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1 Epidemiologie ausgewählter Infektionskrankheiten in Sachsen-Anhalt

1.5 Tuberkulose

Meldungen: 2012: 108 Erkrankungen 2011: 102 Erkrankungen

Inzidenzen: 2012: 4,6 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner 2011: 4,3 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner Steckbrief

Erreger: Bakterien: Mycobacterium-tuberculosis-Komplex:

v. a. Mycobacterium tuberculosis, aber auch M. bovis, M. africanum, M. microti, M. canetti

Reservoir: für M. tuberculosis und M. africanum ist der Mensch einziges Reservoir, für M. bovis bilden Mensch und Rind das Reservoir

Übertragungsweg: fast immer Tröpfcheninfektion, die Infektion mit M. bovis durch nicht pasteurisierte Milch infizierter Rinder spielt in Mitteleuropa keine Rolle mehr

Inkubationszeit: Wochen bis viele Monate

Symptome: in 80 % der Fälle als Lungentuberkulose auftretend, jeder länger als 3 Wochen andauernde Husten sollte abgeklärt werden;

bei Säuglingen und Kleinkindern Gefahr der primären Generalisation mit Miliartuberkulose und

tuberkulöser Meningitis

Diagnostik: Tuberkulin-Hauttest (nach der Mendel-Mantoux-Methode), Interferon-γ-Test (Blutprobe), Röntgen-diagnostik, mikroskopischer und kultureller Nachweis des Erregers im Sputum bzw. anderen

geeigneten Materialien

Therapie: Kombinationsschemata mit mehreren Antituberkulotika

Prävention: rasche Entdeckung erkrankter und infizierter Personen und schnell einsetzende effiziente Therapie; Chemoprophylaxe und -prävention für spezielle Indikationen

Zeitlicher Verlauf

Mit 108 Tuberkulose-Erkrankungen (4,6 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner) wurden 2012 wieder etwas mehr Erkrankungen als im Vorjahr gemeldet. Der seit Jahren an-haltende abnehmende Trend scheint aber noch nicht beein-trächtigt zu sein.

Deutschlandweit war die Inzidenz mit 5,2 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner im Vergleich mit den Vorjahren na-hezu stabil und lag nur geringfügig über der von Sachsen-Anhalt.

Demografische Merkmale

4 Kinder erkrankten an Tuberkulose. Alle Erkrankungen wurden aus dem SK Halle (Saale) gemeldet:

• 2 Tuberkuloseerkrankungen der Lymphknoten betref-fen 2 Jungen aus Libyen im Alter von 9 und 10 Monaten,

Abb. 75 Inzidenz der Tuberkulose seit 2003, Sachsen-Anhalt und Deutschland im Vergleich

ohne erkennbarenepidemiologischen Zusammenhang, die sich aufgrund einer aus anderen Gründen erfolgen-den Krankenhausbehandlung in Deutschland aufhielten.

• Bei einem 2-jährigen Mädchen mit „auffälligen“ knoten wurde histologisch eine Tuberkulose der Lymph-knoten festgestellt. Hinweise auf eine mögliche Infekti-onsquelle ergaben sich nicht.

• Ein Tuberkulosefall der Lunge betrifft einen 2-jährigen Jungen. Vermutlicher Indexfall ist der 33-jährige Vater.

Bei den Umgebungsuntersuchungen wurde auch bei der 27-jährige Lebensgefährtin des Mannes eine behand-lungsbedürftige Tuberkulose erfasst.

Die höchste alterspezifische Inzidenz unter den Erwach-senen fand sich bei über 70-Jährigen (7,77 Erkrankungen

Abb. 76 Tuberkulose, altersspezifische Inzidenzen, Sachsen-Anhalt, 2012

pro 100.000 Einwohner). Aber auch bei jüngeren Erwachse-nen fanden sich leicht erhöhte Inzidenzen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.

