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2.3 Lautheit aus psychoakustischer Sicht

2.3.3 Lautheit: Psychoakustische Einflussfaktoren

2.3.3.2 Spektrale Lautheitssummation: Der Einfluss der Frequenzgruppen

63 Schallpegels also uneinheitlich für die verschiedenen Frequenzen zu. Die unterste Kurve des neuen ISO-Standard 226:2003 (durchgezogene Linie), die Hörschwelle (im Diagramm:

„Minimum Level“), weist für 125 Hz einen Wert von 22 dB und für 1 kHz einen Wert von 1 dB auf. Die Hörschwelle für einen 125-Hz-Ton liegt also 21 dB über der des 1-kHz-Sinustons. Bei der 100-Phon-Kurve beträgt der Unterschied des für diesen Lautstärkepegel notwendigen Schalldruckpegels nur noch 5 dB (105 dB für den 125-Hz-Sinuston und 100 dB für den 1-kHz-Sinuston). Für einen identischen Zuwachs des Lautstärkepegels (von der Hörschwelle bis 100 Phon) muss der Schalldruckpegel des 125-Hz-Sinustons also nur um 83 dB angehoben werden, während bei dem 1-kHz-Sinuston 99 dB notwendig sind. Der Lautstärkepegel nimmt mit steigendem Schallpegel also stärker für tiefe Frequenzen als für mittlere Frequenzen zu. Dies gilt mit Abstrichen auch für hohe Frequenzen.170

Zu beachten ist aber, dass die Kurven gleicher Lautstärke in Abhängigkeit von den ihnen zu Grunde liegenden Hörversuchen relativ stark variieren können.171 Dies wird durch den direkten Vergleich der Kurven des alten Standards 226 mit denen des neuen ISO-Standards 226:2003 in Abbildung 17 deutlich. Auffällig ist dabei vor allem die starke Abweichung der Kurven im tiefen Frequenzbereich. Sie beträgt teilweise bis zu 15 dB, so z. B. für die 40-Phon-Kurve bei 125 Hz. Einerseits dürften diese Abweichungen in einer Verbesserung der Messtechnik begründet liegen.172 Andererseits zeigten Gabriel, Kollmeier und Mellert in von ihnen durchgeführten Untersuchungen, dass der Verlauf der Kurven gleicher Lautstärke auch von der Auswahl der Testteilnehmer und vor allem von den Versuchsbedingungen abhängen kann. Schon die Veränderung einer einzigen Unter-suchungsbedingung kann zu erheblichen Abweichungen im Kurvenverlauf führen.173 Daneben wird von großen interindividuellen Abweichungen der Kurven gleicher Lautstärke berichtet.174

64 Lautheitssummation (engl.: spectral loudness summation). Zwar lässt sich mit der Fourieranalyse jedes komplexe Schallereignis in einzelne Sinustöne zerlegen und mit Hilfe der Kurven gleicher Lautstärke und der in Abbildung 22 gezeigten Funktion relativ einfach die Lautheit in Sone für Sinustöne verschiedener Frequenzen bestimmen.175 Die Gesamtlautheit kann aber trotzdem nicht durch eine einfache Addition der Lautheiten der einzelnen Sinustöne berechnet werden. In psychoakustischen Experimenten wurde festgestellt, dass die wahrgenommene Lautstärke von komplexen Schallereignissen auch davon abhängig ist, welchen Abstand die einzelnen Teiltöne auf der Frequenzebene voneinander haben.176

Zurückgeführt wird dies darauf, dass im Innenohr das komplexe Schallereignis zur weiteren Analyse in größere spektrale Einheiten zerlegt wird – die sogenannten Frequenzgruppen (auch: kritische Frequenzbandbreite, kritische Bandbreite, engl.: critical bandwidth). Ein Schallereignis, das eine schmale Bandbreite (z. B. 50 Hz) hat, regt hauptsächlich die für diese Frequenzgruppe zuständige Region auf der Basilarmembran an.

Hat ein Schallereignis dagegen eine sehr große Bandbreite (z. B. 1000 Hz), werden mehrere Frequenzgruppen gleichzeitig angeregt.177 Abbildung 18 zeigt, welche Auswirkungen die Frequenzgruppen auf die Lautstärkeempfindung haben. Sie zeigt die Ergebnisse eines Versuchs, bei dem die Teilnehmer aufgefordert wurden, den Pegel eines 1-kHz-Sinustons so einzustellen, dass er der empfundenen Lautstärke eines Bandpass-Rauschens mit einer Mittenfrequenz von 1 kHz und variabler Bandbreite entsprach.178 Während die Mittenfrequenz und der Schallpegel des Rauschens konstant gehalten wurden, wurde seine Bandbreite erhöht. Dadurch verteilte sich die gleiche Schallenergie zunehmend über einen größeren Frequenzbereich. Der Versuch wurde für verschiedene Schallpegel durchgeführt, die Werte an den vier Kurven geben jeweils den konstant gehaltenen Schallpegel des Bandpass-Rauschens in dB an.

175 Zur Fourieranalyse siehe z. B. Hall (1997), S. 146ff.

176 Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 141; Scharf (1978), S. 201.

177 Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 126, Hall (1997), S. 391.

178 Bandpass-Rauschen: Weißes Rauschen, dessen Bandbreite mit Hilfe eines Bandpassfilters variiert werden kann (Hellbrück, Ellermeier [2004], S. 126). Dabei wird unterschieden zwischen Schmalband- und Breitband-Rauschen, wobei ungefähr ab einer Bandbreite von einer Oktave von Breitband-Breitband-Rauschen, darunter von Schmalband-Rauschen gesprochen wird (Schick [1990], S. 13).

