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5. Gerichtliche Entscheidungen

5.4.6 Tätertyp des Gewohnheitsverbrechers

Die Strafschärfung traf nur den Tätertyp des Gewohnheitsverbrechers, geringfü-gigere Verstöße wollte man, auch wenn vom Wortlaut erfasst, nicht mit so hohen Strafsanktionen belegen, es sei denn, der Täter sollte als gemeinschädlich elimi-niert werden. Die Charakterisierung des Gewohnheitsverbrechers war aus der Gesamtwürdigung der Taten zu entnehmen. Er war kein Gelegenheits- und Zu-fallsverbrecher, sondern eine Persönlichkeit, „die infolge eines auf Grund charakterlicher Veranlagung bestehenden oder durch Übung erworbenen inneren Hangs wiederholt Rechtsbrüche begeht und zur Wiederholung … neigt“381.

Das Erfordernis eines Tätertyps rückte die Tat als Strafzumessungsgrund in den Hintergrund, hob vielmehr auf den Täter und dessen Lebensführung und Einstellung zur Volksgemeinschaft ab. Mit dem traditionellen Strafrechtsver-ständnis wurde mit diesem Begriff gebrochen, Tat und Persönlichkeit bildeten nur noch einen lockeren Anknüpfungspunkt für die Bestrafung, im Vordergrund stand das politische Ziel des „Reinigungsbedürfnisses der Volksgemeinschaft und die Ausmerzung des Minderwertigen unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention und der Stärkung des Gemeinschaftswillens.“382 Die „richtige“ Sanktion war da-mit keine richterliche Frage, sondern eine Entscheidung nach politischen Nützlichkeitserwägungen. Je nach dem erstrebten Ergebnis hatte man einen gro-ßen Spielraum, um den Tätertyp zu verneinen und eine mildere Strafnorm anzuwenden, wie dies in Ulm praktiziert wurde. Die Voraussetzungen und die Terminologie des Tätertyps sind identisch mit dem des Volksschädlings; wer nicht dem ideologischen Menschenbild der Partei entsprach, etwa arbeitsscheu war, fiel unter diesen Begriff, weil er dann „ausgesondert“ werden konnte. Eine

381 RGSt 68, 155; Exner, DJ 1943, 377.

382 Schwarz, Alfons, S. 44.

schwerwiegende Tat oder Vorstrafen waren hierfür ein starkes Indiz. Dadurch kam der in der Persönlichkeit begründete verbrecherische Hang, der den Täter-typ kennzeichnete, zum Ausdruck383. So konnte das Gericht bei vergleichbaren Taten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ablehnung oder Annahme des Typs konnten bei dem rechtlich unproblematischen Begriff in der Rechtsprechung mit kurzen, formelhaften Feststellungen begründet werden.

5.4.6.1 Bejahung des Tätertyps

Auch die Rechtsprechung in Ulm begründete den Tätertyp mit griffigen, , präg-nanten und volksnahen Sätzen.

(1) „Nur wenige Stunden nach Verbüßung einer Zuchthausstrafe beging er einen neuen Betrug“384, der Verurteilte brachte 25 Vorverurteilungen mit.

(2) Einem Heiratsschwindler (5 Vorstrafen) wurde im Urteil dargelegt: Der Angeklagte ist ein „moralisch minderwertiger und gleichgültiger Mensch - ein ge-fährlicher Gewohnheitsverbrecher“385.

(3) Begründung bei einem Sexualtäter (19 Vorstrafen), der ein 9-jähriges Mädchen wiederholt zum Verkehr genötigt hatte: er sei arbeitsscheu, gewalttätig, von Strafen völlig unbeeindruckt. Zu den 3 Jahren Zuchthaus meinte dieser: „Die sitze ich auf einer Arschbacke ab“386.

(4) Auch die Vererbung387 wurde zur Begründung herangezogen: Der Ver-urteilte sei mit schlechtem Erbgut belastet, schon sein Vater sei 10-mal vorbestraft gewesen, er selber habe keinen geordneten Schulbesuch gehabt388.

