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Theorien zur Assimilation

Im Dokument Neue Medien (Seite 38-93)

2 Theoretische Grundlagen

2.2 Theorien zur Assimilation

In diesem Kapitel sollen relevante bzw. ausgewählte Theorien zur Integration der Personen mit Migrationshintergrund in die jeweilige Aufnahmegesell-schaft (auch MehrheitsgesellAufnahmegesell-schaft genannt) überblicksartig veranschaulicht werden. Dabei werden vorzugsweise Theorien, die entweder aufgrund ihrer Stellung in der Entwicklung der Integrationsforschung von historischem Belang oder für die vorliegende Arbeit von kontextueller Bedeutung sind, etwas ausführlicher dargestellt. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass es nicht die Absicht dieser Arbeit sein kann, die Haltbarkeit der dargestellten Theorien ausführlich vergleichend zu diskutieren bzw. zu beurteilen.

Die Frage nach der gesellschaftlichen Integration der Personen mit Migrationshintergrund bildet, folgt man der Migrationsforscherin Annette Treibel (1999: 84), bereits seit den Anfängen der Soziologie als eigenständige Disziplin einen ihrer zentralen Forschungsbereiche. So wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA «auf der Basis der fortschritts- und modernisie-rungstheoretischen Annahmen» (Hoffmann-Nowotny 1998: 325) theoretische Erklärungsansätze zum Phänomen Migration entwickelt. Den Ausgangspunkt

dieser ersten Sozialwissenschaftler der US-amerikanischen Soziologie bildete die Auseinandersetzung mit der gewaltigen Expansion der US-amerikanischen Städte infolge der Masseneinwanderungen bzw. der dadurch verursachten sozialen Transformationsprozesse sowie der Inklusion der Immigranten unter-schiedlicher Herkunft in die besagte Gesellschaft. Hierbei sind zunächst die theoretischen wie auch empirischen Beiträge der Soziologen der Chicagoer Schule wie Robert Ezra Park und der etwas späteren (ab den 1950er Jahren) Autoren wie Milton M. Gordon und Nathan Glazer/Daniel P. Moynihan sowie Shmuel N. Eisenstadt erwähnenswert, wobei Letzterem das Einwande-rungsland Israel als Untersuchungsfeld diente. Nachfolgend werden zunächst Hauptthesen/-aussagen dieser inzwischen als klassisch eingestuften, relativ eindimensionalen Assimilationstheorien, die unter den Begriffen Generations-, Sequenz- und Zyklen- oder Stufenmodelle in die Literatur Eingang gefunden haben, zusammenfassend präsentiert. Dargestellt werden sollen zudem die Assimilations-/Integrationstheorien von Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny und Hartmut Esser, die ab Beginn der 1980er Jahre insbesondere im deutsch-sprachigen Raum den wissenschaftlichen wie auch politischen Diskurs um die Thematik bedeutend prägten. Ebenso soll eine Auseinandersetzung mit neueren Konzepten, namentlich der Segmented Assimilation von Alejandro Portes und Min Zhou sowie der Neuen Assimilationstheorie von Richard Alba und Victor Nee stattfinden. Etwas ausführlicher diskutiert werden die ebenfalls pluralistischen Perspektiven, welche eine Mehrdimensionalität – im Sinne einer Sowohl-als-auch-Dimension – und Reziprozität von Integrati-onsprozessen in den Vordergrund stellen.

2.2.1 Klassische Assimilationsansätze

Sequenz- und Zyklen- oder Stufenmodelle – assimilatorische Perspektiven

Robert Ezra Park (1921) und seine Mitarbeiter entwickelten aus einer mikro-soziologischen, akteurszentrierten Perspektive ein Assimilationskonzept, das unter dem Titel Race-Relations-Cycle (RRC) in die Literatur einging. Auf der Grundlage von systematischen empirischen Beobachtungen der Einwande-rungs- resp. folgenden Anpassungsprozesse in die/den Grossstädten der USA stellte sich Park den einzelnen Immigranten als ein Individuum vor, das mit der Akte Auswanderung zeitgleich einen Bruch mit seiner Vergangenheit begehe und folgedessen zu einem freien, von den (Herkunfts-)Bindungen losgelösten Menschen (Marginal Man – Park 1928) werde. Diesen Zustand bezeichnet Park als eine Voraussetzung des mehrstufigen, progressiven und irreversiblen Assimilationsprozesses der Eingewanderten vor allem europäischer

