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Italien: Linker Hoffnungsträger Zingaretti?

zu ändern“. Von nun an werde sich die Sozialdemokratische Partei an zwei Begriffen orientieren: „Einheit und Wandel. [...] Wir sind nicht nur hier, um den politischen Gegner anzugreifen, wir sind hier, um neu durchzustarten, in der festen Überzeugung, mit besse-ren Ideen das Land wieder auf die Bei-ne bringen zu könBei-nen.“1

Zingaretti, 53 Jahre alt, ist kein be-gnadeter Rhetoriker, dafür aber ein guter Schlichter und Vermittler. Sei-ne politische Laufbahn begann in der Kaderschmiede der Kommunistischen Partei (PCI). Ende der 1980er Jahre wurde er zum Vorsitzenden der römi-schen Organisation der Jungen Kom-munisten (FGCI) gewählt. Die KP-Ju-gendorganisation gab es nicht nur in jeder Stadt, sondern auch in fast je-der Ortschaft, wobei die Hauptstadt- FGCI einen ganz besonderen Platz ein-nahm, da zu den dortigen Mitgliedern die Söhne der Parteiaristokratie gehör-ten, etwa die des späteren Präsidenten Giorgio Napolitano. Zingaretti selbst kommt aus eher bescheidenem Milieu und ist im berüchtigten Vorstadtviertel

„La Magliana“ aufgewachsen, von wo aus in den 1970er und 1980er Jahren die kriminelle Organisation „Banda della Magliana“ Rom fest im Griff hat-te. Der Richter Giancarlo De Cataldo hat dies in seinen auf Tatsachen basie-renden Krimis „Romanzo Criminale“

und „Der König von Rom“ einprägsam erzählt. Als Vorsitzender musste Zin-garetti, der Außenseiter, immer wieder zwischen den Sprösslingen der Partei-nomenklatura schlichten.

Anders als der draufgängerische Renzi, der sich nicht scheute, alte Par-teikader wie Massimo D’Alema für schrottreif zu erklären, und mit sei-nem selbstherrlichen Stil so manchen Parteifreund endgültig aus der Par-tei vergraulte, hat Zingaretti bis jetzt das Rampenlicht eher gemieden. Dass sein Nachname vielen Italienern

trotz-1 Vgl. „Grazie all’Italia che non si piega“, www.

partitodemocratico.it, 3.3.2019.

dem geläufig ist, verdankt er nicht zu-letzt seinem Bruder Luca Zingaretti, Hauptdarsteller in der sehr beliebten TV-Krimiserie „Commissario Mon-talbano“. Statt auf wortgewaltige An-kündigungen zu setzen und sich über die sozialen Netzwerke Gehör zu ver-schaffen, arbeitet Zingaretti lieber hin-ter den Kulissen. Eine Strategie, die im heutigen Selbstinszenierungszeit-alter als überholt erscheinen mag, ihn jedoch schon in der Vergangenheit ans Ziel geführt hat: Selbst als am 4. März vor einem Jahr seine Partei landesweit haushoch verlor, gewann er die Regio-nalwahlen im Latium.

Zwei Schwergewichte haben Zin-garettis Sieg denn auch begrüßt: der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der für das Mitte-links-Bündnis Ulivo zweimal Regie-rungschef wurde, und der ehemalige Premierminister Enrico Letta, der 2014 nach nur zehn Monaten unsanft von Renzi abserviert worden war und spä-ter den PD verlies. Jetzt will Letta wie-der in die Partei eintreten. Er mahnt je-doch, die Sozialdemokraten dürften

„nie wieder so unsympathisch und ab-gehoben auftreten, die Menschen so vor dem Kopf stoßen, dass sie am Ende lieber für die Fünf-Sterne-Bewegung stimmen.“2 Er meint damit unter ande-rem die Arbeitsreform „Jobs Act“ und die Schulreform „Buona Scuola“, die Renzi gegen großen Widerstand in der Partei stur durchsetzte.

