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Starke und Schwache Parakonsistenz

Im Dokument DIALEKTIK DES ANFANGS (Seite 60-63)

2. Dialektik und Logik

2.4 Gödels Unvollständigkeitstheorem

2.5.6 Starke und Schwache Parakonsistenz

Der Begriff der Parakonsistenz bedeutet prinzipiell die Aufgabe von Konsistenz als alleinigem Merkmal rational gültigem Denkens. Starke Parakonsistenz behauptet, dass gewisse Wider-sprüche in verschiedensten Systemen, von der natürlichen Sprache bis zur Mengenlehre, ebenso unvermeidbar wie unauflöslich sind. Letztlich folgt daraus, dass die betreffenden Kontradiktionen wahrsind, und im Fall eines Widerspruchs innerhalb eines logischen Kalküls sogar bewiesen werden können36. Wahre Widersprüche bedürfen – weil das Parademerkmal der abgesicherten Argumentation, die Widerspruchsfreiheit aufgegeben werden muss – sehr überzeugender Rechtfertigung und Analyse. Schwache Parakonsistenz geht davon aus, dass Widersprüche zwar zunächst unausweichlich, aber trotzdem vermieden werden sollten, und letztlich zugunsten einer höheren Wahrheit aufgelöst werden sollten. Schwache Parakonsis-tenz behandelt auftretende Widersprüche wie Paradoxa, starke ParakonsisParakonsis-tenz sieht sie als Antinomien. Im Laufe dieser Untersuchung wird versucht werden, bei Hegel sowohl schwache als auch starke Parakonsistenz zu diagnostizieren, und bei Platon die Notwendigkeit der An-nahme von starker Parakonsistenz zu untermauern.

36 Vgl. Bremer, S. 14ff.

Darüber hinaus soll noch die weitere vorbereitende Bemerkung getroffen werden, dass viele Diskussionen des Lügner-Paradoxons oder der Paradoxa im Allgemeinen einen wesentlichen Punkt übersehen: der akademische Kontext kann auf sich selbst bezogen werden, und auch in dieser Instanz kann und muss Selbstbezug möglich sein. Alle Versuche, mit dem Lügner-Para-doxon umzugehen, auch solche, die es ausschließen wollen aus dem jeweiligen System, zie-hen Schlüsse aus dem Auftreten eines Paradoxons, und bewegen sich damit von selbst über den konsistenten Bereich hinaus. Vielleicht möchte man einwenden, dass hier nur dasex con-tradictione quodlibetbefolgt wird, also das theoretische Gebäude verworfen wird. Genau ge-nommen jedoch werden hier Schlüsse aus einer Antinomie gezogen – wenn diese auch dazu führen, dass ein System entworfen wird, das diese aus sich ausschließt. Dieses System ist dementsprechend selbst nicht parakonsistent – die Schlussweise, die dazu führte jedoch ist es in gewisser Weise. Aufgrund dieser Begebenheit, als auch wegen der Unpässlichkeit aller Ver-suche, das Lügner-Paradoxon zu vermeiden, stellt sich die Frage nach einer formalen Be-schreibung des Sachverhalts. Gerne wird der parakonsistenten Logik vorgeworfen, eine Art ad-hoc-Lösungsvorschlag zu präsentieren, der das Parademerkmal einer vernünftigen Schlussart, die Konsistenz, verfrüht verwirft. Dem muss man entgegenhalten, dass das Lügner-Paradoxon nicht das einzige Paradoxon in der Sprache ist, und dass schon ein unlösbares Paradoxon ausreicht, dass die Sprache inkonsistent wird. Der Einwand beruft sich letztlich auf eine theore-tische Zukunft: vielleicht findet sich irgendwann eine Lösung für das Lügner-Paradoxon, und wie unvernünftig es im Rückblick erscheinen würde, Konsistenz aufgegeben zu haben.

Der nächste Einwand gegen parakonsistente Logik will wiederum auf einen ad-hoc-Charakter derselben hinaus: was produziert sie an positiven Resultaten? Dieser Einwand erscheint inso-fern berechtigt, als es kein parakonsistentes Kalkül gibt, das z.B. eine zentrale Forderung an ein solches erfüllen könnte, nämlich einenmodus ponens formulieren zu können für

Wider-sprüche: wenn a und gleichzeitig ¬a erfüllt sind, dann folgt …? Einerseits jedoch kann man ei-ner jungen logischen Disziplin nicht vorwerfen, noch nicht vollständig ausformuliert zu sein. An-dererseits werden, wie oben dargestellt, bei Verwurf bzw. Modifikation des Systems nach Auf-treten eines Widerspruchs streng genommen bereits Rückschlüsse aus einem Widerspruch gezogen – und somit dasex contradictione quodlibetgerade nicht befolgt. Trotzdem bleibt die Forderung an die parakonsistente Logik bestehen, nicht nur mit der Rechtfertigung ihrer selbst sich zu beschäftigen durch Hinweis auf die inkonsistente Natur der Sprache, sondern zu zei-gen, unter welchen Bedingungen parakonsistentes Kalkül anzuwenden ist, wie darin Schlüsse gezogen werden können, und wie zwischen notwendig auftretenden und vermeidbaren Wider-sprüchen unterschieden werden kann. Besonders letzteres wäre wünschenswert, als Konsis-tenz nur aufzugeben ist wenn man sich dazu genötigt sieht. Konsistente Subareale, etwa in der Mathematik, sind äußerst erfolgreich, und es bleibt zu begründen, inwiefern etwa ein konsis-tentes System ein Spezialfall eines parakonsistenten ist, und wie der Übergang vom einen in das andere erfolgt.

2.5.7 D

IALEKTIK

Der Begriff der Dialektik, den diese Arbeit verwenden und an den gewählten Beispielen fixieren will, ist – gemessen daran, dass bis heute keine Übereinkunft herrscht, was unter Dialektik ge-nau zu verstehen ist37– relativ einfach fassbar: je nachdem welche Kontradiktion vorgefunden wird, ist entweder die Position des Schwach-Parakonsistenten zu beziehen (wenn das Parado-xon zugunsten einer höher gelagerten Wahrheit aufgehoben werden kann, also durch den Wi-derspruch selbst eine Einsicht vermittelt wird, wie etwa bei Hegels Mechanismus der doppelten

37 Vgl. z.B. Wandschneider, S. 24: „Die Frage: „Was ist Dialektik?“, so schreibt D. Henrich noch vor anderthalb Jahrzehnten, sei „bisher ohne Antwort geblieben““.

Negation) oder des Stark-Parakonsistenten: die Ansicht, dass es notwendige auftretende, also wahre Kontradiktionen gibt, und diese positiv und damit systemisch interpretiert werden müs-sen. Zu jeder Zeit ist dabei die schwach-parakonsistente Position vorzuziehen: Konsistenz soll soweit wie möglich erhalten bleiben. Jedoch wird diese Arbeit versuchen plausibel zu machen, dass es Situationen gibt, in denen dies nicht möglich ist. Darüber hinaus versteht diese Arbeit die Begleitphänomene eines Widerspruchs wie etwa den Regress so, dass sie ebenfalls unter den erweiterten Kreis des Begriffs der Dialektik fallen.

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