Herkunft in die Kultur der weissen angelsächsischen core society. Park und Robert Watson Burgess stellen in ihrem Pionierwerk zum Thema Assimilation der Einwanderer die These auf, dass ein Zusammentreffen mehrerer Gruppen von Menschen unterschiedlicher Herkunft in einem geografisch definierten Raum eine unvermeidliche und sukzessive Phasenabfolge verschiedener For-men sozialer Interaktionen bzw. sozialen Verhaltens der Individuen in Gang setzt. Nach dieser Annahme führt die erwähnte Phasenabfolge unabwendbar die vollständige Assimilation der Eingewanderten in der core society herbei (vgl. Park/Burgess 1921: 507 ff.; Han 2006: 8, 19 ff.).

Dabei definieren Park und Burgess (1921: 735) die so eingetretene Assimilation, als einen “process of interpenetration and fusion in which persons and groups acquire the memories, sentiments, and attitudes of other persons and groups, and, by sharing their experience and history, are incorporated with them in a common cultural life”. Ferner trete diese letzte Phase erst in der zweiten oder dritten Generation auf und zwar unbewusst als eine gewissermassen natürlich resultierende automatische Anpassung an die – als homogen angenommene – Kultur der Mehrheitsgesellschaft. Zudem würde sich bei den Eingewanderten eine emotionale Zusammengehörigkeit bzw. Ausbildung eines Gemeinschaftssinns entwickeln und zwar als Folge der Partizipation der Eingewanderten an verschiedenen Sphären des Alltagslebens:

“The point here emphasized is that patriotism, loyalty, and common sense are neither created nor transmitted by purely intellectual processes. Men must live and work and fight together in order to create that community of interest and sentiment which enable them to meet the cries of their common life with a common will” (Park/Burgess 1921: 762 f.; vgl. auch Treibel 1999:

87 ff.; Fincke 2009: 28 f.).

In einer späteren Schrift relativierte Park (1937: xii) jedoch seine ursprüngliche Vorstellung von Assimilation als das vollendete Stadium des Eingliederungsprozesses, indem er mögliche regressive Abweichungen bzw.

unterschiedliche Endoptionen im Assimilationsphasenverlauf nicht mehr ausschloss (vgl. Han 2006: 9; Fincke 2009: 29).

In der Migrationsforschung herrscht generell Einigkeit darüber, dass Park und Burgess mit ihrem primären Assimilationsmodell bzw. «ihrer Vor-stellung von der Assimilation als einem allgemeinen Gesetz» (Esser 2008: 82) eine wegweisende Grundlage für die Weiterentwicklung der späteren Assimi-lationskonzepte lieferten (vgl. Aumüller 2009: 48). Kritik ernten die beiden Forscher aber zum einen hinsichtlich ihrer Vorstellung von einer homogenen Kultur der core society, in die sich die Zugewanderten-Gruppen zu assimilieren hatten, zum anderen hinsichtlich ihrer These, die einen kontinuierlich vor-wärts verlaufenden, irreversiblen Assimilationsprozess impliziert, welche sich empirisch als eine nicht haltbare und mechanistisch formulierte Vorstellung

erweist. Studien weisen darauf hin, dass die in diesem Modell vorgesehenen Phasen der sozialen Interaktion sich keineswegs in jedem Fall in Richtung Assimilation entwickeln. So zeigt selbst die soziale Realität in den USA, dass

«in vielen Fällen kaum die Stufe der Akkommodation, geschweige denn diejenige der Assimilation erreicht» wurde (Hoffmann-Nowotny 1998: 326).

