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Frauenerwerbstätigkeit

II. LEBEN OHNE MÄNNER

2.4 ALLTAG OHNE MÄNNER

2.4.1 Frauenerwerbstätigkeit

In der Nachkriegszeit wurden Frauen nicht nur als Hausfrauen und Mütter und an traditionellen weiblichen Arbeitsplätzen gebraucht, sondern - wie schon während der Kriegsjahre - auch als Ersatz für die männlichen Arbeitskräfte.444 Da die Männer durch Tod oder Gefangenschaft auch nach Ende des Krieges an ihren Arbeitsplätzen fehlten, arbeiteten viele Frauen in eindeutig männlichen Berufen. Frauen „wurden als Koksfahrerinnen in Hochofenbetrieben, als Rollgangsmaschinistinnen und Löscherinnen in Walzwerken, als Begleitputzerinnen in Akkumulatorenfabriken, als LKW-Fahrerinnen oder als Straßenbahnschaffnerinnen“445 beschäftigt. Für all diese Arbeiten erhielten die Frauen die begehrten Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen, was eine nicht unbedeutende Erhöhung der täglichen Kalorienmenge bedeutete. Um möglichst schnell an diese begehrten Zusatzmarken zu kommen, ließen sich zahlreiche Frauen im Baugewerbe anwerben. Hier war die Anlernzeit besonders kurz.446 Diese Frauen sollten als die ‚Trümmerfrauen‘ in das kollektive Gedächtnis eingehen.

In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde die Leistung dieser Frauen in der Öffentlichkeit sehr hoch bewertet. Die Glorifizierung der ‚Trümmerfrauen‘ nahm hier ihren Ausgang. Oft wurde auch der Arbeitseifer der Frauen den anscheinend weniger arbeitsamen Männern als leuchtendes Beispiel vor Augen gehalten.447

Faktisch hatte sich die Frauenrolle nach 1945 erweitert. Frauen arbeiteten in sämtlichen Berufen, auch ‚unweiblichen‘, und leisteten hier, wie in der Hausarbeit, unverzichtbare Aufbauarbeit.448 Frauenerwerbsarbeit hatte bis dahin hauptsächlich in ‚weiblichen‘ Berufen stattgefunden - Krankenschwester, Lehrerin, Köchin etc. - die letztlich nicht mehr darstellten, als eine Erweiterung des privaten Frauenraums und seiner Tätigkeiten in den öffentlichen

444 Schubert 1984:76. Zum gesamten Komplex der Frauenerwerbstätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg vgl.

Ruhl, Klaus-Jörg. 1994. Verordntete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945-1963). München: Oldenburg.

445 Ruhl, Klaus-Jörg. 1988. Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963. München: dtv. (= dtv Dokumente, 2952), hier 40. Weitere Beispiele bei Schubert 1984:83.

446 Ruhl 1988:40.

447 Höhn 1993:64.

448 Vgl. Kapitel 1.3.3.

Raum der Arbeitswelt. Durch die Arbeit von Frauen in ‚unweiblichen‘ Berufen wurde diese Rollenverteilung aufgebrochen. Frauenarbeit trat sowohl räumlich als auch inhaltlich aus dem Bereich des privaten Haushaltes heraus und wurde für die Gesellschaft sichtbar. Diese faktische Durchbrechung der traditionellen Rollenverteilung wurde in der Forschung oft zum Anlass genommen, die Nachkriegszeit auch als ‚Stunde Null‘ der Geschlechter zu bezeichnen.

Hier sei eine große Chance zu einer umfassenden Emanzipationsbewegung gewesen, die von den Frauen nicht oder nur ungenügend zur Kenntnis genommen worden sei.449

Das gesellschaftliche Bild der erwerbstätigen Frau in der Nachkriegszeit spricht jedoch gegen eine Veränderung in den Geschlechterrollen. Da Frauen in Männerberufen eine äußerst ungewohnte Erscheinung waren, erhielten sie in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. In der Presse erschienen zahlreiche Artikel, die Für und Wider der Frauenerwerbstätigkeit diskutierten.450 Das Bild, das die erwerbstätigen Frauen in der Gesellschaft hatten, unterlag einem rapiden Wandel. Während 1945 die Stimmen in der Presse einhellig positive Urteile über Frauen in ‚unweiblichen‘ Berufen fällten, ihre Selbstaufgabe und Aufbauarbeit als vorbildlich lobten, wurden 1949 dieselben Frauen als ‚unweiblich‘, ihre Arbeit als

