• Keine Ergebnisse gefunden

Selbstbewegung und Selbstbegründung

Im Dokument DIALEKTIK DES ANFANGS (Seite 93-100)

3. G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik

3.5 Selbstbewegung und Selbstbegründung

Dieter Wandschneider stellt zurecht einen entscheidenden Vorzug der Hegelschen Philosophie heraus: dass die „nach-Hegelschen Positionen keineswegs unüberholbar, sondern … in einem entscheidenden Punkt defizient und damit grundsätzlich inakzeptabel sind: … daß sie nicht in

der Lage sind,ihren eigenen Ansatz zu begründen.“71 Er zeigt auf Empirismus, Materialismus und Transzendentalphilosophie, und legt dar, dass sich diese jeweils nicht empirisch, materia-listisch bzw. transzendental selbst begründen lassen. Hegels Ansatz eines objektiven Idealis-mus, der, wie oben bereits vermerkt, durch Begriffskritik, vermittelt durch den dialektischen Me-chanismus Hegels der doppelten Negation, in eine Selbstkritik der Begriffe mündet, offeriert den entscheidenden Vorteil, den eigenen Ansatz begründen zu können, indem die Methodik nicht von außen bezogen, sondern durch den Inhalt selbst festgelegt wird. Hegels Logik ist so-mit keine Formallogik, sondern eine „Fundamentallogik“72, ein Durchgang durch die validen Denkstrukturen und -bedingungen, die „Sinn- und Geltungsbedingungen von Argumentation“73, oder wie es Hegel formuliert:

„... was allein die wahrhafte Methode der philosophischen Wissenschaft sein kann, fällt in die Abhandlung der Logik selbst: denn die Methode ist das Bewußtsein über die Form der inneren Selbstbewegung ihres Inhalts.“74 … „[Es] ist die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative ebensosehr positiv ist oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation seines besonderen Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist; daß also im Resultate wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert“75

71 Wandschneider, S. 14.

72 Wandschneider, S. 22.

73 Wandschneider, S. 18.

74 WdL I, S. 49.

75 WdL I, S. 49.

Es ist offenbar, dass dieser Anspruch am Anfang prekär ist: weder Methode noch Inhalt sind gesetzt, und so stellt sich die Frage, woher und wie ein Anfang sich ergeben kann. Also leitet sich anhand der Maßgabe der Selbstbewegung und -begründung der Logik Hegels Postulat her, der Anfang habe ein unbestimmtes Unmittelbares zu sein. Gleichzeitig widerspricht sich diese Forderung selbst: sie bestimmt den Anfang als unbestimmten, und vermittelt ihn dem Le-ser als unmittelbaren. Ausgehend von diesem Widerspruch ist zu sehen, wie und woher Hegel selbst den Anfang herleitet, und wie er mit dem Widerspruch des Anfangs umgeht. Folgender Abschnitt ist die Schlüsselstelle dafür:

„Daß nun von dieser Bestimmung des reinen Wissens aus der Anfang seiner Wissen-schaft immanent bleibe, ist nichts zu tun … als aufzunehmen, was vorhanden ist. Das reine Wissen … hat alle Beziehung auf ein Anderes und auf Vermittlung aufgehoben;…

es ist nureinfache Unmittelbarkeit vorhanden. Die einfache Unmittelbarkeit ist selbst ein Reflexionsausdruck und bezieht sich auf den Unterschied von dem Vermittelten. In ihrem wahrem Ausdrucke ist daher diese einfache Unmittelbarkeit das reine Sein.“76

Dieser Absatz, der zum ersten Mal das reine Sein als Anfang behauptet, scheint die oben an-gesetzte Widersprüchlichkeit zu bestätigen: der Anfang, wenn als unmittelbarer vorgestellt, be-zieht diese Vorstellung gerade aus der Negation, etwas nicht-vermitteltes zu sein. Gleichzeitig kann diese Reflexion zur anderen Seite gekehrt werden: der Anfang wird (dem Leser) als un-mittelbarer vermittelt und widerspricht sich somit selbst.

