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Israel: Der Auftritt der Generäle

Unterstützung jener Kräfte, die in Ne-tanjahu einen vorbildlichen illiberalen Demokraten und Verfechter des Ethno-nationalismus sehen – etwa die mittel- europäische Visegrád-Gruppe, die jed-wede Kritik an der israelischen Besat-zungspolitik durch die EU zu verhin-dern sucht, oder US-Präsident Donald Trump, dessen Entscheidung, die ame-rikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, Netanjahus Ansehen in-nerhalb und außerhalb Israels erheb-lich stärkte.2

Die Politik der Alternativlosigkeiten Allerdings könnte die derzeitige Lage Israels auch gänzlich anders einge-schätzt werden. Der israelisch-palästi-nensische Konflikt schwelt weiter, und Netanjahus Regierungen haben in den vergangenen zehn Jahren keine kon-kreten Pläne für dessen Lösung vorge-legt. Die Wirtschaftsdaten mögen zwar glänzend erscheinen, tatsächlich aber sind die Kosten der selbst auferlegten Austeritäts- sowie einer Steuerpolitik, die vor allem die Wohlhabenden be-günstigt, hoch: Die durchschnittliche Armutsrate nach Steuern und Zuschüs-sen fällt in Israel mit 18 Prozent höher aus als in allen anderen OECD-Län-dern. Geringe Staatsausgaben verhin-dern zudem längst überfällige Investi-tionen in die Umwelt und die Verkehrs- infrastruktur. Zugleich schrumpft die Mittelschicht, der Reichtum konzen- triert sich zunehmend bei einigen Wenigen im Land. Und auch die isra-elische Demokratie musste erhebli-che Einschnitte hinnehmen: Hart er-kämpfte Bürger- und Menschenrechte wurden in den vergangenen Jahren abgebaut; Rechtspopulisten stellen zu-nehmend demokratische Strukturen in Frage und hetzen gegen Minderheiten.

Dass der gesellschaftliche Wider-stand dagegen so gering ist, hängt

2 Vgl. Shibley Telhami, Jerusalem: Was treibt Trump um?, in: „Blätter“, 1/2018, S. 36-38.

nicht zuletzt mit dem gesunkenen Ein- fluss der israelischen Arbeitspartei zusammen. Sie regierte das Land bis 1977 durchgehend. In den vergan-genen gut 40 Jahren wirkte sie je-doch vor allem aus der Opposition heraus. Und ihr politisches Gewicht schwindet weiter: Bei der kommenden Wahl darf sie gerade einmal mit fünf bis acht Prozent der Stimmen rechnen.

Dieser Machtverlust geht auch auf die demographischen Veränderungen innerhalb Israels zurück: Die Arbeits-partei gilt als Repräsentantin der alt-eingesessenen und mitunter wohlha-benden Aschkenasim, den aus Europa stammenden Juden und Jüdinnen. Für jene aus islamisch geprägten Ländern, den Mizrachim, die vor allem in den 1950ern nach Israel einwanderten und etwa die Hälfte der jüdischen Bevölke-rung im Land ausmachen, ist sie jedoch bis heute kaum wählbar. Denn sie gilt als jene Partei, die zwar Gleichheit pre-digte, zugleich aber die Mizrachim be-nachteiligte, mitunter rassistisch dis-kriminierte und beim sozioökonomi-schen Aufstieg behinderte. Auch mit den nachfolgenden Migrationswellen aus der ehemaligen Sowjetunion und Äthiopien in den 1980er und 90er Jah-ren fremdelte die Partei. Vor allem der Likud nutzte dies aus und baute als Pro-testpartei der Mizrachim seine Macht-basis aus.

Das rechte Lager konnte auf diese Weise eine knappe strukturelle Mehr-heit erringen und in den vergange-nen Jahrzehnten zwei große Projek-te durchsetzen: Zum einen hat es die Wirtschaft (neo-)liberal ausgerichtet, ungeachtet etwa der massenhaften So-zialproteste im Jahr 2011. Zum anderen konnte es die Zahl der jüdischen Sied-ler im Westjordanland vervielfachen, so dass ein Rückbau der Siedlungen gunsten eines Palästinenserstaats zu-nehmend unwahrscheinlich wird. In beiden Fällen gab es seitens der Ar-beitspartei nur geringen Widerstand, woraufhin auch die Friedensbewe-gung in sich zusammenbrach, wovon

sie sich bis heute nicht erholt hat. Somit erscheint nicht nur Netanjahus Wirt-schaftskurs derzeit alternativlos, son-dern auch seine Beschwörung, Israel müsse ewig „mit dem Schwert leben“.

