Küste, anstatt der Küste als Motiv annahm.425 Hübner passte sich letztlich damit auch den Anforderungen des (lokalen) Marktes an und gilt deshalb als malerischer Entdecker Travemündes, da er die vielfältigen Aspekte des Ortes zwischen bür-gerlichem Repräsentationsort, Strandpromenade, Küstenlandschaft und Hafenbetrieb in seinem Werk auf neue Art zu verbinden wusste und somit den Lübecker und Travemünder

422 Zur Unterscheidung der Begriffe Marine und Seestück siehe Einleitung, S. 19.

423 Sommertag, 1909, Öl auf Leinwand, 70 x 94cm, bez. u. l. „Ulrich Hübner.09“, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Inv. 1130, erworben vom Künstler 1909 (WVZ-Nr. 88).

424 Blühm 1988, S. 13.

425 Zu Liebermann siehe Faass 2011.

Bürgern künstlerisch erschloss.426 Aber auch auf dem Berliner Markt kamen seine Gemälde von der Küste gut an. In den Ausstellungen der Berliner Secession 1907 und 1908 zeigte Hübner mehrheitlich Travemünder Ansichten.427 Zudem weitete er seine Ausstellungstä-tigkeit im gesamten Deutschen Reich aus. Er zeigte 1907 Werke an seinem alten Schaffen-sort in Karlsruhe im Badischen Kunstverein, in der Deutschen Kunstausstellung Köln und im Kaiser-Friedrich-Museum in Posen. Außerdem nahm er erstmals an der Ausstellung der Münchener Secession teil, deren korrespondierendes Mitglied er seit 1907 war. 428

Im Kunstsalon Cassirer waren Hübners Werke aus Travemünde erst 1908 zu sehen, darun-ter auch eine Version der Netzflicker.429 Er wurde dabei durchweg positiv besprochen, konnte also seine letzten Erfolge bestätigen, da erneut die Ansichten des Meeres als be-sonders gelungen geschildert wurden:

„Das kleine Bildchen ‚Die Netzflicker‘ in der tiefen Kraft der Töne, das Bild 'Im Park' mit dem fahlen Sonnendunst über Baum und Wiese, ‚Der Waldweg' mit dem schönen Kontrast der sonnenüberflimmerten Felder gegen den schatti-gen Wald, und endlich ‚Der Hafen von Travemünde‘ mit der tiefblau schim-mernden Wasserfläche, sie alle sind von einem seltenen Reichtum und großer

„Das kleine Bildchen ‚Die Netzflicker‘ in der tiefen Kraft der Töne, das Bild 'Im Park' mit dem fahlen Sonnendunst über Baum und Wiese, ‚Der Waldweg' mit dem schönen Kontrast der sonnenüberflimmerten Felder gegen den schatti-gen Wald, und endlich ‚Der Hafen von Travemünde‘ mit der tiefblau schim-mernden Wasserfläche, sie alle sind von einem seltenen Reichtum und großer

Im Dokument Ulrich Hübner - Stadt, Land, See (Seite 105-135)