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2. Theorieteil

2.2 Gründe für das Auftreten von personellen Verbindungen zwischen

2.2.5. Prestige

Während bei allen bisher behandelten Arten von Verbindungen interorganisationale Aspekte im Mittelpunkt standen, konzentrieren sich die verbleibenden beiden Erklärungsmodelle auf die Person der Interlocker.

Die verschiedenen Gremien einer Firma dienen auch als Instrumente mit hoher Signalwirkung an die Umwelt des Unternehmens. Sie sollen ein gutes „Image” und die gute Reputation17 des Unternehmens nach außen tragen [Fombrun/ Shanley 1990, Scott 1985: 10]. „The board is part of the image of the company. The caliber and structure of the outside board members [...] contributes to the image of the company” [Mace 1971: 90]. Diese Signalwirkung von Firmengremien entsteht nur, wenn diese sich aus geachteten, bekannten und geschätzten Persönlichkeiten zusammensetzen: „First, firms want board members who will add prestige to their organization [...] firms want board members who are „good citizens”, individuals known by reputation to be both conscientious and noncontroversial” [Mizruchi 1996: 277 – 278]. Diese finden sich vor allem in den oberen sozialen Schichten [Zald 1969: 105, Useem 1979: 567].

Gelingt diese positive Signalwirkung gegenüber Abnehmern, Vertragspartnern, Bewerbern und anderen „Umwelten“ des Unternehmens, so verspricht man sich davon eine Reihe positiver Wirkungen:

17 Im Folgenden werden die Begriffe „Prestige“, „Reputation“, „Ruf“ und „Ansehen“ synonym verwendet.

„The [...] customer, for its part, usually wants a pleasant and prestigious board that conveys an image of [...] solidity, [...]“ [Herman 1973: 17]. Solch ein Image von Qualität und Zuverlässigkeit erlaubt es, dem Kunden gegenüber höhere Preise für das Endprodukt zu verlangen [Fombrun/ Shanley 1990: 233].

Auch im Bereich des strategischen Managements wird das Image eines Unternehmens als Wettbewerbsfaktor anerkannt: „Positive reputations of firms among customers and suppliers have also been cited as sources of competitive advantage in the literature (Porter 1980). [...] [A] reputation [...] may be a source of sustained competitive advantage“ [Barney 1991: 115].

Im Personalmanagement spielt der Ruf eines Unternehmens ebenfalls eine zentrale Rolle. Dies gilt unter anderem bei der langfristigen inneren Bindung von Personal ans Unternehmen [Klimecki/ Gmür 2001: 321].

Auch bei der (externen) Personalbeschaffung, beim Versuch, die geeigneten Kandidaten für die Arbeit im eigenen Unternehmen zu gewinnen, spielt das Image einer Firma oder Organisation eine wichtige Rolle. [vgl. Klimecki/ Gmür 2001: 166]. So dienen alle positiven Organisationsmerkmale gegenüber den Bewerbern „[...] as a strategy to attract those considered most desirable in the labor force” [Turban/ Keon 1993: 184].

Da „[...] virtually all job attributes could be regarded as inducements [...]”

[Rynes/ Barber 1990: 294], spielt hier auch die Verbundenheit von hochrangigen Persönlichkeiten mit einem Unternehmen, beispielsweise durch Mitwirkung in den entsprechenden Firmengremien, eine Rolle.

Diese Beeinflussungs- und Entscheidungsprozesse finden aber nicht nur einmalig bei der Anwerbung neuer Mitarbeiter statt. Sie werden laut Chester Barnard laufend von jedem Mitglied einer Organisation angestellt. Bereits 1938 konzipiert er Eintritt und Verbleib eines Individuums in einer Organisation als individuelle Wahlentscheidung auf Basis eines „Anreiz–Beitrags-Gleichgewichts“.

Grob gesagt verbleibt eine Person nur dann in einer Organisation, wenn der Nutzen hiervon über längere Zeit mindestens die Nachteile hieraus aufwiegt oder übersteigt. Dieses Verhältnis versucht die Organisation mit allen Mitteln zu ihren Gunsten zu beeinflussen indem positive Anreize gesetzt werden [Barnard 1968:

140]. Dabei spielen nicht nur „objektiv“ zu beurteilende Organisationsmerkmale eine Rolle. „The only alternative then available is to change the state of mind, or attitudes, or motives, so that the available objective incentives can become

effective [Barnard 1968: 141]. Hierzu können, wie Barnard betont, alle möglichen Faktoren dienen, wie auch das individuelle Prestige der Organisationsmitglieder, der Führung und der ganzen Organisation [Barnard 1968: 145].