Betrachtet man nun die Patienten entsprechend ihrer Herkunft in 2 Gruppen (Deutsche bzw. in Sachsen-Anhalt le-bende Ausländer) so fällt auf, dass die Inzidenz der Tuberku-lose bei Ausländern wesentlich höher war als bei Deutschen (siehe Tabelle) und aus Afrika stammende Patienten die mit Abstand höchste Inzidenz hatten. Insgesamt erkrankten 84 Deutsche und 24 Ausländer (in Sachsen-Anhalt lebend). Al-lerdings kamen die 24 ausländischen Tuberkulosekranken aus mindestens 15 verschiedenen Staaten je 3 x Russische Föderation und Indien, je 2 x Ukraine, Niger, Libyen, Soma-lia, je 1 x Iran, Nigeria, Äthiopien, Vietnam, Burkina Faso, Kosovo, Kamerun, Moldawien, Kasachstan, unbekannt.

Außerdem fällt in beiden Gruppen eine sehr unterschied-liche Altersverteilung auf. Die deutschen Patienten waren überwiegend älter als 49 Jahre (61/84 bzw. 72,6 %), wäh-rend die ausländischen Patienten meist unter 40 Jahre wa-ren (17/24 bzw. 70,8 %).

Tab. 9 Anzahl und Inzidenz der Tuberkuloseerkrankungen nach Herkunft, Sachsen-Anhalt, 2012

Abb. 77 Tuberkulose, Verteilung der Altersgruppen bei deutschen und ausländischen Patienten, Sachsen-Anhalt, 2012

Regionale Verteilung

Aus dem Stadtkreis Halle wurden 2012 die meisten Tu-berkulosefälle gemeldet (8,64 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner, dies war die höchste Inzidenz im Vergleich mit den anderen Landkreisen und kreisfreien Städten), mit 0,55 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner wurde im Bördekreis die niedrigste Inzidenz registriert.

Abb. 78 Regionale Verteilung der übermittelten Tuberkulosefälle pro 100.000 Einwohner je Landkreis bzw. kreisfreie Stadt, Sachsen-Anhalt, 2012

Epidemiologische Besonderheiten (extrapulmonale Manifestationen, Erreger)

Folgende extrapulmonale Manifestationen traten auf:

• 8 x Lymphknoten-Tuberkulose, davon 2 x intrathorakal und 6 x extrathorakal,

• 4 x Tuberkulose der Pleura

• 2 x urogenitale Tuberkulose,

• je 1 x Tuberkulose der Haut, des Peritoneums/Verdau-ungstraktes, der Knochen/Gelenke, der Hirnhaut

In 65 Fällen gelang der Nachweis von M. tuberculosis und in 2 Fällen der von M. bovis. In 13 Fällen wurde die Spe-zies nicht differenziert. Bei 28 Patienten fehlten die Angaben bzw. waren nicht ermittelbar.

Herkunft Personen Fälle Inzidenz

Sachsen-Anhalt (Deutsche) 2 213 867 84 3,79

Sachsen-Anhalt (Ausländer) 45 526 24 52,72

davon: Asien 14 615 5 34,21

Europa 28 317 7 24,72

Afrika 3 497 12 343,15

Gesamt (Deutsche und

Ausländer) 2 259 393 108 4,58

Insgesamt erkrankten deutlich mehr Personen männli-chen (75) als weiblimännli-chen Geschlechts (33). Dies galt sowohl für Deutsche (57 vs. 27) als auch für in Sachsen-Anhalt le-bende Ausländer (18 vs. 6).

Tuberkulose-Umgebungsuntersuchung in einer Justizvollzugsanstalt in Sachsen-Anhalt 2012 - Ergebnisse einer Kohortenstudie

