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Straßenschule und Straßenpädagogik ist eine Entwicklung, die sich aus der zielorientierten aufsuchen-den Jugendsozialarbeit ergibt. Seit Entwicklung des Konzeptes gab es bereits Interessent*innen für die Beschulung im sozialpädagogischen Kontext, da hier individuell, subjektorientiert - außerhalb des Schulsystems – im niedrigschwelligen Kontaktladen der Straßensozialarbeit - Fachlernen verbunden wird mit eigenen Lebenserfahrungen und Zukunftsperspektiven. Gerade dieser Fokus auf Ausbil-dungs- und Arbeitsweltbezug, verbunden mit der Gestaltung von partizipativer Mitarbeit erhöht den Leistungs- und Lernwillen. Die Lernphasen wiederum werden mit Lebensberatung, Zieldefinitionen und Zukunftsgestaltung begleitet.

Im Besonderen seit 2014, seit die Straßenschule als KLuB (Kompetenzen Leben und Bilden) in eige-nen Räumen eröffnet wurde, wachsen die Anfragen interessierter junger Menschen nach einem

frei-en Teilnehmerplatz kontinuierlich. Resultierfrei-end aus der starkfrei-en Nachfrage wurde die Platzkapazität von 2014 bis 2017 verdreifacht. Auf einer Warteliste wurden zudem potentielle Teilnehmende erfasst, welche als Nachrücker*innen auf einen Platz warteten.

Die Straßenschule Dresden ist im Sinne des § 13 SGB VIII und im Besonderen der Absätze 1 und sozi-alpädagogische Unterstützung. Die Ansätze und Methoden der Straßenpädagogik und Kompetenzförde-rung, sorgen für Integration und fördern somit den Prozesse die zur Überwindung sozialer Benachteili-gung bzw. individueller BeeinträchtiBenachteili-gungen junger Menschen notwendig sind.

(1) Jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individu-eller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sollen im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbil-dung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.

(2) Soweit die Ausbildung dieser jungen Menschen nicht durch Maßnahmen und Programme anderer Träger und Organisationen sichergestellt wird, können geeignete sozialpädagogisch begleitete Ausbil-dungs- und Beschäftigungsmaßnahmen angeboten werden, die den Fähigkeiten und dem Entwick-lungsstand dieser jungen Menschen Rechnung tragen.

(...)

(4) Die Angebote sollen mit den Maßnahmen der Schulverwaltung, der Bundesagentur für Arbeit, der Träger betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung sowie der Träger von Beschäftigungsangebo-ten abgestimmt werden.

Hiermit ergibt sich eine sinnvolle Zuordnung zur Leistungsart der Arbeitsweltbezogenen Jugendsozial-arbeit (kurz: AJS).

2.1. Allgemeine Bedarfsanalyse

Nach den Ergebnissen der Vodafone Studie 2015 sind ca. 20.000 junge Leute in Deutschland "Entkop-pelt vom System". Sie fallen nicht nur aus Schule und Ausbildung, sondern auch aus sozialen Einrich-tungen komplett heraus und laufen Gefahr einer dauerhaften Obdachlosigkeit und Drogensucht. Sie übernachten bei Freunden, sog. „Sofa-Hopper“ (vgl. DJI 2015). Eine weitere Studie des DJI fasst den Begriff der Straßenjugendlichen, der erstmals mit einer Anzahl von 2.000 bis 29.000 Betroffenen an-gegeben wird. Diese zahlenmäßigen Unterschiede entstehen, weil unterschiedliche Kriterien zur Be-stimmung von Gruppen verwandt werden, mangelnde Statistik und Dunkelziffer. Die Schätzungen be-ziehen sich auf Hochrechnungen und erfassen eine Gesamtanzahl von 37.000 Straßenjugendlichen und Gefährdeten bis einschließlich 26 Jahre. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosen-hilfe schätzt die Anzahl der minderjährig wohnungslosen Jugendlichen auf 32.000, das sind 8% der sich in Wohnungsnot befindenden Menschen. In der DJI Studie 2017 werden vor allem die hohen Zah-len der 18 bis 20jährigen und 21 bis 24jährigen jungen Volljährigen und jungen Erwachsenen deut-lich. Hieraus ergibt sich in diesem Alter des Selbständig-Werdens ein hoher niedrigschwelliger Bera-tungs- und Begleitungsbedarf. In dieser Altersgruppe nimmt die Beratung junger Volljähriger durch das Job-Center eine zentrale Rolle ein. Erzieherische und somit Aspekte der Jugendhilfe verschwinden hin-ter den Anforderungen des „Fordern und Förderns“. Junge Menschen werden durch die Anforderungen und kürzeren Beratungs- und Zuwendungszeiten überfordert. Pflichtverletzungen führen zu Leistungs-einschränkungen bzw. zum Wegfall der Leistung und führen somit in die Perspektiv- und Wohnungslo-sigkeit (vgl. DJI 2017, S. 27). In Dresden wird seit 1999 von etwa 400 bis 800 „junger Menschen in besonderen Lebenslagen“ gesprochen (vgl. AG), eine statistische Erhebung mit klarer Definition liegt nicht vor.

