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lition gegen den sogenannten Islami-schen Staat.

All dies gefährdet nun der jähe Kurs-wechsel der USA. Die Kurden versu-chen derzeit noch vor dem Abzug der US-Truppen, gemeinsam mit dem As-sad-Regime eine Regelung über den künftigen Status ihrer Gebiete zu fin-den. Doch Damaskus wird sich kaum auf ihre Forderungen einlassen: Ers-tens sind die Kurden wegen der Ab-zugsankündigung in einer denkbar schlechten Verhandlungsposition. Zwei- tens haben Minderheitenrechte im ethnisch-arabischen Selbstverständ-nis des Regimes kaum einen Platz.

Bis heute lautet Syriens offizielle Be-zeichnung „Syrische Arabische Repu-blik“. Drittens hat das syrische Regime in der Vergangenheit zwar von Ver-handlungspartnern immer wieder Zu-geständnisse eingefordert, sich selbst aber wiederholt an keinerlei Bedin-gungen gehalten.

Türkische Drohungen

Während also der US-Rückzug den Kurden kaum eine andere Wahl lässt, als mit dem Assad-Regime Verhand-lungen aufzunehmen, wissen sie zu-gleich, dass sie sich davon nicht allzu viel erwarten dürfen.

Die Schwäche der Kurden will ins-besondere die Türkei ausnutzen. Sie will in die von den Kurden dominier-ten syrischen Gebiete einmarschieren.

Zwar droht Trump Ankara mit „verhee-renden wirtschaftlichen Folgen“, zu-gleich brachte er jedoch die Idee einer dreißig Kilometer breiten „Sicherheits-zone“ ins Spiel. Der Vorschlag stellt ei-ne Erweiterung des Adana-Abkom-mens dar, das bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten zwischen der Türkei und Syrien geschlossen wurde. Es erlaubt der Türkei, auf syrisches Territorium vorzudringen, um gegen die kurdische Untergrundorganisation PKK vorzuge-hen. Eine Sicherheitszone entlang der gesamten syrisch-türkischen Grenze

könnte eine ähnliche Situation wie in Afrin schaffen, wo arabische und mög-licherweise islamistische Kräfte die kurdische Bevölkerung unterdrücken.

Vor allem aber könnte eine solche Zone zum Einfallstor für weitergehende tür-kische Militärinterventionen nach Ab-zug der Amerikaner werden.

Assad wird dem gewiss nicht taten-los zusehen; zugleich hat er für die kur-dischen Kämpfer möglicherweise noch Verwendung. Der syrische Präsident betont stets, „jeden Zentimeter syri-schen Bodens“ wieder unter seine Kon-trolle bringen zu wollen.2 Trotz mas-siven territorialen Gewinnen gelang ihm dies allerdings bislang nur für et-wa 60 Prozent der Fläche Syriens. Und während zwar für die kurdischen Ge-biete eine Verhandlungslösung mög-lich erscheint, könnte sich in anderen Regionen größerer Widerstand regen.

Vor allem Idlib erweist sich als Her-ausforderung: Um diese letzte von Re-bellen gehaltene Provinz im Norden wieder zurückzuerobern, benötigt As-sad früher oder später nicht nur russi-sche Luftunterstützung, sondern auch Bodentruppen – zu geschwächt ist die syrische Armee. Es ist daher durch-aus denkbar, dass Assad den Kurden entgegenkommt. Bis hin zu Autono-mieversprechen dürfte dies allerdings nicht reichen, da das syrische Regime derzeit selbst föderalistische Struk-turen kategorisch ausschließt. Ange-sichts der ausAnge-sichtslosen Lage, in die ein vollständiger Rückzug der USA die Kurden bringen würde, bleibt diesen möglicherweise aber kaum eine ande-re Wahl. Der Pande-reis wäande-re hoch, denn im Gegenzug für vage Versprechen wür-de das Regime von wür-den Kurwür-den wahr-scheinlich militärische Unterstützung im Kampf um Idlib verlangen. Dies wiederum lässt sich kaum gegen die Interessen Ankaras durchsetzen. Inso-fern könnte das Regime zunächst den Schulterschluss mit der PYD suchen,

2 Vgl. Albert Aji, Assad Vows to „Liberate Every Inch of Syria“ from Foreign Troops, www.mili-tarytimes.com, 17.2.2018.

sich aber Ankara zuwenden, sobald die kurdischen Kämpfer ihren Zweck erfüllt haben.