Im April 2012 erhielt das Gesundheitsamt Jerichower Land, Sachsen-Anhalt, die Meldung über einen asymptoma-tischen Lungentuberkulose-Patienten mit kulturellem Nach-weis von Mycobacterium tuberculosis. Laut Laborbefund vom 28.03.2012 war der aus der Sputumprobe vom 05.03.2012 angezüchtete M.-tuberculosis-Stamm sensibel gegenüber allen Erstrang-Antituberkulotika. Die Diagnose einer Tuber-kulose (TB) ergab sich im Rahmen eines selektiven opera-tiven Eingriffs in einem Haftkrankenhaus, in dem sich der 30-jährige Häftling (Indexfall), gebürtig aus Kasachstan, seit dem 14.02.2012 befand. Zum Zeitpunkt der Diagnose wa-ren in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Sachsen-Anhalt, in der er seit 2009 inhaftiert war, 574 männliche Gefangene, im Median 35 (22/75) Jahre, mit einer durchschnittlichen Haft-dauer von 4 - 5 Jahren. Wegen der vielfältigen Möglichkeiten sozialer Kontakte gestaltete sich die Eingrenzung der engen Kontaktpersonen gemäß DZK-Empfehlungen (1) mit min-destens 40 Stunden kumulativem Raumkontakt zum Index-fall schwierig. Die Kontaktpersonensuche wurde von Mitar-beitern des medizinischen Dienstes der JVA unter Anleitung des Gesundheitsamtes durchgeführt.

Bei den 107 ermittelten engen Kontaktpersonen wurde Ende Mai mit Blutentnahmen für den Interferon Gamma Release Assay (IGRA) begonnen, um Personen mit tuber-kulöser Infektion zu identifizieren. Mit den ersten positiven IGRA-Ergebnissen wurden u. a. folgende Maßnahmen ein-geleitet: Bei IGRA-positiven Personen wurde eine aktive pul-monale TB durch eine Thorax-Röntgen-Untersuchung (TRU) ausgeschlossen. Der Erkrankungsfall und die Ansteckungs-möglichkeiten wurden den Häftlingen, Besuchern und Be-diensteten der JVA schriftlich bekannt gemacht. Trotz dieser Maßnahmen kam es zu Unruhen in der JVA und auch zu Pressereaktionen. In einer Krisensitzung im Justizminis-terium Sachsen-Anhalts wurde nach Einschätzung der schwierigen Situation beschlossen, allen Häftlingen und Be-diensteten der JVA (auch jenen ohne engen Kontakt) Unter-suchungen auf TB anzubieten. Diese Maßnahmen wurden in einem Pressegespräch kommuniziert. Mit Unterstützung des Robert Koch-Instituts (RKI) wurde dazu ein Informations-Merkblatt für die JVA entwickelt. Kurz danach entspannte sich die Lage zusehends. Fast alle Häftlinge und Bedienstete nahmen das Untersuchungsangebot an.

Die ausgeweiteten Umgebungsuntersuchungen ermög-lichten uns zu untersuchen, ob die Prävalenz latent tuber-kulöser Infektionen (LTBI) unter engen Kontaktpersonen des Indexfalls höher war als bei Personen ohne engen Kontakt.

Weiterhin sollte eine mögliche Assoziation zwischen anderen bekannten Risikofaktoren wie z. B. Alter, Geschlecht, aus-ländische Herkunft und LTBI überprüft werden.

Nach einer deskriptiven Auswertung der Untersuchungs-ergebnisse führten wir hierzu eine retrospektive Kohorten-studie durch. Zur Studienpopulation gehörten alle im Zeit-raum 01.10.2011 bis 14.02.2012 in der JVA zum Personal oder zur Haftpopulation zählende Personen, bei denen ein IGRA durchgeführt wurde. Ein LTBI-Fall wurde definiert als eine Person mit positivem IGRA und unauffälliger TRU.

Per-0,134

Tab. 10 Risikofaktoren für eine latent tuberkulöse Infektion (LTBI) – Er-gebnisse der multivariablen Poisson Regression; Kohortenstu-die: n = 648 davon 84 mit Kontakt zum Tuberkulose-Indexfall;

Personal und Häftlinge der JVA, 01.10.2011 - 14.02.2012, Sachsen-Anhalt; a Geburtsort b im Vergleich zu < 30 Jahre; KI:

Konfidenzintervall, IRR: Inzidenzratenverhältnis, IF: Indexfall.

Signifikante Ergebnisse sind blau hervorgehoben.

sonen mit positivem IGRA und ohne TRU wurden nicht in diese Analyse einbezogen. Multivariable Poisson Regressi-on wurde für verschiedene ExpositiRegressi-onen durchgeführt: enger Kontakt, Geschlecht, Status (Häftling, Personal), Geburts-land (DeutschGeburts-land, AusGeburts-land) und Altersgruppen (< 30; 30 - 49; ≥ 50 Jahre).

