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Die Ausgrenzung psychisch Kranker hat eine lange Historie. Viele Ängste vor der Unbere-chenbarkeit insbesondere schizophrener Menschen, das gesellschaftliche Diktum der Vernunft und Rationalität als absolute Lebensgrundlage und psychologisch betrachtet die Externalisie-rung oder Projektion eigener unbewusster Aspekte, haben dazu beigetragen. Auch heutzutage ist die psychische Krankheit keineswegs positiv konnotiert. Eine einfache Betrachtung alltäg-licher Schimpfwörter lässt erkennen, inwieweit der „Irre“, der „Spinner“ usw. als ein niedri-geres Wesen gelten soll. Soziologisch betrachtet ist das Hauptproblem der Ausgrenzung, dass der vermeintlich gesunde Mensch den psychisch Kranken meistens als „den anderen“ be-zeichnet. Zudem befinden sich „diese Anderen“ ja auch weit weg von der eigenen vernünfti-gen Lebensumgebung: an besonderen Arbeitsstätten, im Krankenhaus (auch unter Ärzten gel-ten Psychiater und ihre Patiengel-ten nicht zur „normalen Klientel“ gehörend), in Heimen oder anderen Einrichtungen. Weiterhin besteht ein ausgeprägtes Wissensdefizit in der Gesellschaft, gepaart mit Laientheorien. Aus einer psychiatrisch-medizinischen Diagnose erwächst dann ein soziales Stigma. Unbekannt aus epidemiologischer Sichtweise ist vielen Menschen auch, dass z.B. auf ein Jahr bezogen 25% der Bevölkerung signifikant psychisch erkranken. Be-kannt ist aber, dass, wenn Menschen mit psychisch Kranken länger im Kontakt sind, sei es auf der Arbeitsstelle oder in der Familie, diese nicht mehr als mysteriös und völlig anders vom eigenen Selbst gesehen werden. Es tragen also zwei Dinge zur sog. Krankenrolle bei: zum einen der Kranke selbst, der natürlich in gewissem Sinne passager oder chronisch nicht den heute definierten Lebensanforderungen und -zielen in einigen oder allen Facetten entsprechen kann und zum anderen die gesellschaftliche Aufbereitung (Eikelmann und Zacharias, 2002;

Häfner, 2005). Anti-Stigma-Bewegungen mögen vielleicht auch ein Teil moderner Rehabilita-tion werden.

Diskriminierung und soziale Isolation der ohnehin schon kontaktscheuen und ängstlichen Gruppe der an Schizophrenie Erkrankten, insbesondere auch der Heavy User, fördern deren

Probleme bisweilen erheblich und somit auch Rezidive. Ebenso gibt es trotz Wiedereingliede-rungshilfe und einer erfolgreichen Rehabilitation viele Probleme, wirklich wieder ein „norma-les Leben“ zu führen, z.B. bei der Arbeitsplatzsuche und der Überlegung, ob man seine psy-chische Krankheit mitteilt oder nicht, was beides negative Folgen haben kann. Das Privatle-ben und auch Angehörige bzw. die Beziehungen werden oftmals gleichfalls unliebsam in Mit-leidenschaft gezogen. Betroffene internalisieren auch selbst allzu oft den Stereotyp des psy-chisch Kranken (Wundsam et al., 2007).

An dieser Stelle kann man sich auch die Frage stellen, ob eine Früherkennung und -intervention nur positiven Nutzen mit sich bringt, da hieraus ein sozialer Ausgrenzungspro-zess resultieren kann, der durch die Frühintervention gerade vermieden werden sollte (Mach-leidt und Brüggemann, 2008).

3 Material und Methoden

In dieser Untersuchung wurden die psychiatrischen Behandlungen von Patienten mit F2-Diagnosen (gemäß ICD-10) des Asklepios Fachklinikum Teupitz (AFT) des Jahres 2006-2009 retrospektiv untersucht und mit anderen Arbeiten über Heavy User, insbesondere Heavy User mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis, verglichen.

Das Asklepios Fachklinikum Teupitz ist ein psychiatrisches und neurologisches Krankenhaus der regionalen Versorgung mit 310 Betten. Zu ihm gehören die Klinik für Psychiatrie, Psy-chosomatik und Psychotherapie, die Klinik für Neurologie und Neurophysiologie und eine Abteilung für Forensische Psychiatrie mit 28 Betten.

