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Ablehnung und Selbstmitleid

III. LEBEN MIT DEN BESATZERN

3.3 DIE BESATZUNG IN DEN AUGEN DER BEVÖLKERUNG

3.3.1 Ablehnung und Selbstmitleid

Die oben geschilderten Besatzungsmaßnahmen trübten schon zu Beginn der Besatzungszeit das deutsch-französische Verhältnis. Die überzogenen Drohungen und drakonischen Strafmaßnahmen unterschieden sich in Ton und Darstellung wenig von denen der deutschen Besatzungspraxis. Dass dies die Demokratie sein sollte, die die Besatzer den Deutschen zurückgebracht hätten, war nur schwer zu verstehen.584 Hier seien die Worte eines jungen Deutschen zitiert:

„Wir glauben gerne, daß die Demokratie die beste Ordnung unter den Menschen darstellt. Wie aber sieht denn die Demokratie derer aus, die davon predigen? (...) Kann das überhaupt Demokratie sein, was Besatzungsmächte tun und vielleicht tun müssen? Geht denn nicht letzten Endes überall Macht vor Recht, genau wie die Nationalsozialisten es behaupteten?“585

Pompöse Truppenparaden und arrogantes Auftreten vieler Besatzungsoffiziere ließen die Franzosen ebenfalls nicht in einem positiven Licht erscheinen.586 Diese Maßnahmen der ersten Monate warfen in den Augen der Bevölkerung ein solch schlechtes Licht auf die Besatzer, dass auch alle weiteren Besatzungsmaßnahmen verurteilt wurden - ungeachtet dessen, ob sie notwendig oder berechtigt waren, wie z.B. die Demontagen, oder nur zu einem geringen Teil von den Besatzern verursacht worden waren, wie z.B. die katastrophale Ernährungslage.

Demontagen und Requisitionen empörten die Zeitgenossen quer durch alle Schichten und Parteien. Vor allem die Demontagen erzeugten auf deutscher Seite einen hohen Solidarisierungseffekt, der sich zwangsläufig gegen die Besatzer richtete.587 Dies war auch in Konstanz nicht anders. Für Verstimmung sorgte hier z.B. die Einrichtung von Erholungsheimen für ehemalige KZ-Häftlinge und Pariser Kinder auf der Reichenau und der Mainau im Sommer 1945.588 Angesichts der eigenen Versorgungslage war vielen nicht einsichtig, warum nun auch noch zusätzliche Esser mitversorgt werden sollten. Hinzu kamen zusätzliche Requisitionen für die Ausstattung der Heime, da alles - Kleidung, Bettwäsche, Inventar - über diesem Wege beschafft wurde. Die durch den Krieg verursachte Zerstörung

584 Burchardt 1996:30.

585 Anthologie 1947:158ff.

586 Wolfrum 1993:92.

587 Burchardt 1990f.

588 Burchardt 1996:34f.

Frankreichs, die Demontagen und Requisitionen erst nötig machte, wurde auf deutscher Seite völlig ignoriert.589 Man fühlte sich beraubt und schikaniert.590

Für das deutsche Bild der Besatzer war außerdem die sich immer weiter verschlechternde Versorgungslage bestimmend. Die Militärregierung ermittelte monatlich ein Stimmungsbild der Bevölkerung. Dabei stellte sie fest, dass der ‚Etat d’esprit de la population‘ auf das engste mit der Versorgungslage verknüpft war. Je schlechter die Ernährungslage war, desto schlechter stellte sich die Besatzungsmacht in den Augen der Bevölkerung dar.591 Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass die Bevölkerung den Besatzern die alleinige Schuld an der Ernährungskrise 1947 gab.592 „Wir haben nichts zu essen, dass ist die Schuld der anderen [der Alliierten], denn unter der Herrschaft des Dritten Reiches hatten wir genug“, zitiert ein Zeitgenosse seine Mitbürger.593 Es kursierten sogar Gerüchte, nach denen am 1.

