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Transzendentale Apperzeption

Im Dokument Sokratisch Mathematisieren (Seite 45-48)

1.3 Sokratisches Gespräch in der Philosophisch-Politischen Akademie

2.1.2 Transzendentale Apperzeption

Das Thema der transzendentalen Apperzeption, auf das Nelson in seinen Ver-anstaltungen nur kurz hingewiesen hat, muss ich hier genauer behandeln. Das Thema wurde vonNelsonmeistens vorausgesetzt, obwohl ihm eine fundamentale Bedeutung in Kants Philosophie und in den epistemologischen Grundlagen der Sokratischen Methode zukommt. Oben habe ich bereits darauf hingewiesen, dass Nelson zur Erklärung der transzendentalen DeduktionKants sagt, dass wir in der Lage sind, Wahrnehmungskomplexe, die eine Vielzahl von Wahrnehmungen in verschiedenen Kategorien sind, in Form einer einheitlichen Erfahrung erfassen zu können:

„Kantsieht nun den psychologischen Grund für die Möglichkeit jener Einheitsbildung in der Identität des Subjektes, dem der Vorstellungs-komplex angehört. Transzendentale Apperzeption, sofern sie den Grund von synthetischen Urteilen a priori en[t]hält [sic]. Für jede Vorstellung von Einheit ist nun die Identität des Subjektes notwendige[,] aber nicht hinreichende Bedingung.“36

Um das zu erklären, nennt Nelsonein spezielles Beispiel, in dem das „Ich“ als

„Subjekt“ betrachtet wird:

„Das Bewusstseinumdiese Identität ist [...] eine hinreichende Bedingung für den speziellen Fall der Vorstellung von der Einheit des Ichs.“37

36. Ebd. S. 22.

37. Ebd.

Das bedeutet, dass unser Bewusstsein von unserer eigenen Identität des Subjek-tes einenotwendige undhinreichendeBedingung für unsere Vorstellung von der Einheit des Ichs ist. Die Begründung der transzendentalen Apperzeption auf das Bewusstseins um die Identität des Ichs, d.h. auf sich selbst, ruft auch die semanti-sche selbstbezügliche Antinomie auf, die 1908 von Kurt Grelling(1886-1942) undNelsonveröffentlicht wurde.38Nelsonfügt hinzu, dass dieses Bewusstsein keineswegs eine notwendige Bedingung für jedes Bewusstsein von Einheit sein kann. Er setzt die Kenntnis über die transzendentale Apperzeption voraus und seine Erläuterungen über dieses Thema sind sehr kurz. Aufgrund dessen und der Tatsache, dass dieses Bewusstsein für die PhilosophieKants grundlegend ist und ein angemesseneres Verständnis davon uns ein besseres Bild vonNelsons Ideen verschaffen kann, werde ich mich auf Wolfgang Jankes Beitrag imHistorischen Wörterbuch der Philosophie39beziehen und dietranszendentale Apperzeptionnäher

betrachten.

Janke hebt die Tatsache hervor, dass Kant für den BegriffApperzeption, der zuerst vonGottfried Wilhelm Leibniz(1646-1716) in der Philosophie, nämlich in Bezug auf René Descartes’ (1596-1650) „Cogito“ angewandt wurde, drei neue Bedeutungen bestimmt hat. In seiner Vernunftkritik „scheidet [Kant] ihn von dem Konzept, welches die rationale Psychologie von der ‹bloßen Apperzeption› hat“.40 Die anderen beiden vonKantbestimmten Bedeutungen für den Begriff, dieJanke aufzählt, sind: eine der Bedingungen synthetischer Urteile a priori und der höchste Punkt einer Transzendentalphilosophie.

Jankefügt hinzu, dassKantdenBegriff als eineDenkhandlung vorstellt. Das

„Ich-denke“ macht alle Begriffe, sowohl empirische als auch reine, möglich, sodass Kantes als „das Vehikel aller Begriffe überhaupt“ sieht. Dieses „Ich-denke“ ist aber selbst kein Begriff und ohne jeden erkennbaren Inhalt. Jankefolgert daraus, dass das Ich somit „das denkbare «transzendentale Subjekt der Gedanken»“41 ist.

Es wird analytisch, wie wir oben beiNelsongesehen haben, in seine Denkmodi, die die Kategorien sind, zergliedert, die dadurch explizit werden. Das „Ich“ kann jedoch nicht das (empirische) Erkenntnisobjekt des inneren Sinns sein. Sonst könnten die Kategorien als Erkenntnismodi auf dieses empirische Objekt synthetisch angewandt werden.

