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Erledigungen zum Gericht mit Anklagen und Strafbefehlsanträgen Strafbefehlsanträgen

4. Die Staatsanwaltschaft

4.3.2.4 Erledigungen zum Gericht mit Anklagen und Strafbefehlsanträgen Strafbefehlsanträgen

Rückläufige Eingänge bei der Staatsanwaltschaft zogen geringere Gerichtsein-gänge nach sich. Es soll untersucht werden, ob und wie sich Strafbefehlesverfahren einerseits und Anklagen zu den Amts- und Landgerichten andererseits entwickelt haben. Eine Erhöhung der Anklagen wäre ab 1933 zu

er-warten gewesen, denn mit Strafbefehlsanträgen konnten nur Geldstrafen erreicht werden. Andererseits drängte spätestens ab 1939 die Personalnot zu einer ratio-nellen Erledigung durch Strafbefehlsverfahren ohne Hauptverhandlung.

Die absoluten Zahlen sind nicht sehr aussagekräftig, die Eingänge verrin-gerten sich ab dem Jahre 1936, damit zwangsläufig auch die Anklagen, selbst wenn deren Anteil angestiegen wäre. Deshalb wird die Entwicklung der Ankla-gen/Strafbefehlsanträge mit den Prozentanteilen vom Eingang dargestellt:

1931 1932 1933 1934 1935 1936

1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

Prozentuale Entwicklung der Anklagen und Strafbefehle

Strafbefehle Anklagen

Die Anklagen stiegen auffällig deutlich von 2.142 im Jahr 1932 auf 2.523 im Jahr 1933 an, um dann von 1.970 Anklagen im Jahr 1934 auf 2.463 im Jahr 1935 abzusinken und diese Entwicklung in der Folgezeit bis 1945 beizubehalten.

Die vermehrten Anklagen in den Jahren 1933 und 1935 entsprachen der Parteili-nie, ebenso der parallel verlaufende Rückgang der Strafbefehlsanträge von 1007 im Jahr 1932 (11,7 %) auf den Tiefstand mit nur 205 Anträgen (2,7 %) im Jah-re 1939, um dann spiegelbildlich zu dem Rückgang der Anklagen ständig anzusteigen, bis im Jahre 1945 beide bei 10 % Anteilen abschlossen.

Die Anklagen haben ab 1931 bis 1939 prozentual leicht zugenommen. Dies beruht in den Jahren 1932/33 und 1935 auf dem durch die politischen Unruhen bedingten erhöhten Eingang. Insbesondere die Straßenkämpfe der

rivalisieren-den Parteigliederungen führten zu Anklagen. Die ab 1933 erlassenen zahlreichen politischen Strafnormen zogen zahlreiche Verfahren nach sich, die zur Abschre-ckung der Öffentlichkeit angeklagt wurden. Das Gewohnheitsverbrechergesetz, die zahlreichen Devisenvorschriften, das Verbot öffentlicher Sammlungen115, eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen zur Diskriminierung und Vernichtung der Juden führten wegen des politischen Hintergrundes zu Anklagen. Dies gilt insbesondere für ganze Bevölkerungsgruppen, die als Regimegegner gezielt strafrechtlich vom Nationalsozialismus verfolgt wurden. Betroffen waren in gro-ßem Umfange die Homosexuellen, ebenso die Zeugen Jehovas.

Strafbefehlsanträge zum Amtsgericht sowie Anklagen zum Amts- gericht und Landgericht

(Der obere Tabellenteil zeigt die Verfahrensanzahl, der untere den prozentualen Anteil zum Verfah-rensanfall.)

Cs-Verfahren: Strafbefehlsanträge zum Einzelrichter Ds-Verfahren: Anklagen zum Amtsgericht, Einzelrichter Ls-Verfahren: Anklage zum Amtsgericht, Schöffengericht KLs-Verfahren: Anklagen zum Landgericht, Strafkammer

Die Anklagen zum Landgericht erhöhten sich von 1931 mit 0,5 % kontinuierlich auf 2,9 % im Jahre 1939. Dieser ständige Anstieg unmittelbar vor der Macht-übernahme, der im Jahre 1932 erstmals festzustellen ist, dürfte 1932 durch die gewaltsamen innenpolitischen Auseinandersetzungen begründet sein, in der Fol-gezeit jedoch auf den zahlreichen politischen Strafnormen beruhen. Nach 1939 bleibt das Landgericht von einem vergleichbaren Verfahrensrückgang, wie bei Staatsanwaltschaft und Amtsgerichten festzustellen, verschont. Bei den