Auch die Politologin Nabia Urbinati deutete Zingarettis Sieg als Hoffnungs-schimmer für die Partei sowie für den demokratischen Diskurs im Allgemei-nen. „Nach fast einem Jahr unter einer populistischen Regierung“, schreibt sie in der Tageszeitung „la Repubbli-ca“, „hatten wir fast vergessen, wie der Ton in einer parlamentarischen Demo-kratie sein sollte.“3 In der Tat fehlte es in den vergangenen Monaten nicht an

2 Vgl. Enrico Letta, Dopo 5 anni riprendo la tes-sera del PD, in: „la Repubblica”, 5.3.2019.

3 Vgl. Nadia Urbinati, Non si vive di soli slogan, in: „la Repubblica”, 6.3.2019.

schrägen Szenen: Di Maio, der sich als erster Politiker auf dem Balkon des Re-gierungssitzes Palazzo Chigi insze-nierte, wo er jubelnd das Bürgerein-kommen ankündigte;4 Di Maio auf Be-such bei Christophe Chalençon, einem der radikalsten Wortführer der franzö-sischen Gelbwesten; oder Salvini, der eine Vorliebe für das Outfit der Sicher-heitskräfte hat und sich tagtäglich als Law-and-Order-Mann in den sozialen Medien inszeniert.

Vorsichtiger Linkskurs

Wie aber kann Zingaretti die Partei wieder aufbauen? Fest steht: Als erstes müsste er den parteiinternen Drang zur Selbstzerstörung in zielstrebige positive Energie umwandeln. Zweitens sollte er eine Zukunftsvision ausarbei-ten oder sich von Visionären beraausarbei-ten lassen. Denn der PD braucht konkrete Vorschläge, die nicht nur die kommen-den Europawahlen im Auge haben, sondern weitaus langfristiger angelegt sind. Seit geraumer Zeit wirft man den Sozialdemokraten vor, Themen wie Ungerechtigkeit, Arbeit und Bürger-rechte seien für sie Tabu geworden.

Tatsächlich hat in den letzten 20 Jah-ren, in denen der PD unter Prodi, Letta, Renzi und Paolo Gentiloni oft mit Mit-te-Links- Koalitionen regiert hat, der li-berale Kurs immer mehr die Oberhand gewonnen. Warum wurden Themen wie Bürgereinkommen oder Mindest-lohn der Fünf-Sterne-Bewegung über-lassen? Fünf Millionen Italiener leben unter der Armutsgrenze, während die Löhne in den letzten sieben Jahren um 4,3 Prozent gesunken sind. Es war also ein gewiefter Schachzug von Di Maio, als er Zingaretti schon am Tag nach dessen Sieg aufforderte, im Parlament gemeinsam für den Mindestlohn ein-zutreten.

4 Dies erinnerte viele Italiener an eine andere Balkonszene: die vom Palazzo Venezia, von wo aus Mussolini am 10.6.1940 Frankreich und Großbritannien den Krieg erklärte.

Und Zingaretti scheint nun wirt-schaftspolitisch tatsächlich wieder stärker nach links rücken zu wollen.

In der Talkshow „Porta a Porta“ for-derte der Sozialdemokrat: „Wir müs-sen die 600 schon bewilligten, aber von der jetzigen Regierung blockier-ten Infrastrukturprojekte endlich an-packen. Unter Infrastrukturen verste-he ich aber auch den Ausbau der di-gitalen Netzwerke und des Bildungs- und Sozialwesens.“ Zingaretti plädiert also für gleiche Chancen für alle und wendet sich gegen die Spaltung in ei-nen Norden, in dem die Wirtschaft ge-fördert wird und einen am Staatstropf hängenden Süden. Er sei nicht prinzi-piell gegen das Bürgereinkommen, so der PD-Vorsitzende weiter, doch allein mit dieser Maßnahme, die keine Arbeit schafft, würde man die Menschen nur vom Staat abhängig machen. „Nach neun Monaten dieser rechtsnationa-len-populistischen Regierung ist die Produktion um 5,5 Prozent zurückge-gangen.“

Doch obwohl Italien in die Rezessi-on abzurutschen droht, klettert die Le-ga in Umfragen ständig nach oben und liegt mittlerweile bei 36 Prozent. Zin-garetti sieht darin das Vertrauen der Italiener, dass die im Wahlkampf abge-gebenen Versprechen eingelöst wer-den. Doch erklärt sich dieser Zuspruch wohl auch mit dem tief im Land ver-wurzelten Wunsch nach dem „starken Mann“, wie Antonio Polito unlängst im „Corriere della Sera“ schrieb.5 Und Salvini liefert auch, zumindest was die Migranten betrifft: Die Zahl derjeni-gen, die nach Italien kommen, ist dras-tisch zurückgegangen. Und obwohl die Fünf-Sterne-Bewegung gerade auf Talfahrt ist, Salvini und Di Maio sich wegen des Baus der Hochgeschwindig-keits-Schienenverbindung (TAV) zwi- schen Lyon und Turin streiten, weiß diese Regierung über 65 Prozent der Italiener auf ihrer Seite.