Mit Bezug auf die Immigration in die US-amerikanische Gesellschaft veröffentlichten ebenso Lloyd W. Warner und Leo Srole (1945) eine Studie unter dem Titel The Social Systems of American Ethnic Groups, in deren Kern die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe im Assimilationspro-zess stand. Zugleich weisen die beiden Autoren auf die determinierende Rolle der Dominanzgesellschaft (core society) angelsächsischer Zusammensetzung hin: So sei es bspw. von enormer Wichtigkeit, wie die core society die einzel-nen zugewanderten ethnischen Gruppen aufgrund ihrer herkunftsbedingten

«differierenden» Eigenschaften bewertet und schliesslich hierarchisch einstuft (relative ranking) und welche Konsequenzen diese Einstufung für die Assimi-lation der einzelnen Gruppen hat / haben kann. Warner und Srole schluss-folgern etwa, dass für gewisse Gruppen die Endphase der Assimilation relativ spät eintreten kann, überdies sei eine vollständige Assimilierbarkeit gewisser Gruppen wie Menschen schwarzer Hautfarbe oder fernöstlichen Ursprungs in die Mehrheitsgesellschaft überhaupt in Frage zu stellen (vgl. Fincke 2009:

29). Dabei untermauern sie ihre Zweifel vorwiegend mit der festgestellten ungleichen Einstellung der core society gegenüber den ethnischen Gruppen (vgl. Warner/Srole 1945: 285 ff.). Zusammenfassend entwerfen die Forscher die These, dass die – wahrgenommene – bspw. kulturelle Distanz zwischen der core society und der zugewanderten Gruppe den Assimilationsprozess der jeweiligen Gruppe determiniere (ebd.: 285 f.).

Shmuel N. Eisenstadt (1951, 1952/1) entwickelte am Beispiel der Eingliederungsprozesse der jüdischen Einwanderer in Israel und Palästina seine Theorie The Absorption of Immigrants. Er identifiziert für eine gelungene Absorption als letzte Phase des Eingliederungsprozesses zwei grundlegende Determinanten, wobei er im Gegensatz zu Park und Burgess das Prinzip der Reziprozität ausdrücklich unterstreicht: die mentale Bereitschaft der Einwan-derer zur Assimilation einerseits, was eine sukzessive Aufgabe der herkunfts-bezogenen Werten, Normen und Beziehungen bedingt – ein Prozess, den Eisenstadt einer Desozialisation gleichsetzt. Andererseits setzt Eisenstadt klar voraus, dass die Mehrheitsgesellschaft über eine absorbierende Sozialstruktur verfügt, nämlich aufnahmebereit/-fähig ist: Zugänge zum Statussystem stehen den Zuwanderern offen. Überdies stehen ihnen passende Opportunitäten zur assimilativen Handlung zur Verfügung. Der gesamte Absorptionsprozess wird in Eisenstadts Konzept ebenso als eine Abfolge von Stadien beschrieben (ebd. 1952: 225 ff.). Demnach bezeichnet die letzte Phase die strukturelle,

solidarische und kulturelle Integration sowie den Vollzug einer gleichmässigen Verteilung der Zugewanderten über alle strukturellen Sphären der aufneh-menden Gesellschaft und eine Entwicklung des Zugehörigkeitsgefühls. Nicht zuletzt deshalb benennt der Autor diese Phase als eine (Re-)Identifikationsphase (vgl. Eisenstadt 1952: 225 ff.; Hoffmann-Nowotny 1973: 171).

Im Gegensatz zu Park und Burgess ist in Eisenstadts Konzept (1987:

433 ff.) die Gefahr einer nicht gelungenen Absorption stets zugegen. Demnach könnte eine ethnische Zuwandererkolonie etwa aus Existenzgründen bestrebt sein, ihre ethnischen Charakteristika gegenüber der Aufnahmegesellschaft zu verteidigen bzw. zu bewahren. Empirischen Erkenntnissen gemäss würden sol-che Tendenzen durch die – insbesondere in der Anfangsphase von der ethnissol-chen Gemeinschaft erbrachten – durchaus wertvollen (Selbst-)Orientierungshilfen gestärkt – etwa, weil diesbezügliche absorbierende Sozialstrukturen der Auf-nahmegesellschaft fehlten. Unterstützungsleistungen dieser Art trügen gewiss zur Verringerung der migrationsbedingten Unsicherheiten bei. Eine Fixierung auf die ethnisch orientierten Strukturen – nicht zuletzt aufgrund der durch die erwähnten Leistungen entstehenden Abhängigkeitsverhältnisse – könne auf die Dauer die Entwicklung assimilativer Handlungen und eine positive Identifikation mit der Zuwanderungsgesellschaft stark beeinträchtigen (ebd.).