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Abbildung 18: Lautstärkepegel L1kHz von Bandpass-Rauschen in Abhängigkeit von seiner Bandbreite ∆f bei konstantem Pegel L des Rauschens. Gut zu erkennen ist der Einfluss der Frequenzgruppenbreite ∆fG

auf den Lautstärkepegel. Quelle: Zwicker (1982), S. 77.

Die Kurven zeigen den Pegel des 1-kHz-Sinustons (Ordinate; Einheit: L1kHz), der im Mittel von den Teilnehmern als notwendig erachtet wurde, damit der Ton und das Bandpass-Rauschen – in Abhängigkeit von seiner Bandbreite (Abszisse; Einheit: ∆f) – die gleiche Lautstärkeempfindung hervorrufen. Bei kleinen Bandbreiten wurden das Bandpass-Rauschen und der Sinuston bei gleichen Schallpegeln gleich laut empfunden. Ab einer Bandbreite von ca. 160 Hz nahm die empfundene Lautstärke des Bandpass-Rauschens für alle Schallpegel langsam zu. Bei einer weiteren Vergrößerung der Bandbreite des Rauschens wuchs die empfundene Lautstärke stetig weiter an. Ihren Höchstwert erreichte sie bei einem Rauschen mit 16 kHz Bandbreite und einem Schallpegel von 60 dB, das so laut wahrgenommen wurde wie ein 1-kHz-Sinuston mit 75 dB.179

Bei Versuchen dieser Art hat sich gezeigt, dass es eine charakteristische Bandbreite gibt, oberhalb derer das Gehör anderen Gesetzen folgt als bei Bandbreiten unterhalb dieser Grenze.

Bei einem komplexen Schallereignis mit einem konstanten Schallpegel ist die empfundene Lautstärke bis zur Überschreitung der kritischen Bandbreite unabhängig von seiner Bandbreite. Es wird so laut wahrgenommen wie ein Sinuston mit entsprechender Frequenz und entsprechendem Schallpegel. Überschreitet das Schallereignis dagegen die kritische

179 Zwicker 1982, S. 77; Zwicker, Fastl (1999), S. 211.

66 Bandbreite, steigt die empfundene Lautstärke mit Vergrößerung der Bandbreite an. Dieses Phänomen wird als spektrale Lautheitssummation bezeichnet.180

Dabei muss beachtet werden, dass die Wirkung der Frequenzgruppen auf die Lautheit abhängig vom Schallpegel des (Test-)Signals ist. Bei einem Bandpass-Rauschen mit 20 dB (siehe Abbildung 18) nimmt die subjektiv empfundene Lautstärke bei einer sehr großen Bandbreite sogar ab. Am größten ist der Einfluss der Frequenzgruppen auf die Lautheit bei moderaten Pegeln von 40-60 dB. Ab ca. 60 dB ist der Einfluss der kritischen Bandbreite nicht mehr so groß, die Kurve verläuft flacher.181

Die Breite der Frequenzgruppen nimmt mit wachsender Mittenfrequenz zu, und zwar als ungefähr konstanter Prozentanteil von 10-20 % der Mittenfrequenz.182 Ältere Untersuchungen zeigten, dass die Frequenzgruppen unterhalb einer Mittenfrequenz von 500 Hz eine relativ konstante Breite von ungefähr 100 Hz haben. Dies ist auch Abbildung 19 zu entnehmen, welche die Breite der Frequenzgruppen als Funktion der Frequenz darstellt. Aktuelle Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass die Breite der Frequenzgruppen auch unterhalb einer Mittenfrequenz von 500 Hz mit sinkender Frequenz weiter abnimmt.183

Abbildung 19: Breite ∆fG der Frequenzgruppen als Funktion der Frequenz f. Näherungen sind gestrichelt eingetragen. Quelle: Zwicker (1982), S. 51.

180 Moore (2004), S. 134ff.; Scharf (1978), S. 201f.; Zwicker et al. (1957), S. 548ff.; Zwicker, Fastl (1999), S. 211; Verhey (1999), S. 30; Gelfand (1990), S. 391; Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 141f.

181 Zwicker (1982), S. 77f.; Scharf (1978), S. 202.

182 Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 128; Zwicker, Fastl (1999), S. 158; Hall (1997), S. 391.

183 Moore (1993), S. 67f.; Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 124; Schneider; Tsatsishvili (2011), S. 99ff.

67 Frequenzgruppen besitzen keine definierten Grenzen. Der Übergang zwischen den einzelnen Bändern geschieht nicht abrupt, sondern fließend. Außerdem haben die Frequenzgruppen keine feste Mittenfrequenz. Vielmehr kann jeder beliebige Punkt auf der Basilarmembran (bzw. die ihm entsprechende Bestfrequenz) die Mittenfrequenz einer Frequenzgruppe bilden.

In der Realität verschiebt sich eine Frequenzgruppe immer dorthin, wo sie am meisten Informationen aufnehmen kann.184 Trotzdem wird aus Gründen der Vereinfachung das hörbare Frequenzspektrum normalerweise in 24, bzw. 25 feste Frequenzgruppen eingeteilt, die nahtlos aneinander gereiht sind. Diese so genannte Frequenzgruppenskala hat entweder Bark oder ERB als Einheit.185