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2.3 Lautheit aus psychoakustischer Sicht

2.3.4 Verfahren zur Messung von Lautheit

2.3.4.2 Fechners Gesetz

84 Canévet, Hellman und Scharf, bei dem die Teilnehmer Lautheitsexponenten von n= 0,2 bis n=

1,5 aufwiesen, sachlogisch gar nicht erklären. Stünden die Daten wirklich für eine Lautheitsempfindung, hieße das nämlich, dass sich Versuchspersonen mit einem gesunden Gehör um Faktoren unterscheiden würden, die größer als 1000 sind.239

Trotz aller berechtigter Kritik hat sich die Sone-Skala als einzige Skala zur Messung von Lautheit etabliert. In der psychoakustischen Fachliteratur, in der Literatur angrenzender Fachgebiete wie z. B. der Tonstudiotechnik, in allgemeiner gehaltenen Werken über Akustik oder in Musiklexika wird Lautheit automatisch mit der Sone-Skala verknüpft. Dass sie auf einer ganz bestimmten Art von Versuch beruht und demnach noch andere Lautheitsskalen möglich wären, bleibt dabei weitestgehend unerwähnt. Im Folgenden sollen deshalb noch einige alternative Ansätze zur Skalierung von Lautheit vorgestellt werden.

85 ebenmerklichen Unterschiede zusammen mit Webers Gesetz zur Konstruktion einer Skala für die Empfindungsstärke (ψ, siehe Abbildung 26).243 Er nahm an, dass die DL subjektiv gleich sind und sich durch „aneinander legen“ der DL eine Empfindungsskala konstruieren lässt. Der Nullpunkt (R0) der Skala ergibt sich durch die Absolutschwelle (beim Hören die Hörschwelle), die nächst stärkere Empfindung liegt einen DL über der Reizschwelle, usw. Ein DL markiert somit den kleinsten möglichen Empfindungszuwachs, d.h. die DL sind die Grundeinheiten der Empfindungsstärke.244

Abbildung 26: Schematische Darstellung der Beziehung zwischen Reizintensität (φ) und Empfindungsgröße (ψ) nach Fechners psychophysischer Beziehung. Die Unterschiedsschwelle (DL) definiert die kleinstmögliche Zunahme der Empfindungsstärke. Sie wächst entsprechend Webers Gesetz mit zunehmender Reizstärke an. Insgesamt führt eine logarithmische Zunahme der Reizstärke zu einer linearen Zunahme der Empfindungsstärke (R0 = Reizstärke an der Absolutschwelle; ∆R = Reizzuwachs zum Erreichen der Unterschiedsschwelle). Quelle: Handwerker (2005), S. 211.

Eine Integration über den Weber-Quotienten (∆φ/φ) führt zu einer logarithmischen Reizzunahme. Fechners Gesetz besagt also, dass sich aus einem logarithmischen Zuwachs der Reizstärke (φ) ein linearer Zuwachs der Empfindungsstärke (ψ) ergibt: ψ = k · log φ + φ0.

243 Zu den von Fechner verwendeten psychophysischen Methoden siehe z. B. Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 217ff.; Fechner (1860a), S. 71ff.

