2. Röntgendiagnostik der Hüfte
2.3 Technische Aspekte
2.3.1. Grundlagen der Projektionsradiographie
Die konventionelle Röntgenbildge-bung der Hüfte und des Beckens liefert eine zweidimensionale Projektion einer komplexen dreidimensionalen Ana-tomie und wird maßgeblich von den folgenden Akquisitionsparametern be-einflusst: Strahlenquelle, Zentrierung und Ausrichtung des Zentralstahls,
Fo-21 Projektion Lagerungstechnik und Zentrierung Beurteilung
Becken anteroposterior, tiefzentriert
Rückenlage/stehend, Beine gestreckt, 15°
Innenrotation, Zentralstrahl unterhalb der Symphyse
HTP-Diagnostik, ungeeignet für gelenkser-haltende Hüftchirurgie aufgrund von zent-rierungsabhängigen Projektionsänderungen
Hüftgelenk anteroposterior
Rückenlage/stehend, Beine gestreckt, 15°
Innenrotation, Röntgenstrahlung zentriert auf den Femurkopf
HTP-Diagnostik, ungeeignet für gelenkser-haltende Hüftchirurgie aufgrund von zent-rierungsabhängigen Projektionsänderungen
Faux-Profil-Aufnahme
Stehend, kontralaterale Hüfte 25° nach pos-terior rotiert, ipsilateraler Fuss parallel zum Strahlengang, Zentralstrahl auf Femurkopf
Anteriore, azetabuläre Überdachung des Femurkopfes, anterosuperiore Subluxation, posteroinferiorer Gelenkspalt
Hüftgelenk axial
Rückenlage, untersuchtes Bein in 15° In-nenrotation, kontralaterales Bein hochge-lagert in 90° Hüftflexion, Zentralstrahl auf Femurkopf
Anteriorer und posteriorer Femurkopf-Schenkelhals Übergang
Dunn-Rippstein-Aufnahme
Rückenlage, Hüfte in 90° Flexion und 20°
Abduktion, Kniegelenk in 90° Flexion, Zent-ralstrahl auf Femurkopf
Anteriorer und posteriorer Femurkopf-Schenkelhals Übergang, Berechnung der femoralen Antetorsion
Modifizierte Dunn-Aufnahme
Rückenlage, Hüfte in 45° Flexion und maximaler Abduktion, Zentralstrahl auf Femurkopf
Optimierte Darstellung des anterosuperio-ren Femurkopf-Schenkelhals Übergangs
Lauenstein-Aufnahme
Rückenlage, Hüfte in 45° Flexion und 45°
Abduktion, Knie in 90° Flexion, Zentral-strahl auf Femurkopf
Anteriorer und posteriorer Femurkopf-Schenkelhals Übergangs
Zusatzaufnahmen:
Abduktions-/
Adduktionsaufnahme
Lagerung wie bei Beckenübersichts-Auf-nahme, zusätzlich Abduktion/Adduktion im Hüftgelenk, ggf. Flexion und Innenrotation
Differenzierung zwischen Subluxation und Gelenksspaltverschmälerung bei Dysplasie, azetabulären Überdachung nach reorien-trierenden azetabulären und femoralen Osteotomien
Tab. 1 ▲ Lagerungstechnik und Beurteilung verschiedener Röntgen-Projektionen. (Abdruck-Genehmigung von Steppacher et al.) (12) Röntgendiagnostik der Hüfte
kus-Film Abstand, Patient-Film Abstand sowie der Beckenorientierung. Grund-lage der diagnostischen Abklärung ist die anteroposteriore (AP) Beckenüber-sichtsaufnahme, eine axiale Aufnahme sowie optionale Zusatzaufnahmen (12).
Bildwandler-Aufnahmen unterscheiden sich vom konventionellen Röntgen in Zentrierung, vom posteroanterioren statt AP Strahlengang und im kleineren Fokus-Film Abstand. Dies wirkt sich pri-mär auf die projizierte Version des Aze-tabulums aus ( Abb. 1) (13).
2.3.2. Strahlenquelle und Strahlenausbreitung
Die Projektionsradiographie basiert auf der konischen Strahlenausbreitung ausgehend von einer punkförmigen Strahlenquelle. Aus diesem Grund wer-den Strukturen, die näher an der Strah-lenquelle liegen weiter lateral
abgebil-det, als Strukturen die weiter entfernt von der Strahlenquelle liegen ( Abb.
