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Michelsen

Im Dokument Sokratisch Mathematisieren (Seite 14-17)

1.2 Ein Blick auf die Geschichte der Sokratischen Methode

1.2.1 Michelsen

Johann Andreas Christian Michelsen(1749-1797) war Professor für Mathe-matik und Physik am Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin.2 Zur Förderung der Didaktik der Mathematik hat er mehrere Bücher geschrieben. Zwischen 1781 und 1784 veröffentlichte er jährlich ein neues Exemplar der Reihe Versuch in so-cratischen Gesprächen über die wichtigsten Gegenstände der ebenen Geometrie3, in denen er Lehrgespräche mit seinen Schülern protokollierte. In ähnlicher Weise hat er jährlich im Zeitraum um 1784 bis 1786 Bücher im Kontext der Arithmetik veröffent-licht4. Diese Publikationen spiegeln alle seine eigene Entwicklung im Kontext der Sokratischen Didaktik exemplarisch wieder. In diesem Zusammenhang ist „Beyträge zur Beförderung des Studiums der Mathematik insbesondere für Schullehrer und Praktiker“5ein weiteres im Jahr 1790 von ihm veröffentlichtes Buch. In diesem legt er u.a. eine philosophische Untersuchung der Mathematik und ihrer Didaktik vor, in der er aber das Thema sokratisches Gespräch ausklammert.

Er begründet seine Motivation, diese Gespräche zu protokollieren, in dem ersten Buch zum Thema Geometrie wie folgt:

1. Loska 1995.

2. Vgl. Cantor 1885.

3. Michelsen 1781, Michelsen 1782, Michelsen 1783 u. Michelsen 1784b.

4. Michelsen 1784a, Michelsen 1785, u. Michelsen 1786.

5. Michelsen 1790.

„Die folgenden Gespräche sind großtentheils so, wie sie da stehen, mit Kindern, die noch gar nicht in der Mathematic unterrichtet waren, gehalten worden. Mehrere mir sehr verehrungswürdige Männer, die Augenzeugen von dem Erfolge gewesen, mit welchem ich dergleichen Unterredungen über die ganze ebene Geometrie mit Kindern angestellt habe, haben mich zu ihrer Herausgabe ermuntert.“6

Eine genaue, klare Beschreibung des sokratischen Gesprächs kann allerdings bei ihm nicht gefunden werden. Er beschreibt jedoch seine Arbeit ganz allgemein:

„Socratisch habe ich die Gespräche genannt, weil darin oft der Lehrling so geleitet wird, daß er das zu lernende selbst findet, ich weiß aber sehr wohl, wie viel ihnen fehlt, um diese Benennung ganz zu verdienen. Sollte es nach diesem Versuche der Mühe werth gehalten werden, so entschlösse ich mich vielleicht, die ganze ebene Geometrie auf eine ähnliche Art abzuhandeln, doch so, daß ich von mehreren ähnlichen Fällen jedesmal nur eine vollständige Unterredung mittheilte, und in Ansehung der übrigen es bey einer Beschreibung des genommenen Weges bewenden liesse. Hielte man nemlich diese Arbeit für nützlich, so wünschte ich nützlich zu werden, ohne durch übertriebene Weitläufigkeit ekelhaft zu seyn.“7

Er berichtet, dass er zunächst ein sechsjähriges Kind in der Geometrie unterrichtet hatte und dass ihm selbst dabei dessen Freude an dem Unterrichtsstoff und seine Konzentration äußerst viel Freude bereitet hatte. Später unterrichtete er etwa zwei Jahre lang Neunjährige auf Basis von Euklids „Elementen“, so dass diese die ersten sechs Bücher verstanden hätten8. Daraus schlussfolgerte er, dass sogar Kinder im Grundschulalter „Bemerkungs- und Vergleichungskraft“ besitzen, um ihnen die Gegenstände der Geometrie, die seiner Meinung nach sehr anschaulich sind, im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen zu führen.

