2 Herausforderung Flächeninanspruchnahme
2.2 Status‐quo der Flächeninanspruchnahme
informatorische und strukturierende Instrumente verknüpft mit dem Ziel, eine aktive, bedarfsorien
tierte, strategische und ressourcenschonende Bodennutzung in einem integrierten Planungsprozess umzusetzen, d.h. entwickelt und eingesetzt werden kommunalspezifische Maßnahmenbündel zum Flächensparen (vgl. Löhr, Wiechmann 2005). Wirkung, Chancen und Grenzen des kommunalen Flä
chenmanagements als Steuerungsansatz, mit dem vorrangig Flächenpotenziale im Bestand aktiviert und in Wert gesetzt werden können, wurden im Rahmen des ExWoSt-Forschungsfeldes „Fläche im Kreis“ untersucht. Abgeleitet wurden Schlussfolgerungen zur Weiterentwicklung des vorhandenen Instrumentariums bzw. seiner Ergänzung durch neue Instrumente (BMVBS/BBR 2008). Strategisches Flächenmanagement und Bodenwirtschaft bilden mittlerweile einen Schwerpunkt kommunaler Pla
nungsansätze. Entsprechend bekennen sich die Mitgliedkommunen des Deutschen Städtetages zu ei
nem nachhaltigen Umgang mit Fläche als einem zunehmend knappen Gut (vgl. Deutscher Städtetag 2014). Ein gemeinsam verabschiedetes Positionspapier bündelt die vorhandenen Erfahrungen mit Instrumenten und Lösungsansätzen des strategischen Flächenmanagements und leitet Handlungs
empfehlungen für die Mitgliedsstädte des Deutschen Städtetages sowie Forderungen an die EU, den Bund und die Länder ab.
2.2 Status-quo der Flächeninanspruchnahme
Die Ausbreitung der Siedlungsflächen in Deutschland schreitet weiter voran. Die Flächeninanspruch
nahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke ist – ungeachtet der flächenpolitischen Ziele und trotz aller bisherigen Bemühungen – weiterhin hoch. Im Vierjahresmittel 2012 bis 2015 wurden täglich rund 66 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen, dies entspricht einem „Flächenver
brauch“ von knapp 100 Fußballfeldern.
Dennoch gibt es Erfolge: Die Wachstumsraten gehen zurück. Betrug der tägliche Flächenverbrauch im Zeitraum von 1997 bis 2000 durchschnittlich noch 129 Hektar, sank er in den Jahren 2011 bis 2014 auf 69 Hektar und in den Jahren 2012 bis 2015 auf 66 Hektar (Statistisches Bundesamt 2016, siehe Abb. 1). Als Indiz für eine Trendwende wird von einigen der deutliche Rückgang des Zuwachses der und Freiflächen gedeutet. Wurden in den Jahren 1993 bis 1996 noch 82 Hektar für Gebäude-und Freiflächen pro Tag neu in Anspruch genommen, sank dieser Wert im Zeitraum 2001 bis 2004 auf 59 Hektar, im Zeitraum 2005 bis 2008 waren es nur noch 33 Hektar pro Tag. Dies führte bereits zu ersten Entwarnungen bzw. zur Erwartung, das Problem der Flächeninanspruchnahme werde sich zu
künftig von selbst lösen.
Aktuelle Entwicklungen verweisen jedoch wieder in Richtung gestiegener Bautätigkeiten, so dass sich der Trend kaum kontinuierlich fortsetzen wird. Zwar liegen noch keine aktuellen Zahlen vor, Trend
aussagen sind aber sehr wohl möglich. So hob der ehemalige Direktor des BBSR, Harald Hermann, in einem Gespräch über die Bautätigkeit in den Ballungsräumen hervor, dass die Baugenehmigungszah
len 2016 wieder ein Niveau erreicht hätten, das demjenigen Ende der 1990er Jahre entspreche. Ange
sichts der Trendwende beim Wohnungsneubau rechne er mit 280.000 bis 290.000 Fertigstellungen.
Dies führe u.a. dazu, dass der Flächenverbrauch steige. Aber auch bei einer Fortschreibung der derzei
tigen Trends der Neuinanspruchnahme von Siedlungs- und Verkehrsflächen wird das 30-Hektar-Ziel im Jahr 2020 nicht erreicht werden. Somit liegt das 30-Hektar-Ziel, das bis zum Jahr 2020 erreicht sein soll, immer noch in weiter Ferne; die vom Bund verabschiedeten flächenpolitischen Ziele werden un
ter den gegebenen Rahmenbedingungen kaum erreicht.