‚unnatürlich‘ gesehen.451 Trotz aller Anerkennung wurde bereits 1945 die Arbeit, die Frauen außerhalb des Haushaltes und der klassischen weiblichen Berufe leisteten, als ‚unnatürlich‘

angesehen.452 Frauenarbeit in Männerberufen wurde nicht als Erweiterung der traditionellen Geschlechterrollen gesehen, sondern als notwendiges Übel zur Überbrückung einer schweren Krise.453 Die Frauen erschienen in dieser Sicht als vom Schicksal der schweren Nachkriegszeit zu einer Arbeit gezwungen, die ihrer Natur widersprach.454 Der Antrieb, der Frauen die ‚ihrer Natur widerstrebende‘ Arbeit verrichten ließ, wurde folglich auch nicht in Neigung oder Talent der Frauen gesehen, sondern in einem klassischen Bild weiblichen Wirkens: der mütterlichen Sorge um die Angehörigen.455 Dass Frauen die ungeahnten Möglichkeiten der Nachkriegszeit nutzten, um sich Berufswünsche zu erfüllen, die noch wenige Jahre vorher unvorstellbar gewesen wären, schien undenkbar. Frauen arbeiteten demnach, um ihre vaterlosen Kinder zu ernähren oder um Werkstatt oder Familienbetrieb bis zur Rückkehr des gefangenen Ehemannes zu erhalten. Immer jedoch hatte ihre Arbeit Interimscharakter, sie war lediglich Ersatz und Überbrückung bis zur Heimkehr des

449 Vgl. den Forschungsüberblick bei Frevert 1990.

450 Vgl. Höhn 1993.

451 Höhn 1993:69.

452 Höhn 1993:63.

453 Höhn 1993:63.

454 Höhn 1993:64.

455 Höhn 1993:65.

Ehemannes. Dass viele Frauen verwitwet und aufgrund des Männermangels nur wenig Aussicht auf eine neue Ehe hatten, wurde nur selten erkannt.

Vor diesem Hintergrund wundert es wenig, dass Frauen trotz eines großen Mangels an Arbeitskräften wenig Hoffnung auf eine qualifizierte Ausbildung hatten.456 So nötig auch eine Frau auf einem Arbeitsplatz gebraucht wurde, eine langfristige Ausbildung schien sich nicht zu lohnen, da sie den Platz nach Rückkehr des männlichen Kollegen sowieso verlassen würde.

Gerade die ‚Trümmerfrauen‘ erhielten keinerlei Ausbildung, da es unerwünscht war, dass die Frauen sich an das als besonders ‚unweiblich‘ angesehene Baugewerbe banden.457 Die Ausbildung weiblicher Arbeitskräfte schien außerdem wenig rentabel, da jede Frau als potentielle Mutter gesehen wurde.458 Jedwede Erwerbstätigkeit konnte in dieser Sicht lediglich eine Unterbrechung auf dem Weg an den angestammten Platz als Hausfrau und Mutter sein.459

Entsprechend diesem Bild der Frauenerwerbstätigkeit wurde schon kurze Zeit nach Kriegsende verstärkt darauf hingearbeitet, die Frauen aus den Männerberufen zurückzudrängen.460 Diese Entwicklung kann bereits in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg beobachtet werden.461 Auch die Argumente, die die Zurückdrängung der Frauen rechtfertigen sollten, waren dieselben. Vielfach wurden die gesundheitlichen Gefahren genannt, denen sich Frauen an einem ‚männlichen‘ Arbeitsplatz ausgesetzt sahen. In kraftintensiven Berufen wie Bergbau, Maschinenbau etc. sah man nicht ganz zu Unrecht vor allem die Fruchtbarkeit der Frauen gefährdet.462 Zudem wurde vor der ‚psychischen Verrohung‘ gewarnt, die als Folge harter körperlicher Arbeit und des Umgangs mit männlichen Kollegen gesehen wurde.463 Des weiteren führte man die spezielle Eignung der Frauen für pflegende Berufe und eintönige Arbeiten an. Hier könne sich die Frau gemäß ihren Anlagen frei entfalten, in ‚männlichen‘

Berufen ginge ihr spezifisches Potential verloren.464

Der eigentliche Grund für die Zurückdrängung der Frauen lag aber - neben dem Wunsch, die als unnatürlich empfundene Erweiterung der Geschlechterrollen rückgängig zu machen - in der Sorge um die heimkehrenden Kriegsgefangenen. Ihnen sollte nach ihrer Rückkehr ihr angestammter Arbeitsplatz offen stehen.