2) (12).
2.3.3. Ausrichtung und Zentrierung des Zentralstrahls
Die Darstellung der Beckenanatomie insbesondere die Version des Azetabu-lums wird maßgeblich von der Ausrich-tung und Zentrierung des Zentralstrahls beeinflusst. Die Standardprojektionen des Beckens und Femur basieren auf der AP Ausrichtung des Zentralstrahls.
Je näher Strukturen an der Strahlen-quelle lokalisiert sind, desto grösser wird deren Projektion. Die posteroan-teriore Ausrichtung des Zentralstrahls, wie sie bei intraoperativen Bildwandler-Aufnahmen zur Anwendung kommt, ist üblicherweise vernachlässigbar bezüg-lich der Version des Azetabulums. Bei sehr adipösen Patienten müssen jedoch
auf Bildwandler-Aufnahmen Verände-rungen der Version des Azetabulums aufgrund des erhöhten Patienten-Film Abstands berücksichtigt werden (12) (
Abb. 3).
Für die Beckenübersichtsaufnahme wird der Zentralstrahl auf die Mitte ei-ner Tangente, gebildet aus der Verbin-dungslinie der Spinae iliacae anteriores superiores und einer Vertikalen durch die Symphyse zentriert ( Abb. 4). Eine tiefere Zentrierung, wie sie z.B. für die tiefzentrierte AP Beckenübersicht in der Prothesenplanung verwendet wird, führt zu einer Zunahme der azetabulä-ren Anteversion ( Abb. 5). Wird der Zentralstrahl nicht über das Becken, sondern über ein Hüftgelenk zentriert, kommt es auch zu einer scheinbaren Zunahme der azetabulären Anteversion ( Abb. 6). Die wichtigsten Röntgenpa-rameter zur Klassifizierung der Hüft-gelenksmorphologie wurden auf
be-Abb. 1 ▲ (A) Die Bildwandler- Aufnahme zeigt aufgrund der posteroanterioren Ausrichtung des Zentralstrahl auf die Hüfte und der verkürzten Fokus-Film Distanz eine vermehrte projizierte Anteversion des Azetabulums. (B) Im Vergleich dazu zeigt eine standardisierte anteroposteriore Beckenübersichtsaufnahme eine kraniale Retroversion (positives Cross-over Sign). VW = Vorderwand, HW = Hinterwand.
(Abdruck-Genehmigung von Steppacher et al.) (12) Röntgendiagnostik der Hüfte
23 Abb. 2 ▲ Die konische Strahlenausbreitung von einer
punktför-migen Strahlenquelle führt zu einer mehr lateralen Projektion, je näher eine anatomische Struktur an der Strahlenquelle liegt. Dem-entsprechend projiziert sich die Vorderwand (blau) lateraler als die Hinterwand (rot). (Abdruck-Genehmigung von Steppacher et al.) (12)
Abb. 3 ▲ Axiales CT eines (A) normalgewichtigen und eines (B) adipösen Patienten zeigt nur eine minimale Vergrösserung des Patient-Film Abstandes, da die Volumenvermehrung hauptsächlich die Körpervorderseite betrifft. (Abdruck-Genehmigung von Steppacher et al.) (12)
Abb. 4 ▲ Die Patientenlagerung für eine AP Beckenübersichtsauf-nahme ist abgebildet. Der Patient liegt mit ausgestreckten und 15°
innenrotierten Beinen auf dem Rücken, der Zentralstrahl halbiert die Tangente zwischen der Symphysenoberkante und der Verbin-dungslinie der Spinae iliacae anteriores superiores. (Abdruck-Ge-nehmigung von Steppacher et al.) (12)
Röntgendiagnostik der Hüfte
Abb. 5 (A und B) Der Einfluss der Zen-trierung auf die projizierte Version des Azetabulums desselben Patienten ist dar-gestellt. (A) Während die beckenzentrierte Aufnahme eine ausgeprägte Retroversion zeigt (positives Cross-over Sign und Ischial Spine Sign), erscheint das (B) Azetabulum antevertiert auf der tiefzentrierten Aufnah-me. VW = Vorderwand, HW = Hinterwand, SI = Spina ischiadica. (Abdruck-Genehmi-gung von Steppacher et al.) (12)
