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2. Gilles de la Tourette-Syndrom

2.5 Therapie

Die Indikation zur Therapie ist stets im Einzelfall zu stellen und hängt in hohem Maße vom Wunsch des Patienten ab, aber auch von der Art und Schwere der Tics, der sozialen Beeinträchtigung und zusätzlich bestehender Komorbiditäten. Es sind vor allem Zwänge, eine Depression und eine ADHS, die die Lebensqualität der Tourette-Patienten negativ beeinflussen (36). Die gängige Therapie des Tics ist zurzeit die medikamentöse Behandlung.

Dabei handelt es sich um eine symptomatische, oft unzureichend wirksame und nebenwirkungsreiche Therapie. Aus diesem Grund müssen mögliche Nebenwirkungen gegenüber dem zu erwartenden Therapieerfolg sorgfältig abgewogen werden. In den meisten Fällen ist eine Reduktion der Tics mit Hilfe einer medikamentösen Therapie um etwa 50% zu erwarten. In den letzten Jahren wurden neben der medikamentösen Therapie verschiedene Formen der Verhaltenstherapie eingeführt. Eine kurative Therapie ist bisher nicht bekannt (37).

2.5.1. Medikamentöse Therapie

Insgesamt ist die Datenlage zur medikamentösen Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit Tics schlecht (37). Das in Deutschland einzig zugelassene Medikament in der Behandlung des TS ist Haloperidol. Wegen stärkerer Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen Substanzen – vor allem Müdigkeit, Gewichtszunahme und sexuelle Dysfunktion – wird es jedoch heute nur noch als Reservemedikament eingesetzt. Auch andere klassische Antipsychotika wie Pimozid und Fluphenazin stellen in der Behandlung Erwachsener lediglich Reservemedikamente dar. Aufgrund guter klinischer Erfahrungen wird das Benzamid Tiaprid von der deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie als Medikament der ersten Wahl für Kinder empfohlen, gefolgt von den Atypika Risperidon und Aripiprazol. Bei Erwachsenen gelten Sulpirid, Risperidon und Aripiprazol als Substanzen der ersten Wahl.

Diese oben genannten Dopaminrezeptor-Antagonisten führen häufig zu Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Gewichtssteigerung und Sexualfunktionsstörungen. Die meisten Studien zur Behandlung von Tics liegen für das Antipsychotikum Risperidon vor. In jüngster Zeit mehren

Antipsychotikum Aripiprazol besonders gut zur Behandlung von Tics geeignet ist, da es offenbar gut wirksam ist und seltener zu Nebenwirkungen führt. So kommt es unter Aripiprazol nicht zu Sexualfunktionsstörungen, Gewichtszunahme oder einer Prolaktinerhöhung und seltener zu Müdigkeit und extrapyramidal-motorischen Symptomen.

Wegen fehlender Studien beruht die Auswahl der Substanz vor allem auf klinischer Erfahrung und Gepflogenheiten der behandelnden Zentren.

2.5.2. Verhaltenstherapien

2.5.2.1. Habit Reversal Training und Comprehensive Behavorial Intervention for Tics (CBIT)

Das HRT wurde erstmals in den 1970er Jahren zur Behandlung von pathologischem Nägelkauen, Daumen lutschen und gegen Trichotillomanie eingesetzt (38, 39). Wenn solche automatisierten, ritualisierten und situationsspezifischen Verhaltensauffälligkeiten Teile von Verhaltensketten sind, so ist es für die Betroffenen meist schwer, diese spontan zu durchbrechen. Mit Hilfe des HRT wird versucht, in fünf Behandlungsschritten statt der oftmals ohne bewusste Kontrolle ablaufenden Verhaltensweisen ein neues kompetitives Alternativverhalten zu erlernen:

1. Wahrnehmungstraining: Das pathologische Verhalten (beispielsweise ein Tic) soll bewusst wahrgenommen werden. Um eine Intervention durchführen zu können, müssen den Tics vorausgehende Warnsignale sowie auslösende und aufrechterhaltende Faktoren erkannt werden. Bei Tourette-Patienten geht dem Tic in der Mehrzahl der Fälle ein Vorgefühl voraus. Wird dies spontan nicht berichtet, wird die Wahrnehmung eines vorangehenden Vorgefühls geübt. Als helfende Instrumente dienen Tagebücher oder Videodokumentation, vor allem bei bisher nicht wahrgenommenen Tics.

