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Bündnis 90 / Die Grünen: Zunahme und Angleichung

3. Datenquelle und Datenauswahl

4.3 Unterschiede zwischen den Parteien

4.3.3 Bündnis 90 / Die Grünen: Zunahme und Angleichung

Am interessantesten ist sicherlich die Entwicklung bei den Grünen (Bündnis 90/

Grüne).31 Hier zeigt sich über alle 5 Wahlperioden hinweg für mehrere Indikatoren eine konstante Zunahme der Interlocks insgesamt, des Anteils der Interlocker und der Interlockkonzentration (Interlocks pro Interlocker).

Der Interlockeranteil liegt zu Anfang ebenso wie die Interlockerkonzentration in der 11. Wahlperiode bei Null.

31 Vergleiche zu den verschiedenen Bezeichnungen auch das Verzeichnis der offiziellen Partei- und

Verbindungen pro Interlocker 1987 - 2002 (nach Fraktionen)

Tabelle 9: Interlockeranteil, Interlockanzahl und Interlockkonzentration bei Bündnis 90/ Die Grünen 1987 - 2002

Bündnis 90/ Grüne BT 11 BT 12 BT 13 BT 14 BT 15

% Interlocker* 0,00% 25,00% 6,12% 18,00% 21,81%

Verbindungen/ Interlocker 0 1 1,66 1,555 1,666

Verbindungen gesamt 0 2 5 14 20

Abgeordnete** 48 8*** 49 59 55

Quelle: Eigene Darstellung

* Siehe Fußnote 25 und Anmerkung zu Abbildung 1 *** Gruppe

** Siehe Anmerkung zu Tabelle 3

Die Werte für die folgende Periode sind, wie bereits oben angemerkt nicht verlässlich zu interpretieren, da hier nur eine kleine Gruppe von Abgeordneten aus dem Osten für die Grünen den Sprung ins Parlament geschafft hat. Danach aber steigt der Interlockeranteil kontinuierlich auf aktuell knapp 22 Prozent. Damit einher geht ein Anstieg der insgesamt gehaltenen Verbindungen fast bis auf das Niveau der etablierten Parteien. Die Konzentration der Verbindungen liegt zuletzt sogar höher als bei der SPD (siehe Abbildung 2).

Die Grünen zeigen damit als einzige der betrachteten Parteien eine klare und stetige Veränderung und Entwicklung in eine Richtung. Diese Entwicklung ist auffällig und wird daher hier noch näher als bei den anderen Parteien betrachtet.

Die festgestellten Veränderungen können als Beleg für einen Anpassungsprozess der Grünen an die etablierten Parteien gewertet werden. Ursprünglich aus einer (genaugenommen sogar aus mehreren) großen sozialen Bewegungen entstanden, sind die Grünen insgesamt trotz einiger kleinerer noch verbleibender Besonderheiten, eine „ganz normale“ etablierte Partei geworden.

Dies wird von mehreren Seiten so gesehen:

Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert unter dem Titel „Entfärbung einer grünen Partei“: „Vor einem Jahr begann das Abenteuer des Regierens und damit die Verwandlung einer Bewegung zum Juniorpartner des Establishments [...].

Damals, [...] traten die ursprünglichen Ziele zurück um den Lohn der Eingliederung in das neue Establishment Deutschlands. [...] Die [...] Teilhabe an der Macht verlangt vermeintlich fast jeden Tag die Preisgabe von Ur-Überzeugungen: in der

Ausländer- und Asylpolitik, in der Menschenrechtspolitik, in der Energie- und Atompolitik“ [Süddeutsche Zeitung 1999c: 2].

Diese kritischen Anmerkungen werden aber von hochrangigen Vertretern der Grünen nicht etwa vehement zurückgewiesen, sondern bestätigt. Die ehemalige Sprecherin der Grünen, Antje Radcke, bestätigt den Angleichungsprozess an die „etablierten“ Parteien, den die Grünen durchlaufen haben [vgl. Radcke 2001: 228 – 231].

Doch nicht nur die Medien und ehemalige Spitzenpolitiker bezeugen die dargestellten Veränderungen. Auch an den Zielsetzungen aus dem Parteiprogramm der Grünen kann man diese Veränderungen ablesen:32 Im Programm zur Bundestagswahl 1987 „Farbe bekennen“ heißt es „Die GRÜNEN sind aus Bewegungen hervorgegangen, die sich auf verschiedenen Ebenen gegen das menschenverachtende Industriesystem und den Kapitalismus wenden“ [Die Grünen 1986: 22]. Daher verstehen sich die Grünen als „[...] wirkliche Oppositionspartei [...] die grundlegende Alternative zum zerstörerischen Kurs der Altparteien zu bieten hat“ [Die Grünen: 1986: 4].