Abb. 6 ▲ (A und B) Der Einfluss der Zentrierung auf die projizierte Version und Tiefe des Azetabulums desselben Patienten ist darge-stellt. Im Vergleich zur (A) beckenzentrierten Aufnahme zeigt die (B) hüftzentrierte Aufnahme eine vermehrte azetabuläre Anteversion und eine scheinbare Zunahme der Tiefe des Azetabulums (Projek-tion der Fossa acetabuli über die Köhler´sche Linie). VW = Vorder-wand, HW = HinterVorder-wand, FA = Fossa acetabuli, KL = Köhler`sche Linie. (Abdruck-Genehmigung von Steppacher et al.) (12)
Abb. 7 ▲ (A und B) Der Einfluss des Fokus-Film Abstands auf die projizierte Version des Azetabulums ist dargestellt. (A) Bei einem Fokus-Film Abstand von 120 cm zeigt sich eine kraniale Retrover-sion. (B) Die Verringerung des Fokus-Film Abstands führt zu einer scheinbaren Zunahme der Retroversion nach kaudal. (Abdruck-Ge-nehmigung von Steppacher et al.) (12)
Röntgendiagnostik der Hüfte
25 ckenzentrierten Übersichtsaufnahmen
beschrieben. Aus diesem Grund sollten tiefzentrierte Aufnahmen nicht zur Ab-klärung vor einer hüftgelenkserhalten-den Operation verwendet werhüftgelenkserhalten-den (12).
2.3.4. Fokus-Film Abstand
Variationen im Fokus-Film Abstand wirken sich primär auf die projizierte Version des Azetabulums auf der Be-ckenübersichtsaufnahme aus. Mit zu-/
abnehmenden Abstand nimmt die proji-zierte Version des Azetabulums zu bzw.
ab ( Abb. 7) (12).
2.3.5. Patienten-Film Abstand
Üblicherweise kommt es zu keiner wesentlichen Änderung des indivi-duellen Patient-Film Abstands. Selbst bei adipösen Patienten ändert sich die projizierte Beckenanatomie kaum, da Volumenänderungen im Rahmen von Gewichtsschwankungen primär die Vorderseite des Körpers betreffen (
Abb. 3).
2.3.6. Beckenorientierung
Die Orientierung des Beckens un-terliegt großen Schwankungen. Än-derungen des Beckenstands, der Be-ckenrotation und der Beckenkippung betreffen hauptsächlich die Version des Azetabulums. Dem Schiefstand oder der Fehlrotation des Beckens kann mittels einer standardisierten Lagerungstech-nik vorgebeugt werden. Zusätzlich er-möglicht die Verwendung von anato-mischen Referenzlinien bei Messungen der Hüftgelenksüberdachung eine aus-reichende Korrektur. Hierfür kann die Verbindungslinie zwischen den Tränen-figuren als anatomische Horizontale verwendet werden (12).
Eine neutrale Beckenrotation des Beckens liegt vor, wenn die Spitze des Os coccygis im Lot zum Symphysenspalt steht und sich die Foramina obturato-ria symmetrisch abbilden. Die Rotation des Beckens nach rechts führt zu einer Abnahme der Version des rechten Aze-tabulums und zu einer Zunahme der projizierten Version des linken Azetabu-lums. Dies gilt vice-versa für die Rotati-on nach links ( Abb. 8) (12).
Im Gegensatz dazu unterliegt die Be-ckenkippung auch bei standardisierter Lagerungstechnik erheblichen interin-dividuellen Schwankungen. Zur groben Abschätzung kann auf der Beckenüber-sicht die Distanz zwischen dem saccroc-coygealen Übergang und dem Oberrand der Symphyse gemessen werden. Als grobe Referenzwerte dienen für Män-ner 3 cm und für Frauen 5 cm. Die Be-ckenkippung nach vorne führt zu einer Zunahme dieser Distanz und zu einer bilateralen Abnahme der Version des Azetabulums. Dies gilt vice-versa für die Beckenkippung nach hinten ( Abb. 8) (1).