Als Studiendesign wurde eine Fall-Kontroll-Studie verwendet. Fall-Kontroll-Studien sind retrospektive epidemiologische Studien, in denen „Fälle“ (hier die Heavy User) mit Kontrol-len (hier die Normal User) verglichen werden, um potentielle Risikofaktoren für die Fälle (in diesem Fall Heavy User) zu ermitteln. Ein häufiges Anwendungsgebiet sind seltene Erkran-kungen oder die Ermittlung seltener unerwünschter ArzneimittelwirErkran-kungen, da bei seltenen Ereignissen Kohortenstudien oder randomisierte Studien aufgrund der Notwendigkeit sehr hoher Fallzahlen nicht möglich sind. Ziel ist es, ausgehend von Wirkungen auf die Risikofak-toren zu schließen, was dem Untersuchungsziel dieser Arbeit entsprach. Vorteile von Fall-Kontroll-Studien sind weiter, dass multiple Risikofaktoren untersucht werden können, was für die vorliegende Arbeit notwendig ist. Ferner sind sie im Gegensatz zu Kohortenstudien zeit- und kostensparender (Mann, 2003; Herkner und Müller, 2011).

Ein statistisch signifikanter Unterschied bedeutet dabei eine Korrelation zwischen Risikofak-tor und Fall, wobei keine kausale Beziehung, sondern eben nur ein statistischer Zusammen-hang nachgewiesen werden kann. Letzteres ist ein Nachteil von Fall-Kontroll-Studien, wenn-gleich die gewonnenen Hinweise bzw. Hypothesen für weiterführende Studien oder die Prä-ventions- und Behandlungspraxis (folglich Kapitel 5.3.3 Schlussfolgerungen für die klinische Praxis), aufgenommen werden können. Für die Berechnungen ist wichtig, dass die Fälle, ab-gesehen vom untersuchten Leitsymptom, Defekt o.ä. (hier Heavy Use), soweit wie möglich den Kontrollen entsprechen (z.B. gleiche Klinik, gleiche Altersklassen etc.), da sonst die Wahrscheinlichkeit statistischer Verzerrungen ansteigt. Dies ist in der vorliegenden Arbeit durch eine Krankenhauspopulation und die Auswahl der Untersuchungsfaktoren gegeben.

Weitere Nachteile von Fall-Kontroll-Studien sind „recall-bias“, d.h., dass rückwirkende Be-fragungen durch Erinnerungsverzerrungen verfälscht sind und Selektionsbias (durch die nicht

blinde Erhebung), d.h., dass mögliche Fälle durch bestimmte Umstände bei der Rekrutierung bevorzugt werden (Mann, 2003; Herkner und Müller, 2011). Beide letztgenannten Nachteile wurden durch die Erhebung nach Aktenlage (d.h. Ausschluss des „recall-bias“) und die Her-einnahme sämtlicher Patienten (d.h. Ausschluss Selektionsbias) aufgehoben. Die Datensätze waren zudem bis auf Ausnahmen vollständig. Ein weiterer Nachteil von Fall-Kontroll-Studien sind Confounder, d.h. Störgrößen, die unabhängigen Einfluss auf in diesem Fall Heavy Use ausüben. In der vorliegenden Arbeit wäre ein Confounder das Asklepios Fachklinikum Teu-pitz, das unabhängig von den untersuchten Variablen Einfluss nehmen kann (Hammer et al., 2009).

Die untersuchten Patienten mit den entsprechenden Behandlungen wurden demnach einer Fallgruppe (Heavy User) und einer Kontrollgruppe (Normal User), die vorab definiert wur-den, zugeordnet. Die Fallgruppe wurde so definiert, dass innerhalb des untersuchten 4-Jahreszeitraumes entweder eine Mindestaufenthaltsdauer von insgesamt 100 Tagen und bzw.

oder eine Gesamtaufenthaltszahl ≥ 3 erreicht wurde.

Das duale Kriterium ermöglichte sowohl die Erfassung von Patienten mit vielfachen aber nur kurzen Aufenthalten, als auch solche mit wenigen aber langen Aufenthalten. Die Festlegung erfolgte aus klinischer Erfahrung und dem ausführlichen Vergleich mit anderen Arbeiten über Heavy User, welche zum Teil selbst große Reviews mit ausführlichem Literaturvergleich dar-stellen (z.B. Kent et al. (1995), Weiden und Glazer (1997), Montgomery und Kirkpatrick (2002), Pedersen und Aarkrog (2001), Krautgartner et al. (2002), Kluge et al. (2002), Roick et al. (2002a), Bodo et al. (2004), Badger et al. (2004), Spiessl et al. (2004) Roick et al. (2004a), Roick et al. (2004b), Steinhart (2006), Frick und Frick (2008), Botha et al. (2009), Ascher-Svanum et al. (2010), Frick und Frick (2010), Bagalman et al. (2011), Morlino et al. (2012), Graca et al. (2013), Barekatain et al. (2013), Frick et al. (2013a), Sander et al. (2014)). Eine detaillierte Diskussion der Festlegung dieser Definition erfolgt im Kapitel „Definition eines Heavy Users“ (Kapitel 5.3.1).