Ähnliche Dunkelziffern erhalten wir, wenn wir uns dem Thema Schul-Abbrecher*innen bzw. -Ver-weiger*innen zuwenden. Ergebnisse der Bertelsmann Studie von 2014 belegen - insbesondere für Sachsen – einen großen präventiven und fördernden Handlungsbedarf. So liegt die Zahl von Schüler*innen, die die Schule abbrechen hier im deutschlandweiten Vergleich besonders hoch. Der An-teil der Schulabbrecher*innen betrug laut Studie 9,1 Prozent und lag damit 3 Punkte über dem Schnitt (vgl. Bertelsmanstudie „Chancenspiegel 2014“ 2014)

Auch in Dresden leben Jugendliche und junge Erwachsene ohne festen Wohnsitz. Genaue Zahlen gibt es nicht. Einige suchen u.a. die Anlaufstellen der THD auf. Dort wurde ihr besonderer Bildungsbedarf festgestellt, der über die zur Verfügung stehenden Angebote der Mobilen Jugendarbeit und Streetwork hinaus geht. (Junge) Menschen in besonderen Lebenslagen werden als benachteiligt, defizitbelastet und schwer erreichbar wahrgenommen und beschrieben. Diese Zuschreibung spitzt das Risiko sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung weiter zu.

2.2. Straßenschule ist Soziale Arbeit und mehr als Bildung

Die Straßenschule ist ein straßenpädagogisches Bildungsprojekt zur Förderung vor allem der sozia-len, schulischen und beruflichen bzw. zukunftsorientierten Entwicklung (vgl. § 13 SGB VIII) mit dem Fokus auf außerschulische, also sozial-pädagogische Bildung, Projektarbeit und Unterstützung.

Der straßenpädagogische Arbeitsansatz folgt den Ausführungen Paulo Freires. Bewusstseinsbildung, entsteht durch Demokratie-lernen im dialogischen Prinzip mit Aufklärung und Kompetenzerwerb.

Durch die Begleitung in und mit der Lebenswelt und Lebensrealität der (jungen) Menschen gelingt (Selbst-) Bewusstseinsbildung. Chancengleichheit wird erst durch besondere Schulformen hergestellt, die subjektorienitert fokussieren.

Wir integrieren systemische Haltung, suchen Lösungen und gestalten so Zukunftsperspektiven. Durch (Gruppen-)Lernen wird Kompetenzerwerb möglich. Gegenüber didaktischer Schulpädagogik bezieht sich Straßenpädagogik einerseits auf die aktuellen Lebenslagen und arbeitet mit den Erfahrungen und Ressourcen der Lernenden und deren Umfeld. (Junge) Menschen in schwierigen Lebenslagen haben (Über-) Lebenskompetenzen. Junge Menschen befinden sich in Entwicklungsphasen. Somit wird - nach Chelestin Freinet – Spieltrieb und Lernwille als natürliche Gabe des Kindes vorausgesetzt. Auch wenn Handlungen als illegitim, auffallend oder als besonders – gegenüber normierten Werten - wahrgenom-men und als solche bewertet werden, konzentrieren wir uns auf Zukunft, nicht auf Vergangenheit, beto-nen Stärken, anstatt Defizite. Lösungen und alternative Handlungskonzepte werden vermittelt.

Straßenpädagogik nutzt kommunikative, animative1 und somit vitalisierende Didaktik. Sie ist ziel-und themenorientierte Sozialpädagogik in der Gruppen- ziel-und Einzelarbeit. Sie arbeitet mit dem dialo-gischen Prinzip (vgl. Buber oder Freire). Sie ist Arbeits- und Anschauungspädagogik2. Die Verwen-dung partizipierender und aktivierender Methoden fördert selbstregulierende Lernprozesse und Kompetenzgewinnung. Soziale Kompetenzen und Teamarbeit werden erlernt und trainiert.

Rück1 Didaktik ist einerseits die Lehre vom Lehren und Lernen; Unterrichten; Theorie der Bildungsinhalte, Methode des Unter richtens (vgl. Duden); In diesem Sinne ist Sozialpädagogik animative, vitalisierende und kommunikative Didaktik, als Leh -re der Gestaltung von Lern- bzw. Entwicklungsprozessen, Motivations-, Betätigungs- bzw. Kommunikationsleh-re (vgl.

Geub 1980).

2 Vgl. Ausführungen von Pestalozzi u.a. Reformpädagogen, die Einfluss auf die moderne Entwicklung einerseits der didak-tischen Pädagogik und somit auf die Entwicklung und Erweiterung der Sozialpädagogik nehmen. Bspw. beeinflussen Jean Jacques Rousseau, John Dewey oder Kurt Hahn Erlebnis-, Abenteuerpädagogik, Gruppenpädagogik und Gemeinwesenar-beit oder Alice Salomon emanzipiert Soziale ArGemeinwesenar-beit, vom helfenden Frauenberuf zur eigenständigen Profession und Diszi-plin (vgl. Tenorth, Koch).

schritte sind Lernmöglichkeiten und somit Ressourcen (vgl. Miller/Rollnik). Besondere Bedeutung hat Paulo Freier. Seine Befreiungspädagogik beschreibt eine aufsuchende Pädagogik, die in der Le-benswelt der Menschen Bildungsporzesse organisiert und somit in Verbindung mit Aufklärung, Be-wusstseinsbildung und Bewsstwerden von sog. Unterdrückungs- bzw. Benachteiligungsstrukturen ver-deutlicht. Lernen bedeutet somit vor allem auch gesellschaftliches und gemeinschaftliches, also sozia-les Lernen. Das Ziel ist Chancengleichheit und Inklusion die zur „Befreiung“ des Menschen beiträgt (vgl. Freire).

Von Bedeutung ist die Kompetenzgewinnung. Fertigkeiten und Fähigkeiten werden erkannt, neu kon-struiert, erlernt und somit Stärken, Interessen, Neigungen und letztendlich Zukunftsvisionen offen ge-legt und somit Ziele gemeinsam entdeckt bzw. erarbeitet und verstärkt.

Abbildung 1: Graffiti SchaufenstergestaltungDie Kunst des Schreibens bzw. sozialpädagogische Team- und Gruppenarbeit (Kompetenz-Werkstatt)