Israelischer Ethnonationalismus Um die Mehrheit seines Lagers zu si-chern, instrumentalisiert Netanjahu obendrein reale und imaginierte äu-ßere und innere Feinde Israels. Zu die-sen zählten zunächst die Palästinenser und der Iran sowie die Unterzeichner der Oslo-Verträge, aber auch Jitzchak Rabin und das Friedenslager in Gän-ze. In den vergangenen Jahren gerie-ten zudem zunehmend die Flüchtlin-ge, Medien und die Unabhängigkeit der Gerichte in Netanjahus Visier. Die Feindbildung beförderte einen Rechts-ruck des gesamten politischen Spek-trums. Der Likud ist heute von seiner alten Garde gesäubert, die sich zwar stramm rechts positionierte, zugleich aber den Rechtsstaat achtete. Zudem stellen sich im April erstmals gleich drei rechtsradikale Listen zu Wahl, darunter die offen rassistische Jüdi-sche Stärke, mit der Netanjahu jüngst ein Wahlbündnis einging. Zusammen können diese Listen mit mehr als zehn Prozent der Sitze rechnen.

Ihr Zuspruch verdankt sich auch der Tatsache, dass rabiater Ethnonationa-lismus in Israel längst mehrheitsfähig geworden ist. Kulturministerin Miri Regev etwa bezeichnete Flüchtlin-ge aus Afrika vor gut zwei Jahren als

„Krebsgeschwür im Körper der jüdi-schen Nation“ – und die Mehrheit der Bevölkerung stimmt ihr laut Umfragen zu. Breite Unterstützung erfuhr auch das Nationalstaatsgesetz3, das im Ju-li 2018 von der Knesset verabschiedet wurde und die Gleichberechtigung al-ler Staatsbürger den Rechten der jü-dischen Mehrheitsgesellschaft

unter-3 Vgl. Tsafrir Cohen, Das umstrittene National-staatsgesetz, www.rosalux.org.il, 28.8.2018.

ordnet. Selbst Netanjahus jüngste Un-terstützung für Orbáns antisemitische Kampagne gegen den Investor und Phil- anthropen George Soros fand großen Zuspruch im Lande. Das gilt auch für die gezielten Angriffe auf die Unab-hängigkeit der Justiz durch die amtie-rende Justizministerin Ajelet Schaked, da die israelischen Gerichte der Netan-jahu-Regierung angeblich zu oft Steine in den Weg gelegt hätten.

Zugleich aber beobachtet ein wach-sender Teil der israelischen Bevölke-rung den beschleunigten Abbau der Demokratie mit Unbehagen. Im Vor-feld der Wahl haben sich daher drei Parteien zur Liste Kachol Lawan zu-sammengetan, an deren Spitzen cha-rismatische Persönlichkeiten stehen, die gemeinsam Netanjahu die Stirn bieten wollen. Unter ihnen der TV-Mo-derator Jair Lapid sowie gleich drei ehemalige Generalstabschefs der is-raelischen Armee: Benny Gantz, Mo-sche „Bogie“ Jaalon und Gabi Asch-kenasi. Ihr gemeinsames Wahlpro-gramm wurde erkennbar mit heißer Nadel gestrickt: Darin findet sich kein Wort zur Zweistaatenlösung, stattdes-sen aber die Zusage, sich nicht aus dem Jordantal und Ostjerusalem zurückzu-ziehen, was de facto eine Absage an ei-nen lebensfähigen Palästiei-nenserstaat darstellt. Auch die gegenwärtige Wirt-schaftspolitik wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Stattdessen sollen die Korruption bekämpft und der Rechts-staat sowie die Meinungsfreiheit ge-stärkt werden.

