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Sozialwissenschaftliche Analyse

Im Dokument Virtuelles Biogas (Seite 64-67)

Wie die Untersuchungen dieser Fachdisziplin gezeigt haben, muss die Erzeugung, Netzeinspeisung und Nutzung von Biogas als komplexes System aus unterschiedli-chen verfügbaren Technologien, verschiedenen Gruppen von Akteuren mit spezifi-schen Strategien, Interessen und Erfahrungen sowie institutionellen Rahmenbedin-gungen wie gesetzlichen Regulierungen aber auch ‚weicheren’ Professionskulturen und kollektiven Orientierungen verstanden werden. Ob ein solches System auch befriedigend funktioniert, hängt nicht nur von technischen und ökonomischen Pa-rametern ab, sondern auch von der Ausgestaltung und vom Zusammenspiel der Grunddimensionen Technik – Akteure – Institutionen. Im Rahmen des vorliegenden Arbeitspaketes wurde auf Basis von Experteninterviews und der Auswertung weite-rer schriftlicher Materialien eine Analyse der akteurs- und institutionellen Dimension des Systems ‚Virtuelles Biogas’ vorgenommen. Die Detailergebnisse der Ausarbei-tungen finden sich im Anhang 5.

Als Gesamtbild ergibt sich, dass nach einer Phase relativ intensiven Wachstums, das vor allem durch das Ökostromgesetz und die dadurch bedingten erhöhten Ein-speisetarife für Strom aus Biogas bedingt war, eine Phase der Stagnation eingetre-ten ist, in der sich ein Großteil der Biogasanlagen großen ökonomischen Problemen gegenübersieht und die Errichtung von Neuanlagen beinahe zum Erliegen gekom-men ist. Dies ist durch verschiedene Faktoren bedingt, wie die Stop-and-go Politik bei der Festlegung von Rahmenbedingungen für die Ökostromeinreichung, aber auch steigende Rohstoffpreise und eine in der öffentlichen Diskussion vielfach be-fürchtete Konkurrenz zu Nahrungsmittelerzeugung sowie eine gewisse Sättigung bei Standorten für landwirtschaftliche Kleinanlagen, für welche vielfach ein ausreichen-der Bedarf für die produzierte Wärme fehlt.

In dieser Situation setzen viele Akteure die Hoffnung auf die vermehrte Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz und die damit verbundene vielseitige Verwendbarkeit als Kraftstoff für gasbetriebene Fahrzeuge, für die kombinierte Erzeugung von Strom und Wärme an Orten mit ausreichendem Wärmebedarf oder als ökologische Substitution von Erdgas für Heizzwecke. Zwar ist unter den derzeitigen Bedingun-gen Biogas geBedingun-genüber Erdgas nicht konkurrenzfähig, doch gibt es bereits mehrere Demonstrationsanlagen zur Biogas-Netzeinspeisung. Diese Entwicklungen finden vor dem Hintergrund statt, dass längerfristig aufgrund steigender Gaspreise auch eine ökonomische Konkurrenzfähigkeit von Biogas erwartet wird, für die jetzt Erfah-rungen gesammelt und Strukturen geschaffen werden müssen. Außerdem machen es eine Reihe nachfrageseitiger Regulierungen für Gasversorger erforderlich oder zumindest attraktiv, bereits jetzt Biogas in ihrem Angebotsportfolio zu haben. Trotz solcher durchaus vorhandenen Antriebskräfte und Motivationen zeigt sich, dass noch ein weiter Weg zu einer reibungsfreien Kooperation der beteiligten Akteure und einer effektiven Gestaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen für die Biogaseinspeisung zurückzulegen ist.

Eine Reihe wichtiger Barrieren und möglicher Konfliktfelder soll hier überblicksartig aufgelistet werden:

Eine zentrale Herausforderung für eine umfangreichere Nutzung von Biogas über die Einspeicherung in das Gasnetz, ist die Gestaltung der Kooperation zwi-schen Akteuren der Gaswirtschaft und der Landwirtschaft. Beide Sektoren sind gezwungen, bei ‚virtuellem Biogas’ auf die eine oder andere Art miteinander zu

kooperieren, unterscheiden sich aber deutlich in Bezug auf ihre ökonomischen Strukturen und ‚sektoralen Kulturen’. Während die Gasbranche etwa an ausrei-chend großen Projekten mit langfristigen und stabilen Verträgen interessiert ist, ist die Landwirtschaft eher kleinteilig strukturiert, präferiert tendenziell kleinere Anlagengrößen und kürzere Zeithorizonte, um auf Schwankungen der Lebens-mittelpreise reagieren zu können. Hier wäre es notwendig entsprechende Koo-perationsmodelle zu erproben, Lernprozesse zu ermöglichen und Erfahrungen zu sammeln.

Aus Sicht der Gasbranche werden die landwirtschaftlichen Akteure teilweise als unzuverlässig wahrgenommen, da immer die Gefahr bestünde, dass sie bei al-ternativen Verdienstmöglichkeiten auch aus bestehenden Verträgen ausstiegen.