Auch auf dem Kapitalmarkt ist der gute Ruf eines Unternehmens von Vorteil: „Positive Reputations are often said to attract investors, lower the cost of capital, and enhance the competitive ability of firms“ [Fombrun/ Shanley 1990:

255]. Der Wirkungsmechanismus hierbei ist klar: „When investors decide whether to invest in a company, they consider the firm’s strength and the quality of its management. By appointing individuals with ties to other important organizations, the firm signals to potential investors that it is a legitimate enterprise worthy of support. The quest for legitimacy is thus a further source of interlocking. In this formulation, firms are seeking not so much an alliance with another firm as the prestige that an association with such a firm may convey" [Mizruchi 1996: 276].

An dieser Stelle können gar nicht alle denkbaren positiven Auswirkungen von hohem organisationalen Prestige beschrieben werden, die in der Literatur von Management- und Wirtschaftswissenschaften genannt werden.

Der interessanteste Aspekt für die vorliegende Arbeit ist aber folgender: „If an organization [...] is well regarded, it may more easily [...], influence relevant legislation [!], [...]“ [Perrow 1961: 335, eigene Hervorhebung].

Das Ansehen eines Unternehmens und speziell auch das Ansehen der an der Spitze des Unternehmens stehenden Personen sollen sogar zur Beeinflussung des Gesetzgebungsprozesses dienen!18 Dafür gibt es sogar empirische Hinweise:

„[…] suggest that there is a correlation between the prestige of the boards of agencies and their likelihood of having their requests granted a respectful hearing”

[Zald 1969: 103].

Die hier aufgelisteten Anforderungen an ein renommiertes Aufsichtsratsmitglied und die Fülle von positiven Auswirkungen nicht nur gegenüber der Wirtschaft, sondern auch gegenüber dem Gesetzgeber, die man sich von ihm verspricht legen nahe, dass gerade Abgeordnete begehrte Kandidaten für solch einen

„repräsentativen“ Dienst in den Gremien eines Unternehmens sein sollten.

18 Siehe auch Abschnitt 2.2.3 „Einflussnahme und Bestechung“.

Dies gilt allerdings nur unter einer Voraussetzung: sie müssen tatsächlich die entsprechenden Eigenschaften mitbringen, die einen guten Ruf ausmachen.

Doch was sind dies genau für Eigenschaften? „What attributes do [...] individuals possess which make it likely that corporations would ask them to serve as directors?” [Soref 1976: 367]. Diese Eigenschaften sind natürlich immer vom Individuum abhängig, aber es gibt doch einige Faktoren, die es erlauben, ganzen Gruppen von Individuen generell eine hohe oder niedrige Reputation zuzusprechen.

Sie finden sich in der Forschung zu „Berufsprestige”.

„In general those positions convey the best regard, and hence, have the highest rank, which (a) have the greatest importance for the society and (b) require the greatest training or talent” [Davis/ Moore 1945: 243]. „Unfortunately, functional importance is difficult to establish. [...] There are, however, two independent clues:

(a) the degree to which a position is functionally unique, there being no other positions that can perform the same function satisfactorily; (b) the degree by which other positions are dependent on the one in question” [Davis/ Moore 1945: 244].

Weiterhin einflussreich ist „the extent to which only a limited number of persons fit the task requirements of the occupation” [Siegel 1971: 7], so dass „[...] [t]he occupations with the highest prestige are those for which there is the greatest scarcity of personnel [...]” [Siegel 1971: 6].

Die Mitglieder des Parlaments als dem von der Verfassung vorgesehenen Legislativorgan erfüllen sicherlich eine Funktion mit „größter Wichtigkeit für die Gesellschaft”, die im Staat „funktionell einmalig” ist [Davis/ Moore 1945: 246] und von der viele andere Positionen abhängen. Auch der Zugang zum Bundestag ist über die parteilichen Nominierungsmechanismen und den Wahlprozess stark eingeschränkt. Die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse, die ein Parlamentarier zur Erledigung seiner Aufgaben braucht, erlauben es nicht jedem, einen Sitz im Deutschen Bundestag zu erreichen und diesen auch erfolgreich auszufüllen [Siehe Deutscher Bundestag 2003: 12 – 13]. Sie dürften zumindest überdurchschnittlich sein, auch wenn es hier natürlich nicht, wie in anderen Berufen, eine einheitliche Ausbildung gibt, deren Anforderungen sich objektiv beurteilen ließen. Auch das überdurchschnittliche Einkommen der Bundestagsmitglieder deutet darauf hin.19