456 Höhn 1993:67.

457 Schubert 1984:79.

458 Höhn 1993:83.

459 Höhn 1993:83.

460 Burchardt 1996:106; Fuchs 1993:11; Höhn 1993:66.

461 Burchardt 1996:106.

462 Schubert 1984:85ff.

463 Schubert 1984:87f.

464 Schubert 1984:88f.

Angesichts der Arbeitsmarktlage erscheint diese Politik allerdings wenig einleuchtend. Es herrschte keineswegs ein Mangel an Arbeitsplätzen. In Konstanz standen im ersten Nachkriegsjahr regelmäßig 700-800 Arbeitssuchenden 3.000 offene Stellen gegenüber.465 Von einer Gefährdung der männlichen Arbeitnehmer durch die erwerbstätigen Frauen konnte also keine Rede sein.

Dennoch wurden auch in Konstanz Maßnahmen getroffen, um die Frauen von ihren Arbeitsplätzen zu entfernen. Bereits im November 1945 bat der Präsident des Landesarbeitsamtes darum, „möglichst die von Frauen während des Krieges übernommenen Arbeitsplätze zu räumen, sofern es sich nicht um spezifische Frauenarbeitsplätze handle.“466 Wenige Wochen später regte die lokale Hauptfürsorge an, durch die Entlassung verheirateter Frauen Platz für die Kriegsheimkehrer zu schaffen.467 Verheiratete Frauen sollten entlassen, unverheiratete Frauen - die in Ermangelung eines ‚Ernährers‘ auf ihr Einkommen angewiesen waren - auf die von den Ehefrauen geräumten Frauenarbeitsplätze gesetzt werden.468 Tatsächlich wurden entsprechende Listen angefertigt, und zahlreiche Frauen erhielten ihre Kündigung.469

Trotz kritischer Stimmen führte die Rückdrängung der Frauen aus dem Erwerbsleben keineswegs zu einer Protestbewegung der Frauen.470 Viele Frauen waren nach der unermesslichen Doppelbelastung von Haushalt und Erwerbstätigkeit wenig geneigt, in den ungewohnten Berufen weiterzuarbeiten. Sie waren erleichtert, einen Teil der ungewohnten Verantwortung wieder abgeben zu können.471

Der starke Druck der Behörden und das schlechte Bild der Frauenerwerbstätigkeit in

‚unweiblichen Berufen‘ wirkte sich besonders negativ auf jene Frauen aus, die auf ihr Einkommen angewiesen waren. Neben Kriegswitwen und Frauen von Kriegsgefangenen waren dies vor allem junge Frauen, die angesichts des Frauenüberschusses wenig Aussicht auf einen Ehemann hatten. Wie in Kapitel 2.3.2 ausgeführt, lebten in Konstanz fast doppelt so viele Frauen wie Männer. Für einen Großteil dieser Frauen bedeutete damit die eigene Erwerbstätigkeit die einzige Lebensgrundlage. Das Ideal eines weiblichen Lebens - nach kurzer Erwerbstätigkeit in einem möglichst ‚weiblichen‘ Beruf, die von der Natur vorgesehene Rolle als Hausfrau und Mutter zu erfüllen - war für diese Frauen faktisch nicht erreichbar.

465 Burchardt 1996:106.

466 Burchardt 1996:106.

467 Burchardt 1996:106.

468 Burchardt 1996:106.

469 Burchardt 1996:106.

470 Schubert 1984:91.

471 Fäßler 1996d:229.

Viele dieser Frauen konnten ihrer in den Augen der öffentlichen Meinung so misslichen Lage aber durchaus etwas abgewinnen. Für viele wurde der Beruf zu einer Erfüllung, die sie nicht missen wollten.472 Eine Veränderung in den ‚beruflichen‘ Geschlechterrollen brachte diese Entwicklung freilich nicht. Nach wie vor blieben Frauen viele Berufe versperrt, nach wie vor wurden sie schlechter als die Männer bezahlt.473 Die kollektive Erfahrung der Frauen, in Notzeiten durchaus ohne Männer zurechtzukommen, gar ihre Arbeitsplätze einzunehmen und dort ebenso gute Arbeit zu verrichten, hatte hingegen eine tiefgreifende Veränderung im Selbstverständnis der Frauen zur Folge. Sie wurden sich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit bewusst und erhielten damit ein völlig neues Selbstbewusstsein.