Im Anschluss an Parks Relativierung der Irreversibilität des Assimi-lationsprozesses und Eisenstadts Überlegungen zur Absorption entwickelt Milton M. Gordon (1964) sein Stufenmodell der Assimilation. Als Haupt-strukturierungsmerkmale der Assimilation identifiziert er Klassen- und Ethnien-Zugehörigkeit, wobei er das Ethnische hervorhebt. Gordon relativiert in seinem Stufenmodell die Annahme von Park und Burgess, dass sich der gesamte Assimilationsprozess in Stufen vollziehe, welche eine Reihenfolge darstellten. Insofern argumentiert der Autor, dass nicht jeder interethnische Interaktionsprozess eine lineare, kontinuierlich-progressive Entwicklung aufweisen und zwingend zur Verschmelzung der ethnischen Kulturen führen muss. Zudem ist die Möglichkeit einer Stagnation des Assimilationsprozesses nach Gordons Auffassung stets gegenwärtig. So ist es durchaus denkbar, dass ethnische Minderheiten – auch bei weitgehender kultureller Assimilation – auf Dauer als separates Sozialgebilde bestehen bleiben. Eine solche Situation könne vorliegen, wenn etwa die strukturelle oder identifikative Assimilation fehlen würde (ebd.: 77). Zwar betrachtet Gordon (ebd.: 72) eine Assimilation in Form von melting-pot zumindest theoretisch als möglich, stellt jedoch fest, dass sich die Assimilation zugewanderter ethnischer Gruppen in den USA, wenn überhaupt, faktisch vielmehr einseitig in der «übergeordneten» wei-ssen angelsächsischen protestantischen Kultur der Mittelschicht, nämlich in derjenigen der Dominanzgruppe «core group» bzw. «core culture» vollzieht (vgl. Hoffmann-Nowotny 1998: 327; Han 2006: 41 f., 63). Hierzu

kons-tatiert Gordon, dass die Vorstellung, die US-amerikanische Gesellschaft sei in struktureller wie auch kultureller Hinsicht ein single melting pot, nichts anderes als eine reine Illusion sei. Viel eher müsse, so Gordon (1964: 131), von einem multiplen melting pot in der Form von nebeneinander her existie-renden unterschiedlichen Containern gesprochen werden, “which are cultur-ally very similar, while at the same time they remain structurcultur-ally separate”.

Gordon differenziert in seinem Modell ebenso zwischen mehreren Stadien einer vollständigen Assimilation, wobei er die zentrale Bedeutung der struc-tural Assimilation in die Sozialstruktur der Mehrheitsgesellschaft – vielmehr einer bestimmten Subgesellschaft (ethclass) – unterstreicht, wie den Eintritt in Cliquen und Vereine: “Once structural assimilation has occurred, either simultaneously with or subsequent to acculturation, all of the other types of assimilation will naturally follow” (ebd.: 81). Dabei ist Gordon zufolge eine ethclass “created by the intersection of the vertical stratifications of ethnicity with the horizontal stratifications of social class” (ebd.: 51). Ferner erkennt Gordon eine Reihe weiterer Dimensionen wie marital Assimilation (intereth-nisches Heiraten) oder die identifikatorische Assimilation (ebd.: 80 ff.; vgl.

auch Han 2006: 42 ff.; Fincke 2009: 30).