244 Fechner (1860a), S. 60ff.; Handwerker (2005), S. 290f.; Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 216.

86 Dabei ist k die für jede Sinnesmodalität spezifische Weber-Konstante, φ die Reizstärke und φ0

die Reizstärke an der Absolutschwelle.245

Fechner nahm an, dass sein Gesetz für viele Sinnesmodalitäten Gültigkeit hat, u. a. auch für den Zusammenhang zwischen dem Schalldruck (bzw. der Schallintensität) und der wahrgenommenen Lautstärke.246 Dementsprechend glaubte man bis Anfang des 20. Jahrhunderts, dass es sich bei dem logarithmierten Schallpegel – der dB-Skala – um eine gehörrichtige Empfindungsskala für die Lautstärke handelt. Um 1920 wurde diese Annahme allerdings widerlegt, da einer Verdoppelung des Schallpegels keineswegs eine Verdoppelung der empfundenen Lautstärke entspricht.247 Infolgedessen geriet Fechners Gesetz immer weiter in die Kritik. Das Grundproblem ergibt sich aus seiner Annahme, dass die Empfindungsstärke durch Integration von Unterschiedsschwellen abgebildet werden kann. Kritiker sehen in Fechners Gesetz eher eine Skala der Unterscheidbarkeit als eine Skala der Empfindungs-stärke.248 Außerdem zeigte sich, dass Webers Gesetz und damit auch Fechners Gesetz nur für den Bereich mittlerer Reizintensitäten gültig ist.249

In der Wahrnehmungspsychologie verdrängte Stevens mit seinem Potenzgesetz dann spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts fasst völlig Fechners Idee eines logarithmischen Zusammenhangs zwischen Reiz- und Empfindungsstärke. Parallel zu dieser Ablehnung von Fechners psychophysischem Grundgesetz in der Wissenschaft fand paradoxerweise die frequenzbewertete Schallpegelmessung, als einfach durchzuführendes und vermeintlich

„gehörgerechtes“ Messverfahren für die empfundene Lautstärke, in der praktischen Anwendung (z. B. der Lärmmessung) weite Verbreitung.250

245 Fechner (1860b), S. 13; Plattig (1975), S. 360; Handwerker (2005), S. 287ff.

246 Fechner (1860b), S. 191ff.; Fechner (1860a), S. 175ff., 257ff. Voraussetzung sei allerdings die Gültigkeit des Weber-Gesetzes (vgl. Fechner [1860b], S. 191).

247 Schick (1990), S. 20; Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 46; Stevens (1975), S. 1ff.

248 Handwerker (2005), S. 290.

249 Plattig (1975), S. 361. Dessen war sich allerdings auch schon Fechner bewusst (Fechner [1860a], S. 67).

250 Schick (1990). S. 16ff. Die frequenzbewertete Schallpegelmessung beruht auf einer einfachen Messung des Schallpegels. Vor der Messung wird das Signal entsprechend einer normierten Kurve gefiltert. Dazu wurden international die A-, B- und C-Filterkurven standardisiert (für Deutschland in DIN 45 630 [1967]). Die Filterkurven stellen in vereinfachter Form die inversen Verläufe der Kurven gleicher Lautstärke (siehe Abbildung 17) für verschiedene Lautstärkepegel dar. Durch ihren Einsatz bei der Schallpegelmessung wird versucht, der Frequenzabhängigkeit des Ohres Rechnung zu tragen. Das A-Filter entspricht den Phon-Kurven im niedrigen Schallpegelbereich bis 30 Phon, das B-Filter dem mittleren Bereich von 30-60 Phon und das C-Filter dem hohen Schallpegelbereich über 60 Phon. Bei der Lärmmessung kommt laut Vereinbarung nur die

A-87 2.3.4.3 Lambda-Skala

Ein weiterer alternativer Ansatz zur Erstellung einer Lautheitsskala geht auf Garner zurück.

Er entwickelte seine Lambda-Skala für Lautheit aus einer Kombination von zwei experimentell ermittelten Lautheitsskalen. Eine Lautheitsskala wurde mit Hilfe einer Partitionsmethode, der Äquisektion (engl.: method of equisection) erstellt, während für die zweite auf eine Variante der Herstellungsmethode, die Fraktionierungsmethode (engl.:

