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Einige Stimmen zur Mathematik und zum Lehren und Lernen von Mathematik

als fachliches Grundkonzept

4.1 Einige Stimmen zur Mathematik und zum Lehren und Lernen von Mathematik

(1) Schauplatz Elternhaus: Brief eines Vaters an eine Lehrerin (Namen geändert)

Betreff: Nichtrechnen einer Matheaufgabe durch Julia Sehr geehrte Frau Bachmann,

heute hatte Julia mit ihrer Hausaufgabe ein kleines Problem. Die letzte der insgesamt 5 Aufgaben über Zahlenmauern machte ihr Schwierigkeiten. Aus Jux habe ich mich dann selbst an die Lösung gemacht und festgestellt, dass der Sachverhalt auf ein Gleichungssystem von 6 Gleichungen mit sechs Unbekannten führt. Das Gleichungs-system insgesamt ist zwar linear unabhängig, lässt sich also lösen (s. Anlage), aber nur die erste der Gleichungen ist separierbar und so durch einfaches Umstellen lös-bar. Da Ausprobieren anhand der möglichen Kombinationen selbst bei vollständig systematischem Vorgehen, was ich von meiner Tochter nicht verlangen wollte, zu einer mehrere Stunden währenden Aufgabe geworden wäre, habe ich ihr die Aufga-be erlassen.

Ich bitte um Ihr Verständnis.

Mit freundlichem Gruß Prof. Dr.-Ing. Jochen Karcher

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Es ging bei dieser Aufgabe darum, die fehlenden Zahlen in der nebenstehenden Zahlenmauer zu bestimmen.

(2) Schauplatz Lehrerzimmer: Bericht einer Lehrerin aus der Erprobung eines neuen Unterrichtswerks

Während der Behandlung des Abschnitts über das Einpluseins ist mir aufgefallen, dass im Buch der Zehnerübergang nicht vorkommt. Ich habe das Buch dann un-serem Rektor gezeigt, wir haben beide genau gesucht und nirgends einen Hinweis auf dieses Verfahren gefunden. Das halten wir für einen gravierenden Fehler. Ich habe mich daher entschlossen, den Zehnerübergang nachzuholen. Das kam aber offensichtlich zu spät, da sich die Kinder schon andere Wege angeeignet hatten und viele nicht mehr bereit waren, nach der Vorschrift des Zehnerübergangs zu rechnen.

Ich muss aber zugeben, dass sie das Einspluseins trotzdem schon recht gut können.

(3) Schauplatz Klassenzimmer: Hospitation im ersten Schuljahr 5 + 1 =

Die Studierenden schauen über die Klasse verteilt den Kindern beim Rechnen von Päckchen zu. Nach Beendigung des Päckchens in (s. oben) zeigt eine Studierende auf die beiden letzten Aufgaben und fragt das neben ihr sitzende Kind: „Wie viel ist denn 13 + 4?“ Das Kind überlegt kurz und sagt: „Das ist auch 17, aber das dürfen wir nicht rechnen.“ Die Studierende fragt weiter: „Und wie viel ist 14 + 13?“ Das Kind überlegt etwas länger und antwortet: „Da kommt 27 raus. Aber das dürfen wir erst recht nicht rechnen.“

(4) Schauplatz Fernsehen: Sendung „Kulturzeit“ in 3sat

Der Moderator interviewt einen Mathematiker, dem gerade der Communica-tor-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft überreicht worden ist, und merkt im Gespräch an:

„Von Mathematik kann man natürlich erst auf den höheren Stufen sprechen. In der Grundschule wird ja nur gerechnet.“

(5) Schauplatz Politik: Politischer Aschermittwoch 2007

Der Redner der FDP zeigt die Doppelseite des Mathematikbuchs „eines Berli-ner Viertklässlers“, auf der zu den Themen „Brot“ und „Milch“ zwei analoge

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Aufgaben gestellt sind (s. unten), liest eine der Aufgaben vor und stellt unter dem Beifall der Zuhörer fest:

„Es geht um Rechnen, Mathematik. Ich weiß nicht, ob das hier die Rechenfähigkeit erhöht oder ob es hier um pure Ideologie geht. Eines zeigt es mir ganz genau: Wir müssen mehr tun für die Bildung in diesem Land.“