Jüngsten Umfragen zufolge könn-te das blau-weiße Bündnis Netanjahus Likud in der Knesset mit 35 zu 29 Sit-zen überrunden. Insbesondere Gantz, aber auch die anderen beiden ehe-maligen Generalstabschefs genießen enorme Popularität in Israel, wo die Er-nennungszeremonie der oberen Mili-tärs auf allen Kanälen live übertragen wird. Und in der Vergangenheit wa-ren es ebenfalls ehemalige General- stabschefs wie Jitzchak Rabin und Ehud Barak von der Arbeitspartei, die

gegen den Likud und seine Kandidaten Wahlen gewannen.

Die Linke im Schatten

Derweil führt die israelische Linke wei-terhin ein Nischendasein. „Links“ gilt landesweit geradezu als Schimpfwort.

Die Meretz-Partei, die nach wie vor für einen Kompromiss mit den Palästi- nensern, soziale Gerechtigkeit und eine progressive Geschlechter-, Verkehrs- und Umweltpolitik steht, muss um den Wiedereinzug in die Knesset bangen.

Sie ist zur Partei des schwindenden eu- ropäischstämmigen Bildungsbürger-tums geworden. Die Kandidatenliste von Meretz ist ein Kompromiss zwi-schen der Pflege angestammter links-liberaler Wählerschichten, etwa in den Kibbuzim oder im wohlhabenden Nor- den Tel Avivs, und dem Bestreben, brei- tere Schichten anzusprechen. Daher finden sich auf den vorderen Listenplät-zen auch zwei Palästinenser sowie eine aus Äthiopien stammende Aktivistin.

Noch dramatischer sieht es für die Ge-meinsame Liste aus, das vielleicht span- nendste politische Projekt der vergan-genen Legislaturperiode. Sie ist ein Zu-sammenschluss von vier unterschied-lichen Parteien, die die Interessen der palästinensischen Minderheit in Israel vertreten, die etwa 20 Prozent der is-raelischen Bevölkerung ausmacht. Die Liste vertritt sehr unterschiedliche po-litische Positionen, von sozialistischen über liberale bis zu islamisch-konser-vativen. Mit 13 Abgeordneten bildet sie bislang die drittgrößte Knessetfrak-tion. Unter ihren Abgeordneten gab es Muslime, Christen, Drusen, Beduinen sowie einen jüdischen Sozialisten. Vor allem die sozialistische Chadasch sorg-te innerhalb des Bündnisses dafür, dass die Gemeinsame Liste für ein Ende der israelischen Besatzung und mehr sozi-ale Gerechtigkeit eintrat.

Allerdings kann die Liste kaum poli-tische Erfolge vorweisen, da sie durch-gehend aus dem politischen Spiel

aus-geschlossen wurde. Hinzu gesellten sich personelle Querelen, vor allem der Führungsanspruch des Politikers Ah-mad Tibi, was schließlich zu ihrer Spal- tung führte. Im April stehen daher vier Parteien in zwei getrennten Listen zur Wahl, die obendrein programma-tisch völlig willkürlich zusammenge-setzt sind, was ihre Erfolgschancen er-heblich mindert. Somit werden am 9. Ap- ril wohl das Wahlbündnis aus Likud und Jüdische Stärke auf der einen und die Liste Kachol Lawan auf der ande-ren Seite das Rennen unter sich ausma-chen. Gewinnt das rechtsnationalisti- sche Lager die Wahlen, so wird die jet-zige Politik fortgeführt oder intensiviert – zumal Netanjahu wegen der Anklagen gegen ihn und des voraussichtlichen Erstarkens seiner rechtsradikalen Koa- litionäre erpressbar sein wird, etwa mit Blick auf die Annexion weiterer Teile der Westbank. Ob er die kommende Legislaturperiode in Gänze übersteht, hängt indes auch von der Justiz ab. Es ist zumindest zweifelhaft, dass „Bibi“

eine Mehrheit für ein von ihm bereits seit langem geplantes Gesetz zusam-menbekommt, das amtierenden Pre-mierministern Immunität garantiert.