method of fractionation) zurückgegriffen wurde.251 Bei der Äquisektionsmethode wird der Teilnehmer aufgefordert mehrere, zwischen zwei Extremwerten liegende Reize so einzustellen, dass die durch sie ausgelösten Empfindungen gleichabständig erscheinen.252 Garner ließ die Teilnehmer seiner Versuche ein Reihe von 1-kHz-Sinustönen (bei einem Experiment 3, bei einem anderen 5) so zwischen zwei 1-kHz-Sinustönen mit Extremschall-pegelwerten einordnen, dass sie bezogen auf ihre subjektiv empfundene Lautstärke gleiche Abstände zueinander bildeten.253 Bei der Herstellungsmethode wird die Vp aufgefordert, den Reiz so zu verändern, bis dieser eine bestimmte, vom Versuchsleiter vorgegebene Empfindung hervorruft.254 In Garners Versuch mussten die Teilnehmer einen 1-kHz-Sinuston halb so laut einstellen wie einen vorgegebenen Standardton.255

Aus den Ergebnissen dieser Versuche erstellte Garner zunächst zwei Lautheitsskalen, die er anschließend zu einer Standardlautheitsskala kombinierte, weil jede Skala eine Unbekannte besitze und sie deshalb für sich alleine keine echten Ratioskalen seien: „Equisection judgments will allow the construction of a scale with true interval properties but with an unknown intercept constant. Fractionation judgments will allow the construction of a scale with an unknown ratio but a true zero point.”256 Nur durch die Kombination beider Skalen entstehe eine echte Ratioskala. Als Einheit für die Lautheit wählte Garner λ, um sich von Stevens' Sone-Skala abzusetzen. Als Maß für die Lautheit wird ein λ definiert als die

Filterkurve zum Einsatz (Hellbrück, Ellermeier [2004], S. 76f., Schick [1990], S. 30.). Zu den Problematiken, die sich durch den Einsatz des A-bewerteten Schalldruckpegels in der Lärmmessung ergeben siehe: Zwicker (1982), S. 138ff.; Schick (1990), S. 30ff.; von Ruschkowski, Schneider (2012).

251 Garner (1954a); Garner (1959).

252 Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 243.

253 Garner (1954a), S. 78f.

254 Hellbrück, Ellermeier (2004), S. 217.

255 Garner (1954a), S. 79.

256 Garner (1954a), S. 75.

88 subjektiv empfundene Lautstärke von einem 1-kHz-Sinuston mit einem Lautstärkepegel von 40 Phon.257 Abbildung 27 zeigt die λ-Lautheitsfunktion nach Garner.

Abbildung 27: λ-Lautheitsfunktion für einen 1-kHz-Sinuston nach Garner. Lautheit (im Diagramm:

loudness (λ); im logarithmischen Maßstab) ist dargestellt als Funktion des Lautstärkepegels (im Diagramm: loudness level). Quelle: Garner (1954a), S. 83.

Demnach besteht im Bereich von 50-110 Phon ein linearer Zusammenhang zwischen der Lautheit und dem Lautstärkepegel, der mathematisch wie folgt ausgedrückt werden kann:

log λ= 0,0132 LL - 0,5157. Dabei bezeichnet LL den Lautstärkepegel.258 Garners Lautheits-funktion weicht beträchtlich von der auf Stevens' Potenzgesetz beruhenden (Abbildung 22) ab. So nimmt die Lautheit für den Bereich zwischen 40 Phon und 110 Phon bei Garner nur um den Faktor 8,65 zu, während sie bei Stevens um den Faktor 215 zunimmt.259

257 Garner (1954a), S. 81.

258 Garner (1954a), S. 83.

259 Garner (1954a), S. 84. Die Abzisse ist in Abbildung (Abbildung 22) zwar mit Schallpegelwerten bezeichnet, diese können aber bei Bedarf für einen 1-kHz-Sinuston durch gleichzahlige Lautstärkepegelwerte ersetzt werden (s. Abbildung 23).

89 Festzuhalten bleibt, dass sich Garners Lambda-Skala nicht gegen die Sone-Skala durchsetzten konnte und selbst in Fachbüchern wenig bis gar keine Beachtung findet.260