76 WdL I, S. 68.

Hegel ist sich diesem Widerspruch bewusst, und versucht ihn durch weitere Reflexion zu ent-schärfen:

„Hier ist das Sein das Anfangende, als durch Vermittlung … dargestellt. … Soll aber kei-ne Voraussetzung gemacht werden, der Anfang selbstunmittelbar genommen werden, so bestimmt er sich nur dadurch, daß es der Anfang der Logik, des Denkens für sich, sein soll. Nur der Entschluss …, daß man das Denken als solches betrachten wolle, ist vorhanden.“77

Oben leitete er den Anfang bereits als „einfache Unmittelbarkeit“ her – nun wiederholt er ledig-lich diesen Prozess auf einer höheren Reflexionsebene, auf der der Anfang nun „selbst als un-mittelbar“ verstanden werden soll. Dies löst jedoch den Widerspruch nicht auf, sondern iteriert ihn lediglich in neuer Form. Auch mit der Unmittelbarkeit des bloßen Entschlusses anzufangen trägt den Widerspruch der Vermittlung des Unmittelbaren in sich: schließlich vermittelt dieser Entschluss etwas (angeblich unmittelbares), nämlich den Anfang. Argumentativ zeichnet sich hier ein Regress ab: durch eine zusätzliche Reflexionsebene – mit welcher Plausibilisierung diese auch immer hinzugefügt werden mag – könnte nun wieder diese Vermittlung negiert wer-den, und das Unmittelbare rückbestätigt werden; jedoch würde dadurch lediglich eine neue Vermittlung des Unmittelbaren erreicht werden.

Aufgrund dieses Problems sieht sich Hegel wenig später zu einem Einschnitt gezwungen:

77 WdL I, S. 68.

„Aber es [das reine Sein] muß ebenso nur in der Einseitigkeit, das Rein-Unmittelbare zu sein, genommen werden, eben weil es hier als der Anfang ist.“78

Das Muster aus dem zweiten Kapitel bietet die Interpretation dieser Einschränkung auf: Hegel versucht die semantische Geschlossenheit, also die Beziehungen der Aussagen aufeinander, so einzuschränken, dass der Widerspruch der Vermittlung des Unmittelbaren nicht mehr auf-tritt. Den ad-hoc-Charakter dieser Maßnahme gibt er selbst an: der Anfang muss unmittelbar verstanden werden, „eben weil“ er diese Eigenschaft als Anfang aufweisen muss. Jedoch hilft selbst die geforderte Beschränkung auf das Unmittelbare insofern nicht dem Widerspruch zu entgehen, als dadurch wiederum nur etwas als unmittelbar Behauptetes vermittelt wird.

Was übrig bleibt aus diesem vitiösen Kreislauf ist die rein negative Bestimmung des Anfangs:

er ist gerade das nicht, was er sein soll – auch diese Angabe macht Hegel selbst.79 Jedoch lässt er es vermissen, diesen Widerspruch genauer zu fixieren: der Anfang muss trotz, oder besser gerade wegen seiner Unmittelbarkeit vermittelt sein – insofern er unvermittelt ist. Das bedeutet, dass der Anfang zwar in jeder anderen Hinsicht unbestimmt und unmittelbar sein kann, jedoch nicht bezüglich derer, die ihn als solchen bestimmt bzw. vermittelt. Dem ab-soluten Extrem einesvöllig unbestimmten Unmittelbaren kann aufgrund der puren Faktizität, dass ein Anfang gemacht werden muss (und somit immer vermittelt und bestimmt wird), nicht nachgekommen werden: zumindest ist der Anfang insofern vermittelt, als er unmittelbar ist. Je-doch ist offensichtlich, dass eine solche Charakterisierung des Anfangs darauf beruht, dessen Antinomie einzuräumen: unvermittelt insofern vermittelt, unbestimmt insofern bestimmt, und

je-78 WdL I, S. 72.

79 vgl. WdL I, S. 72: „Daß der Anfang Anfang der Philosophie ist, daraus kann eigentlich auch keinenähere Bestimmung oder ein positiver Inhalt für denselben genommen werden ... Das reine Wissen gibt nur diese negative Bestimmung, daß er der abstrakte Anfang sein soll.“

weils umgekehrt. Für Hegel jedoch scheint nur das Ideal des absolut-unbestimmten Absolut-Unmittelbaren als Anfang akzeptabel; damit jedoch manövriert er sich selbst in die Zwickmüh-le, dies nicht niederschreiben zu können bzw. dafür zu argumentieren, ohne in Widerspruch zu sich selbst zu geraten, als beides Bestimmung bzw. Vermittlung involviert. Somit findet sich in der Herleitung zwar die Selbstbegründung des Anfangs – jedoch kann diese nach Hegels Maß-gabe nicht vollends tragfähig werden, da Bestimmung und Inhalt, die mit der Selbstbegründung des Anfangs einher gehen, von diesem gleichermaßen ferngehalten werden müssen. Jedoch transferiert diese Maßnahme den Widerspruch der Vermittlung des Unmittelbaren nur auf die nächsthöhere Ebene: der Anfang wird bestimmt, insofern die eben gemachte Bestimmung ne-giert wird.