2. Training im Umgang mit unvorhersehbaren Ereignissen: Tics können als Reaktion auf vorhersehbare und unvorhersehbare Ereignisse auftreten. Ein zentraler Bestandteil des HRT ist es, Bewältigungsstrategien für unvorhersehbare Ereignisse einzuüben.

3. Entspannungstraining: Da Tics typischerweise durch Stress und Angst verstärkt werden und Entspannung meist zu einer Abnahme der Tics führt, umfasst das HRT das Einüben von Entspannungstechniken (z.B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen (40)).

4. Identifizieren und Erlernen eines Alternativverhaltens = Competing Response Training: Alternativbewegungen sollen idealerweise mit den antagonisierenden Muskeln des eigentlichen Tics durchgeführt werden.

Wesentliche Bestandteile dieses Therapieschrittes bilden die Motivation des Patienten und die positive Verstärkung.

5. Automatisierung und Generalisierung des Verhaltens für gegebenenfalls schwierige Alltagssituationen.

Eine Weiterentwicklung des HRT ist die Comprehensive Behavorial Intervention for Tics (41). Zusätzlich zu den o.g. Techniken des HRT nutzt das CBIT ein erweitertes Spektrum an Strategien wie z.B. Psychoedukation über Tic-Störungen und eine detaillierte Funktionsanalyse.

2.5.2.2. Exposure and Response Prevention Training (ERP)

Beim ERP (42) wird von der Annahme ausgegangen, dass dem Tic immer ein Vorgefühl vorausgeht. Folglich wird zunächst die Wahrnehmung des Vorgefühls trainiert. Der sonst nachfolgend automatisch ausgeführte Tic soll unterdrückt werden, bis der Drang, den Tic auszuführen, nachlässt.

2.5.3. Therapie der Komorbiditäten

Bei der Therapie der Komorbiditäten ist grundsätzlich zu beachten, dass die Lebensqualität des Patienten durch stärker ausgeprägte Komorbiditäten meist sehr viel mehr beeinträchtigt wird als durch die Tics (36). Aus diesem Grund ist es wichtig, in der Anamnese auch mögliche komorbide Erkrankungen zu erfassen und ggf. zu behandeln.

2.5.3.1. Therapie der Zwangserkrankung

Die Therapie der Zwangserkrankung erfolgt alternativ medikamentös oder mittels kognitiver Verhaltenstherapie, bei der die Konfrontation mit der Angst-auslösenden Situation und die anschließende Bewältigung dieser Situation erfolgen soll (42). Medikamente der ersten Wahl sind Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Citalopram oder Escitalopram (43).

2.5.3.2. Therapie der ADHS

Die Therapie der ADHS sollte stets multimodal erfolgen – gegebenenfalls unter Einbeziehung der Familie und des sozialen Umfeldes – mittels Psychoedukation, kognitiver Therapie, sozialem Kompetenztraining, Therapie von Teilleistungsschwächen und eventuell auch einer Pharmakotherapie. Präparat der ersten Wahl bei der medikamentösen Behandlung ist Methylphenidat. Andere Stimulanzien wie Amphetaminsulfat, Dexmethylphenidat oder Dextroamphetamin sind Mittel der zweiten Wahl. Für Kinder und Jugendliche sind außerdem als Mittel der zweiten Wahl das Präparat Atomoxetin sowie Lisdexfetamin zugelassen (37, 44).