Gerade wegen ihrer Beziehungen zu Wirtschaftsunternehmen werden die anderen im Bundestag vertretenen Parteien scharf kritisiert: „Abhängigkeiten der Altparteien vom großen Geld einiger Industriekonzerne wurden offenkundig“ [Die Grünen 1986: 4] heißt es; und weiter: „[w]irtschaftlicher Gewinn des einzelnen Unternehmens, technische Rationalisierung ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen Folgen [...] sind wichtige Kriterien, die das herrschende Denken und das Denken der Herrschenden bestimmen“ [Die Grünen 1986: 33].

Heute dagegen „[...] hat hier teilweise ein Umdenken eingesetzt. [...] Gerade in den letzten Jahren gibt es einige Beispiele dafür, dass der Umstieg von Politikern in die Wirtschaft immer selbstverständlicher wird. [...] [E]ine ehemalige Grünen-Sprecherin ist Top-Managerin bei einem Energieversorgungsunternehmen geworden“ [Börnsen 2001: 35].

Wie die inhaltlichen Schwerpunkte und Zielsetzungen, so haben sich auch die Wähler der Grünen verändert: „In Westdeutschland ist dabei über den Zeitraum 1980 bis 2000 eine klare Entwicklung zu beobachten: Die Wählerschaft der

32 Die Verwendung von Parteiprogrammen zur Analyse der inhaltlichen Positionen einer Partei ist nicht unproblematisch. Aber„[b]ei aller Skepsis gegenüber der Relevanz von Programmen liefern diese doch

Grünen bewegt sich entlang der wirtschaftspolitischen Rechts-Links-Achse deutlich nach rechts. Befand sich die Wählerschaft der Grünen 1980 in wirtschaftspolitischen Fragen noch deutlich im linken Spektrum, so ist sie im Jahr 2000 dem gemäßigt rechten Spektrum zuzurechnen“ [Klein/Falter 2003: 174]. „Als Beleg dafür, dass eine solche Entwicklung [die Bewegung der Grünen im wirtschaftspolitischen Spektrum nach rechts] tatsächlich existiert, lässt sich zunächst die Entwicklung der gesellschaftlichen Wertorientierungen der Wählerinnen und Wähler der Grünen anführen. [...] Der Anteil der reinen Postmaterialisten unter den Wählern der Grünen hat sich seit 1983 von knapp 60 auf 30 Prozent verringert, [...]. Der Anteil der reinen Materialisten hat gleichzeitig von 6 auf 20 Prozent zugenommen. Insgesamt orientieren sich damit 70 Prozent der grünen Wähler auch oder gar vorrangig an den alten materialistischen Werten, während dieser Anteil 1983 nur gut 40 Prozent betrug“ [Klein/ Falter 2003: 169].

Zu diesen inhaltlich–politischen Veränderungen von radikaleren linken Positionen hin zur Mitte und auf die gemäßigteren Parteien zu „[...] von einer Interessenpartei der Ökologie, der Jugend und der Alternativbewegungen zu einer normalen Partei“ [Alemann 1995: 111] kommen organisatorische Veränderungen, die die Grünen ebenfalls näher zu den etablierten Parteien rücken.

„[...] Satzungsbestimmungen, die uns vor Machtmissbrauch schützen sollten, [...]

werden allerdings scheibchenweise abgeschafft“ [Radcke 2001: 206]. Dazu zählen neben dem früh ad acta gelegten Rotationsprinzip [Radcke 2001: 205] „das Prinzip des kollektiv gleichberechtigten Vorstandes“ [Radcke 2001: 206], das durch das übliche Sprecher/ Sprecherin-Modell ersetzt wurde [vgl. Radcke 2001:

206] und das „Frauenstatut von Bündnis 90/ Die Grünen“ [Radcke 2001: 206].

Auch das Konzept der „Anti-Parteien-Partei“, das imperative Mandat, die zeitliche Beschränkung der Amtsdauer von Mandatsträgern und die Begrenzung ihrer Einkünfte fielen einem Wandel der innerparteilichen Organisation bei den Grünen zum Opfer [Klein/ Falter 2003: 8]. Einzig und allein die Trennung von Amt und Mandat hält sich momentan noch als letztes Relikt der internen Organisationsprinzipien der Grünen [Radcke 2001: 208].

