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5. Gerichtliche Entscheidungen

5.5.1 A LLGEMEINES

Gewohnheitsverbrechers entsprechen, da nach Verbüßung einer ausreichend lan-gen Haft eine Gewöhnung an regelmäßige Arbeit eingetreten sei und eine Gefahr für die Gemeinschaft nicht mehr bestehen werde.

Die Zurückhaltung sowohl bei der Bejahung der Norm als auch bei Verhän-gung von Sicherungsverwahrung zeigt die grundsätzliche innere Ablehnung der Strafkammern gegenüber dem nationalsozialistischen „Feindstrafrecht“, mit wel-chem jeder Asoziale und Außenseiter eliminiert werden sollte.

5.5 KRIEGSSONDERSTRAFRECHTSVERFAHREN

2. wer es unternimmt, einen Soldaten oder Wehrpflichtigen des Beurlaubten-standes zum Ungehorsam, zur Widersetzung oder der Tätlichkeit gegen einen Vorgesetzten oder zur Fahnenflucht oder unerlaubten Entfernung zu verleiten oder sonst die Manneszucht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu untergraben;

3. wer es unternimmt, sich oder einen anderen durch Selbstverstümmelung, durch ein auf Täuschung berechnetes Mittel oder auf andere Weise der Erfüllung des Wehrdienstes ganz, teilweise oder zeitweise zu entziehen.

(2) In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt wer-den.“

Die KSSVO hatte durch ihren Zuschnitt vorwiegend auf Soldaten einen mi-litärischen Charakter. Zuständig für diese Verfahren war ursprünglich das Reichskriegsgericht419, später die ordentliche Gerichtsbarkeit420, die sich mangels hinreichender Erfahrung mit Delikten dieser Art erst mit Anwendung und Ausle-gung vertraut machen musste. Die wesentlichen Normen der KSSVO waren in Friedenszeiten im Strafgesetzbuch angesiedelt, wie Aufreizung eines Wehr-machtsangehörigen (§ 112 StGB), Wehrpflichtentziehung (§ 140 StGB), Verleitung zur Fahnenflucht (§ 141 StGB), Selbstverstümmelung (§ 142 StGB) und Wehrpflichtentziehung durch Täuschung (§ 143 StGB), die Problematik war jedoch wenig geläufig. Die damit zusammenhängenden Fragen sprach die amtli-che Begründung zur KSSVO an: „Wegen der zahlreiamtli-chen Auslegungsvorschriften, die die Vorschrift bietet, erschien der unvorbereitete Anfall solcher Strafsachen an die allgemeine Justiz rechtspolitisch unerwünscht. Die Wehrmachtsgerichte konnten sich dagegen schon im Frieden mit der Vorschrift vertraut machen.“421 Zum 29.1.1943 wurde der Volksgerichthof zuständig.

5.5.3 DELIKTSANFALL UND ERLEDIGUNGEN

Nur drei Verfahrensakten wegen KSSVO-Delikten sind überliefert. Die für den durchschnittlich schweren Fall angedrohte Todesstrafe in § 5 KSSVO ließ ahnen,

419 § 2 Nr. 4 d) i.V.m. § 14 I Nr. 9 KStVO, S. 1457 ff.

420 Art. 1 der siebten VO zur KStVO, vom 18.5.40, RGBl. I 1940 S. 787.

421 Amtliche Begründung zur Siebten DurchführungsVO zur KStVO v. 18. Mai 1940, (zit. nach: Form, S. 472).

wie hoch die Straferwartung für dieses Delikt angesetzt war. Die in Ulm verhäng-ten Strafen entsprachen dem in keiner Weise.

Ein Ehepaar hatte für ihren zur Wehrmacht einberufenen Sohn ein erschli-chenes ärztliches Attest über Magenblutungen vorgelegt, wonach er wehruntauglich sei. Die Große Strafkammer verurteilte den Vater zu 3 Monaten Gefängnis, die Mutter wurde mangels Beweises freigesprochen422. Das Gericht hatte einen minder schweren Fall der Entziehung der Wehrpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr.3 KSSVO), angenommen, obwohl der Sohn auf längere Zeit dem Wehrdienst ent-zogen werden sollte. Auch die sehr negative Parteibeurteilung - die Familie habe noch nie viel gearbeitet, nur geschachert – blieb unbeachtet.

