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Fazit

Im Dokument DIALEKTIK DES ANFANGS (Seite 123-127)

3. G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik

3.9 Fazit

Die Einleitung und die Anmerkungen Hegels zum Anfang der Wissenschaft der Logik werden angetrieben vom Widerspruch, das unbestimmte Unmittelbare dem Leser zu vermitteln.

Gleichzeitig wird jedoch Hegel in seinen Ausführungen dazu von diesem Widerspruch vor sich her getrieben. Zu mehreren Gelegenheiten betont er, dass es nichts gibt, was nicht gleichzeitig vermittelt und unmittelbar ist107, und pocht doch zu ebenso vielen Gelegenheiten auf den nicht-vermittelten, unmittelbaren Charakter seiner Anfangskategorie108. Dieses Vorgehen ist direkt analog zur Beschränkung der semantischen Geschlossenheit aus dem zweiten Kapitel: zur Wahrung der Konsistenz werden die für den Widerspruch verantwortlichen negativen Rückbe-züge ad-hoc nicht zugelassen. Bei vielen der Passagen zwischen den jeweiligen Polen

107 Vgl. WdL I, S. 66: Hier mag daraus nur dies angeführt werden, daß es Nichtsgibt, ...was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung“ und S. 68: „Die einfache Unmittelbarkeit ist selbst ein Reflexionsausdruck ...“

und S. 72: „Dies aber ist die Seite, nach welcher dies reine Sein, dies Absolut-Unmittelbare, ebenso absolut Vermitteltes ist.“

108 Vgl. WdL I, S. 68: „Soll aber keine Voraussetzung gemacht, der Anfang selbstunmittelbargenommen werden ...“ und S.72: „Aber es muß ebenso wesentlich nur in der Einseitigkeit, das Rein-Unmittelbare zu sein, genommen werden ...“

schwingt ein regresshafter Charakter mit: da immer neue Bestimmungen des Anfangs bzw. der Anfangskategorie erfolgen, die der Intention nach unbestimmt sein soll, braucht es neue, über-geordnete Reflexionsebenen, die Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit versuchen wiederherzu-stellen, wohingegen diese nur wieder neue Bestimmungen sind, und der Widerspruch sich von Neuem einstellt. Hegel mag die unmittelbare Kontradiktion nicht explizit eingeräumt haben; je-doch sind nicht nur die Antinomie samt aller ihrer Begleitphänomene am Anfang der Wissen-schaft der Logik vertreten – Hegel selbst nähert sich mehrmals dem Widerspruch an, ohne den letzten Schritt zu wagen. Der Impetus zur Parakonsistenz ist jedoch durch alle Aussagen zum unbestimmten Unmittelbaren verwirklicht.

Trotz des Mangels an klarem Bekenntnis zur Antinomie des Anfangs ist Hegels Gesamtwerk eine mehr als beachtenswerte Studie ins Schwach-Parakonsistente. In Hegels Jargon der Auf-hebung sind die Widersprüche nicht einfach aufgelöst, sondern durch die Doppelbedeutung von „Aufheben“ gleichermaßen konserviert, und als Begriffskritik, die von den Begriffen selbst herrührt, gefasst. Dadurch zeigt sein Werk in Theorie und Beispiel die dichotomisch-wider-sprüchliche Natur des Denkens und der Sprache auf, so konsequent wie es nie zuvor der Fall war. Hegel mag den letzten Schritt nicht gewagt haben, einen wahren Widerspruch in das Fun-dament der Kategorienlehre, des systematisch zentralen Werks seiner Philosophie zu schrei-ben – jedoch scheint dies verzeihlich anhand der Umstände seiner Zeit und seiner Leistung, einen dialektischen Mechanismus als Zentralkonstrukt für eine Theorie des Denkens etabliert zu haben.

Trotzdem bleibt die Kritik bestehen. Die den Anfang vorbereitenden, speziell die Art näher-bringenden Bemerkungen, wie dieser verstanden werden soll, sind notwendig als Stützkon-strukt des eigentlichen Anfangs, denn ohne sie wäre man ohne Halt in dessen völliger

Abstrak-tion: Hegel kann also die Dialektik des Anfangs nicht widerspruchsfrei überwinden. Hätte er den Widerspruch am Anfang als wahr eingeräumt, wäre die globale Konsistenz seines gesam-ten Werks zwar gefallen, jedoch hätte dies den Vorteil erbracht, gerade nicht nur innerhalb des dialektischen Mechanismus mit konkret-einzelnen aufgehobenen Widersprüchen zu arbeiten:

das Stark-Parakonsistente, der wahre Widerspruch hätte das Schwach-Parakonsistente, die aufgehobenen Widersprüche umschlossen. So aber offenbart sich eine Lücke im Selbstbezug des Werks, in Setzung der Kategorien und in der Reflexion: der Anfang, das reine Sein und das reine Nichts können nicht widerspruchsfrei vorbereitet, dargestellt oder nachbereitet wer-den, denn das Absolut-Unmittelbare Absolut-Unbestimmte ist in der Sprache nicht konsistent ausdrückbar. Die Einseitigkeit, in der er das unbestimmte Unmittelbare, also den Anfang ver-sucht zu fassen, um Widerspruchsfreiheit zu garantieren, ist gerade untypisch für Hegel, des-sen dialektischer Geist sonst alle Momente und Seiten von Begriffen in sich fasst. Muss der Anfang konsistent gefasst, und müssen somit auch Verstand und Vernunft, Objekt- und Metae-bene, Darstellung und Reflexion harmonisiert werden, offenbart sich eine Lücke im Selbstbe-zug seines Systems, die nur von einer Antinomie gefüllt werden könnte.

Die Interpretation von Dialektik als Begriff ist bei Hegel also auf eine wahre Antinomie am Be-ginn der Logik zurückzuführen. So gut wie allen Exegeten ist diese Perspektive zu radikal: so sieht sich etwa Wandschneider genötigt, zwar antinomische Strukturen und negativen Selbst-bezug als maßgebliche Elemente von dialektischem Inhalt anzusehen, gesteht aber keine ge-samtheitlich antinomische Interpretation zu, weil diese „auf die Kuriosität einer wahren Kontra-diktionhinauslaufen würde.“109 Dem versucht diese Arbeit entgegenzuhalten, dass gerade die Konsistenz bezüglich der Gestaltung des Anfangs für sich, als auch im Hinblick auf dessen

109 Wandschneider, S. 30. Er folgt damit auch U. Blau's Stufenlogik, die selbst wiederum eine hierarchische Lösung von Antinomien vorschlägt – als Widerlegung dessen die Argumente aus Kapitel 2 aufgeführt werden können.

Einordnung in die Systematik von Hegels Werk als Gesamtes, die Annahme einer Antinomie als Grundstein unumgänglich notwendig macht.

Platon wird im folgenden Kapitel anders verfahren: er wird mehrere Versuche des Anfangs un-ternehmen, mit verschiedenen Begriffen in differierenden Gewichtungen. Bevor dazu Stellung genommen werden kann, muss zuerst betrachtet werden, woher Platon das Anfangsproblem bezieht, und in welchem Kontext seiner Lehre es zu verorten ist.

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