115 Ges. v. 3. 7.1934, RGBl. I 1934, S. 531.

Jahr 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 Cs 1114 1007 890 875 1082 788 768 418 205 313 473 520 537 484 148 Ds 1686 1864 2231 1697 2195 1639 1692 1689 1585 1040 1228 874 681 618 138

Ls 353 193 156 119 125 129 153 245 392

KLs 21 85 136 154 143 137 172 166 218 171 123 135 156 97 20

%

Cs 14,0 11,7 10,0 10,6 12,6 10,3 9,6 5,1 2,7 4,7 7,4 8,7 10,7 9,7 10,1 Ds 21,2 21,7 25,1 20,6 25,5 21,4 21,3 20,5 20,8 15,5 19,1 14,6 13,5 12,3 9,5

Ls 4,4 2,2 1,8 1,4 1,5 1,7 1,9 3,0 5,1

KLs 0,3 1,0 1,5 1,9 1,7 1,8 2,2 2,0 2,9 2,6 1,9 2,2 3,1 1,9 1,4

richten sinkt die Anzahl der Anklagen von 25,1 % im Jahre 1933 auf 15,5 % im Jahre 1940 ab, während die Eingänge beim Landgericht im gleichen Zeitraum von 1,5 % auf 2,6 % anstiegen. Dies wurde durch die zahlreichen politischen Strafnormen des Jahres 1939 verursacht, die nicht nur neue Delikte sondern durch höhere Strafandrohungen und Verhängung von Sicherungshaft auch neue Zuständigkeiten für das Landgericht begründeten. Dies sind u.a. die Kriegswirt-schaftsVO vom 4.9.1939116, die kriegsschädliches Verhalten durch Zurückhaltung von Rohstoffen bis zur Todesstrafe bedrohte; die Verordnung gegen Volksschäd-linge vom 5.9.1939117 drohte die Todesstrafe oder Zuchthausstrafe für Vermögens- und andere Delikte an, wenn diese bei Verdunklung oder unter Ausnutzung der Kriegsverhältnisse begangen worden waren, sowie die Verord-nung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutze der Wehrkraft des Deutschen Volks vom 25.11.1939118, die u. a. den unerlaubten Umgang mit Kriegsgefangenen erfasste, ebenso die Verordnung gegen Gewaltverbrecher119, das selbst geringfügige Vermögensdelikte mit Zuchthausstrafen bedrohte.

Bei dieser Vielzahl neuer Regelungen kann man bei dem geringen Überlie-ferungsgrad von 1,4 % aus einer vorübergehend ansteigenden Anzahl archivierter Akten – wie sie für das Jahr 1939 festzustellen ist – nicht auf einen ursächlichen Zusammenhang schließen.

Die Klage des OLG-Präsidenten, die Eingänge der Landgerichte seien rück-läufig, weil das Sondergericht viele Verfahren abziehe, trifft für Ulm nicht zu.

Das Schöffengericht wurde Ende 1939 abgeschafft. Der letzte Eingang belief sich auf 392 Fälle, entsprechend 5,1 % des staatsanwaltschaftlichen Eingangs. Die Ermittlungsbehörde hatte die Wahl, nunmehr zum Landgericht oder zum Einzel-richter beim Amtsgericht anzuklagen. Aus der Statistik ist nicht ersichtlich, welcher Weg bevorzugt wurde. Beide Gerichte weisen Rückgänge im Eingang auf, diese wären ohne Aufhebung des Schöffengerichts noch größer gewesen, wurden also zum Teil aufgefangen.

116 RGBl. I 1939, S. 1609.

117 R1939, S.1679.

118 RGBl. I 1939, S.1455.

119 Ges. v. 24.11.1933, RGBl. I, 1933,S.995.

1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 0

500 1000 1500 2000 2500 3000 3500

Verfahrenseingang des Amtsgerichts

Schon vor der Mobilmachung 1939 war die Personalausstattung der Justiz sehr beengt, Abordnungen zu anderen Ämtern als Aushilfe für Ausfälle waren üb-lich, selbst eine Zweigstelle der Staatsanwaltschaft musste wegen Personalmangels geschlossen werden120. Nach Kriegsbeginn verschärfte sich die Situation noch stärker, von 9 zuvor verfügbaren Staatsanwälten waren 1942 nur noch 5 verfügbar, beim Amtsgericht Ulm ging das verfügbare Personal von 60 Beamten im Jahre 1939 auf 30 Beamte im Jahre 1944 zurück. Die Personalnot wurde zur brennenden Frage, aber Änderungen gab es nicht, selbst wenn in je-dem Lagegericht darauf hingewiesen wurde „wenn je-dem Bezirk noch weitere Kräfte durch die Einziehung zur Wehrmacht oder durch Abordnung entzogen werden, so muss mit der Möglichkeit ernsterer Ausfallerscheinungen in der Straf-rechtspflege gerechnet werden.“121