Die direkte Negation von Bestimmung des Anfangs als reinen Seins führt Hegel bekanntlich zur Kategorie des reinen Nichts: „daß „Sein“ aufgrund seinerBestimmungslosigkeit gleichbe-deutend mit „Nichts“ ist.“80 Der Gedanke eines absolut abstrakten Anfangs leitet somit die nächste Kategorie her: Nichts ist gerade, weil das Sein absolut „rein“, also fern jeder Bestim-mung verstanden werden soll. Hegel transferiert damit den vorgefundenen Widerspruch im rei-nen Sein aus der Reflexionsebene heraus in die Gestalt einer Kategorie. Dieses Nichts jedoch – weil es das Nichts der Unbestimmtheit des reinen Seins ist – kann den Widerspruch der Be-stimmung des Unbestimmten nur reflektieren und nicht auflösen. Das Nichts muss ebenso rein, also unbestimmt und abstrakt gehalten werden wie das Sein, was Hegel zu der Aussage führt, Sein und Nichts seien dasselbe. Dadurch vollzieht sich jedoch keine Wende zurück zur Konsistenz: sind Sein und Nichts identisch, widerspricht dies der Form des Satzes im obigen Muster, als sie in ihm ebenso unmittelbar getrennt gehalten werden. Hegel überträgt dieses Problem in die nächste Reflexionsebene:

80 Wandschneider, S. 51.

„Manmeint, das Sein sei vielmehr das schlechthin Andere als das Nichts ist, und es ist nichts klarer als ihr absoluter Unterschied, und es scheint nichts leichter, als ihn ange-ben zu können. Es ist aber eange-benso leicht sich zu überzeugen, daß dies unmöglich, daß erunsagbar ist.Die, welche auf dem Unterschiede von Sein und Nichts beharren wol-len, mögen sich auffordern, anzugeben, worin er besteht …er besteht daher nicht an ihnen selbst, sondern nur in einem Dritten, imMeinen. Aber das Meinen ist eine Form des Subjektiven, das nicht in diese Reihe der Darstellung gehört.“81

Hegel benutzt hier ein Element seiner Philosophie, den Unterschied zwischen Meinen und Sa-gen, um dem Widerspruch auszuweichen, den Sein und Nichts als Bestimmungen des Rein-Abstrakten bereits aufweisen. Oben wurde dargestellt, wie der Aussage, A und B seien iden-tisch, durch die Form des Satzes Widersprüchlichkeit inhäriert. Hier bewegt Hegel die Kontra-diktion auf eine neue Ebene, indem er zwar Sein und Nichts der Form nach trennt, aber selbst dieser Trennung nicht gerecht werden kann, als Sein und Nichts unmittelbar kongruieren. Die Antinomie besteht nun lediglich darin, dass das Unsagbare – der Unterschied von Sein und Nichts – der Form des Satzes nach zwar besteht, aber nur dem subjektiven Meinen nach. He-gel beschränkt damit die semantische Geschlossenheit der möglichen Aussagen zum Sein und Nichts: das subjektive Meinen wird ausgegrenzt, da es den Widerspruch – in neuer Gestalt, dem Sagen des Unsagbaren – wieder auftreten lässt. Gleichwohl bestünde in dieser Abgren-zung eine Bestimmung der Differenz der Kategorien von Sein und Nichts, die jedoch abgesto-ßen werden muss, um Widerspruchsfreiheit erhalten zu können. Damit bestätigt sich der Ab-tausch zwischen semantischer Geschlossenheit und Konsistenz: Hegel tätigt zwar die Aussa-gen zu Sein und Nichts, verschiebt deren Differenz jedoch in den Bereich des Unsagbaren

81 WdL I, S. 95.

bzw. des Subjektiven. Die zugrunde liegende Antinomie, dass das Unbestimmte dadurch be-stimmt ist, dass es unbebe-stimmt ist, lässt er nicht aufkommen. Deshalb bleibt ihm nur die Opti-on, philosophische Gründe zu finden, die Geschlossenheit der eigenen Aussagen einzuschrän-ken: der Form der Aussage nach mögen Sein und Nichts getrennt sein, jedoch liegt die Diffe-renz im Jenseits der Möglichkeiten des Ausdrucks. Die Antinomie rekreiert sich in neuer Ge-stalt: der Unterschied zwischen Sein und Nichts besteht darin, dass es ihn nicht gibt – eine neue Form der ursprünglichen Antinomie der Vermittlung des Unmittelbaren.

Im Dokument DIALEKTIK DES ANFANGS (Seite 93-100)