Verliert das rechte Lager hingegen seine Mehrheit, kommt damit nicht automatisch Kachol Lawan an die Re-gierung. Denn sie will weder mit dem Likud unter Netanjahu noch mit ara-bischen Parteien koalieren. Entspre-chend schwierig würde sich die Regie-rungsbildung unter Beteiligung von Parteien aus dem derzeitigen Regie-rungslager gestalten. Immerhin könn-te eine Regierungsbekönn-teiligung von Kachol Lawan den fortschreitenden Abbau der Demokratie aufhalten, die weitere Besiedlung der Westbank ver-langsamen und die kriegerische Rhe-torik gegen den Iran abschwächen. Die rechte Hegemonie im Lande bleibt so-mit aller Voraussicht nach bestehen und eine neue Friedensinitiative oder die Durchsetzung einer gerechteren Wirtschaftsordnung Aufgabe künftiger Generationen.

Geht es nach US-Präsident Donald Trump, ist der Syrienkrieg zu Ende:

Der IS sei „zu 100 Prozent“ besiegt, das Land nach mehr als sieben Kriegs-jahren endlich stabilisiert. Es sei al-so höchste Zeit, die amerikanischen Truppen heimzuholen, so Trump.

Doch wie so oft, wenn der US-Präsi-dent spricht, ist das Gegenteil richtig:

Tatsächlich ist der Konflikt alles an-dere als beigelegt, vielmehr destabi-lisiert der angekündigte US-Rückzug das Land und die gesamte Region be-drohlich weiter. Gerade in geopoliti-scher Hinsicht spielt Syrien im Nahen und Mittleren Osten eine zentrale Rol-le. Entsprechend groß sind nach wie vor die jeweiligen Interessen der regio- nalen Mächte und ihrer Verbündeten.

Und obwohl diese Syriens territori-ale Einheit bisher nicht in Frage stel-len, versuchen sie insbesondere in den Grenzregionen aktiv Einfluss auszu-üben – auch durch den Einsatz militä-rischer Mittel. Wer dabei am Ende ge-winnt, ist derzeit noch völlig offen. Fest steht indes: Was auch immer die inter-nationalen Mächte und insbesonde-re die Nachbarstaaten Syriens sich je-weils erhoffen – Baschar al-Assad hat über die vergangenen Jahre stets ver-mocht, verschiedenste Akteure gegen-einander auszuspielen, ganz gleich, ob diese Freund oder Feind des Regimes gewesen sind.

Der Pakt mit dem Teufel

Am schwierigsten gestaltet sich die Lage derzeit für die syrischen Kurden.

Ohne Unterstützung der Amerikaner – gerade einmal 200 der zuvor rund 2000 US-Soldaten sollen vorerst in Syrien

verbleiben – können die von ihnen do-minierten „Syrian Democratic Forces“

(SDF), die derzeit die Gebiete östlich des Euphrats kontrollieren, ihre Stel-lung nicht aufrechterhalten. Bereits im Dezember kündigten sie daher an, Verhandlungen mit dem Assad-Regi-me aufzunehAssad-Regi-men, wohl wissend, dass sie damit einen Pakt mit dem Teufel eingehen.

Die in Syrien lebenden Kurden wur-den stets diskriminiert, außer sie er-wiesen sich dem Regime als nützlich, etwa, um die Türkei unter Druck zu set-zen. So stieg der Wert der syrisch-kur-dischen Partei PYD (Partei der De-mokratischen Union) für das Assad- Regime in dem Moment schlagartig an, als die türkische Regierung im Jahr 2011 erstmals offen den Rücktritt Baschar al-Assads forderte.

Während des Kriegs in Syrien blie-ben die überwiegend kurdischen Städ-te Hassakeh und Qamishli weiStäd-test- weitest-gehend von Kriegshandlungen ver-schont; gleiches gilt für die Provinz Af-rin bis zum türkischen Einmarsch. In-dem das syrische Regime der PYD dort die Kontrolle überließ, konnte es sich auf die Niederschlagung der Aufstän-de in anAufstän-deren LanAufstän-desteilen konzen-trieren. Diesen Freiraum nutzte die PYD, um Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen. Die Kurden formulierten eine neue Verfassung, ernannten ein Schattenkabinett und beriefen hand-verlesene Lokalvertreter.1 Gleichzei-tig versuchten sie, ihre Beziehungen zu international einflussreichen Akteuren zu stärken, insbesondere als innersyri-scher Partner der internationalen

Koa-1 Zur kurdischen „Verfassung” vgl.: „Social Con-tract of the Democratic Forces of Rojava”, www.

internationalistcommune.com, 29.12.2016.

Bente Scheller