Russland: Das Streben nach geopolitischem Einfluss

Offen ist allerdings, ob Russland bei alledem mitspielt. Moskau konnte sei-ne Interessen in Syrien zuletzt weit-gehend durchsetzen: Die Herrschaft Assads scheint gesichert, die Vereinten Nationen hingegen sind marginali-siert. Damit ist auch der Genf-Prozess in den Hintergrund gerückt, während Russland mit dem Astana-Dialog ein eigenes Format geschaffen hat, in dem es sich strategisch mit Iran und der Türkei verständigt. Auf diese Weise will Moskau weniger die innersyrische Entwicklung beeinflussen als viel-mehr mittels innersyrischer Akteure auf internationaler Ebene punkten und an geopolitischem Einfluss gewinnen.

In diesem Sinne ist auch Russlands Idlib-Politik zu deuten. Die im Herbst vergangenen Jahres angedrohte Mi-litäroffensive des Regimes gegen die Provinz Idlib liegt derzeit auf Eis – dank einer Einigung zwischen Russ-land und der Türkei im vergangenen September. Diese sieht vor, in Idlib ei-ne Pufferzoei-ne zwischen Rebellen- und Regimegebieten zu schaffen, die frei von bewaffneten Gruppen ist. Außer-dem soll die Türkei die islamistische Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ent-waffnen und auf diese Weise schwä-chen. Die Einrichtung der Pufferzo-ne wurde bis heute zwar weitgehend umgesetzt, zugleich aber erstarkte die HTS und kontrolliert nun weite Teile Idlibs.

Der künftige Status von Idlib ist so-mit vorerst weiterhin offen. Bei den Sotchi-Verhandlungen im vergange-nen Dezember beließ es Russland da-bei, die Türkei an seine Verpflichtun-gen zu erinnern. Mit einer Großoffen-sive in Idlib ist im Moment nicht zu rechnen – dafür ist die Provinz eine zu

wichtige Stellschraube, mit der man den Druck auf westliche Staaten zum geeigneten Zeitpunkt erhöhen kann.

Denn das Erstarken der HTS hat da-zu geführt, dass internationale Geber ihre Hilfen für Projekte in Idlib weit-gehend eingestellt haben, da die Situa- tion vor Ort zu unsicher ist. Die ohne-hin angespannte Lage in Idlib ver-schärft sich damit weiter. Schätzungs-weise zwei bis drei Millionen Men-schen leben in der Provinz, die Hälfte von ihnen sind Binnenflüchtlinge aus anderen Landesteilen. Das Ausbleiben der Hilfe triff in erster Linie die Zivil-gesellschaft, die für die Bevölkerung und gegen extremistische Kräfte ar-beitet. Demokratische Akteure in Idlib werden durch extremistische Akteure bedroht, doch der Umstand, keine in-ternationalen Gelder mehr zu bekom-men, schränkt ihre Arbeitsmöglichkei-ten weitaus mehr ein als der HTS.

Die fortschreitende Verschlechte-rung der Situation in Idlib spielt dem Assad-Regime und seinen Verbünde-ten in die Hände. Sie hoffen, dass da-mit auch der Widerstand im Falle einer späteren Offensive abnimmt. Die hu-manitäre Situation setzt Damaskus als Verhandlungsmasse gegenüber dem Westen ein: Indem es humanitäre und medizinische Hilfe erst verwehrte und das Leid der Zivilbevölkerung auf die-se Weidie-se immer weiter vergrößerte, er-hält es nun bereits für kleinste Erleich-terungen internationale Anerkennung.