(5) Zur Bejahung des Strafschärfungsgrundes reichte aus, dass der Verur-teilte sittlich verdorben sei, Unzucht mit seiner Schwester getrieben habe und mit politisch höchst belasteten Menschen zusammenkomme389. Hier wurde das

383 Exner, DJ 1943, 377.

384 LG Ulm, Urt. V. 6.7.37, StA Ludwigsburg, E 352, Bü 1511.

385 U. v. 4.1.1939 KLs 67/39, StA Ludwigsburg E 352, Bü 4406.

386 LG Ulm KLs 99/38, U. v. 27.3.1938, StA Ludwigsburg, E 352, Bü 2308.

387 Zustimmend Exner, DJ 1943, S 377 (378).

388 LG Ulm, KLs 21/36U. v. 23.4.1936, StA Ludwigsburg E 352, Bü. 1238.

389 U. v. 10.8.33, StA Ludwigsburg E 352, Bü. 2372.

nationalsozialistische moralische Menschenbild direkt mit strafrechtlichen Mitteln durchgesetzt.

(6) Der Typus des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers wurde mit den gleichen Argumenten begründet, wie der des Volksschädlings. Diese Austausch-barkeit zeigt sich in den tateinheitlich verurteilten Fällen: Sein „nicht zu beseitigender Hang zu Straftaten“ brachte einem Dieb mit 15 Vorstrafen, der bei Verdunklung gestohlen hatte, 54 Monate Zuchthaus ein, er verstarb am 28.12.1943 im KZ390.

(7) Bei Fliegerverdunklung versuchte ein 5-fach Vorbelasteter eine 17-jährige zu vergewaltigen, das Gericht stufte ihn als „unbeherrschten, hemmungs-losen Angeklagten“ als Tätertyp des Volksschädlings und gefährlichen Gewohnheitsverbrechers ein und verurteilte tateinheitlich wegen beider Verbre-chen zu 24 Monaten Zuchthaus391.

(9) Das Schöffengericht Ulm hielt einem Betrüger zugute, er sei fleißig und sparsam, aber in keiner wirtschaftlichen Notlage gewesen, dadurch habe er sich besonders ehrlos gezeigt392.

5.4.6.2 Verneinung des Tätertyps

Die Strafnorm wurde vom Gericht nicht schematisch nach rein formellen Ge-sichtspunkten angewendet, es prüfte ersichtlich jeden einzelnen Fall und gewichtete die Vorstrafen nicht nach ihrer Anzahl, sondern ihrer Schwere.

(1) Ein Landstreicher mit 54 Vorstrafen hatte 1943 Kleidungstücke gestoh-len, das Gericht sah ihn nicht als Gewohnheitsverbrecher an, es verurteilte nur wegen Diebstahls zu 4 Monaten Gefängnis, die durch U-Haft verbüßt waren und sah von Sicherungsverwahrung ab. Der Verurteilte hatte nach 5,5 Jahren im Ar-beitshaus ein Jahr lang unauffällig gelebt, das Gericht zeigte sich überzeugt, er könne nunmehr ein ordnungsgemäßer Volksgenosse werden393.

390 LG Ulm KLs 29/41U. v. 2.9.1941, StA Ludwigsburg, E 352, Bü. 6481.

391 LG Ulm, U.v.4.9.41 KLs 31/41, StA Ludwigsburg E 352, Bü. 6483.

392 AG-Schöffengericht –Ulm Ls 21/41, U.v.17.3.42, StA Ludwigsburg, E 352, Bü. 6543.

393 LG Ulm, KLs 21/43U. v. 29.6.1943, a.a.O., Bü 6660.

(2) Gegen eine arbeitsscheue Serienbetrügerin mit 4 Vorstrafen wurden wegen mehrerer Betrügereien 5 Jahre Gefängnis verhängt, die Anwendung des Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher ebenso abgelehnt wie eine Sicherungsverwahrung. Zur Begründung wurde ausgeführt, während der langen Strafverbüßung werde sie sich an eine regelmäßige Arbeit gewöhnen und so ein brauchbares Mitglied der Volksgemeinschaft werden394, sie entspreche deshalb nicht dem Typ einer Gewohnheitsverbrecherin und stelle nach Entlassung keine Gefahr mehr für die Volksgemeinschaft dar.

(3) Da ein Betrüger mit 5 Vorstrafen versprochen hatte, nach Strafverbü-ßung zu seiner Ehefrau zurückzukehren, hielt ihn das Gericht nicht mehr für gefährlich395.

(4) Ebenso zeigte sich das Gericht überzeugt, ein Homosexueller mit 14 Vorstrafen sei keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit396.

(5) Wegen der abschreckenden Wirkung einer zwei-jährigen Zuchthaus-strafe auf einen 33-jährigen Betrüger mit 15 einschlägigen VorZuchthaus-strafen sah das Gericht von einer Sicherungsverwahrung ab, da er jetzt weitere Straftaten un-terlassen werde397.