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Abbildung 1: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in ha pro Tag
Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche*
Hektar pro Tag 140
120
100
80
60
40
20
0
20
30 30 minus X
120
80 66
55
25
19 93
19 96
20 00 20 05 20 10 20 15 Ziel
2020* *
Ziel 20 25
Ziel 2030* * Verkehrsfläche
Gebäude- und Freifläche, Betriebsfläche (ohne Abbauland) Trend (gleitender Vierjahresdurchschnitt)
Erholungsfläche, Friedhof Ziele**
Zwischenziele des UBA für 2010, 2015 und 2025
* Die Flächenerhebung beruht auf der Auswertung der Liegenschaftskataster der Länder. Aufgrund von Quelle: Mitteilung des Statistischen Bundesamts vom Umstellungsarbeiten in den Katastern (Umschlüsselung der Nutzungsarten im Zuge der Digitalisierung) 16.01.2017; Werte teilweise aus Statistisches
ist die Darstellung der Flächenzunahme ab 2004 verzerrt. Bundesamt (2016): Fachserie 3 Reihe 5.1. 2015.
** Ziel 2020: "Klimaschutzplan 2050"; Ziele 2030: "30 minus X" Hektar pro Tag: "Deutsche Bodenfläche nach Art der tatsächlichen Nutzung Nachhaltigkeitsstrategie, Neuauflage 2016";
20 Hektar pro Tag: "Integriertes Umweltprogramm 2030"
Quelle: UBA: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/3_abb_anstieg-suv_2017-04-25_0.pdf.
Besonders alarmierend ist, dass sich Bevölkerungsentwicklung und Flächeninanspruchnahme zuneh
mend auseinanderbewegen. Mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung werden für Deutschland bis 2050 ein deutlicher Rückgang der Bevölkerungszahl und eine weitere Alterung der Gesellschaft erwar
tet. Dabei gibt es sogenannte Gewinner- und Verliererregionen. Von Schrumpfung und Alterung wer
den die ländlichen und verstädterten Regionen Ostdeutschlands am stärksten betroffen sein. Nur für einzelne Regionen – vor allem in West- und Süddeutschland – wird von weiterhin steigenden Bevölke
rungszahlen ausgegangen. Dabei finden Suburbanisierung und Re-Urbanisierung gleichzeitig statt und auch Schrumpfung und Wachstum vollziehen sich oftmals kleinräumig nebeneinander. Schon jetzt geht Wachstum eher mit einer geringeren Flächeninanspruchnahme einher, Bevölkerungsrückgang eher mit einer Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsflächen (siehe Abb. 2). Die Siedlungsdichten driften damit immer weiter auseinander. Prognostiziert werden Dichte-Inseln nur noch für Teile West-und Süddeutschlands.
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Abbildung 2: Siedlungs- und Verkehrsfläche je Einwohner
Quelle: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Raumentwicklung/Flaechenpolitik/Projekte/30HektarZiel/30_ha_ziel.html?nn=413088
Die Gründe liegen auf der Hand: In wachsenden Regionen steigt die Nachfrage bei begrenztem Flä
chenangebot. Fläche wird immer kostbarer und wird deshalb effektiver genutzt. In stagnierenden und schrumpfenden Regionen nehmen die Siedlungsdichten tendenziell weiter ab. Grundstückspreise im Umland sind günstig, der Trend zum Einfamilienhaus auf der grünen Wiese ist ungebrochen, von großzügigen Ausweisungen erhofft man sich Wachstumsimpulse. So finden nahezu 70 Prozent der Flächenneuinanspruchnahme außerhalb der verdichteten Regionen statt und davon wiederum 70 Prozent in Gemeinden ohne zentralörtliche Funktion. Die Zunahme der Siedlungsfläche pro Kopf ist nicht in den Städten, sondern in den ländlichen Kreisen besonders hoch (siehe Abb. 3).
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Abbildung 3: Veränderung der Siedlungs- und Verkehrsflächen je Einwohner 2011-2014 nach Kreistypen in %
Quelle: BBSR 2015 (Laufende Stadtbeobachtung)
Damit ist der Flächenverbrauch vor allem dort überproportional hoch, wo die Bevölkerungsdichte gering und die Erreichbarkeit schlecht ist, d.h. in peripheren suburbanen und ländlichen Räumen. Be
rücksichtigt man, dass auch Schrumpfungsprozesse nicht zwingend zu einem Verzicht auf Neuauswei
sungen führen, sondern genau damit Erwartungen an Wachstum verbunden sind, werden diese regio
nalen Unterschiede im Flächenverbrauch weiter zunehmen. Hierauf muss eine Strategie zum Flächen
sparen in besonderem Maße reagieren.
Die aktuellen Zahlen und Trends zur Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr machen Er
folge der flächenpolitischen Strategien sichtbar. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Herausforderun
gen groß bleiben. Erhebliche Wohnungsbedarfe durch Wanderungsgewinne in den Wachstumsregio
nen, Flüchtlingszuwanderung, doppelte Innenentwicklung, Klimaanpassung und Klimaschutz sind einige Stichworte, die umreißen, was in den kommenden Jahren auf die Städte und Gemeinden zu
kommt. Zielkonflikte mit den bodenpolitischen Zielen sind absehbar. Im Augenblick ist vor diesem Hintergrund eher damit zu rechnen, dass die Flächenneuinanspruchnahme wieder steigen wird.