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Stationäre Hilfearrangements: Vollzeitpflege oder Heimunterbringung?

4. Ergebnisse des Kennzahlenvergleichs

4.2 Outputindikatoren

4.2.3. Stationäre Hilfearrangements: Vollzeitpflege oder Heimunterbringung?

Zielsetzung des Bundesgesetzgebers sowie der Jugendämter vor Ort ist es, erzieherische Hilfen+ möglichst passgenau auszugestalten, dabei aber so weit wie möglich das soziale Umfeld der Kinder und Jugendlichen zu erhalten und stationäre Hilfearrangements zu vermeiden (§ 27 SGB VIII). Mit dem Inkrafttreten des SGB VIII wurde die Hoffnung verbunden, dass die Pflegefamilien als vorrangiges Instrument gegenüber einer Heimunterbringung nach §§ 34, 35 oder auch 35a SGB VIII etabliert werden können.

Die fachliche Überlegung ist hier, dass Pflegefamilien Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII die Möglichkeit bieten, in einem familiären Bezugsrahmen aufzuwachsen und positive und verlässliche Beziehungen einzugehen.

Dabei gilt selbstverständlich auch hier, dass die Passgenauigkeit der Hilfeform prioritär ist. Der Abbruch eines Pflegeverhältnisses ist insbesondere für die Pflegekinder als erneute Verlusterfahrung enorm belastend und sollte daher unbedingt vermieden werden. Aus diesem Grund wird der Benchmarkingkreis perspektivisch im Rahmen seiner Outcome-Analyse die Abbruchquoten von Pflegeverhältnissen auswerten. Dies wird weitere Rückschlüsse auf effektive Steuerungsansätze vor Ort ermöglichen.

Anhand der beiden folgenden Indikatoren soll die Frage beleuchtet werden, in welchem Umfang es den Jugendämtern gelingt, junge Menschen alternativ zu einer Heimunterbringung in einer Pflegefamilie zu betreuen.

Wie viele der stationären HzE+-Fälle einer Stadt werden in Form von Vollzeitpflege geleistet ? (KeZa 56)

Zusätzlich gilt es, die Perspektive zu berücksichtigen, wie oft überhaupt stationäre Hilfeformen geleistet werden, denn grundsätzlich gilt die Zielsetzung, stationäre Hilfeformen soweit wie möglich zu vermeiden (KeZa 55). Daher wird in der Grafik KeZa 55 (am Ende dieses Kapitels) abgebildet, welchen Anteil die Fälle mit Leistungen nach

§ 33 SGB VIII und nach § 34 SGB VIII im Hinblick auf die Fallzahl insgesamt ausmachen.

Die folgende Grafik bildet den Anteil der stationären Fälle nach § 33 SGB VIII sowie den Anteil der sonstigen stationären Fälle an allen stationären Fällen (nach §§ 33, 34, 35, 35a, 19, 20, 21, 27.2, 41 SGB VIII) ab.

Definition KeZa 56

Anteil der stationären HzE+-Fälle nach § 33 SGB VIII

und Anteil der sonstigen stationären HzE+-Fälle

an allen stat. HzE+-Fällen (nach

§§ 33, 34, 35, 35a, 19, 20, 21, 27.2., 41 SGB VIII)

Stationäre Fälle sind nach der Definition des Benchmarking-kreises stationär ausgestaltete Hilfesettings nach §§

33,34,35,35a, sowie in einer weniger relevanten Größenordnung stationär gestaltete Leistungsarrangements nach §§ 19, 20, 21, 27.2, 41 SGB VIII.

Das bedeutet, dass die Zahl der Leistungsbezieher nach § 33 SGB VIII (Vollzeitpflege) in Bezug gesetzt wird zu allen stationären Hilfeempfängern, auch zu den Hilfeempfängern nach §§ 35 und 35a SGB VIII, da auch hier grundsätzlich eine Betreuung in Pflegefamilien möglich ist. Dies ist auch deshalb sinnvoll, weil die Gewährungspraxis der Jugendämter bei ähnlicher Problemkonstellation unterschiedlich ist. Was das eine Jugendamt als Hilfe nach § 35a SGB VIII gewährt, wird in einer anderen Stadt als Hilfe nach § 34 SGB VIII bewilligt.

weil es sich bei Inobhutnahmen um eine kurzfristige vorübergehende stationäre Betreuung handelt, die in unterschiedliche Betreuungsarrangements münden kann. Es handelt sich hierbei aber auf Grund der Stichtagszählung um sehr geringe Fallzahlen, die vernachlässigt werden können.