Von 904 Personen (574 Häftlinge, 330 Bedienstete) wur-den 766 geröntgt, bei 653 ein IGRA durchgeführt und von 109 Sputum untersucht. 60 (9,2 %) der 653 Personen wurden IGRA-positiv getestet. Zwei Personen, welche keinen Kon-takt zum Indexfall hatten, wurden klinisch mit TB diagnosti-ziert - ein Häftling noch im Jahr 2012 im Rahmen der Um-gebungsuntersuchungen und ein Häftling im Oktober 2013.

In keiner der untersuchten Sputumproben konnte M. tuber-culosis kulturell nachgewiesen werden. Bei Ersterem wurde unter tuberkulostatischer Behandlung eine Verbesserung im Röntgenbild sichtbar. Bei Letzterem liegen hierzu noch keine Informationen vor. Bei beiden Patienten ist kein epidemiolo-gischer Zusammenhang zu Indexfall anzunehmen.

In die Kohortenstudie bezogen wir 84 Kontaktpersonen und 564 Personen ohne engen Kontakt ein. Bei Immigranten lag die LTBI-Prävalenz insgesamt bei 33 %, bei in Deutsch-land geborenen Personen bei 7 %, bei Kontaktpersonen bei 16 % und bei Personen ohne engen Kontakt bei 7,5 % (s.

Abb. 79). Ein erhöhtes LTBI-Risiko war assoziiert mit auslän-discher Herkunft (adjustiertes Inzidenzratenverhältnis (IRR):

4,1; 95 % Konfidenzintervall (KI): 2,1-7,8) und einem Alter ≥ 50 Jahre (IRR: 3,2; 95 % KI: 1,3 - 7,7), aber nicht mit engem Kontakt zum Indexfall (IRR: 1,6, 95 % KI: 0,86 - 3,1).

Mit der Kohortenstudie konnten wir keine signifikante Assoziation zwischen engem Kontakt zu dem asymptoma-tischen Indexfall und einer LTBI nachweisen. Wegen der Schwierigkeit der Eingrenzung von engen Kontaktpersonen und weil nicht zwischen neu und bereits früher erworbener LTBI unterschieden werden konnte, kann eine frische Über-tragung bei den IGRA-positiv getesteten Personen jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Bisher kam es in der JVA zu keinem in Verbindung mit dem Indexfall stehenden Folgefall.

Unsere Ausbruchsuntersuchung in der JVA zeigt, dass eine frühzeitige Diagnose bei adäquater Kommunikation aller Beteiligten umfangreiche und ressourcenintensive Umge-bungsuntersuchungen verringern helfen könnte. Überdies erscheint es uns empfehlenswert in einer Ausbruchssituati-on in einer JVA zunächst TRU statt IGRA einzusetzen, da dieser Befund den Betroffenen leichter vermittelbar ist und (neue) ansteckungsfähige Quellen rasch identifiziert werden können.

Abb. 79 LTBI-Prävalenz von Personal und Häftlingen in der JVA, 01.10.2011 - 14.02.2012, Sachsen-Anhalt; Kohortenstudie: n

= 648 davon 84 mit Kontakt zum Tuberkulose-Indexfall. Verti-kale Linien trennen unterschiedliche Auswertungen; z. B. ein männlicher, im Ausland geborener Häftling, der engen Kontakt zum Indexpatienten hatte wird unter „männliche Häftlinge“,

“im Ausland geborene Häftlinge“ und unter „Kontaktperson“

aufgeführt. (LTBI = latent tuberkulöse Infektion) Literatur

Diel R, Loytved G, Nienhaus A, Castell S, Detjen A, Geerdes-Fenge H, Haas W, Hauer B, Königstein B, Maffei D, Magdorf K, Priwitzer M, Zell-weger JP, Loddenkemper R: Neue Empfehlungen für die Umgebungs-untersuchungen bei Tuberkulose. Deutsches Zentralkomitee zur Be-kämpfung der Tuberkulose. Pneumologie. 65 (2011) 6, S. 359 - 378