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Ausgangslage: Zur Situation der Biogas-Nutzung in

Im Dokument Virtuelles Biogas (Seite 188-192)

Die Entwicklung von Biogas zur Energienutzung reicht in Österreich im wesentlichen zu den Ölpreisschocks Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre zurück, wobei in der Anfangsphase eher Anlagen für die Vergasung von Klärschlamm (mit direkter Nutzung des Biogases für den Eigenenergiebedarf des Klärwerks) überwogen und mit einigen Anlagen von ‚Bastlern’ im Bereich der Landwirtschaft ergänzt wurden.

Ein markantes Wachstum der Biogaserzeugung gibt es erst seit Beginn dieses Jahr-tausends, insbesondere seit der Einführung spezieller Einspeisetarife im Rahmen des Ökostrom-Gesetzes und seiner Vorläufer (z.T. auf Bundesländerebene). Im Jahr 2007 wurden in etwa 600 Biogas-Anlagen insgesamt etwa 445 GWh Strom erzeugt, was etwa 0.9% der österreichischen Stromerzeugung ausmacht. 2006 nahm Öster-reich den 5. Rang unter den EU-27 Ländern in der Pro-Kopf Stromerzeugung von Biogas ein (und Nr. 6 in absoluten Zahlen). Bezogen auf die Erzeugung von Biogas

aus dezentralen landwirtschaftlichen Anlagen, kommunaler Nutzung biogener Mate-rialien und zentraler Ko-Fermentationsanlagen liegt Österreich sogar EU-weit an zweiter Stelle (EurObserv’ER, 2007).

Verglichen mit anderen Ländern, sticht in Österreich der hohe Anteil von NAWARO-Anlagen mit energetischer Nutzung landwirtschaftlicher Erzeugnisse heraus, wäh-rend in anderen Ländern beispielsweise die Reststoff- oder Güllenutzung deutlich überwiegt. Hierin spiegelt sich die starke Unterstützung der Biogasentwicklung durch die Landwirtschaftskammer (wenn auch nach anfänglichem Zögern), die Bio-gas-Anlagen als Chance für die Stärkung des ländlichen Raums und eine Möglichkeit zur Generierung von Zusatzeinkommen für Landwirte erkannt hat.

Diese dynamische Entwicklung der Biogaserzeugung ist inzwischen aus mehreren Gründen zum Erliegen gekommen. Zum einen erwiesen sich die regulatorischen Rahmenbedingungen für Ökostrom-Erzeugung in Österreich als äußerst instabil.

Während in der ersten Phase des Ökostrom-Gesetzes (2002-2004) eine stark stei-gende Zahl von Anlagen genehmigt wurden, die dann auch in den Folgejahren bis 2006 ans Netz gingen, folgte seither eine Phase der großen Förderunsicherheit, da sich die Novellierung des Ökostrom-Gesetzes über viele Jahre hinzog und keine neuen Verordnungen zur Regelung der Einspeisetarife erlassen wurden. Eine Folge dieses ‚regulatorischen Vakuums’ für Neuanlagen ist das Fehlen stabiler Rahmenbe-dingungen für Neuinvestitionen, wodurch der Bau neuer Anlagen fast vollständig zum Erliegen kam. Ein weiterer Faktor waren die stark steigenden Rohstoffpreise in den letzten Jahren (derzeit wieder eher in einer Phase der Entspannung), vor allem durch den Preisanstieg von Nahrungsmitteln bedingt. Zudem führte diese Situation zu einer äußerst kritischen öffentlichen Wahrnehmung von landwirtschaftlichen Rohstoffen zur Energieerzeugung, die Vielfach als Konkurrenz zu Nahrungsmitteln oder als Preistreiber für landwirtschaftliche Produkte gesehen wurden. Ein weiteres Problem für die starke Konzentration von Biogasanlagen auf den ländlichen Raum war schließlich das Fehlen einer ausreichenden Wärmeabnahme, was die Wirt-schaftlichkeit vieler Anlagen stark einschränkte.