Eine sachgerechte und ausführliche Bearbeitung war bei einer solchen Fluktuation nicht mehr zu leisten. Dieser Erledigungsdruck122 erforderte einen

120Personalakte Staatsanwalt Andriof, StA Ludwigsburg,, E 322 III, Bü. 1.

121 Lagebericht GenStA Stgt., BAB R 22/3387.

122 Die Geschäftsbelastung der Strafrichter in Ulm kann nicht sicher geschätzt werden, da wohl der Verfahrenseingang feststeht, nicht aber die Anzahl der Strafrichter, denn Geschäftsverteilungspläne sind nicht erhalten, ebenso wie die tatsächlichen Besetzungen nirgends ersichtlich sind. Man kann davon ausgehen, dass auch hier die Belastung pro Kopf bis 1944 um ein vielfaches angestiegen ist, wie sich dies aus den Personalakten gelegentlich ergibt und wie für die Gerichte Kassel und Darmstadt von Lojowski in Form, S.

fektiven, zeitsparenden und damit schnellen Verfahrensabschluss, um in der Ak-tenflut nicht unterzugehen. Dem entsprach am ehesten eine Erledigung ohne Einschaltung der Gerichte. Dies bot vielfältige Vorteile: Das Verfahren war schnell und endgültig erledigt, ein Rechtsmittel zumeist nicht gegeben (Einstellung we-gen gerinwe-gen Verschuldens, Amnestie, Verneinung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung, Abgaben an andere Stellen). Beschwerden oder Dienstauf-sichtsbeschwerden waren damals absolute Ausnahmen123, mit Rechtsmitteln musste man nicht rechnen. Die Verfahren wurden oft noch am Eingangstag erle-digt, zumeist binnen einer Woche.

4.3.3 ZUSAMMENFASSUNG:

Der Verfahrensanfall ging bei der Staatsanwaltschaft Ulm ab 1939 ständig zu-rück. Dies war im Wesentlichen bedingt durch Einziehung potentieller Täter zur Wehrmacht. Auch die Schaffung neuer Zuständigkeiten anderer Behörden hatte der Justiz einige Verfahren entzogen.

Unter dem Zwang der drückenden Personalknappheit – durch Einziehung zur Wehrmacht und Krankheit waren ca. 60 % der Staatsanwälte ausgefallen - bevorzugte die Behörde unter Abkehr der zuvor bevorzugten Erledigungsarten ab 1939 zeitsparende Verfahrenserledigungen, insbesondere Abgaben an andere Behörden und Einstellungen wegen geringen Verschuldens nach § 153 StPO.

Gleichzeitig gingen die zuvor mit über der Hälfte aller Erledigungen bevorzugten Einstellungen nach § 170 StPO zurück auf lediglich 29,0 % im Jahre 1940.

Die Anklagen und Strafbefehlsanträge zu den Gerichten entwickelten sich gegenläufig. Von 1931 bis 1939 verharrten die Anklagen bei ca. 20 % Anteil, um bis 1945 auf 9,5 % abzusinken, während die Strafbefehlsanträge von 14 % im Jahre 1931 auf 2,7 % im Jahre 1939 absanken um bis 1945 10,1 % zu errei-chen, auch hier wechselte man wegen der beengten Personalsituation auf weniger arbeitsintensive Abschlüsse.

1056 dargestellt wurde. Die Belastung pro Kopf stieg von 7 Verfahren im Jahre 1936/7 auf 20 Verfahren im Jahre 1944 an.

123 Aus den Strafakten, Spruchkammerakten , Personalakten u.a. sind von 1927 – 1945 lediglich 5 Beschwerden ersichtlich.

4.4 DIE STAATSANWALTSCHAFT –EINFALLSTOR ZUR BEEINFLUSSUNG POLITISCHER VERFAHREN