Israel und Iran: Der drohende Krieg Aber nicht nur im Norden und Nord- osten Syriens brodelt es weiterhin, son-dern auch im Süden des Landes. So flog etwa Israel im Januar 2019 einige seiner bislang heftigsten Luftangriffe auf Syrien seit Beginn des Krieges.

Lange Zeit hielt sich Israel mit Blick auf sein Engagement in Syrien be-deckt. Es hat zum einen seine Nord-grenze für humanitäre Fälle geöffnet, hunderte Verletzte im eigenen Land

versorgt und Ende 2018 die Evakuie-rung von Hunderten syrischen Ersthel-fern, sogenannte Weißhelme, und de-ren Familien ermöglicht. Zum andede-ren hat es von Beginn an mit gezielten Luft-schlägen versucht, Waffenlieferungen an die Hisbollah zu verhindern und das syrische Chemiewaffenprogramm zu treffen. Erst zunehmende Differenzen mit Russland nötigten Israel schließlich dazu, offen über sein militärisches En-gagement zu sprechen. Klar ist inzwi-schen, dass das Land nicht zuvorderst an einem Sturz Assads interessiert ist, sondern vor allem seine Grenzregion zu Syrien sichern will. Insbesondere eine Präsenz iranischer Truppen kann Israel hier nicht tolerieren.

Tatsächlich will Teheran mit seinen Milizen gezielt eigene Strukturen im Lande etablieren – an Russland und dem syrischen Regime vorbei –, um so seinen Einfluss innerhalb der sy-rischen Gesellschaft und gegenüber dem Regime in Damaskus zu behaup-ten. Die israelische Regierung beob-achtet deren Aktivitäten insbesonde-re in der syrisch-jordanisch-irakischen Grenzregion von Al-Tanf sehr genau:

„Wenn Al-Tanf unter die Kontrolle des syrischen Regimes gerät, verkürzt das die Versorgungslinie der Hisbollah von Iran über Irak“, erklärt Elizabeth Tsur-kov, Syrien-Expertin und Research Fellow am Israelischen Think Tank

„Forum for Regional Thinking“.3 Weil Israel die UNO nicht als verlässlichen Partner im Nahen Osten sieht, ver-folgt es eine zweigleisige Strategie: Mit gezielten Luftschlägen nimmt Israel zum einen vermehrt syrische Stellun-gen der Hisbollah und des Iran ins Vi-sier. Zum anderen lässt Tel Aviv Assad via Moskau wissen, dass weitere Luft-schläge erst dann unterbleiben, wenn die iranischen Kräfte aus dem Süden Syriens abgezogen seien.

Das kriegerische Tauziehen droht die Region immer weiter zu destabili-sieren. Für die syrisch-kurdischen

„Sy-3 Interview mit Elizabeth Tsurkov, 16.2.2019.

rian Democratic Forces“ wird es bes-tenfalls ein unbefriedigendes Arran-gement zwischen der Türkei, Russland und dem syrischen Regime geben.

Kein Ende in Sicht

Im schlechtesten Fall bricht in den von ihnen kontrollierten Gebieten mit neu-er Schärfe ein weitneu-erneu-er Kriegskonflikt aus – entweder weil die Türkei in diese einmarschiert oder weil Teile der kur-dischen Bevölkerung sich gegen eine Zusammenarbeit der Kurden mit dem Assad-Regime auflehnen.

Das wiederum brächte auch Europa in die Bredouille: Die EU läuft zuneh-mend Gefahr, entweder den Nato-Part-ner Türkei vor den Kopf zu stoßen oder sich unzureichend für die Rechte der Kurden einzusetzen.

Vor allem aber droht der Rückzug der US-Armee den iranisch-israeli-schen Konflikt anzuheizen. Die USA scheinen hier – bar jeder Strategie – schlichtweg auf ein Wunder zu hof-fen, nämlich dass der Iran, obwohl ihm Washington in Syrien freie Hand lässt, geschwächt wird. Umso deutli-cher verteidigt Israel seine Interessen.