In diesem Kontext kann man die Veränderungen, die sich in den Daten der Grünen zu Anzahl, Konzentration und Anteil der Interlocker und der von ihnen gehaltenen Verbindungen zeigen als Teil eines inhaltlich-politischen wie

äußerlich-organisatorischen Wandlungsprozesses betrachten, der die Grünen näher an die etablierten Parteien heranführt und sie ihnen immer ähnlicher werden lässt.

Alle angeführten Veränderungsprozesse wie auch die Veränderungen in den Daten zu den Interlocking Directorates der Grünen lassen sich als Beleg für das sogenannte „Stufenmodell“ sehen, das Beziehungen zwischen sozialen Bewegungen und Parteien beschreibt und Letztere als Endprodukt ansieht, das aus einer sozialen Bewegung als Vorstufe dazu hervorgeht.

Im Stufenmodell wird folgender Wandlungsprozess beschrieben: „Der Aufstieg der Partei bedeutet zwangsläufig den Niedergang der Bewegung. Diese verliert im Zuge ihrer „Veralltäglichung“ und Routinisierung, im Bemühen um

„konstruktive“ Lösungen und in ständiger Reibung mit einer gleichsam sperrigen

„Umwelt“ allmählich ihren radikalen, systemtranszendierenden Impuls. [...] Die institutionellen Gesetzmäßigkeiten innerhalb und außerhalb der Bewegung entfalten nun ihre Eigendynamik in der Weise, dass sie die Bewegungselemente allmählich absorbieren und neutralisieren können“ [Rucht 1987: 301]. Eine solche Entwicklung erscheint fast unausweichlich, da „[...] eine Partei, die parlamentarisch einflussreich und zugleich Bewegung sein möchte, nichts anderes als die Quadratur des Kreises versucht“ [Rucht 1987: 309].

Wenn aber beides zusammen nicht geht und sich die Grünen offensichtlich für den Weg entschieden haben, parlamentarisch einflussreich zu sein, dann wirkt sich diese Veränderung gerade auch auf ihre parlamentarischen Repräsentanten aus. Die Parlamentarier der Grünen fallen demnach dem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ [Rucht 1987: 301] zum Opfer. „Die Verlockungen der „Starrollen“, der Karriererollen, der ganze bürgerliche Appetit nach Macht, den parlamentarische Politik fördert, infiltrieren in aller Regel früher oder später die außerparlamentarische Bewegung [...]“ [Bookchin 1985: 20].

Auch die Veränderungen, die die Intrerlocking Directorate-Daten in Tabelle 9 für die Grünen ausweisen, können als Teil eines solchen Transformationsprozesses von der Bewegung zur Partei und der Logik des ehernen Gesetzes der Oligarchie gesehen werden. Dies gilt zumindest dann, wenn man bei Interlocking Directorates deren Einflusspotenzial und Interlocking-Motive wie Einflussausübung, Prestige und monetäres Einkommen in den Vordergrund stellt.

Ob diese Motive für die Abgeordneten der Grünen im Vordergrund stehen kann hier noch nicht geklärt werden. Möglicherweise sind die Interlock-Verbindungen der Abgeordneten der Grünen auch Ausdruck von Interlock-Motiven wie Aufsicht und Kontrolle von Unternehmen, die sich besser mit dem klassischen Selbstverständnis der Grünen vereinbaren lassen. Die unten folgenden Abschnitte 5 und 6 werden sich genau mit dieser Frage nach den in der Praxis vorherrschenden Interlock-Motiven beschäftigen.

Dass die Grünen gerade auch bei den hier untersuchten Verbindungen zur Wirtschaft zu den anderen großen Parteien „aufschließen“ ist angesichts der Entwicklungsgeschichte und des ehemaligen Selbstverständnisses der Grünen als

„Anti-Parteien-Partei“ aber auf jeden Fall bemerkenswert.

Dies ist ein weiterer Mosaikstein in einem stimmigen Gesamtbild über die Entwicklung der grünen Partei in Deutschland. Die Fakten zu den Interlocking Directorates passen in jedem Falle zu den anderen etablierten Befunden zur

„Normalisierung“ der Grünen und ihrer Anpassung an das „Establishment“.