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Städtische Maßnahmen zur Organisation des Mangels

I. LEBEN UNTER MANGELBEDINGUNGEN

1.2 ORGANISATION DES MANGELS

1.2.4 Organisation des Mangels auf lokaler Ebene: Konstanz

1.2.4.2 Städtische Maßnahmen zur Organisation des Mangels

Auch die Stadt tat, was sie konnte, um die trostlose Lage zu verbessern. Bis 1950 war vor allem die Nahrungsversorgung ständiges Thema des Stadtrates.298 Oft genug blieb jedoch auch der Stadt nicht viel mehr, als den Mangel möglichst gut zu verwalten.

Der Stadt waren z.B. die oben erwähnten Schlangen ein Dorn im Auge. Sie versuchte den Einzelhandel dazu zu bewegen, an die Wartenden Nummern zu verteilen, um sie anschließend im 30 Minuten-Takt nach der Reihenfolge der Nummern zu bedienen.299 Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel schloss sich diesem Vorschlag an und gab eine umfangreiche Anleitung zur Schlangenbekämpfung heraus. Ab 30-40 Personen sollten die Ladeninhaber ihr Geschäft schließen und an die Wartenden ‚Zeitzettel‘ verteilen, die dem Inhaber eine bestimmte Uhrzeit angaben, zu der er wiederkommen solle.300 Bemerkenswert ist hieran, dass erst ab 30-40 Personen eine Schlange als unerträglich empfunden wurde. Daraus lässt sich

295 Stei 1992:19; Dietrich 1966:29.

296 Stei 1992:19.

297 Dietrich 1966:68.

298 Burchardt 1996:232.

299 Schreiben des OB an die Inhaber der Geschäfte, Gaststätten und dergl. vom 28. 4. 1945. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

300 Rundschreiben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel Bezirksstelle Konstanz an alle Einzelhändler vom 6. 6.

1945. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

schließen, dass die üblichen Schlangen weit mehr Personen umfassten.301 Man kann sich vorstellen, dass es mehrere Stunden dauern konnte, bevor man eine solche Schlange absolviert und den Verkaufstresen erreicht hatte. Auch vor den Behördenschaltern bildeten sich Schlangen.302 Und auch hier musste man viel Zeit mitbringen, wollte man bis vorne durchdringen, und nicht immer lohnte sich die Mühe. „Beim Wirtschaftsamt in der Mainaustraße stand Mutter mehrmals morgens ab 5 Uhr Schlange, um einen Bezugsschein für Schuhe zu erhalten, es war ohne Erfolg.“303 ‚Schlangestehen‘ wurde zu einer der Hauptbeschäftigungen der Bevölkerung, vor allem der Hausfrauen.304

Da das Schlangestehen nicht nur zeitaufwändig, sondern für die unterernährten Menschen auch sehr kräfteraubend war, erhielten Alte, Kranke und Schwangere Sonderausweise, die es ihnen erlaubten, „sofort beim Betreten eines Geschäftes vorzugehen, so daß das Schlangestehen“ fortfiel.305 Dies führte bei den Nichtbegünstigten allerdings oft zu Beschwerden. Auch Missbrauch dieser Sonderausweise kam vor.306 Dass sich die Stadt noch zwei Jahre nach Kriegsende mit solchen Problemen beschäftigten musste, zeigt, wie wenig die von Stadt und Einzelhandelsverbänden erdachten Maßnahmen zur Bekämpfung der Schlangen griffen. Trotz ‚Zeitzettel‘ wurde nach wie vor Schlange gestanden. Die Beteuerungen von offizieller Seite, es werde nur aufgerufen, was tatsächlich da sei,307 fanden wenig Gehör - zumal dies ja auch faktisch nicht immer der Wahrheit entsprach.

Um eine bessere Organisation bei der Verteilung der Waren zu gewährleisten, führte die Stadt eine Kundenbindung für die Verbraucher an.308 Man musste sich verbindlich als Kunde eines Geschäftes eintragen lassen und konnte nur hier Waren auf seine Lebensmittelkarte erhalten.309 Waren, die in genügender Menge vorhanden waren, konnten vom Händler auch an nicht eingetragene Kunden verkauft werden, Mangelwaren jedoch nur an vorgemerkte Verbraucher.310 Dies sicherte dem Verbraucher zwar das Vorhandensein knapper Güter, die Aussicht, in anderen Geschäften eventuell Waren zu bekommen, die auch an nicht