Aus Sicht der Betreiber von Biogasanlagen wiederum besteht die Problematik darin, dass es wenig Transparenz bezüglich der Einspeisebedingungen gibt (wie viel Biogas kann auch in den Sommermonaten abgenommen werden?), zum Teil auf das Erdgassystem zugeschnittene Standards die Einspeisung erschweren (Qualitätsvorschriften, Ausgleichsenergiezahlungen) und der Anlagenbetreiber mit einer Reihe von Akteuren (Regelzonenführer, Netzbetreiber, Abnehmer etc.) oft schwer überschaubare Verhandlungen führen muss. Hier zeigt sich, dass sich im Fall der Biogasnetzeinspeisung noch kein stabiles und effizientes System von Akteuren und Regulierungen entwickelt hat.

Ganz in diesem Sinne stellen auch Geschäftsmodelle für die Erzeugung und Nut-zung von Biogas noch in den Kinderschuhen. Angebotsseitig ist etwa noch eine offene Frage, wie die Wertschöpfungskette organisiert ist – etwa ob Landwirte nur Rohstofflieferanten oder auch Anlagenbetreiber sind und wie die Zusam-menarbeit mit der Gasbranche geregelt wird. Doch auch kundenseitig ist noch nicht klar, welche Produkte angeboten werden sollen – etwa ein Biogasprodukt für Haushalte mit einem etwas erhöhten Preis; Biokraftstoffe oder Beimengun-gen, spezielle Angebote und Serviceleistungen für Firmen etc. Hier wird es noch intensiver Bemühungen und kreativer Ideen bedürfen, um einen entsprechen-den Markt für Biogas zu entwickeln.

Eine nachfrageseitige Antriebskraft stellen aber bereits derzeit unterschiedliche Regulierungen und Förderstrukturen dar – etwa das Erfordernis, einen bestimm-ten Anteil bei Treibstoffen aus erneuerbaren Energieträgern bereitzustellen, die Bindung von Wohnbaufördermaßnahmen an die Wärmeversorgung mit Erneuer-baren oder das Interesse öffentlicher Unternehmen, etwa kommunaler Ver-kehrsbetriebe, an umweltfreundlichen Alternativen. Dieser Nachfragesog könnte ein wichtiger Faktor für die weitere Implementation von Biogasprojekten sein und sollte dementsprechend verstärkt werden (z.B. durch vergleichbare Rege-lungen in anderen Bundesländern; Ausschreibungen bei öffentlichen Projekten etc.).

Auf der institutionellen Ebene herrscht in Österreich noch ein großes Defizit an regulatorischen und finanziellen Anreizen für die Einspeisung von Biogas. Der-zeit hängt die Entwicklung sehr stark an den Regulierungen für Ökostrom (Tari-fe, Förderdauer etc.) und einigen wenigen steuerlichen Anreizen (z.B. Befreiung von der Erdgasabgabe). Eine Benchmark für die regulatorische Förderung stel-len die derzeitigen Regelungen in Deutschland dar (Erneuerbare-Energien-Gesetz, Gaseinspeiseverordnungen), die in Analogie zu Ökostrom eine Reihe von ‚Anschlussprivilegien’ für Biogaseinspeisung festlegen. Während solche Maßnahmen von vielen ExpertInnen auch für Österreich gefordert werden, ist die Gasbranche (im Gegensatz zu auch von ihr unterstützten steuerlichen

Anrei-zen) diesbezüglich skeptisch, da bei einer finanziellen Mehrbelastung von Gas-kundInnen eine Ausweichmöglichkeit auf andere Energieträger besteht.

Ein Defizit für die Herausbildung stabiler gemeinsamer Orientierungen zu Fragen der Biogaseinspeisung stellt derzeit auch eine große Unsicherheit bzw. divergie-rende Meinung bezüglich der ‚realistisch’ erschließbaren Biogaspotentiale dar.

Während ein Teil der Akteure der Ansicht ist, dass Biogaseinspeisung nur an sehr wenigen Einspeisepunkten, mit eher hohen Kosten und nur geringer Auf-nahmekapazität des Gasnetzes möglich sei, sehen andere bedeutende wirt-schaftlich erschließbare Potentiale für unterschiedlichste Kombinationen aus Netzeinspeisung, Speicherung und die Errichtung eigener Mikronetze zur Gas-versorgung.

Ein letzter Punkt der für die weitere Entwicklung von Biogas ernst genommen werden sollte, ist die Frage der öffentlichen Akzeptanz. Die öffentliche Diskussi-on kDiskussi-onzentriert sich dabei stark auf Fragen der KDiskussi-onkurrenz zwischen Landwirt-schaft und erneuerbaren Energien (Flächenkonkurrenzen, Monokulturen etc.) sowie vor allem bei größeren Biogasprojekten, wie sie bei Netzeinspeisung eher der Fall sind, auf Ängste und Probleme mit dem Betrieb der Biogasanlage in unmittelbarer Nachbarschaft (Verkehrsaufkommen, Geruch etc.). Im ersteren Fall sollte das Bemühen um stärkere Entkopplung von Energie und Landwirt-schaft, z.B. durch die Nutzung von Zwischenfrüchten, weiter vorangetrieben und auch entsprechend öffentlich kommuniziert werden, für den zweiteren Fall der Akzeptanz von Anlagen gibt es bereits Leitfäden und Handlungsanleitungen zur frühzeitigen Einbeziehung der Nachbarn, einer verstärkten präventiven und professionellen Informationsarbeit und anderen Maßnahmen zur besseren sozia-len Einbettung der Biogasanlagen, die auch entsprechend umgesetzt werden sollten.

5.5 Analyse der Schnittstellen von Agrar- und

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