Die Bezugsgröße für die Zahl der Leistungsbezieher nach § 33 SGB VIII beinhaltet auch Leistungen nach § 19 SGB VIII, gemeinsame Wohnformen für Mütter mit ihren Kindern. Auch hier handelt es sich um eher geringe Fallzahlen, zudem gibt es im Einzelfall durchaus die Möglichkeit, auch für diese Klientel Pflegefamilien zu finden, z.B. gibt es Modelle, im Rahmen dessen junge Mütter und ihre Kinder in Familien betreut werden.

Abb. 13: Anteil der stationären HzE+-Fälle mit u. ohne § 33-Fälle an allen stat. HzE+ -Fällen (KeZa 56)

KeZa 56: Prozentanteile der stationären HzE+-Fälle mit und ohne Vollzeitpflege 31.12.

an allen stationären HzE+-Fällen am 31.12.2005

44,4

69,9 62,7

57,9

77,4 82,3

47,0

60,7 55,6

30,1 37,3

42,1

22,6 17,7

53,0

44,2

39,3 55,8

0%

20%

40%

60%

80%

100%

BHV DA KA MA P HRO SI VIE MW

Anteil stationären HE am 31.12. ohne Vollzeitpflege 31.12. Anteil Vollzeitpflege 31.12.

Zunächst zeigt diese Grafik KeZa 56, dass die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII mit einem Anteil von knapp 40 Prozent an allen stationären Fällen nicht vorrangig gewählt wurde, um Kinder und Jugendliche stationär zu betreuen.

Mit In-Kraft-Treten des SGB VIII wurden große Erwartungen in den Ausbau der Vollzeitpflege als Familien ersetzende Hilfe gesetzt. Dahinter stand und steht die oben bereits benannte fachliche Vorstellung, dass das Leben in einer Familie für Kinder und Jugendliche die bestmögliche Form einer unvermeidbaren Fremdunterbringung ist. Die Erwartungen, dass das Instrument der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII gegenüber der Heimunterbringung nach §§ 34, 35, 35a SGB VIII vorrangig wird, erfüllen sich jedoch bundesweit nicht nur in diesem Benchmarkingkreis kaum.

Siegen, Bremerhaven und Viersen allerdings ist es im Berichtsjahr gelungen, mehr stationäre Fälle in Pflegefamilien als in Heimen zu betreuen.

In Siegen handelt es sich in zahlreichen Fällen um bereits lang andauernde Hilfen, die Kinder und Jugendliche haben in der Pflegefamilie ihren neuen Lebensmittelpunkt gefunden.

Siegen berichtet von einer rückläufigen Tendenz bei der Vermittlung in Pflegefamilien, die im Wesentlichen auf die Praxis der Familiengerichte zurückgeführt wird. Gerichtliche Entscheidungen gem. § 1666 BGB sind langwierig und schaffen nach den Erfahrungen der Stadt

während des laufenden Verfahrens häufig keine Klarheit hinsichtlich der Lebensperspektive für die Kinder.

Um die Rückkehroption in die Herkunftsfamilie nicht zu verbauen, beschließen Familiengerichte intensive Besuchskontakte zu den leiblichen Eltern, was häufig zu einer für Pflegefamilien als schwierig empfundenen Belastung führt. Dies führt dazu, dass die Jugendämter in derartigen Fällen die Kinder in Heimen oder Kleinstgruppen unterbringen und nicht auf Pflegefamilien zurückgreifen können.

Viersen kann gleichzeitig darauf verweisen, weniger als die Hälfte aller HzE+-Fälle stationär betreut zu haben (vgl. KeZa 55). Es ist hier also gelungen, vergleichsweise wenige stationäre Leistungen zu erbringen und gleichzeitig für einen hohen Anteil der stationären Fälle eine Pflegefamilie zu finden.

Ein Erklärungsfaktor für die erfolgreiche Akquirierung und Betreuung von Pflegefamilien in Viersen ist, dass die Stadt sich darum bemüht, in der Regel auch Familien im Rahmen einer erzieherischen Hilfe+ zu unterstützen, die mit ihnen verwandte Kinder und Jugendliche betreuen.

Darin zeigt sich eine spezifische konzeptionelle Herangehensweise der Stadt. Ausgangspunkt ist die Einschätzung, dass Verwandte als Bezugspersonen im Rahmen einer Vollzeitpflege nach

§ 33 SGB VIII von einer Unterstützung des Jugendamtes profitieren und sie auch benötigen, da die Situation in den Familien oft auf Grund der besonderen Dynamik in der Familie kompliziert und krisenanfällig sein können.