Er verweist auf folgende Passage derKritik der reinen Vernunft, um zu zeigen, dass Kantdie reine Apperzeption„als eine der drei Bedingungen für die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori“ dargestellt hat:

38. Vgl. Nelson 1908, S. 57.

39. Janke 1971.

40. Ebd.

41. Vgl.KrV, A 346. Janke 1971, S. 451.

„Also zugegeben: daß man aus einem gegebenen Begriffe hinausgehen müsse, um ihn mit einem andern synthetisch zu vergleichen; so ist ein Drittes nötig, worin allein die Synthesis zweener Begriffe entstehen kann. Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller synthetischen Urteile? Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten sind, nämlich der innre Sinn, und die Form desselben a priori, die Zeit.

Die Synthesis der Vorstellungen beruht auf der Einbildungskraft, die synthetische Einheit derselben aber (die zum Urteile erforderlich ist) auf der Einheit der Apperzeption. Hierin wird also die Möglichkeit synthetischer Urteile, und da alle drei die Quellen zu Vorstellungen a priori enthalten, auch die Möglichkeit reiner synthetischer Urteile zu suchen sein, ja sie werden sogar aus diesen Gründen notwendig sein, wenn eine Erkenntnis von Gegenständen zu Stande kommen soll, die lediglich auf der Synthesis der Vorstellungen beruht.“42

Laut JankesetztKantdie transzendentale Apperzeption in seiner „Deduktion des reinen Verstandesbegriffs“ als das erste und höchste Erkenntnisprinzip voraus.

Die transzendentale Apperzeption stelle eigentlich eine ursprünglich-synthetische Einheit dar. Den Grund für diese Benennung erklärt er wie folgt: Sie heißt ur-sprünglich, weil sie „allen Vorstellungen zugrunde liegt“43, sie aber selbst keine andere als Subjekt benötigt. Da sie ein „Aktus der Spontaneität“ ist, kann sie nicht als etwas Gegebenes angenommen werden,

„sondern allererst in der Tätigkeit des Sich-auf-sich-Beziehens entspringt und ist [sic], und weil sie allen Vorstellungen zugrunde liegt, ohne selbst einer anderen als Subjekt zu bedürfen, so daß das Ich-denke alle meine Vorstellungen begleitet, ohne selbst von einer ursprünglicheren begleitet zu werden.“44

Dass die transzendentale Apperzeption eine synthetische Einheit ist, kann laut Janke so nachvollziehbar werden: Da in jeder Vorstellung der Bezug auf das

„vorstellende Ich“ herausgefiltert werden kann, ist die „durchgängige Identität des Bewusstseins“45 analytisch, aber sie ist nur aufgrund einer synthetischen Einheit möglich:

„Die Einheit des Selbstbewußtseins beruht auf dem Bewußtsein eines apriorischen Verbindens; alles anschaulich Gegebene ist darin geeint, nicht bloß meine Vorstellung, sondern von mir verbundene Vorstellung

42.KrV, B 194.

43.KrV, B 132.

44. Janke 1971, S. 451.

45. Ebd.

zu sein. – Dieser Satz, die ursprüngliche Einheit der A. sei synthetisch, ist der oberste Grundsatz einer transzendentalen Logik, d.h. er ist nicht Grundsatz des Anschauungsgebrauchs, und er ist eingeschränkt für den Gebrauch eines endlichen Verstandes, der nur denkt und nicht

‹intellektuell› anschaut.“46

Janke betont hier, dass die ursprüngliche synthetische Einheit des „Ich-denke“

dennoch für dieKantische Philosophie einen Ausgangspunkt bildet, von dem aus alles bestimmt wird. Er sieht den Grund dafür darin, dass sie „die Einheit von Subjekt und Objekt als solche“47ermöglicht. Er verweist dazu auf folgende Passage derKrV:

„Und so ist die synthetische Einheit der A. der höchste Punkt, an den man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß.“48

Somit umfassen die bisherigen Beschreibungen das, was Nelsonin der Erklärung derKantischen Philosophie (der Erfahrung) präsentiert hat und die Kantischen Grundbegriffe und Grundsätze, dieNelson, ohne sie ausführlich zu erläutern, über-nommen und in der Erklärung seines philosophischen Gedankensystems verwendet hat. Diese sind für das Verstehen der folgenden Teile dieses Kapitels notwendig.

In dem nun folgenden Abschnitt wird der erkenntnistheoretische Aspekt von Nelsons Sokratischer Methode betrachtet. Mit Hilfe der vorausgegangenen Darle-gungen untersuche ichNelsons Verständnis der Sokratischen Methode, in das er dieFriessche Philosophie übernommen hat. Dafür werde ich nach erkenntnistheo-retischen Prinzipien suchen, die Nelsonfür seine Methode angenommen hat, und herausfinden, wie er sie rechtfertigt.

2.1.3 Formale Apperzeption oder Prinzip des Selbstvertrauens

Im Dokument Sokratisch Mathematisieren (Seite 45-48)