Laut Biogas Branchenmonitor (Tragner et al., 2008), dem eine Befragung aller Bio-gasanlagenbetreiber zugrunde liegt, schätzen dementsprechend 68% der Befragten die gegenwärtige Situation der Biogasbranche als wenig bis gar nicht zufriedenstel-lend ein, während nur 9% mit der Situation zufrieden sind. Weitgehend deckungs-gleich ist das Urteil der parallel dazu befragten ExpertInnen. Nahezu dramatisch ist auch die wirtschaftliche Situation der Anlagenbetreiber – 48% gaben im Branchen-monitor an, im Vorjahr (2007) Verluste auf ihre Investition erlitten zu haben, wäh-rend 32% der Betreiber sogar eine Stilllegung der Anlage erwägen und über 60%

(!) nicht wieder in eine neue Anlage investieren würden.

In Übereinstimmung mit der obenstehenden Analyse sehen die befragten ExpertIn-nen Hindernisse für die Entwicklung der Biogasbranche in der fehlenden Kontinuität der politischen Rahmenbedingungen (92%), im effizienten Substratanbau und -nutzung (82%) und in der großen Abhängigkeit von zu geringen Ökostromtarifen (82%).

Die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz und die spätere Entnahme als ‚Bio-gas’ oder ‚Biomethan’ (d.h. auf Erdgasqualität gereinigtes Biogas) und Nutzung als Treibstoff für den Verkehr oder zur kombinierten Erzeugung von Strom und Wärme an Orten mit einem entsprechenden Wärmebedarf stellt zweifellos einen möglichen Weg aus dem derzeitigen Dilemma dar – auch 88% der im Rahmen des Biogas Branchenmonitors befragten 50 ExpertInnen sind der Meinung, dass sich dieses Einsatzfeld in Zukunft durchsetzen wird. Wieweit die Implementierung eines

sol-chen Biomethansystems allerdings gelingen wird, ist dies von verschiedensten Rahmenbedingungen und Voraussetzungen abhängig. Eine wichtige Ebene dabei sind jedenfalls die beteiligten Akteure – auf Anbieterseite, Verbraucherseite, aber auch auf der Ebene von Politik, Verwaltung oder vermittelnden Organisationen, wie Energieagenturen, Netzwerkmanager etc. Die Frage der Kooperationsformen, Er-wartungen und Interessen dieser Beteiligten steht im Mittelpunkt der weiteren Aus-führungen dieses Kapitels.

5.3 ‚Virtuelles Biogas’: Ein erstes Mapping der Akteure

Die vermehrte Nutzung von Biogas, das in das bestehende Erdgasnetz eingespeist wird, erfordert de facto den Aufbau und das Wachstum eines ‚sozio-technischen Systems’: die Entwicklung oder Anpassung entsprechender Technologien (Gasreini-gung, Speicherung etc.), den Aufbau eines stabilen Netzes von Akteuren (Betreiber der Anlagen, Rohstofflieferanten, Netzbetreiber, Abnehmer etc.) mit ihren jeweili-gen Erwartunjeweili-gen und Interessen, die Entwicklung und Aushandlung institutioneller Rahmenbedingungen (technische Standards, Regulierung, Einspeisebedingungen, Kontrollstrukturen zur Kontrolle der Balance Einspeisung-Entnahme von Biogas etc.), den Aufbau von Förderstrukturen, die Entwicklung spezifischer Kompetenzen, die Entwicklung funktionierender Geschäftsmodelle und vieles mehr. Der Aufbau solcher neuen Strukturen bedeutet immer auch einen Eingriff in bestehende Syste-me der Energieerzeugung und Nutzung und erfordern Anpassungsleistungen und Aushandlungsprozesse der beteiligten Akteure, bedeutet oft den Markteintritt neuer Akteure und erzeugt in manchen Fällen Gewinner und Verlierer dieser neuen Ent-wicklung.

‚Virtuelles Biogas’ bedeutet den Aufbau neuer Akteurskonstellationen quer über verschiedene wirtschaftliche Sektoren hinweg und erfordert das Zusammenspiel unterschiedlicher Organisationen und Individuen. In erster Linie werden folgende Sektoren berührt:

Landwirtschaft: Wie erwähnt, ist der Biogassektor in Österreich stark im land-wirtschaftlichen Bereich verankert. Die Frage ist, welche Rolle Landwirte und ih-re einschlägigen Organisationen wie Landwirtschaftskammer oder Biomassever-band spielen. Einige Fragen in diesem Zusammenhang sind: Sind sie Betreiber von Anlagen oder reine Rohstofflieferanten, d.h. welche Geschäftsmodelle und Organisationsformen gibt es auf Landwirtschaftsseite. Wie weit wird die wicklung neuen Wissens oder neuer Praktiken aktiv unterstützt – etwa die Ent-wicklung möglichst effizienter Arten der Rohstofferzeugung, oder das Zusam-menspiel energetischer und landwirtschaftlicher Nutzung von Flächen? Wie weit wird die Entwicklung von Modellen, z.B. zur Vertragsgestaltung seitens der Landwirtschaftskammer unterstützt? Wofür und wie stark setzen sich Interes-sensvertretungen politisch für Förderungen und Rahmenbedingungen virtueller Biogasnutzung ein?