Die aufgenommenen Daten stammen aus folgenden zwei Quellen: Erstens aus der elektroni-schen Patientenakte, kurz EPA, des Klinikums und zweitens, sofern nicht alle Daten daraus gewonnen werden konnten, aus den Originalkrankenblättern mit sämtlichen Behandlungsin-halten aus dem Archiv.

Für jede einzelne Behandlung wurde ein Datensatz angelegt, dem folgende Angaben ent-nommen werden können: siehe Tab. 3.1

Zuordnung zur Fallgruppe oder zur Kontrollgruppe Vorname

Nachname Geburtsdatum Geschlecht

Alter und Altersgruppe (in 10-Jahres-Schritten)

Gesamtanzahl der Aufenthalte innerhalb des 4-Jahreszeitraumes Gesamtaufenthaltsdauer in Tagen innerhalb des 4-Jahreszeitraumes Dauer eines stationären Aufenthaltes und Aufenthaltsintervalle Hauptdiagnose aus der ICD-10

Psychiatrische Nebendiagnosen aus der ICD-10 (F,Z,R-Diagnosen) Anzahl der psychiatrischen Nebendiagnosen

Wohnsituation Beschäftigungsstatus Personenstand Anzahl der Kinder Geschäftsfähigkeit

Gerichtliche Verurteilungen

Aufnahmerechtsstatus/Behandlungsgrundlage zum Aufnahmezeitpunkt Krankheitseinsicht und Behandlungseinsicht zum Aufnahmezeitpunkt Suizidalität und Fremdgefährdung zum Aufnahmezeitpunkt

Vorzeitige Entlassung aus der Behandlung Ambulante Medikamenteneinnahmemodalitäten

Anzahl der Psychopharmaka zum Entlassungszeitpunkt Dosierungen der Psychopharmaka

Einweisungsmodus

Aufnahmezeitpunkt innerhalb von 24h Ambulante ärztliche Versorgung

Tab. 3.1: Daten aus der elektronischen Patientenakte (EPA) und den Originalkrankenblättern

Diese Daten wurden für alle Behandlungen in einer zu diesem Zweck erstellten Datenmaske des Statistikprogramms SPSS 13.0 eingegeben und ausgewertet. Die Verwertung der Aus-gangsdaten wurde zunächst mit den Methoden der beschreibenden Statistik, namentlich Häu-figkeitszählungen, Mittelwert- und Standardabweichungsberechnungen durchgeführt.

Für Signifikanzberechnungen zum Vergleich von zwei unabhängigen Stichproben auf eine Variable wurde der U-Test nach Mann und Whitney herangezogen, welcher auf einer gemein-samen Rangreihe der Werte beider Stichproben und auf einer nicht vorhandenen Normalver-teilung basiert. Bei vorliegender NormalverNormalver-teilung beider Stichproben fand der t-Test für nicht verbundene Stichproben nach Student Verwendung. Die Prüfung der Normalverteilung erfolgte mit dem Kolmogorov-Smirnov-Test für einzelne Stichproben bei Stichprobenumfän-gen größer 50, bei StichprobenumfänStichprobenumfän-gen kleiner 50 wurde der Shapiro-Wilk-Test angewandt (Diel und Staufenbiel, 1997; Brosius, 2007).

Der Chi-Quadrat-Test nach Pearson wurde angewandt, um zu überprüfen, ob sich die beo-bachteten von den erwarteten Häufigkeiten unterscheiden. Zum Vergleich der Studiengruppen erfolgte zunächst ein übergreifender Chi-Quadrat-Test, wobei dies innerhalb von erstellten Kreuztabellen für Zusammenhänge nominalskalierter Kategorien und mit Mehrfachantwort-systemen geschah. Zur detaillierten Unterscheidung wurde in der Folge jede Merkmalskom-bination mit einem einzelnen Chi-Quadrat-Test nach Pearson mit immer einem Freiheitsgrad (df=1) überprüft. Im Falle, dass bei den beobachteten Häufigkeiten Werte kleiner 5 auftraten und/oder der p-Wert des Chi-Quadrat-Einzeltests grenzwertig war, wurde Fisher´s exakter Test verwendet (Diel und Staufenbiel, 1997; Brosius, 2007).

