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In Deutschland gibt es, wie in vielen westlichen Staaten, ein relativ dichtes Netzwerk von Unternehmen, die durch den Austausch von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, die sogenannten „Interlocking Directorates“,1 miteinander verflochten sind. Diese Netzwerke wurden bereits in einer Reihe von empirischen Arbeiten eingehend untersucht [siehe zum Beispiel bei Ziegler/

Bender/ Biehler 1985, Scott 1985, Scott 1991 oder Beyer 1998].

Bei diesen Studien blieb aber der folgende Aspekt fast immer unbeachtet:

„Corporate network studies have been restricted mainly to the private or business sectors. Network analyses involving both corporations and state or government agencies have been extremely rare“ [Mokken/ Stokman 1978: 333, eigene Hervorhebung].

Die vorliegende Arbeit greift diese Kritik und Anregung von Robert J. Mokken und Frans Stokman auf und erweitert die auf Unternehmen eingeengte Perspektive.

Dabei wird von folgender Frage ausgegangen:

1. Es gibt ein relativ dichtes Netz von „Interlocking Directorates“ zwischen Unternehmen. Gibt es solche personellen Verbindungen nicht nur innerhalb eines Sektors (hier also: innerhalb der Wirtschaft) sondern auch zwischen verschiedenen Sektoren, und zwar konkret zwischen dem politischen System und dem wirtschaftlichen Sektor in der Bundesrepublik Deutschland?

Direkt aus dieser Leitfrage der Arbeit ergibt sich eine Reihe verwandter Aspekte und Folgefragen:

2. Welche Gründe sprechen aus theoretischer Sicht und aus Gründen der Praxis für die Existenz solcher Verbindungen; welche Gründe sprechen dagegen?

3. Wenn solche Verbindungen zwischen den beiden Sektoren Wirtschaft und Staat auftreten, wie stark sind diese Verbindungen ausgeprägt, welche Muster zeigen sich und ändern diese sich über Zeit oder bleiben sie eher stabil?

4. Wie lassen sich die somit vorgefundenen Ergebnisse durch die verwendeten Erklärungsansätze interpretieren und erklären?

5. Wie kann man solche Verbindungen, sollten sie sich empirisch nachweisen lassen, bewerten?

Diese Fragen sind aus mehreren Gründen relevant für eine Forschungsarbeit im Bereich Politik- und Verwaltungswissenschaften.

Zunächst spricht hierfür ein methodischer, mit der gerade angeführten Kritik von Mokken und Stokman eng verwandter Aspekt.

Es gibt eine lange Reihe von Arbeiten zu Verbindungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen insgesamt, ihren Spitzen, einzelnen Teilen oder Organisationen. Dies gilt auch und gerade für den Bereich der Wirtschaft und den politischen Bereich. Ebenso gibt es vielfältige Untersuchungen zur Existenz von personellen Verflechtungen, Verbindungen und „Netzwerken“

zwischen Wirtschaftsunternehmen. Die Kombination beider Ansätze erfolgt aber nur selten.

Für die Bundesrepublik Deutschland liegen daher keine systematischen Untersuchungen von personellen Verflechtungen zwischen den Bereichen Wirtschaft und Politik, in der Form wie sie hier vorgenommen werden, vor.

Neben dem methodischen Aspekt ist die hier behandelte Frage aus politikwissenschaftlicher Sicht relevant, weil personelle Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft potenziell Einflussmöglichkeiten eröffnen, die nicht unproblematisch sind. Die Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Politik beziehungsweise zwischen Wirtschaft und Staat sind gerade für die Verwaltungswissenschaften von essenziellem Interesse.

Zuletzt begründet sich das Thema der vorliegenden Arbeit durch seine Aktualität:

Ein wichtiger Teil der Regelungen, die das Verhältnis zwischen dem Vertretern aus dem politischen Sektor und der Wirtschaft regeln, die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages, wurden seit dem 17.09.2002 noch weiter verschärft.2

Dies zeigt die Bedeutung dieses Themas nicht nur für Theorie und Wissenschaft, sondern auch für die Praxis.

