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5. Gerichtliche Entscheidungen

5.1.4 Deliktshäufigkeit und Gründe für deren Zunahme

5.1.10.2 Diskussion der Ablehnungsgründe

Es ist schlimm genug, wenn damalige NS - Richter herabwürdigende NS-Phrasen in die Strafzumessungsgründe übernommen hatten, es überrascht sehr, wenn genau diese Phrasen noch 5 Jahre später aus den doch für nichtig erklärten Ur-teilen wörtlich übernommen wurden, nunmehr um die Wiedergutmachung gerade dieses nichtigen Urteils ablehnen zu können284. Die Ablehnungsgründe sollten deshalb näher angeschaut werden, auch weil dieses Delikt in der NS-Zeit einen hohen politischen Stellenwert hatte.

281 Sozialgericht Ulm, S 11 a (J) 376/65, StA Ludwigsburg, EL 350 I, Bü. AR 2390.

282 Strafakten StA Ludwigsburg, E 352, B. 6799.

283 Wiedergutmachungsakten, StA Ludwigsburg, EL 350 I, Bü. 7995.

284 Nicht nur bei verbotenem Umgang, auch bei Asozialen, Nichtsesshaften, Sinti, Roma und Homosexuellen sowie anderen in KZ eingewiesenen Randgruppen lehnte man eine Entschädigung mit der Begründung ab, dies sei zwar rechtswidrig gewesen, jedoch nicht aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung geschehen sondern als polizeiliche Präventivmaßnahme (Pross, S. 104).

Aus heutiger Sicht überzeugen die Ablehnungsgründe für eine Entschädi-gung bei Verurteilungen wegen unerlaubter sexueller Kontakte nicht, auch wenn das LG Wiesbaden bei einem nur auf sinnliche Befriedigung gerichteten Liebes-verhältnis mit einem Kriegsgefangenen keinen politischen Bezug gesehen und die Anwendung des § 1 BEG abgelehnt hat285. Das OLG Stuttgart vertrat eine gleich-artige Ansicht mit der Forderung, die Tat müsse auch auf einer politischen Überzeugung beruhen286.Sicherlich haben die verurteilten Mädchen und Frauen keinen gewaltsamen Widerstand gegen das Regime geleistet, aber sie haben sich – in Kenntnis der drohenden Strafen –„über diese Rassenpolitik hinweggesetzt und ihre Gefühle und Wünsche nicht danach ausgerichtet“287. Damit lehnten sie sich gegen die rassistischen Normen des Regimes auf, artikulierten „bewusst o-der unbewusst, gleichzeitig ihren Wio-derspruch gegen die nationalsozialistische Gesellschaft und Politik“288. Die NS-Phrase im Urteil, die Täterin habe sich mit ih-rer Tat „selbst aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen“, belegt gerade, dass sich die „Täterinnen“ gegen den Nationalsozialismus gestellt, sich von dessen Rassenideologie losgesagt hatten. Aus diesem Blickwinkel steht der Annahme ei-ner politischen Verfolgung die Definition des Bundesgerichtshofs von 1954 nicht entgegen, wonach politisch verfolgt ist, wer „gegen den Nationalsozialismus ein-gestellt war und sich zu dieser Einstellung auch bekannte.“289

Die Begründung, auch andere Nationen hätten den Umgang mit Kriegsge-fangenen beschränkt, also läge kein spezifisches NS-Unrecht vor, überzeugt nicht. Zum einen weil nicht festgestellt ist, ob deren Regelungen vergleichbare Beschränkungen enthielten. Man hätte zumindest den Umfang ausländischer Re-gelungen feststellen und mitteilen sollen, ob auch die Hingabe kleinerer Geschenke verboten waren. Zum anderen wurde diese NS-Regelung explizit als unwirksam aufgehoben, der Verweis, bei anderen Staaten bestünden vergleich-bare Regelungen, kann an dieser Feststellung nichts ändern. Die Verurteilungen beruhten auf politischen Gesetzen mit denen durch die Herrschaftsstruktur des NS-Staats Freiheitsrechte entzogen wurden und die deshalb als nichtig

285 Bukofzer, a. a. O., S. 29.

286 Bukofzer, Anm. 6 zu § 1 BEG, S. 28.

287 Colmorgen/Godau/Schüttke, S. 149.

288 s. 149 a. a. O.

289 Eck, S. 112.

risch aufgehoben wurden. Wenn Gesetzen jegliche Geltung fehlt, „dann müssen auch die Juristen den Mut finden, ihnen den Rechtscharakter abzusprechen“ und die Rechtlosigkeit des staatlichen Vorgehens als Auslegungsmaxime für die Ent-scheidung der Entschädigungsfrage berücksichtigen290.

5.1.11 ZUSAMMENFASSUNG

Von 1940 bis 1944 gingen bei der Staatsanwaltschaft Ulm insgesamt 319 Verfah-ren wegen verbotenen Umgangs ein, davon 79 gegen Männer. Der Verfahrenseingang stieg von 16 Anzeigen im Jahr 1940 auf 93 im Jahr 1942, um auf acht Verfahren für 1945 abzusinken. Der starke Anstieg 1942 ist auf die im Kriegsverlauf steigende Zahl der Kriegsgefangenen zurückzuführen, die von 1940 mit 35.000 bis 1944 auf das 55-fache mit 1,9 Millionen anstieg.