Nicht zuletzt das Aufkommen des Ethnic Revival in den USA der 1960er Jahre stellte die Existenz des imaginären Melting Pot-Paradigmas generell in Frage. So kritisieren Glazer und Moynihan in ihrem Werk Beyond the Melting Pot (1963) die bis dahin verbreitet vertretene Vorstellung eines Melting Pot-Paradigmas, das langfristig eine Vermischung zugewanderter Gruppen prognostizierte, speziell in Bezug auf die prophezeite Assimila-tionsfähigkeit der sogenannten anglo-protestantischen core culture/society (vgl. Glazer/Moynihan 1963: 20). Im Gegensatz zur Annahme des Melting Pot-Paradigmas konstatieren die Autoren, dass die ethnischen Gruppen inner-halb der Zielgesellschaft vielmehr einen neuen und eigenständigen Zustand erreichen resp. eine Eigenidentität entwickeln würden, was jedoch weder als ein Abbild der jeweiligen Herkunftsgesellschaft noch als eine vollständige Assi-milation bzw. Verschmelzung nach der Melting Pot-Vision bezeichnet werden könne. Zudem können Form und Geschwindigkeit des Assimilationsprozesses sowie des erreichten Assimilationsniveaus ethnischer Gruppen bedeutende Differenzen aufweisen. Überdies könnten charakteristische Unterschiede der Subgruppen etwa hinsichtlich ethnischer oder religiöser Merkmale dauerhaft bestehenbleiben (vgl. Glazer/Moynihan 1963; Fincke 2009).

Assimilations-/Integrationskonzepte im deutschsprachigen Raum Im Gegensatz zu den klassischen Einwanderungsländern wie den USA und Kanada, wo die Migrationsforschung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts

ihren Anfang genommen hatte, wurden in Kontinentaleuropa erst ab den 1970er Jahren umfassende theoretische Konzepte einer Migrationsforschung vorgelegt. Nennenswert sind die Beiträge von Hoffmann-Nowotny und Esser, die sich zur Entwicklung ihrer Assimilationskonzepte stark an die US-amerikanische Migrationsforschung anlehnten.

Theorie der strukturellen und anomischen Spannungen nach Hoffmann-Nowotny

Ausgehend von der oben kurz dargestellten Theorie der strukturellen und anomischen Spannungen definiert Hoffmann-Nowotny (1970: 99) «Migration als einen Prozess […], in dessen Verlauf [Migrierende] ihre Mitgliedschaft in einem spannungsreichen Kontext aufgeben und die Mitgliedschaft in einem spannungsärmeren Kontext anstreben», wobei die Entwicklung neuer Span-nungen im Zuwanderungsland nicht ausgeschlossen wird. Der Autor konsta-tiert, dass zwischen Kultur und Gesellschaft ein Interdependenzverhältnis besteht, wobei «die gesellschaftliche Dimension die kulturelle Dimension stärker determiniert als umgekehrt» (ebd. 1973: 173). Des Weiteren würde eine Übertragung dieser Hypothese auf das Phänomen der Integration der Eingewanderten etwa heissen, dass eine kulturelle Assimilation die sozialstruk-turelle Integration eher bedingt als umgekehrt. Folglich würde der erreichte Assimilationsgrad der Eingewanderten eher tief sein, würde diesen dauerhaft nur der Zugang zu unterprivilegierten marginalen gesellschaftlichen Status-positionen gewährt (ebd.: 194). Damit lässt sich etwa eine Parallelität zwischen Hoffmann-Nowotnys Konzept und den klassischen Migrationstheorien (der Stufenmodelle von Park/Burgess und Gordon) identifizieren, nämlich, dass im Eingliederungsprozess der Eingewanderten eine strukturelle Integration einer kulturellen Assimilation vorausgeht.

Hoffmann-Nowotny (1973: 172) unterstreicht zunächst die zentrale Bedeutung der Frage nach der Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft für eine Integration der Immigrierten. Dabei vertritt er die Auffassung, «dass es nicht so sehr darum geht, ob die aufnehmende Gesellschaft die kulturellen Unter-schiede akzeptiert, sondern ob sie die zentralen Statuslinien für die Einwan-derer öffnet». Hoffmann-Nowotny untermauert damit wie Warner und Srole zum einen wiederum den entscheidenden Einfluss der Aufnahmebereitschaft/

