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Allgemeine Kompetenzen im Unterricht

zentraler Bestandteil mathematischer Bildung

3.4 Allgemeine Kompetenzen im Unterricht

Eine zentrale Forderung an guten Mathematikunterricht formulieren die Bil-dungsstandards direkt zu Beginn des Kapitels über die allgemeinen mathema-tischen Kompetenzen: „Allgemeine Kompetenzen zeigen sich in der leben-digen Auseinandersetzung mit Mathematik, und auf gleiche Weise, in der tätigen Auseinandersetzung, werden sie erworben. Die angestrebten Formen der Nutzung von Mathematik müssen daher auch regelmäßig genutzte For-men des Mathematiklernens sein“ (KMK 2005, S. 9). Hier wird ganz deutlich, dass die Förderung allgemeiner Kompetenzen eine systematisch zu

verfol-gende, langfristige Aufgabe des Mathematikunterrichts ist, die durch regelmä-ßige, eigene Aktivitäten der Kinder beständig weiterentwickelt wird. Fünf Punkte, die uns in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen, sollen abschlie-ßend erläutert werden.

Substanzielle Aufgaben: Unabdingbar für die Entwicklung allgemeiner Kompetenzen ist die Verwendung substanzieller Aufgaben. Es gilt, nach dem bewährten Grundsatz „multum, non multa“ zu verfahren: Lieber wenige gute Aufgabenfelder bzw. Lernkontexte ausführlich und über die verschiedenen Schuljahre hinweg mit unterschiedlichen Fragestellungen immer wieder zu behandeln als viele isolierte Aufgaben abarbeiten zu lassen. Substanzielle Aufgaben sind Aufgaben, bei denen sowohl die inhaltsbezogenen als auch die allgemeinen Kompetenzen – auf unterschiedlichen Leistungsniveaus und mit unterschiedlich ausgeprägten Interessensgraden – angesprochen werden.

Beispiele finden Leser in diesem Buch in großer Zahl (vgl. auch Hengartner u. a. 2006). Dabei wird deutlich, dass der Einsatz substanzieller Aufgaben dazu beitragen kann, das Problem der begrenzten Unterrichtszeit trotz stän-dig zunehmender Anforderungen in den Griff zu bekommen, ermöglichen sie es doch, gleichzeitig zu üben und zu entdecken.

Eine Kultur des Erforschens, Entdeckens und Erklärens: Offensichtlich ist, dass dieses umso besser gelingt, je mehr das Entdecken, Erforschen und Erklären und dabei insbesondere auch der soziale Austausch zwischen Leh-rerin und Kindern sowie auch zwischen den Kindern untereinander zu einem natürlichen Bestandteil des Unterrichts geworden ist. Besonderer Beachtung bedürfen dabei etwa die schlüssige und verständliche Einführung der Aufga-benstellung bzw. der Aufgabenvorschrift anhand wirklich repräsentativer Beispiele mit sinnvoll ausgewähltem Zahlenmaterial, das Schaffen von Ziel-transparenz für die Schüler(innen), die Etablierung von Ritualen wie Mathe-konferenzen bzw. gleichermaßen offenen wie zielorientierten Unterrichtsge-sprächen, der geregelte Austausch über (Vor- und Nachteile bestimmter) Sprech- und Schreibweisen oder die Einräumung von angemessen viel Zeit, damit die Schülerinnen und Schüler die Fragestellungen anhand hinreichend vieler selbst bearbeiteter Beispiele sowie durch das Nachdenken über deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede wirklich durchdringen können. Der Lehrperson kommt also die ganz entscheidende Aufgabe zu, die Kinder nach und nach in das Beobachten, Entdecken, Problemlösen, Beschreiben und Be-gründen einzuführen und sie dabei zu unterstützen. Denn bei vielen Kindern ereignen sich diesbezügliche nennenswerte Lernfortschritte nicht unbedingt spontan.