Im Durchschnitt wurden 30 % der Verfahren wegen fehlenden Tatver-dachts und geringen Verschuldens eingestellt, dieser Anteil stieg von 29 % im Jahre 1943 über 42 % im Jahre 1944 auf 75 % im Jahre 1945 an. Auch hier zeigt sich die deutliche Tendenz zu milderen und einfacheren Erledigungsarten mit dem Jahr 1943. Zu den Gerichten gingen 58 %, dieser Anteil stieg von 50 % 1941 bis 1942 auf 64 % um dann wieder auf 50 % zu fallen. Erwähnenswert sind viele abgelehnte Abgaben an das Sondergericht Stuttgart, bei welchem höhere Strafen zu erwarten waren. Ein solches Verhalten deutet auf einen besonders ausgeprägten Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft hin, denn bei dieser „un-schädlichen“ Deliktsart kann man sich kaum geeignete Fälle für ein Sondergericht vorstellen. 21 einfachere Fälle wurden mit Geldstrafe per Strafbe-fehl abgerügt, 87 schwerere Verfahren wurden zum Amtsgericht angeklagt, 77 gewichtigere Verfahren rügte das Landgericht ab.

Überliefert sind 69 Verfahrensakten mit 74 Beschuldigten. Bei 42 von ihnen (48,8 %) wurde Polizeihaft für durchschnittlich 22,3 Tage vollzogen. 43 Personen (50 %) kamen in U-Haft für durchschnittlich 59,3 Tage. Haftgründe wa-ren Verdunklungs- und Fluchtgefahr sowie Erregung der Öffentlichkeit. Einmal wurde die Haft damit begründet, man wisse noch nicht sicher, ob die Beschuldig-te schwanger sei. In insgesamt 21,8 % der Haftsachen wurde der Antrag

290 Perels, 417 (419f).

abgelehnt. Der hohe Wert kommt dadurch zustande, dass 1943 und 1943 je 3,6

% der Anträge, erst im Jahre 1944 14,6 % zurückgewiesen wurden.

Bei den Gerichten gab es 5 Freisprüche (5,8 %), alle im Jahre 1943. Zu-mindest einer davon dürfte davon beeinflusst sein, dass der Vater einer Angeklagten Parteifunktionär war, denn bei ähnlicher Beweislage wurde verur-teilt.

Für die Strafzumessung wurden vier Handlungsgruppen zugrunde gelegt:

Geschlechtsverkehr mit Schwangerschaft als schwerwiegendste Tat, gefolgt von folgenlosem Verkehr, beide sollten mit Zuchthaus und Entziehung der bürgerli-chen Ehrenrechte geahndet werden. Als mittelschwer wurden Zärtlich- und Freundlichkeiten eingestuft, die mit Gefängnis abgeurteilt werden konnten.

Die Richter in Ulm beachteten lediglich in den Jahren 1942 und 1943 die Vorgabe, Geschlechtsverkehr mit und ohne Schwangerschaft mit Zuchthaus zu bestrafen. In beiden Jahren waren 55 Verfahren anhängig, von denen lediglich 11,1 % mit Zuchthaus von durchschnittlich 18,6 Monaten belegt wurden, dabei wurden bei Schwangerschaft 15 Monate, ohne Folgen 22,2 Monate verhängt. Die höchsten Strafen wurden bei verheiraten Frauen, deren Männer an der Front standen, verhängt, ansonsten wurden Gefängnisstrafen in 88,9 % dieser „Ge-schlechtsfälle“ von durchschnittlich 8,9 Monaten ausgesprochen.

Zärtlich- und Aufmerksamkeiten (Geschenke, Zubereitung von Essen) wurden mit 4,8 Monaten Gefängnis geahndet, bei Fluchthilfe wurden 6,8 Monate Gefängnis verhängt. Die für das OLG Hamm getroffene Feststellung, „Am Ende stand der immer raschere Niedergang des positiven staatlichen Rechts, standen staatsanwaltschaftliche Brutalität und richterliche Aggression.“291, kann für den hiesigen Untersuchungsbereich nicht bestätigt werden.

Die Strafnormen wurden zwar 1945 für nichtig erklärt, die Urteile aufgeho-ben, die Verurteilungen getilgt, eine Entschädigung jedoch abgelehnt, da die Verurteilten aus privaten Gründen und nicht im politischen Widerstand gehandelt hätten.

291 Niermann, S. 26.

Vgl. auch Form, S. 3, der eine Verschärfung der Freiheitsstrafen beim Oberlandesgericht Kassel ab 1941 festgestellt hat.

5.2.KRIEGSWIRTSCHAFTSVERORDNUNG UND VERBRAUCHSREGELUNGS-

STRAFVERORDNUNG