Januar 1947 ein Geheimartikel des Potsdamer Abkommens in Kraft getreten sei. Dieser sollte angeblich den allmählichen, systematischen Hungertod der Deutschen zum Inhalt haben.594 Vergeblich versuchten die Franzosen, den Deutschen durch ein Plakat - ‚Darum hungern wir‘- deutlich zu machen, dass die missliche Lage durchaus selbstverschuldet war.595 Zwei Jahre nach Kriegsende wollten nur wenige den Zusammenhang zwischen NS-Regime, Krieg, Niederlage und Besatzung sehen.596 1947 riefen die Mitarbeiter der Anthologie der deutschen Meinung den Lesern beinahe verzweifelt zu:

„Im Deutschland des Jahres 1947 sind Kinder erfroren und Greise verhungert. Ja! Aber ist in Deutschland wirklich zur Genüge bekannt, daß auch in Griechenland Kinder verhungert sind, daß - als Folge des Hitler-Krieges - in unseren Städten die gleiche Not geherrscht hat, daß die Angst bis in den letzten Winkel auf dem Lande vorgedrungen ist? Wir meinen nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn, wir wollen die Flut des Elends nicht noch durch trübe Wasser des Hasses weiter ansteigen lassen. Doch wir wünschen, daß sich das IV. Reich in seinem unglücklichen Geisteszustand manchmal etwas genauer an das Meer von Unglück erinnert, das durch den Machtwillen des III. Reiches und - in seinem Schatten - durch die 98 Prozent Ja-Stimmen, die es unterstützten, über die ganze Welt strömte. Das gleiche Gerechtigkeitsbedürfnis verlangt, daß nicht alles gegenwärtige Missgeschick Deutschlands dem bösen Willen der Besatzungsmächte zugeschrieben wird. Es geht häufig auf Ursachen, die weltbedingt sind, zurück und ist - ausgenommen die Zerstörung der Städte und die Vertriebenen - nicht schlimmer als bei anderen Nationen.“597

Diese Passage ist sehr weitsichtig, gesteht sie doch die alliierte Schuld an Bombenschäden und Vertreibung ein, weist aber gleichzeitig auf die durch die Alliierten unverschuldete

589 Wolfrum 1996a:54.

590 Wolfrum 1996a:60.

591 Wolfrum 1996a:65.

592 Fäßler 1996d:214; Wolfrum 1993:100.

593 Anthologie 1947:149.

594 Anthologie 1947:48.

595 Wolfrum 1993:100.

596 Wolfrum 1993:93.

597 Anthologie 1947:148.

internationale Ernährungslage hin.598 Der versöhnliche Ton und der bekundete Wille „die Flut des Elends (...) nicht noch (...) weiter ansteigen [zu] lassen“, entspricht für weite Teile der Besatzer zumindest zu Beginn der Besatzung jedoch nicht unbedingt der Realität. Innerhalb der französischen Armee dienten viele ehemalige Résistance-Kämpfer, die „nur zu oft von persönlichem Hass getrieben [waren], der aus der deutschen Besatzung Frankreichs herrührte.“599 Ausländischen Beobachtern erschien die französische Besatzungspraxis durchaus als eine Umsetzung des Gedankens „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ So schrieben italienische Gäste der Besatzungsbehörde in Konstanz ins Gästebuch: „Die französischen Militärbehörden traten mit unglaublicher Härte auf, die man nur als Vergeltung deuten kann.“600 Viele Deutsche empfanden sich als doppelte Opfer: zuerst des Nationalsozialismus und nun der Besatzer.601 Von französischen Beobachtern wurde konsterniert festgestellt: „Die Deutschen haben einen Hang, sich im Unglück genauso als einzigartig hinzustellen wie in der Macht: in einem Gefühl finsteren Stolzes.“602 Die Beobachter konstatierten auch eine Haltung des Selbstmitleides, die den Franzosen angesichts der vom NS-Regime begangenen Verbrechen mehr als unpassend erschien:

„Manchmal hat es den Anschein, als ob Deutschland, wenn es schon - gemessen an der Macht - nicht die erste unter den Nationen sein kann, wenigstens in Bezug auf seine Armut und das erlittene Unrecht an der Spitze stehen möchte: ,Wir sind das unglücklichste Volk der Erde. In der Geschichte hat es niemals eine Niederlage gegeben, die der unsrigen vergleichbar wäre. Wir sind der Auswurf der Menschheit.“603

Angesichts dieser Geisteshaltung und des bereits zu Beginn der Besatzungszeit getrübten Verhältnisses der Bevölkerung zu den Franzosen, verwundert es wenig, dass 1950 bei einer Umfrage zwei Drittel der Bevölkerung angaben, schlechte Erfahrungen mit der französischen Besatzung gemacht zu haben.604 Nur die Russen erhielten eine schlechtere Bewertung, hier hatte fast die gesamte Bevölkerung (95%) schlechte Erinnerungen an die Besatzungszeit.605 An erster Stelle standen die Briten, nur ein gutes Drittel der Bevölkerung erinnerte sich an schlechte Erfahrungen, bei den Amerikanern hatte immerhin die Hälfte der Bevölkerung negative Erlebnisse gehabt.606 Ein ähnliches Bild gibt eine amerikanische Umfrage aus dem Jahr 1947: „Of the four Allies the Germans most trusted in the United States to treat Germany fairly (63%); 45 per cent placed much trust in the British, only four per cent in the French,

598 Vgl. Kapitel 1.1.1.

599 Klöckler 1995b:33.

600 Zitiert nach Ferber 1988:27.

601 Wolfrum 1993:99.

602 Anthologie 1947:148.

603 Anthologie 1997:39.

604 Noelle/Neumann 1956:146.

605 Noelle/Neumann 1956:146.

606 Noelle/Neumann 1956:146.

and none in the Russians.“607 Zwei Jahre französischer Besatzung, die in weiten Kreisen der Bevölkerung als besonders schwer empfunden und erlebt wurden, hatten das Vertrauen in die Besatzungsmacht vollkommen erschüttert.

Die Bevölkerung der FBZ fühlte sich isoliert und verlassen, zumal nach der Vereinigung der ABZ mit der BBZ, beherrscht von einer „drittklassigen“608 Siegermacht, die - im Gegensatz zu Briten und Amerikanern - am Aufbau ihrer Zone keinerlei Interesse zu haben schien und selbst nur wenig mehr als Pomp und Protz zu geben hatte. Die Besatzungszeit wurde zur

„düsteren Franzosenzeit“.609

Dieses negative Bild, das die Franzosen - teils selbstverschuldet, teils ohne eigenes Zutun - erhielten, ist umso bedauerlicher, als dass gerade in der Bevölkerung Südwestdeutschlands eine große Mehrheit der Bevölkerung, vor allem des Bürgertums, entgegen aller ‚Erbfeind‘-Propaganda eine durchaus frankophile Haltung hatte. Frankreich, dessen Kultur man bewunderte und dem man sich mental verbunden fühlte, wurden als Besatzungsmacht hohe Erwartungen entgegengebracht.610 Doch auch die Erwartungen dieser Bevölkerungsgruppe wurden auf das bitterste enttäuscht. So schreibt ein Mann aus Koblenz, das zunächst von den Amerikanern besetzt gewesen war:

„Als die Ablösung durch die französischen Truppen in Aussicht stand, konnte ich in dem mir unterstellten Bezirk [der Schreiber war Landrat der Pfalz, d.V.] eine ausgesprochene Sympathie für Frankreich feststellen. Die französische Besatzungsarmee hat sich aber inzwischen diese ursprünglich vorhanden gewesene Zuneigung so gründlich verscherzt, dass das gegenwärtige Misstrauen in dieser Generation kaum zu beseitigen sein dürfte.“611