-fähigkeit der Ankunftsgesellschaft auf die integrativen Bestrebungen der Eingewanderten, zum anderen die ebenso zentrale Bedeutung der allgemeinen Motiviertheit und mentalen Bereitschaft der Eingewanderten zur Teilnahme an der Ankunftsgesellschaft. In diesem Zusammenhang verweist er auf die Tatsache, dass Eingewanderte im Residenzland selten ein geeignetes Umfeld antreffen, das eine erwünschte soziale Mobilität bzw. strukturelle Integration

ermöglichen würde – wobei dies auch eine Folge bestehender struktureller Differenzen zwischen Herkunfts- und Ankunftskontexten sein kann. Gerade daher dürfe, so der Autor (ebd.), «der von ihnen realistischerweise zu erwar-tende Assimilationsgrad immer mit Bezug auf die Subkultur der Unterschicht des Einwanderungslandes betrachtet» und «nicht an den idealen Normen der dominierenden Mittelschicht gemessen werden». Zudem impliziere Assimilation einen «die Persönlichkeitsstruktur umwandelnden Lernprozess»

(Hoffmann-Nowotny 1973: 269), der in einem umfassenden Sinn nur in der frühen Kindheit und Jugend bewerkstelligt werden könne. Insofern könne von im Erwachsenenalter eingewanderten Personen allenfalls eine partielle Assimilation erwartet werden, worunter der Autor eine selektive Übernahme einzelner Elemente der Kultur der Zielgesellschaft versteht (ebd.: 176; vgl.

auch Aumüller 2009: 120).

Das Modell der Sozialintegration nach Hartmut Esser

Hartmut Esser (1980) entwickelte in Anlehnung an die Tradition der Assi-milationstheorien aus den USA seine auf zwei Hauptkomponenten – der kognitiven Theorie des Handelns und Lernens sowie dem Programm des methodologischen Individualismus5 – aufbauende Theorie der Eingliederung von Wanderern (vgl. Aumüller 2009: 106). Dabei beschreibt Esser (2000:

261), in systemtheoretischem Verständnis, den Begriff Integration zunächst ganz allgemein als den «Zusammenhalt von Teilen in einem ‹systemischen›

Ganzen und die dadurch erzeugte Abgrenzung von einer unstrukturierten Umgebung». Zugleich verweist er auf «die Existenz von bestimmten Relatio-nen zwischen den Einheiten und zur jeweiligen Umwelt» (ebd.: 262), welche den Integrationsprozess prägten. Als Nächstes differenziert Esser analog zu Lockwood zwischen System- und Sozialintegration und beschreibt dabei das Konzept der Systemintegration generell als jene Form des Zusammenhalts der Gesellschaft «unter Einschluss von Migranten und anderen fremdkulturellen Gruppen» (ebd.: 290). Demzufolge befinden sich die verschiedenen Grup-pen einer Gesellschaft bei einer Systemintegration «in gleichwertigen, relativ spannungsfreien, wenngleich nicht unbedingt ‹harmonischen› Relationen zueinander» (ebd.). Laut Essers Ausführungen ergibt sich die Systemintegra-tion und setzt sie sich durch, «unabhängig von den speziellen Motiven und Beziehungen der individuellen Akteure und oft genug sogar auch gegen ihre

5 Dieser Auffassung nach, übertragen auf das Migrationsphänomen, wählt ein mig-rantischer Akteur bestimmte assimilative Handlungen aus mehreren vorliegenden Optionen nur dann aus, wenn er diese «[…] als subjektiv erfolgversprechender zur Erreichung hoch bewerteter Ziele wahrnimmt […] und wenn die betreffende soziale Umwelt diese Handlungen nicht unterbindet» (Esser 1980: 14; vgl. Fincke 2009:

33).

Absichten und Interessen» (ebd.: 270). Hingegen bezieht sich Sozialinteg-ration auf die Motive, Orientierungen und Einstellungen der Akteure, vor dem Hintergrund des Einbezugs «der Akteure in einen gesellschaftlichen Zusammenhang» (ebd.: 271).

