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Empirischer Teil 3

3.1 Organismusvariablen: Stand der Forschung

3.1.1.1 Musikpräferenz

Es gibt bisher nur wenige Experimente über den Zusammenhang zwischen der Präferenz für eine bestimmte Art von Musik und ihrer wahrgenommenen Lautstärke. Der Erkenntnisstand ist dementsprechend dürftig. Als gesichert kann aber immerhin gelten, dass ein Zusammenhang zwischen der Musikpräferenz und dem bevorzugten Abhörpegel (engl.: Most Comfortable Listening Level; MCLL) besteht.328 Der folgende Abschnitt fasst die zu diesem Thema durchgeführten Untersuchungen zusammen.

Cullari und Semanchick baten 15 College-Studenten, ihre Präferenz für zehn Musikstücke unterschiedlicher Genres auf einer siebenstufigen Skala anzugeben. Anschließend bekamen die Vpn die Aufgabe, ihren bevorzugten Abhörpegel für jedes der zehn Stücke mit Hilfe eines Volumenreglers selbst einzustellen. Die Autoren fanden eine signifikante Korrelation zwischen der Bewertung der Musik und der eingestellten Abhörlautstärke: je größer die Zustimmung zur Musik, desto höher der eingestellte Abhörpegel.329

Fucci et al. führten zwei Untersuchungen zum Einfluss einer Präferenz für Rockmusik auf die Lautstärkewahrnehmung durch. An den Untersuchungen nahmen jeweils 40 College-Studenten teil – 20 Vpn gaben an, Rockmusik zu mögen, die anderen 20 Vpn nicht. Im ersten

327 Zeitler et al. (2003), S. 602; Zeitler et al. (2004), S. 1; Ellermeier et al. (2004), S. 1492. Zum Problem der Definition von Bedeutung siehe: Jourdain (2001), S. 331ff.; Schneider (1980), S. 26ff.; Richards, Ogden (1969).

Zum Thema musikalische Bedeutung siehe außerdem: Karbusicky (1986); Tagg (1987).

328 Fastl, Florentine (2011), S. 207f. Zur Definition des Begriffs der „Musikpräferenz“ siehe Abschnitt 3.2.1.3.1.

Der bevorzugte Abhörpegel definiert sich wie folgt: „...the level that an individual would prefer for listening.“

(Coren [1994], S. 1269).

329 Cullari, Semanchick (1989), S. 186.

110 Versuch wurde den Vpn ein zehn Sekunden langer Ausschnitt aus dem Stück Heartbreaker von Led Zeppelin mit acht verschiedenen Schallpegeln (10 dB bis 90 dB über der individuellen Hörschwelle) vorgespielt.330 Die Vpn bekamen die Aufgabe, den Ausschnitten Zahlen zuzuordnen – entsprechend der von ihnen wahrgenommenen Lautstärke (Methode der Größenschätzung). Die von der Gruppe der Rockmusikliebhaber angegebenen Zahlenwerte waren signifikant kleiner als die der anderen Gruppe.331 In einem zweiten Versuch mussten die Vpn die Lautstärke des Stimulus (ebenfalls Heartbreaker von Led Zeppelin) selbst mit Hilfe eines Pegelstellers einstellen (Herstellungsmethode). Dazu wurden vom Vl sieben verbalisierte Lautstärkestufen (von very soft bis extremly loud) vorgegeben. Die Vpn der Gruppe der Rockmusikliebhaber stellten signifikant höhere Pegel ein als die Vpn der anderen Gruppe.332 Die Autoren schlossen aus den Ergebnissen der beiden Versuche, dass Musik, die gerne gehört wird, bei gleichem Pegel als weniger laut empfunden wird als Musik, die weniger Zustimmung findet.333

1996 führten Fucci et al. einen weiteren Versuch durch. Das Versuchsdesign war identisch mit dem des ersten Versuchs (Methode der Größenschätzung). Allerdings wurde es insofern erweitert, als sich die 30 Vpn in drei Gruppen aufteilten: zehn Rockmusikliebhaber, zehn Liebhaber klassischer Musik und zehn Vpn, die angaben, Big-Band-Musik zu bevorzugen.

Ziel der Untersuchung war es festzustellen, ob auch die Präferenz für andere Musik als Rockmusik die Lautheitswahrnehmung beeinflusst. Als Stimuli kamen Ausschnitte aus Heartbreaker von Led Zeppelin, In the Mood von Glenn Miller und der Symphonie Nr. 29 in A-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart mit einer Länge von jeweils 10 Sekunden zum Einsatz. Der Schallpegel der Stimuli war abgestuft in acht 10-dB-Schritten – von 10 dB bis 90 dB über der individuellen Hörschwelle.

Die Autoren fanden heraus, dass die Vpn mit einer Präferenz für Rockmusik bei der Größenschätzung von Rockmusik signifikant andere Zahlenwerte angaben als die Vpn der

330 Etwas unverständlich ist, dass die Autoren lediglich ein Musikstück als Stimulus verwenden, dessen Veröffentlichung zum Zeitpunkt des Versuchs zudem schon 24 Jahre zurücklag.