5 Vgl. Antonio Polito, Le sei tappe dell’Italia gi-alloverde, in: „Corriere della Sera”, 3.3.2019.

Salvini Paroli zu bieten, ist demzufol-ge Zingarettis dritte große Aufgabe.

In der Sendung „Che tempo che fa“

erklärte er: „Wir müssen den Leuten beweisen, dass eine Politik des Feind-bildes und der Hasstiraden weder Ar-beitsplätze noch Wohlstand bringt und auch keine soziale Gerechtigkeit.“ Die-se Rhetorik mag beruhigend und ver-traut klingen, droht aber zu einem Dé-jà-vu zu werden, warnt Susanna Turco in der Wochenzeitung „L’Espresso“

und vergleicht den neuen Parteivorsit-zenden mit einem Autofahrer, der mit

„gezogener Handbremse“ voranzu-kommen gedenkt: „Zingaretti konnte schon immer mit allen, mit den Roten und den Grünen, den Linksliberalen und den Linksradikalen. Deswegen wirbt er für eine inklusive Partei. Nur, wo steht er?“6

Wo steht Zingaretti?

Als erste konkrete Maßnahme hat Zin-garetti nun angekündigt, den Partei-sitz in der zentralen Via del Nazareno in Rom aufgeben zu wollen. Die gut Informierten meinen, dies habe mit dem „Patto del Nazareno“ zu tun, ein Abkommen, bei dem Matteo Renzi und Silvio Berlusconi einst eine informel-le Zusammenarbeit vereinbart haben sollen. Ob es dieses Treffen je gegeben hat und worum es genau ging, weiß je-doch bis heute niemand mit Gewissheit zu sagen.

Doch ist das Rennen mit einem Fassadenputz“ alleine noch lange nicht gewonnen, so treffend Norma Rangeri, Chefredakteurin der linken Tageszei-tung „il manifesto“: „Der größte Feh-ler, den Zingaretti begehen könnte, wäre, die Teilnahme an den Prima-rie als plebiszitäre Unterstützung der Partei zu deuten.“7 Dazu kommt: Über

6 Vgl. Susanna Turco, Zinga, le clarks e il sollie-vo del déjà vu, in: „L’Espresso”, 10.3.2019.

7 Vgl. Norma Rangeri, La retorica del cambi-amento nella continuità, in: „il manifesto”, 4.3.2019.

40 Prozent der dortigen Wähler wa- ren älter als 65 Jahre, während die 15- bis 35jährigen hingegen gerade einmal 15 Prozent stellten.

Salvini als Nutznießer

Angesichts dieser Ausgangslage er-wartet niemand, dass Zingaretti Wun-der vollbringt. Er selbst hat erklärt, er wäre schon froh, wenn der PD bei den Europawahlen vor der Fünf-Sterne-Be-wegung landen würde. Diese ist in den Umfragen mittlerweile auf 21,5 Pro-zent abgesackt. Eine Zusammenarbeit mit der Fünf-Sterne-Bewegung lehnt er aber strikt ab. Sollte es zu einer Re-gierungskrise kommen, würde er für Neuwahlen plädieren.

Die Skepsis vieler Kommentato-ren ist zumindest vorerst berechtigt, schon allein, weil die Enttäuschung über Renzi so groß und schmerzhaft war. Zingaretti ist zwar aus einem ganz anderen Holz geschnitzt, tritt bieder und bodenständig auf, doch eine wirkliche Zukunftsperspekti-ve ist er den Wählern bisher schuldig geblieben. Die aber könnte er schon bald benötigen: Es ist zumindest frag-lich, ob die Regierung nach den Euro-pawahlen weiter im Amt bleibt. Salvi-ni könnte Di Maio durchaus den Lauf-pass geben – und damit auch gleich das Ende der Fünf-Sterne-Bewegung einläuten.