Dennoch korrespondieren Esser (2000: 289 f.) zufolge beide erwähnten Dimensionen der Integration mit der Assimilation6 von Immigrierten in die Aufnahmegesellschaft: Aus einer makrosoziologischen Perspektive betrachtet, geht es dabei um die Systemintegration von sozialen Systemen einer Gesellschaft inklusive ihrer kollektiven Subeinheiten wie «fremdkulturellen» Migranten-gruppen. Aus einer mikrosoziologischen Perspektive betrachtet, geht es um die Inklusion der Immigrierten als Individuen in die verschiedenen Sphären resp. in bestehende soziale Systeme der Residenzgesellschaft. In einem weiteren Analyseschritt zerlegt Esser in seinem handlungstheoretischen Grundmodell die Sozialintegration in vier mögliche und stark aufeinander bezogene Dimen-sionen, «die sich einerseits in strukturellen Gegebenheiten und andererseits in Einstellungen und Handlungsfähigkeiten des Individuums manifestieren»

(Aumüller 2009: 107; vgl. auch Esser 2000: 272 ff.; 2009: 358 ff.):

Kulturation (kulturelle Assimilation) der Zugewanderten durch Aneig-nung von in der Zuwanderungsgesellschaft üblichen Kompetenzen, kognitiven Fertigkeiten und Wissen, die für Interaktionen und Inter-agieren im Alltagsleben unerlässlich sind (Human-/Kulturkapital).

Interaktion (soziale Assimilation) bezeichnet einen Spezialfall des sozialen Handelns, nämlich die reziproke Orientierung der Akteure aneinander über Wissen und Symbole wie gedankliche Koorientierung, Aufbau kommunikativer und sozialer Beziehungen (Sozialkapital).

Identifikation (emotionale Assimilation) zeigt sich in der «Einstellung eines Akteurs, in der er sich und das soziale Gebilde als eine Einheit sieht und mit ihm ‹identisch› wird» (Esser 2000: 274 f.). Gedankliche und gefühlsmässige Hinwendung der Akteure (Symbolkapital).

Platzierung (strukturelle Assimilation) ist die langfristig unverzicht-bare Dimension der Sozial-Integration: Besetzung gesellschaftlicher Statuspositionen, anders gesagt, der Zugang zum Statuskapital, etwa Staatsbürgerschaft, Bildung, Beruf (Human-/Kulturkapital).

6 Esser (2001b: 22) zufolge ziehen manche Autoren womöglich aus Gründen der politischen Sensibilität gewisser Worte und der sogenannten political correctness den Zugewanderten gegenüber, die Verwendung des Begriffes Integration demjenigen der Assimilation vor. Das sei aber «nur ein anderes Wort für den gleichen Sachverhalt.

Es ist insoweit […] irreführend, weil es davon ablenkt, dass die Sozialintegration in die Aufnahmegesellschaft ohne irgendeine Form der ‹Angleichung› nicht zu haben ist».

Esser prognostiziert in einem weiteren Schritt in Anlehnung an John Berrys Typologie (1990, 1997) vier unterschiedliche Prozessentwicklungen mit entsprechenden Typen (s. Tabelle 1): Assimilation, Mehrfachintegration, Segmentation und Marginalität. Dabei werden die Prozessausgänge (Typen) stark von den Orientierungspräferenzen der Akteure determiniert. Ferner kann sich die Sozialintegration der Zugewanderten nach Essers Auffassung in einem stark reziproken Verhältnis hinsichtlich der Prozessausgänge auf drei gesellschaftliche Kontexte beziehen: die Herkunftsgesellschaft, die ethnische Gemeinde im Zuwanderungsland und die Aufnahmegesellschaft, wobei im Modell die beiden ersten Systeme als eine zusammengehörende bzw. identi-sche Kategorie definiert werden.

Tabelle 1 Typen der Sozialintegration von Immigrierten

Herkunftskontext Aufnahmekontext:

Sozialintegration in die Aufnahmegesellschaft

ja nein

Sozialintegration in die Herkunft sgesellschaft und/oder in die ethnische Gemeinschaft

ja Mehrfachintegration Segmentation

ja Mehrfachintegration Segmentation

Im Dokument Neue Medien (Seite 38-93)