Bundestagsabgeordnete müssten nach diesen allgemeinen Kriterien also einen ausgezeichneten Ruf genießen. Doch ist dies tatsächlich der Fall? „Politikern, zumal „Berufspolitikern“ traut man alles zu. In der Ansehensskala der Bevölkerung stehen sie auf der untersten Stufe, [...]“ [Börnsen 2001: 18] und so „[...] ist das Bild vom Politiker als „Berufsgruppe” in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern erstaunlich schlecht, [...]” [Börnsen 2001: 22]. Abseits von solchen pauschalen Vermutungen gibt es aber empirische Studien, die die Vermutung belegen, dass Politiker generell und Parlamentarier im Besonderen ein hohes Berufsprestige, auch in der breiten Öffentlichkeit, genießen. Im Folgenden werden Zahlen aus einer Berufsprestige-Studie aus den USA genannt[Siegel 1971: 69 – 80], die zwar schon relativ alt, aber dennoch aufschlussreich sind, weil es sich bei der Arbeit um eine Meta-Analyse verschiedener anderer Studien handelt. Hier ergibt sich folgendes Prestige-Ranking:

Tabelle 2: 16 Berufe mit höchstem Berufsprestige

1. U.S. Supreme Court Justice 94,0

2. Physician 93,0

3. Nuclear Physicist 92,0

4. Scientist 92,0

5. State Governor 91,0

6. Cabinet Member in the

Federal Government 90,0

7. College Professor 90,0

8. U. S. Representative in Congress 90,0

9. Diplomat in the U.S. Foreign Service 89,0

10. Lawyer 89,0

(Durchschnittswerte für alle Berufe mit Rating-Werten ≥ 85,0; Absteigend geordnet;

Angehörige des politischen Systems kursiv) Quelle: Siegel 1971: 69 - 80

Auch in der breiteren Öffentlichkeit können Repräsentanten des politischen Systems insgesamt also ein überdurchschnittlich hohes Ansehen genießen. „Trotz aller Kritik erfährt das Amt des Abgeordneten und damit auch der Abgeordnete selbst auch öffentliche Anerkennung und Akzeptanz, eine Beachtung und Bestätigung [...]“ [Börnsen 2001: 176]. Selbst wenn dies nicht die Einschätzung der breiten Bevölkerung sein sollte, so genügt es doch, wenn diese Meinung in den einzelnen Unternehmen vorherrscht.

Wenn man diese einzelnen Dimensionen zusammennimmt, kann man sicher die Ansicht vertreten, dass Bundestagsabgeordnete per se einen überdurchschnittlich guten Ruf genießen und die oben genannten Funktionen als „good citizens” und Prestigeträger für ein Unternehmen erfüllen können.

Damit ist aber nur ein Teil der Motive von „Prestige-Interlocks“ zwischen Parlament und Abgeordneten erklärt. Funktioniert die hier vorgetragene Argumentation auch aus Sicht der beteiligten Abgeordneten?

Auch diese können durch einen Statusgewinn Nutzen ziehen. Verbindungen mit einer Firma und Firmenangehörigen von hohem Ansehen und der damit verbundene Statusgewinn wirken sich beispielsweise positiv auf das persönliche Kontaktnetzwerk des Einzelnen aus: It is a well-established fact that people of higher social status have more friends and acquaintances than their counterparts in the lower social strata. Moreover, these friends and acquaintances of persons in higher social circles will in most cases have better resources themselves“ [De Graaf/ Flap 1988: 468]. Jede Form von Statusgewinn vergrößert aber nicht nur das individuelle Kontaktnetzwerk, sie macht es insgesamt auch reichhaltiger und wertvoller [Lin/ Dayton/ Greenwald 1978: 160]. Die Kontakte und Erfahrungen aus der Tätigkeit in „boards of directors“ wirken sich auch positiv auf die beruflichen Aufstiegschancen des Einzelnen aus [siehe dazu Mace 1971: 104 – 105; Mizruchi 1996: 277 - 278].

Der hier behauptete „Prestigetransfer” funktioniert also in beide Richtungen: „The appointment of bankers, especially those from large banks, may increase not only the firm’s legitimacy (Scott 1992) but also the prestige of the bankers themselves (Zajac 1988)” [Davis/ Mizruchi 1999: 224]. Es gibt Grund genug anzunehmen, dass dieselbe Logik auch auf Verbindungen von Unternehmen nicht nur zu Banken, sondern auch zu Politikern anwendbar ist.