Die Linken unter ihren Wählern könnten sich dann dem erneuerten PD zuwenden. Das Land würde dann zum Zwei-Lager-System zurückkehren.

Dann stünde Nicola Zingarettis Par-tei allerdings einem rechtsnationalen Block gegenüber, in dem nicht län-ger Silvio Berlusconi das Sagen hätte – sondern der Scharfmacher Matteo Salvini.

Überall in Europa steckt die Sozialde-mokratie tief in der Krise. Hoffnungs-träger gibt es wenige, außer vielleicht den mit reichlich Vorschusslorbeeren bedachten Jeremy Corbyn und die wie-der auf Linkskurs gebrachte Labour Party. Doch Corbyn und seine Truppe müssen erst noch zeigen, dass sie Wah-len gewinnen und die Austeritätspoli-tik erfolgreich beenden können. Die portugiesischen Sozialisten hingegen haben das schon längst bewiesen.

Seit Herbst 2015 regieren sie mit ei-nem erklärt linken Programm. Ein En-de En-der Sparpolitik und die Restaurati-on des demolierten Sozialstaats haben sie versprochen – und in den Augen der portugiesischen Wählerschaft auch Wort gehalten. Inzwischen kommt die Partido Socialista (PS) in Umfragen auf 44 Prozent, sogar eine absolute Mehr-heit zusammen mit dem Bloco de Es-querda (Linksblock, BE) scheint bei den kommenden Parlamentswahlen im Oktober möglich. Schon die Kom-munalwahlen im Herbst 2017 und 2018 bescherten der PS historische Wahlsie-ge: Zum ersten Mal stellt sie in gut der Hälfte der Gemeinden und Gemein-deverbände die Bürgermeister. Nach anfänglicher Skepsis und zum Teil er-bittertem Widerstand gegen den Kurs der sozialistischen Regierung hat sich selbst die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF überzeugen lassen: Im ehemaligen Programmland Portugal gibt es Alter-nativen zu der von ihr verkündeten Or-thodoxie des Sparens um jeden Preis.

Der Grund für den Wahlsieg der por-tugiesischen Linken war, dass die Be-völkerung eben diese knallharte Aus-teritätspolitik der konservativen Vor-gängerregierung mehr als satt hatte.

Die PS wurde zwar nur zweitstärkste Partei, landete dann aber einen Über-raschungscoup, mit dem niemand ge-rechnet hatte: Vier eigentlich zerstrit-tene Parteien der portugiesischen Lin-ken, neben PS und BE auch die erzdog-matischen Kommunisten und die klei-nen Grüklei-nen, fanden zusammen. Sie einigten sich auf die Tolerierung einer sozialistischen Minderheitsregierung, die ein in diversen Absprachen festge-legtes Reformprogramm umsetzen soll-te. Das war von gespannten Erwartun-gen begleitet. Denn eine Regierung, die ohne eigene Mehrheit einen Kurs-wechsel gegen Europas dominante Austeritätsideologie versuchen wollte, stellte ein nicht geringes Wagnis dar.1

Wachstum auf zwei Beinen

Diese historische Regierungsbildung gelang auch dank des Geschicks von Premierminister António Costa. Mit ihm hat die portugiesische Sozialdemo-kratie einen Regierungschef, der zuvor schon als Bürgermeister von Lissabon bewiesen hatte, dass er Wahlen ge-winnen und Mehrheiten organisieren kann. Costa begann in Lissabon 2007 mit einer breiten Linkskoalition und einem Wahlergebnis von 30 Prozent.

Sechs Jahre später errang er in der por-tugiesischen Hauptstadt die absolute Mehrheit. Nun versucht er das gleiche Kunststück auf nationaler Ebene.

Und die Bilanz seiner Regierung kann sich sehen lassen. Inzwischen hat Portugal wieder ökonomische Wachstumsraten aufzuweisen, die im

1 Vgl. Steffen Vogel, Portugal: Mit links aus der Krise, in: „Blätter“, 11/2017, S. 15-18.

Michael R. Krätke