Maßnahmen der Individualisierung: Somit sollte man nicht davon ausge-hen, dass jede substanzielle Aufgabe sämtliche Schüler(innen) „aus der Sache heraus“ anspricht und kontinuierlich motiviert, sich damit zielorientiert und

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trotz ggf. auftauchender Schwierigkeiten auseinanderzusetzten. Kinder sind unterschiedlich – diese Erkenntnis gilt nicht nur für die inhaltsbezogenen, sondern gerade auch für die allgemeinen Kompetenzen. So sind es nicht selten schwächere Schülerinnen und Schüler, die nicht genau wissen, wie sie vorge-hen sollen und infolgedessen verständlicher Weise schlecht mit den sich häu-fenden Frustrationserfahrungen umgehen können. Daher kann es hilfreich sein, durchgängig und für die Kinder transparent zwischen Grundanforde-rungen und weiterführenden AnfordeGrundanforde-rungen zu unterscheiden. Darüber hin-aus macht es z. B. auch Sinn, Tipps für diejenigen Kinder bereitzuhalten, die nach längerem Nachdenken nicht weiterkommen, freilich ohne dabei zu viel vorzugeben.

Kleine Erfolge sehen: Hilfreich ist zudem eine positiv-optimistische Grund-einstellung gegenüber dem Denken und Lernen der Kinder. Denn deren sinn-volle Vorgehensweisen, viel versprechende Denkansätze und erstaunliche Arbeitsergebnisse werden oft nicht erkannt, weil die Lehrperson das Vorge-hen der Schüler(innen) und deren Äußerungen nicht sensibel genug beobach-tet (bzw. dieses in der Hektik des Alltagsgeschäfts nur schwerlich kann) und sie zudem unfertiges oder ihr nicht auf Anhieb verständliches Denken als feh-lerhaft oder defizitär ansieht (vgl. Selter/Spiegel 2003). Es zahlt sich nach unserer Überzeugung für Erwachsene wie für Kinder aus, wenn Erstere auch die kleinen Erfolge und Fortschritte der Lernenden in der Auseinander-setzung mit prozessorientierten Aufgaben sehen und anerkennen, statt von ihnen mit Blick auf Idealzielsetzungen zu schnell zu viel zu verlangen.

Offene Formen der Leistungsfeststellung: Damit sich die allgemeinen Kompetenzen in der Unterrichtspraxis durchsetzen können, ist es erforder-lich, sie auch im Rahmen von Leistungsfeststellungen angemessen zu berück-sichtigen (vgl. Sundermann/Selter 2006). Ähnlich wie im Deutschunterricht das Beurteilen der Texte von Kindern in der Regel aufwändiger ist als die blo-ße Beurteilung der Fertigkeiten im Rechtschreiben, ist die Beurteilung von Aufgaben(teilen), die die allgemeinen Kompetenzen ansprechen, häufig nicht so unkompliziert wie die reine Bewertung des (End)Resultats. Aber Ersteres ist erforderlich und ausgehend von einem Kriterienkatalog auch leistbar, wo-bei man sich der unvermeidlichen Subjektivität der eigenen Wahrnehmungen durchaus bewusst, aber mit positiver Einstellung um individuelle Gerechtig-keit bemüht sein sollte. Die typischen Klassenarbeitsaufgaben und Testitems haben hier angesichts der Reichhaltigkeit von substanziellen Aufgaben und den dadurch möglich werdenden Leistungen von Schülerinnen und Schülern aufgrund ihrer Einschränkungen in der Regel nur eine recht begrenzte Aussa-gekraft.

Schlussbemerkung: Bei aller Wichtigkeit der in diesem Buch explizit erläu-terten inhaltsbezogenen- und allgemeinen Kompetenzen: Der Erfolg von

Un-terricht wird auch daran festgemacht, inwieweit es gelingt, die fachbezogene Lernfreude und Leistungsbereitschaft der Kinder zu erhalten und auszubau-en. Die Entwicklung von Einstellungen und Haltungen gilt als unverzichtbarer Bestandteil mathematischer Bildung, was in den Bildungsstandards (2004, S. 8) an zentraler Stelle deutlich wird und daher abschließend nochmals zitiert werden soll:

„Die allgemeinen mathematischen Kompetenzen sind mit entscheidend für den Auf-bau positiver Einstellungen und Grundhaltungen zum Fach. In einem Mathematik-unterricht, der diese Kompetenzen in den Mittelpunkt des unterrichtlichen Gesche-hens rückt, wird es besser gelingen, die Freude an der Mathematik und die Entdeckerhaltung der Kinder zu fördern und weiter auszubauen.“

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