Erfolgskritische Prozessfaktoren im Pflegekinderwesen

Grundphilosophie: Heim ist keine Lebensform auf Dauer – für alle Kinder und Jugendlichen!

Verbindlichkeitsgrad der Einbindung des PKD

Externe Überprüfung der Heimunterbringung auf Notwendigkeit

Intensive Betreuung von Verwandtenpflegestellen Näheres s. im Kapitel 6 Qualitatives Benchmarking.

Interessant im Austausch der Benchmarkingstädte war, dass die Einschätzung, wie die Verwandten von Pflegekindern auf eine Intervention des Jugendamtes reagieren, sehr unterschiedlich ist. So wurde in Viersen die Erfahrung gemacht, dass die Bezugspersonen das Jugendamt als Unterstützung wahrgenommen und diese positiv aufgenommen haben.

In anderen Städten wiederum herrscht eher die Einschätzung, Verwandte würden das Agieren des Jugendamtes sehr viel stärker als andere Pflegeeltern als unangemessene Einmischung in Familienangelegenheiten verstehen.

Ebenfalls auffallend positive Ergebnisse im Pflegekinderwesen weisen wie gesagt Bremerhaven und Siegen auf, beide allerdings mit einem vergleichsweise hohen Anteil an stationären Fällen insgesamt.

Da Bremerhaven bereits im letzten Berichtsjahr im Vergleich noch ohne die neuen Mitstreiter Siegen und Viersen einen vergleichsweise hohen Anteil an Leistungen nach § 33 SGB VIII aufwies, hatte der Benchmarkingkreis in diesem Projektjahr die Gelegenheit, die Bremerhavener Vorgehensweise und konzeptionellen Überlegungen im Pflegekinderwesen näher kennen zu lernen.

Hieraus haben sich zahlreiche Hinweise zur prozessualen Ausgestaltung im Pflegekinderwesen ergeben. Näheres hierzu ist dem Kapitel 6 zu entnehmen.

Im weiteren Projektverlauf wird auch der Siegener Ansatz näher betrachtet werden können. Als Besonderheit festgestellt wurde bereits, dass Siegen die einzige Stadt im Vergleichsring ist, die

Deutlich seltener nehmen Familien in Potsdam und Rostock Kinder und Jugendliche in Pflege.

Beide Städte sehen dieses Ergebnis, das bereits im letzten Berichtsjahr deutlich wurde, als zentrales Entwicklungspotenzial in der Arbeit des Jugendamtes. Rostock hatte im letzten Jahr berichtet, im Jahr 2004 eine Werbekampagne zur verstärkten Akquirierung von Pflegeeltern gestartet zu haben. Die ersten Erfahrungen der Stadt sind im Stadtprofil Rostock in 5.6. näher ausgeführt.

Auch Potsdam hat im Berichtsjahr auch vor dem Hintergrund der ersten Benchmarkingergebnisse Steuerungsaktivitäten gestartet, um den Anteil der stationären Fälle in Pflegefamilien zu erhöhen, insbesondere im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit u.a. in regionalen Medien. Auch die interne Arbeitsweise des Pflegekinderdienstes wurde im Rahmen einer Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Pflegeeltern konzeptionell überarbeitet. Nähere Informationen sind dem Stadtprofil Potsdam (in 5.7.) zu entnehmen.

Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Leistungsform „Heim“ zunehmend ausdifferenziert und familienähnlicher ausgerichtet wird. Quasi im Gegenzug werden im Rahmen der Vollzeitpflege nach § 33 S. 2 SGB VIII zunehmend Angebote für „besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche geeignete Formen der Familienpflege“

geschaffen. Die Folge ist, dass sich die Hilfsangebote konzeptionell annähern. Zur begrifflichen Abgrenzung hat sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter in ihrer Empfehlung Hilfe zur Erziehung in Pflegefamilien und in familienähnlichen Formen (15.11.2002 in Würzburg) geäußert. Diese Thematik wird im nächsten Projektjahr des Benchmarkingkreises näher bearbeitet.

Im Folgenden ist die Grafik KeZa 55 abgebildet, auf die im Analysetext mehrfach Bezug genommen wird.

Abb. 14: Anteil der stat. HzE+-Fälle nach § 33 und Anteil der sonstigen stat. HzE+ ohne § 33 (KeZa 55)

KeZa 55:

Anteil der stat. HzE+-Fälle nach § 33 und Anteil der sonstigen stat. HzE+-Fälle ohne § 33 an allen HzE+-Fällen am 31.12. d. Bj.

36,4

Anteil stationäre HzE+-Fälle nach §33 Anteil stationäre HzE+-Fälle (ohne §33-Fälle) Prozent