301 H. spricht von „40-50m lange[n] Anstehbänder[n]. Vgl. Tagebuch H., 27. 5. 1945.

302 Dietrich 1966:67f.

303 Schäfer 1997:141.

304 Vgl. Kapitel 1.3.1.

305 Zitat aus dem Schreiben eines Bürgers and den OB vom 24. 8. 1948, in dem der Schreiber die Einführung eines solchen Ausweises anregt. Der Antrag wurde am 5. 9. 1946 dem Stadtrat unterbreitet und am 9. 9. 1946 bewilligt. Die Sonderausweise waren im WEA erhältlich. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

306 Schreiben des OB an den Einzelhandelsverband vom 18. 6. 1947. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

307 Schreiben OB an das städtische Hauptverwaltungsamt vom 1. 10. 1946. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

308 Stei 1992:51.

309 Stei 1992:51.

310 Stei 1992:52.

vorgemerkte Kunden ausgegeben wurden, führte aber zu den oben erwähnten Gerüchten, da oder dort sei dieses oder jenes zu bekommen, und damit zu den Schlangen vor den Geschäften, die die Stadt eigentlich verhindern wollte.

Der Energieknappheit begegnete die Stadt mit den bereits erwähnten Stromsperren. Auch die Konstanzer Ladengeschäfte blieben davon nicht verschont. Im Oktober 1945 wurden die Öffnungszeiten beschränkt. Die Ladenbesitzer durften ihre Geschäfte nur noch täglich von 9 bis 12.30 und von 14 bis 16 Uhr geöffnet halten.311 Mit dieser Beschränkung sollten der Heizmaterialbedarf und der Stromverbrauch gesenkt werden.312 Aus den gleichen Gründen durften in den Wintermonaten 1946/47 die Bäckereien nur noch an bestimmten Tagen in der Woche öffnen.313 Nur montags, freitags und samstags konnte uneingeschränkt eingekauft werden. Am Mittwoch blieben die Bäckereien wie alle anderen Geschäfte ganztägig geschlossen. Dienstags und donnerstags hatte jeweils nur die Hälfte der Bäckereien geöffnet.314 Da die Konstanzer an ‚ihren‘ Bäcker gebunden waren, konnten sie also an zwei Tagen in der Woche kein Brot kaufen.315

Den Mangel an Hausbrand versuchte die Stadt durch die Einrichtung von Wärmehallen zu lindern.316 In vier Gaststätten - in der ‚Post‘ an der Marktstätte, im ‚Alemannen‘ in der Hussenstraße, im ‚Roten Knopf‘ in der Paradiesstraße und in der ‚Gebhardshalle‘ in der Gebhardstraße317 - konnten sich die Konstanzer kostenlos aufhalten und damit eigenes Heizmaterial sparen.318 Die Wärmehallen waren täglich von 14 bis 18 Uhr geöffnet und wurden gerne besucht.319

Die Stadt tat, was sie konnte, um den Mangel möglichst gerecht zu organisieren. Bis 1950 beschäftigte sich der Stadtrat in jeder Sitzung mit den Versorgungsproblemen, vor allem der ungenügenden Lebensmittelversorgung.320 Doch nicht nur städtische Stellen mühten sich um eine Verbesserung der Lage. Auch Kirchen und Gewerkschaften sahen in der Lösung der

311 StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.). Die Öffnungszeiten wurden jeweils in der Presse bekannt gegeben. Ebd.

312 Schreiben des OB vom 7. 10. 1946. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

Aus den Akten geht hervor, dass es sich bei diesen Beschränkungen bereits um ein Zugeständnis an den Einzelhandel handelte. Aus Sorge um die „Lebendigkeit des Stadtbildes“ wurden die Öffnungszeiten weniger gekürzt, als es der Energiemangel verlangt hätte. Ebd.

313 StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

314 StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

315 Dies führte zu vielen Klagen, da daher schon am Montag bzw. Dienstag das Brot für die folgenden zwei Tage gekauft werden mußte. Durch die minderwertige Qualität des Mehls war das Brot jedoch schon nach einem Tag trocken. StA KN S II 6895 Ladengeschäfte (Offenhaltung, Schlangestehen usw.).

316 Burchardt 1996:92.f.

317 Dietrich 1966:41.

318 Burchardt 1996:92f.

319 Dietrich 1966:41.

320 Burchardt 1996:232.

Alltagsprobleme ihre dringlichste Aufgabe.321 Beheben konnten auch diese vereinten Anstrengungen die Probleme freilich nicht. Erst die seit 1947 zaghafte, seit 1948 dann spürbare Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage ließ auch die Alltagssorgen kleiner werden.

Insgesamt wurde das Leben der Bevölkerung ungemein durch den Mangel der Nachkriegszeit strukturiert. Die Tagesabläufe richteten sich nach Ladenöffnungszeiten, nach der Länge von Schlangen und dem jeweiligen Angebot an Waren. Welche Auswirkungen dies auf den Alltag der Hausfrauen hatte, ist Thema des folgenden Kapitels.