Die anfangs aufgeführten Fragen werden dabei folgendermaßen aufgearbeitet:

Die Verbindungen zwischen Wirtschaft und Staat können hier unmöglich global und umfassend untersucht werden. Untersuchungsgegenstand sind hier nur

2 Details dazu siehe in Abschnitt 2.3.1 und dabei insbesondere Fußnote 23.

konkret die Verbindungen, welche die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Wirtschaftsunternehmen besitzen.

Hier könnten wiederum mehrere Arten von Verbindungen untersucht werden:

Personelle Verflechtungen von Bundestagsabgeordneten mit Unternehmen können unter anderem durch Besitz von Unternehmen, durch Kapitalbeteiligungen, durch Mitarbeit in einem Unternehmen, durch Beratungstätigkeit, persönliche Beziehungen mit Firmenmitgliedern (beispielsweise Freundschaften, Ehen) oder durch Verbindung mit einem Unternehmen durch Tätigkeit in dessen Gremien, wie beispielsweise Vorstand, Aufsichtsrat oder Beiräten entstehen.

Hier wird nur der letzte Aspekt, nämlich der Dienst von Abgeordneten im Vorstand, im Aufsichtsrat oder in ähnlichen leitenden, kontrollierenden und beratenden Gremien eines Unternehmens betrachtet.3

Dies geschieht auf einer breiten Datenbasis und nicht durch spektakuläre, möglicherweise aber irreführende, Einzelfallstudien.

Bevor Daten zu diesen Verbindungen gewonnen und analysiert werden können, muss durch geeignete Theorien erklärt werden, ob, und wenn ja, warum, es personelle Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft geben könnte, und natürlich ebenfalls, was gegen die Existenz solcher personeller Verflechtungen spricht.

Den geeigneten Theorieapparat zur Beantwortung dieser Fragen bietet die

„Interlocking Directorate“-Forschung. Die Hauptargumente für die Existenz von personellen Verflechtungen zwischen Unternehmen werden dargestellt und daraufhin untersucht, ob sie auch auf die Existenz von persönlichen Verbindungen von Politikern mit Wirtschaftsunternehmen angewendet werden können.

Der dazu nötige Theorietransfer ist ein wesentliches Element der Arbeit und wird unmittelbar im Anschluss an diese Einleitung in Abschnitt 2 erfolgen.

Darauf aufbauend werden in Abschnitt 3 der Arbeit geeignete Daten daraufhin untersucht, ob sich die betreffenden Verbindungen empirisch nachweisen lassen.

Ist dies der Fall, spricht dies für die Zulässigkeit des in Abschnitt 2

vorgenommenen Theorietransfers. Sollten die Ergebnisse der Untersuchung der Daten den Voraussagen aus Abschnitt 2 dagegen widersprechen, wäre dies ein Indiz dafür, dass die personellen Verflechtungen innerhalb der Wirtschaft einer anderen Logik folgen als die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Staat.

Die Ergebnisse hierzu werden ausführlich dargestellt und interpretiert.

Erst wenn dieser empirische Nachweis gelingt, werden aufbauend, auf die in Abschnitt 2 vorgestellten Erklärungsmodelle, Hypothesen entwickelt, um die vorgefundenen Muster und Strukturen in den Daten zu erklären.

Die vorliegende Arbeit verfolgt ein hypothesengenerierendes Design.

Hypothesentests finden im Anschluss daran nur statt, soweit dies auf Basis der hier bereits vorhandenen Daten möglich ist.

Ein weiteres Augenmerk liegt stattdessen auf der weiteren Untersuchung des genauen Erklärungsbeitrags der verschiedenen Modelle in diesem Zusammenhang. Diese ist ebenso wichtig wie schwierig und erfolgt bisher zu selten [Mizruchi/ Galaskiewicz 1993: 52, Mizruchi 1996].

Im letzten Abschnitt der Arbeit werden dann die theoretischen und praktischen Implikationen der vorgefundenen Ergebnisse kurz diskutiert.