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Afghanistans vergessene Frauen

Von Anne-Marie Slaughter und Ashley Jackson

ihrer Kontrolle stehenden Gebiete zu schicken. Zugleich sind die Zahl jener Mädchen, die eine Schule besuchen, wird der rechtliche Schutz für Frauen zurückgenommen und im öffentlichen Leben sind sie zunehmend Belästigun-gen und Gewalt ausgesetzt. Sich dieser Probleme anzunehmen, ist nicht nur für afghanische Frauen von entscheidender Bedeutung, sondern auch für deren Kin-der, Familien und für das ganze Land.

Die beste Möglichkeit sicherzustel-len, dass die Interessen der Frauen bei den Friedensgesprächen berücksichtigt werden, besteht darin, sie gleichberech-tigt an den Verhandlungen sowie bei der Umsetzung eines Friedensprozesses teilnehmen zu lassen. Obwohl die meis-ten Außenpolitik-Expermeis-ten diesen Vor-schlag als überflüssig oder sogar absurd abtun, ist die Einbeziehung der Frauen nicht nur eine Frage des Prinzips, son-dern auch der Wirksamkeit möglicher Abkommen. Friedensprozesse, an de-nen Frauen beteiligt sind, scheitern im Schnitt viel seltener und die Wahr-scheinlichkeit, dass ein derart erzieltes Abkommen hält, ist viel höher.

Manche argumentieren möglicher-weise, dass die Taliban niemals mit af-ghanischen Frauen verhandeln würden.

Das haben sie allerdings bereits einmal getan: Im Jahr 2015 traf eine Gruppe af-ghanischer Frauen – allesamt hochran-gige Regierungsvertreterinnen und Ak-tivistinnen – mit Vertretern der Taliban in Oslo zusammen.

Die Taliban forderten und initiierten das Treffen ausdrücklich und sagten im Anschluss, dass sie eigens daran teilge-nommen hätten, um Bedenken hinsicht-lich ihrer Politik auszuräumen. Laut Shukria Barakzai, der afghanischen Botschafterin in Norwegen, die an die-sem Dialog teilnahm und während der Herrschaft der Taliban eine Mädchen-schule im Untergrund betrieb, hatten die Frauen dabei keine Bedenken, die Taliban für die Behandlung der Frauen in der Vergangenheit zur Verantwor-tung zu ziehen. „Die meisten Menschen würden gar nicht glauben, wie strikt

wir mit den Taliban umgingen“, meint Barakzai. „Doch sie hörten geduldig zu und respektierten unsere Aussagen.

Und es war klar, dass wir es nicht mit den gleichen Taliban zu tun hatten wie in den 1990er Jahren.“

Seit diesem Treffen vor vier Jahren wurde allerdings wenig unternommen, um den Dialog zwischen den afghani-schen Frauen und den Taliban zu för-dern. Westliche Regierungen mögen zwar öffentlich die Bedeutung von Frau-enrechten betonen, aber sie haben ent-setzlich wenig getan, um ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Insbeson-dere die Trump-Administration schenkt derartigen Anliegen kein Gehör, da Trump selbst an Frauenrechten in den USA wenig interessiert ist, von Afgha-nistan ganz zu schweigen.

Die internationale Gemeinschaft muss sich daher einschalten. Im Rah-men der aktuellen Nato-Mission haben 39 Länder Bodentruppen nach Afgha-nistan entsandt und viele weitere stel-len substanzielle Hilfe zur Verfügung.

Diese Länder sollten ihren Einfluss nut-zen, um sicherzustellen, dass Frauen am Verhandlungstisch sitzen, dass ihre Themen auf der Tagesordnung stehen und ihre Rechte in Abkommen gewahrt bleiben. Überdies sollten die Länder ihre Ausgaben für Hilfeleistungen in maßgeblichen Bereichen wie Frauenge-sundheit und Bildung erhöhen.

Jede Friedensvereinbarung mit den Taliban wird wohl unangenehme Kom-promisse enthalten. Aber ein Abkom-men, in dem Garantien für den Umgang mit der Hälfte der Bevölkerung fehlen, ist nichts wert. Und die Wahrscheinlich-keit, dass eine Friedensvereinbarung hält, ist viel geringer, wenn sie nicht auch von Frauen verhandelt wurde.

Frauenrechte – ob in Afghanistan oder anderswo – sind keine außenpolitische

„Zugabe“. Sie sind für jede ernsthafte Anstrengung zur Konfliktlösung von entscheidender Bedeutung.

Copyright: Project Syndicate, Übersetzung: Helga Klinger-Groier

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»Man sollte nie aufhören, die Welt seltsam zu finden.«

– Gero von Randow

D

as vielleicht wirkmächtigste Merkmal der Moderne war, dass sie von einer imaginierten Zukunft getrieben war: Die Gesellschaft würde sukzessive bessere Lebensbedingungen für alle ihre Bewohnerinnen und Bewohner bereithalten. Und diese besseren Bedingungen würden sich in individuelle Lebenspläne, berufliche Aufstiege, Ehe- und Kinderwünsche übersetzen lassen: Wenn ich mich qualifiziere, kann ich aufsteigen; meine Kinder und Enkel werden einmal besser leben, als ich es konnte. Diese Zukünftigkeit nahm, je nach technischer Entwicklung und gesellschaftspoli-tischem Fortschritt, unterschiedliche Gestalt an – die westliche Nachkriegs-epoche versprach Zukunft durch dynamische Technikentwicklung einerseits und soziale Marktwirtschaft andererseits und löste sie durch Mondlandung, Mitbestimmung und Öffnung des Bildungssystems ein, unter anderem. Sol-che Zukünftigkeit war erlebbar, ein Element realer Erfahrung und Hoffnung, eine soziale Produktivkraft. Das Morgen, das war der Sound jener Epoche, würde jedenfalls besser sein als das Heute. Und es war erreichbar.

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In der Diktatur der Gegenwart treten Bürgerinnen und Bürger fast aus-schließlich nur noch in der Verbraucherrolle auf und beanspruchen Lieferung – von Produkten, Dienstleistungen, Informationen und Politikangeboten. In Echtzeit, same day delivery. Wie verzogene Kinder bekommen sie sie auch.

Zweitens hat die Digitalwirtschaft den Mangel an Zukünftigkeit kaschiert und ist wie der Igel im Märchen immer schon da, wo die Zukunft mit Namen Hase hinhetzt. Sie ersetzt, was unbestimmte Möglichkeit hätte sein können,