(6) Schauplatz Schule: Elternabend

Die Eltern blättern beim Elternabend ein neuartiges Mathematikbuch für ihre Schulanfänger durch. Erstaunter Kommentar eines Elternpaars (beide promovierte Mathematiker):

„Das ist ja richtige Mathematik!“

(7) Schauplatz Freizeit: Tribüne eines Fußballstadions

Ein Zuschauer vertreibt sich vor Beginn eines Bundesligaspiels die Zeit mit dem Lösen von Sudokus. Sein Nachbar, der beobachtet hat, wie schnell die fehlenden Ziffern gefunden werden, spricht ihn an:

„Na, Sie sind ja der geborene Mathematiker!“ Antwort: „Ich Mathematiker? Das wüsst’ ich aber. Nee, das hier is’ nich’ Mathe.“

(8) Schauplatz Wissenschaft: Erfahrungen eines Nobelpreisträgers Gerhard Binnig, Nobelpreis in Physik 1986:

„Kreativität an unseren Schulen? – Meine Behauptung ist, dass wir [an Schulen und Universitäten] Kreativität überhaupt nicht trainieren.

(9) Schauplatz Wirtschaft: Berufliche Bildung

Aus dem Vorwort einer Broschüre des Instituts der deutschen Wirtschaft über

„Kreativität in der beruflichen Bildung“:

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2004 kostete ein Brötchen 40 Ct. Für den Weizenanteil erhielt der Bauer weniger als 2 Ct. Was sagst du dazu?

Der Betrag, den der Bauer für 1 l Milch bekommt, ist seit 20 Jahren immer mehr gesunken. Ein Traktor, der 1980 etwa 35 000 DM gekostet hat, kostete im Jahr 2000 aber etwa 35 000 €. Was sagst du dazu? 2 DM entsprechen ungefähr einem €.

Aufgabe 1:

Aufgabe 2:

Angesichts des schärfer werdenden Wettbewerbs auf nationalen und internationa-len Märkten sind die Wirtschaft und das Bildungswesen Deutschlands herausgefor-dert, ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhalten und weiterzuentwickeln. Damit der Standort Deutschland im globalen Wettbewerb mithalten kann, fordern Politiker und Wirtschaftsvertreter in seltener Einmütigkeit Innovationen in Unternehmen, For-schung und Bildung. Als Voraussetzung für neue, intelligente Produkte und Dienst-leistungen wird die Kreativität angesehen … Die Autoren sind sich darin einig, dass bereits bei der elterlichen Erziehung, in Schule und beruflicher Bildung die Funda-mente für Kreativität gelegt werden.

(10) Schauplatz Familie: Früherziehung Richard Feynman, Nobelpreis für Physik 1965:

Als ich noch sehr klein war und in einem Hochstuhl am Tisch saß, pflegte mein Vater mit mir nach dem Essen ein Spiel zu spielen. Er hatte aus einem Laden in Long Island eine Menge alter rechteckiger Fliesen mitgebracht. Wir stellten sie vertikal auf, eine neben die andere, und ich durfte die erste anstoßen und beobachten, wie die ganze Reihe umfiel. So weit, so gut. Als Nächstes wurde das Spiel verbessert. Die Fliesen hatten verschiedene Farben, Ich musste eine weiße aufstellen, dann zwei blaue, dann eine weiße, zwei blaue, usw. Wenn ich neben zwei blaue eine weitere blaue setzen wollte, insistierte mein Vater auf einer weißen.

Meine Mutter, die eine mitfühlende Frau ist, durchschaute die Hinterhältigkeit meines Vaters und sagte: „Mel, bitte lass den Jungen eine blaue Fliese aufstellen, wenn er es möchte. Er ist ja noch so klein.“ Mein Vater erwiderte: „Nein, ich möchte, dass er auf Muster achtet. Das ist das Einzige, was ich in seinem jungen Alter für seine mathematische Erziehung tun kann. Wenn ich einen Vortrag über die Frage

„Was ist Mathematik?“ halten müsste, hätte ich damit die Antwort schon gegeben:

Mathematik ist die Wissenschaft von den Mustern.“

4.2 Mathematik als Wissenschaft von Mustern