Einmalig wurde ein lineares Regressionsmodell (Prädiktionsmodell) verwendet. Ziel war die statistisch Berechnung, ob die unabhängige Variable, d.h. die Zuordnung zur Fall- oder Kon-trollgruppe, die Anzahl (abhängige Variable) der Aufenthalte prädizieren konnte. Die An-wendung fand im Unterpunkt „Gesamtanzahl der Aufenthalte innerhalb des 4-Jahres-Zeitraumes“ (Kapitel 4.2.3) statt.

In allen statistischen Tests wurde ein p-Wert ≤0,05 als signifikant gewertet. Statistische Zu-sammenhänge mit p≤0,05 wurden als „signifikant“, mit p≤0,01 als „sehr signifikant“ und mit p≤0,001 als „hoch signifikant“ bezeichnet. Die statistische Signifikanzberechnung erfolgte stets zweiseitig, da in der Fragestellung überprüft werden sollte, ob eine allgemeine Abhän-gigkeit besteht.

Die Berechnungen zum Vergleich der beiden Gruppen erfolgten unter Berücksichtigung der Möglichkeit statistischer Verzerrungen entweder pro Patient oder pro Behandlung bzw. Auf-enthalt. In den Fällen, in welchen die Parameter pro Patient über den Untersuchungszeitraum einer zu starken Fluktuation unterlagen und bzw. oder sich Durchschnittswerte aufgrund no-minalskalierter Mehrfachantwortmöglichkeiten nicht berechnen ließen, erfolgte die Berech-nung pro Behandlung. Wo dies nicht sinnvoll war und die Statistik der BerechBerech-nungen pro

Behandlung unrein zu werden drohte, erfolgte die Berechnung pro Patient. Einige Berechnun-gen erfolgten auf beiden GrundlaBerechnun-gen, was entsprechend begründet wurde. Die Basis der Be-rechnungen wurde, wenn nötig, vermerkt. Sander et al. (2014) unterlagen demselben Problem und unternahmen die Analyse zum Teil ebenso auf der Grundlage von Behandlungen.

Um mögliche Verzerrungen darzustellen, wurden, wenn notwendig, Analysen auf Aufent-haltsebene auf den Einfluss der einzelnen Patienten auf die Ergebnisse hin überprüft. Dazu wurde der Rangkorrelationskoeffizient Kendall´s-tau-b zwischen zwei Variablen verwendet, um das Ausmaß des Zusammenhangs zu überprüfen. Es können Werte von -1,0 bis 1,0 auftre-ten, wobei bei Werten von 1,0 von einer maximal positiven Korrelation auszugehen ist, ferner wurde das zweiseitige Signifikanzniveau berechnet, wobei bei Werten p<0,05, davon auszu-gehen ist, dass die Werte korrelieren. Nicht verwendet wurde der Pearson-Korrelationskoeffizient, der nur für normalverteilte intervallskalierte Variablen verwendet werden kann. Die Normalverteilung für die intervallskalierten Variablen wurde vorab mittels der oben genannten Tests ausgeschlossen, sodass der Rangkorrelationskoeffizient Kendall´s tau b sowohl für die ordinal- als auch intervallskalierten Variablen verwendet wurde (Diel und Staufenbiel, 1997; Brosius, 2007).

Die Ergebnisse wurden in der Diskussion ausführlich mit Arbeiten über Heavy User mit Er-krankungen aus dem schizophrenene Formenkreis verglichen. Dies waren Weiden und Glazer (1997), Roick et al. (2004a, b), Botha et al. (2009), Asher-Svanum et al. (2010) und Sander et al. (2014). Die Vorstellung der Arbeiten erfolgt in der Diskussion. Für einen übersichtlichen Vergleich wurde eine Tabelle am Ende der Diskussion (Kapitel 5.3.2.7) erstellt.

Der Begriff „Compliance“ (engl.: Einhaltung, Regeltreue) im Unterpunkt „Ambulante Medi-kamenteneinnahme“ (Kapitel 4.2.19) beschreibt in der Medizin als Oberbegriff kooperatives Verhalten des Patienten. In diesem Fall bezieht sich dieses Verhalten auf die Compliance, die Medikamente entsprechend ärztlicher Verordnung einzunehmen (Haddad et al., 2014).

Die Literaturrecherche zur einleitenden Darstellung, zur Interpretation der Daten und zur ver-gleichenden Analyse erfolgte über „Pubmed“.

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