Darüber hinaus führt er einige Verhaltensmerkmale, die Kindern im Gegensatz zu Erwachsenen eigen sind, an, die er für sokratische Gespräche als nützlich erachtet, z.B. ihre Fähigkeit, sich längere Zeit auf einzelne Gegenstände zu konzentrieren, die dazu gehörigen Details und Aspekte festzustellen und sich auf Lehreranwei-sungen bereitwilliger einzulassen.9 Hier empfiehlt er einen frühen Beginn mit dem Mathematikunterricht, vorzugsweise mit Geometrie, um hiermit mathematisch-wissenschaftliches Denken herauszubilden. Dabei müsse beachtet werden, dass die

6. Michelsen 1781, S. 1.

7. Michelsen 1781, S. 2.

8. Vgl. Michelsen 1782, S. IIIf.

9. Vgl. Michelsen 1782, S. IV.

Lernenden diese Inhalte und Fertigkeiten so festigen, dass sie sie als ein Funda-ment für weitergehenden Erkenntnisgewinn allgemein nutzen könnt. Bleibe dies unberücksichtigt, besteht laut Michelsendie Gefahr,

„daß [die Lernenden dann] so wenige Lust zur Mathematic haben, dieselbe behalten und Fortgang darin machen; die Schwierigkeiten, die ohne jene Uebung statt finden, müssen sie von der Mathematic abwendig machen.“10

Des Weiteren erklärt er es als notwendig, dass der Lehrer Geometrieunterricht anfänglich völlig ohne Zuhilfenahme eines Buches oder anderer Darstellungen durchführt und damit die Lernenden dazu veranlasst, sich selbst ein Bild des Unterrichtsgegenstandes zu machen. Auf diese Weise soll die bloße Reproduktion durch das Erinnerungsvermögen der Kinder verhindert werden.11

Was das Einbeziehen des Buches in den Unterricht betrifft, ist es ihm wichtig, dass der Lehrer zuerst selber den für den Unterricht relevanten Teil liest und vorbereitet.

Auf dieser Basis kann der Lehrer den Kindern den Gegenstand des Gesprächs besser vorstellen und sie so auf das Lesen vorbereiten. Dabei kann es hilfreich sein, wenn der Lehrer selber zunächst den Auszug aus dem Buch vorliest, um es so den Kindern zu erleichtern, den Sachverhalt zu verstehen. Eine solche Unterrichtsgestaltung soll das Lesen des Textes für die Kinder deutlich zugänglicher machen. Dabei schließtMichelsennicht aus, dass auch ohne eine solche Vorbereitung zu Beginn der Erarbeitung die direkte Konfrontation der Lernenden mit dem Text stehen könnte.12

Abschließend bat er im Vorwort des zweiten Buches andere Didaktiker, seine Methode zu bewerten und machte dabei allerdings auch seine eigene Beurteilung klar:

„Soll ich nun noch ferner fortfahren, die Geometrie in Gesprächen zu bearbeiten? Ich will es auf das Urtheil der Kenner ankommen lassen.

Wo ich die in den herausgegebenen Gesprächen zum Grunde liegende Methode wirklich angewandt habe, habe ich allerdings sehr guten Erfolg wahrgenommen.“13

In der bereits erwähnte Darstellung behauptetLoska, dass inMichelsens Konzept die Rolle des Lehrers dominiert, da der Lehrer Fragen vorgibt und auch bisweilen

10. Vgl. Michelsen 1782, S. V.

11. Vgl. Michelsen 1782, S. V.

12. Vgl. Michelsen 1782, S. VIf.

13. Michelsen 1782, S. VII.

sein Urteil äußert und zudem Schüleraussagen bewertet.14Dennoch aktiviert Mi-chelsen die Schüler im Unterricht, lautLoska, indem sie Vermutungen anstellen und Einwürfe sowie Begründungen vornehmen dürfen. Die Inhalte umfassen dabei einfachere sowie komplexere Themen. Gelegentlich präsentieren die Lernenden weitgehend selbstständig Beweise und werden dabei aufgefordert, ihre Meinungen dazu zu äußern. Er merkt dazu an:

„Durch die Dialogsituation wird [der Lernende] ständig gehalten, Über-legungen zu jeweiligen Sache anzustellen, und diese, meist durch Fragen hervor gelockt, explizit zu machen. Wenn auch die Methode ununter-schieden auf verununter-schiedene Inhalte – Bezeichnungskonventionen, Begriffs-bildungen, Aufgaben, Lehrsätze usw. — angewandt wird, geben die Dialoge wieder, daß der Schüler mitdenkend dem mitunter anspruchs-vollen Unterricht folgt und eine aktivere Rolle innehat.“15

Im Dokument Sokratisch Mathematisieren (Seite 14-17)