Dass Russland am Ende eine Eskalati-on zwischen Iran und Israel verhindern kann, ist indes unwahrscheinlich. Zu wichtig ist es aus israelischer Sicht, den iranischen Einfluss zurückzudrängen, während Russland weder in der Lage noch willens ist, weitere Bodentruppen zu entsenden.

Zudem hat das syrische Regime wie-derholt demonstriert, dass es sich – ungeachtet seiner Abhängigkeit von Russland – nicht vorschreiben las-sen will, wie es operiert. Ein strahlen-der Gewinner wird Assad, angesichts der flächendeckenden Zerstörung Sy-riens, am Ende gewiss nicht sein. Sei-ne kaltblütige Strategie hält ihn aller-dings nicht nur an der Macht, sondern sie zeigt obendrein die politische Ohn-macht Europas und der gesamten Welt-gemeinschaft auf.

In der März-Ausgabe der »Blätter« beschrieb der Kommunikationswis-senschaftler Fred Turner, wie die Vision der digitalen Befreiung zur Reali-tät der autoritären Unterdrückung wurde. Das hält der Philosoph Hauke Behrendt für entschieden zu eindimensional.

Die Erwartungen, die sich seit seiner Geburtsstunde am 12. März 1989 an das World Wide Web knüpfen, sind ge-waltig. Als eine dezidiert neue, einzig-artige Organisationsform werde es alle Menschen dieser Erde miteinander ver-binden, die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung stärken sowie die Abhängigkeit des Einzelnen von Staa-ten und Konzernen aufbrechen. Für seinen Vordenker, Tim Berners-Lee, stellt das Internet die digitale Grundla-ge für herrschaftsfreie BeGrundla-gegnunGrundla-gen, Konversationen und Kollaborationen jenseits von Raum und Zeit dar. Das ge-samte hochgradig fragmentierte Welt-wissen wäre für alle zu jeder Zeit und von überall her aus abrufbar. Was sich einst auf der antiken Agora oder in den Kaffeehäusern der Aufklärung abspiel-te, sollten fortan virtuelle Plattformen leisten: eine Stärkung gemeinschaftli-cher Werte und die Emanzipation des Individuums. Noch zehn Jahre nach der Gründung bezeichnete sein Schöp-fer das Internet als eine „Vision, die neue Freiheiten eröffnet und schnel-leren Fortschritt erlaubt, als es durch die Fesseln jener hierarchischen Klas-sifikationssysteme möglich wäre, an die wir uns selbst gebunden haben.“1

1 Tim Berners-Lee, Der Web-Report, München 1999, S. 9.

Kurz darauf platzte die Dotcom-Blase – und das Netz demonstrierte zum ers-ten Mal sein disruptives Poers-tential, in-dem es immense Vermögenswerte der IT-Branche vernichtete.

In der März-Ausgabe der „Blätter“

machte nun Fred Turner dem umju-belten Internet die Gegenrechnung auf, indem er den Weg von der Idee der Befreiung zur autoritären Über-wachung nachzeichnet. Allerdings greift auch diese Diagnose in ihrer spiegelverkehrten – nun eben abso-lut negativen – Schwarz-Weiß-Zeich-nung zu kurz. Denn in Wirklichkeit ist die Bilanz weit gemischter. So driften nicht nur Quantität und Qualität des Internets auseinander, sondern auch Risiken und Chancen – wobei Letztere in manchen Fällen noch gar nicht all-gemein erkannt sind.

Zunächst muss man dem Internet unter rein quantitativen Gesichts-punkten tatsächlich einen bis heute ungebrochenen Siegeszug attestieren.

Misst man den Erfolg nur an Einfluss und Ausdehnung, ist die Zukunfts-vision einer vollständig vernetzten Welt tatsächlich greifbar nahe. Im vergangenen Jahr waren in Deutsch-land gerade einmal fünf Prozent noch niemals online. Und mit der flächen-deckenden Ausbreitung mobiler End-geräte reicht das Netz inzwischen