Gaswirtschaft: Auch hier stellt die Nutzung von Biogas eine neue Situation dar, es werden bestimmte Fördermodelle präferiert, Geschäftsmodelle müssen ent-wickelt werden, technische Standards werden vorgegeben etc. Die ’Gaswirt-schaft’ weist natürlich auch eine hohe Binnendifferenzierung mit verschiedenen Positionen und Betroffenheiten auf und reicht von Großhändlern wie der OMV, über Gasversorger wie EVN, Netzbetreibern, Regelzonenverantwortlichen bis zu Regulatoren (e-Control). Die Abnahme, Durchleitung und Nutzung von Biogas stellt viele dieser Akteure vor eine neue Situation und kann in der Folge die

Ein-beziehung von Biogas in das bestehende System erleichtern oder deutlich er-schweren.

Elektrizitätswirtschaft: Hier gibt es schon längere Erfahrungen mit Biogas, die durch Netzeinspeisung nicht sehr berührt werden, aber in der Mitgestaltung von Rahmenbedingungen für Ökostrom (Tarife, Anschlussvoraussetzungen, Stan-dards etc.) spielt die E-Wirtschaft natürlich eine große Rolle.

Verkehr: Biogas – insbesondere in Verbindung mit der Einspeisung ins Gasnetz – kann auch für den Verkehrsbereich eine zunehmende Rolle spielen und steht in Verbindung mit dem Aufbau neuer Infrastrukturen für gasbetriebene Fahr-zeuge, dem Einsatz von Biomethan durch Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel, Taxigesellschaften, Fuhrparks etc.

Kommunen und Kompostierer: Gerade bei der Erzeugung und Nutzung ‚virtuel-len Biogases’ spie‚virtuel-len eine Reihe weiterer Akteure eine Rolle: Städte und Ge-meinden als mögliche Anlagenbetreiber und Anbieter von Reststoffen, Akteure aus bestehenden Verwertungssystemen, etwa Kompostierer oder die Abfallwirt-schaft.

Nachfrageseitige Akteure: Weiters spielen eine Rolle die möglichen Abnehmer von Biogas, etwa Wohnbauträger, die durch Nutzung erneuerbarer Energie be-stimmte Förderkriterien erfüllen wollen.

Akteure des intermediären Systems (siehe Umbach-Daniel and Rütter, 2004):

Eine Reihe von Organisationen hat den spezifischen Zweck, den Aufbau neuer Strukturen zu unterstützen (Agenturen, Netzwerkmanager), den Wissensfluss zwischen den Beteiligten Akteuren zu unterstützen etc.

Diese Auflistung ist sicher nicht vollständig, zeigt aber, dass die erforderliche Integ-rationsleistung für den Aufbau eines Systems ‚Virtuelles Biogas’ doch beträchtlich ist, zu Konflikten führen oder auf andere Weise, die an das Zusammenspiel der Ak-teure gestellten Anforderungen nicht erfüllen kann.

Die folgende Grafik zeigt den konzeptionellen Rahmen einer Analyse des ‚Techni-schen Innovationssystems Biogas’ in der Schweiz (Markard, 2008) und illustriert die vorhin diskutierte Überschneidung der einzelnen Akteursgruppen bzw. eigentlich Teilsysteme mit eigener Logik, eigenen Geschäftsmodellen, Traditionen und Institu-tionen sehr deutlich. Rechts oben sind die weiteren externen Rahmenbedingungen abgebildet, Klimawandel, Liberalisierung der Energiemärkte, Ölpreisentwicklung etc., die die Entwicklungsdynamik des Innovationssystems Biogas mitbestimmen.

Abbildung 15: Biogas als Innovationssystem am Beispiel der Schweiz (Quelle:

Markard, 2008)

Die folgenden Ausführungen geben einen Abriss der unterschiedlichen Positionen, Probleme und möglichen Konflikte der beteiligten Akteure für den spezifischen Fall der Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz.

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