331 Fucci et al. (1993a), S. 1174f. Bei einer weiteren, nahezu identischen Untersuchung von Fucci et al., bei der die Auswertung allerdings nach Geschlechtern getrennt erfolgte, zeigten sich signifikante Unterschiede nur bei den Frauen. Für die Männer unterschieden sich die Werte von der Gruppe der Rockmusikliebhaber nicht von denen der anderen Gruppe (Fucci et al. [1994], S. 1238ff.).

332 Fucci et al. (1993b), S. 813f.

333 Fucci et al. (1993a), S. 1174f. Fucci et al. (1993b), S. 813f. Zu einem ähnlichen Fazit kommen auch Cullari, Semanchick, (1989), S. 186.

111 anderen beiden Gruppen. Gleiches galt auch für die Liebhaber von Big-Band-Musik; ihre bei der Größenschätzung von Big-Band-Musik verwendeten Zahlenwerte wichen signifikant von den Werten der anderen Gruppen ab. Für klassische Musik ließen sich derartige Unterschiede nicht feststellen, denn die bei der Größenschätzung verwendeten Zahlenwerte wichen für die drei Gruppen nicht signifikant voneinander ab. Die Autoren sahen mit den Ergebnissen ihre nach den ersten Versuchen geäußerte These zumindest für Rockmusik und Big-Band-Musik bestätigt: Musik, die gerne gehört wird, wird bei gleichem Pegel als weniger laut empfunden als solche Musik, die wenig Zustimmung findet. Eine befriedigende Erklärung dafür, warum dies nicht für klassische Musik gilt, bleiben die Autoren schuldig. Ihre auf der Persönlichkeit der Vpn und dem spektralen Gehalt der Stimuli basierenden Erklärungsversuche sind letztendlich pure Spekulation.334

Laumann et al. untersuchten den Einfluss der Musikpräferenz auf den bevorzugten Abhörpegel von Musik. Bei ihrem Versuch wurden den 88 Vpn 60 Ausschnitte aus Musikstücken verschiedener Genres dargeboten; sie hatten jeweils eine Länge von fünf Sekunden mit Pegeln von 60, 65, 70 und 75 dB. Die Vpn sollten die Musikstücke bezüglich ihrer wahrgenommenen Lautstärke auf einer fünfstufigen Skala (von „too soft“ bis „too loud“) beurteilen. Daneben gaben sie an, wie stark die Musik ihrem Geschmack entspricht (fünf Stufen; von „I like it very much“ bis „I dislike it very much“). Die Autoren stellten fest, dass die Vpn die von ihnen favorisierte Musik lieber mit einem höheren Schallpegel hörten als weniger favorisierte. Allerdings waren die Unterschiede nicht groß, die als angenehm empfundene Abhörlautstärke lag für bevorzugte Musik im Schnitt nur um 1,4 dB höher als für nicht bevorzugte.335

Fasst man die Ergebnisse der vorgestellten Versuche zusammen, so stellt man fest, dass insgesamt noch ein großer Bedarf an weiterer Forschung besteht. Dass eine hohe Wertschätzung einer bestimmten Art von Musik zu Toleranz gegenüber hohen Lautstärken führen kann, ist durchaus nachvollziehbar und kognitiv erklärbar.336 Aus dieser Akzeptanz für höhere Pegel bei favorisierter Musik kann aber nicht geschlossen werden, dass eine andere Lautstärkewahrnehmung zu Grunde liegt. Der von den Vpn bevorzugte Abhörpegel sagt nichts über den Akt der Lautstärkeempfindung an sich aus.

334 Fucci et al. (1996), S. 339ff.

335 Laumann et al. (2006), S. 1f.

336 Jauk (1994), S. 77.

112 Zusammengefasst heißt das also: Fucci et al. konnten in mehreren Untersuchungen zeigen, dass bei Musik mit steigender Präferenz die bei der Größenschätzung eingesetzten Zahlen immer kleiner ausfallen. Die Autoren schlossen daraus, dass favorisierte Musik bei gleichem Pegel als weniger laut empfunden wird als Musik, die nicht gemocht wird. Dabei bleibt allerdings fraglich, ob von den Vpn wirklich die Lautheit, oder nicht etwa nur die Störwirkung der Musik beurteilt wurde.337

Lediglich ein Versuch von Fucci et al., bei dem die Vpn die Lautstärkewerte für sieben verbalisierte Lautstärkestufen (von „very soft“ bis „extremly loud“) selbst einstellen mussten, gibt Hinweise darauf, dass die von Vpn verwendeten Lautstärkekategorien – und damit ihre Lautstärkewahrnehmung – mit der Musikpräferenz korreliert sein könnten. Allerdings haben die Ergebnisse dieses Versuchs nur einen beschränkten Aussagewert: Getestet wurde lediglich die Präferenz für Rockmusik, und das auch nur mit einem Stimulus.338