Gleichermaßen verständnisvoll zeigte sich das Gericht gegenüber einer Ehefrau, die unter dem Namen eines Freundes ihrem an der Front stehenden Ehemann ein Telegramm schickte: „Deine Frau schwer erkrankt. Sofort kom-men!“423 Die Wehrmacht drängte auf eine harte, abschreckende Bestrafung, mit der nachvollziehbaren Begründung, Fälle dieser Art häuften sich zunehmend, die-se könnten oft nur schwer und zeitaufwändig aufgeklärt werden und verunsicherten die Soldaten, die durch angeblich schwerste Erkrankungen naher Angehörigen belastet seien. Das Gericht verhängte eine dreiwöchige Gefängnis-strafe, die in einer wohlwollenden Diktion begründet wurde.

Bei einem Vergehen mit politischem Einschlag ordnete das Gericht auf das Verlangen von Parteifunktionären gegen eine harmlose, geistesgestörte Frau die Unterbringung an424: Im Mai 1943 hielt Ritterkreuzträger Korvettenkapitän Heys für die NSDAP-Kreisleitung Ulm einen Vortrag „ Der Würgegriff unserer U-Boote“.

Mitten im Vortrag unterbrach ihn die 32-jährige Kunz mit der Aufforderung: „Heil Hitler! Herr Ritterkreuzträger, hören Sie sofort mit ihren Reden auf, das Deutsche Volk will Frieden und keinen Krieg, wir wollen Frieden. Wir wollen Frieden und sonst nichts!“. Sie wurde aus dem Saal geführt, Funktionäre und Polizei unter-nahmen nichts weiter. Erst der NS-Versammlungsleiter H., Rechtsrat der Stadt Ulm, forderte Tage später, „ … halte ich es für erforderlich, dass sie wegen ihrer Gemeingefährlichkeit gegen das Wohl der Partei und des Reiches entweder in

422 LG Ulm KLs 64/40, U. v. 5.11.1940; StA Ludwigsburg, E 352, Bü 6406.

423LG Ulm, KLs 21/41, U. v. 15.7.41; StA Ludwigsburg, E 352, Bü 6473.

424 LG Ulm KLs 31/43, U. v. 29.7.1943: StA Ludwigsburg, E 352, Bü. 667o.

Schutzhaft genommen wird oder in eine Heil- oder Pflegeanstalt eingewiesen wird.“

Die Beschuldigte war als auffällig aber harmlos stadtbekannt, sie hatte in Gaststätten gegenüber Damen Bemerkungen über deren lackierte Fingernägel gemacht und das undeutsche Rauchen untersagt. Der ermittelnde Kriminalsek-retär hatte die Akten mit dem Vermerk vorgelegt „Verbrechen nach § KSSVO – oder grober Unfug“. Das Gesundheitsamt stellte keine Geisteskrankheit fest, auch der ermittelnde Kriminalsekretär bestätigte „Sie ist nach meinem Dafürhal-ten nicht geistesgestört.“ Dessen ungeachtet beurteilte sie Obermedizinalrat Schefold als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, weshalb die Große Strafkammer sie mit Urteil vom 29.7.1943 in eine Heilanstalt einwies, wo sie bis 31.1.1946 untergebracht war.

Das Verfahren zeigt, wie dünnhäutig die Herrschenden geworden waren und wie willfährig Justiz und Staatliches Gesundheitsamt in einer so geringfügi-gen Sache den Wünschen von Parteifunktionären nachgegeben hatten.

Überraschenderweise hatten die niederen Parteichargen vor Ort im ganzen Ver-fahren als Einzige das richtige Augenmaß: die Parteiordner ließen die Frau laufen, weil sie ersichtlich nicht ernst zu nehmen war, erst die höheren Funktionäre er-kannten Tage später, wie „gemeingefährlich“ sie für das Wohl von Partei und Reich sei. Und die Justiz hatte nicht die Stirn, sich dem zu widersetzten. Dies zeigt, wie sehr sie „im Würgegriff der Partei“ hing.

5.5.4 ZUSAMMENFASSUNG

Aus den nur drei überlieferten Strafakten wegen KSSVO spricht bei der Strafzu-messung ein überraschend mitfühlendes Verständnis für die Angeklagten, denen bei wohlwollender Diktion milde Strafen zugestanden wurden. Damit widerstan-den die Richter widerstan-den parteilichen Scharfmachern. Allerdings entsprachen sie willfährig und zu Unrecht den Wünschen der Partei, eine harmlose, ungefährliche Systemkritikerin in einer Heilanstalt wegzusperren. Das Motiv dafür dürfte der Kompetenzstreit mit der Gestapo gewesen sein: Die Justiz wollte beweisen, dass die Justiz ebenso wie die Gestapo erfolgreich NS-Gegner bekämpfen konnte und trotz Polizei eine Daseinsberechtigung hatte.

5.6 Jüdische Mitbürger vor der Ulmer Justiz