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Der Heavy User wurde für diese Untersuchung vorab definiert als ein Patient mit einer F2-Diagnose gemäß ICD-10, der eine Mindestanzahl von 3 Behandlungen und bzw. oder eine Gesamtbehandlungsdauer von ≥ 100 Tagen innerhalb des Beobachtungszeitraumes in An-spruch genommen hat. Das duale Kriterium ermöglichte sowohl die Erfassung von Patienten mit vielfachen aber nur kurzen Aufenthalten, als auch solche mit wenigen aber langen Auf-enthalten. Die Festlegung erfolgte aus dem ausführlichen Vergleich mit anderen Arbeiten über Heavy User (siehe Kapitel 3 und 5.3.1), da oftmals entweder nur die Aufenthaltszahl oder nur die Gesamtaufenthaltsdauer über einen definierten Zeitraum erfasst wurden; ferner aus klinischer Erfahrung. Die in der Folge dargestellten Ergebnisse in der eigenen Diskussion und auch deren Vergleich mit anderen Autoren bestätigen, dass eine solche Definition praxis-nah und klinisch anwendbar ist. Die ausführliche Diskussion dessen erfolgt im Kapitel der Definition eines Heavy Users (Kapitel 5.3.1).

5.2.2 Geschlecht, Alter und Aufenthaltsdauer

Durch die vorgenannte Definition eines Heavy Users wurden eine Fall- und eine Kontroll-gruppe gebildet, wobei erstere aus 92 Patienten mit 384 Behandlungen, zweitere aus 144 Pati-enten mit 153 Behandlungen bestand. Somit war ein Heavy User im Durchschnitt 4,2 mal, ein Normal User 1,1 mal während der vier Jahre in teil-oder vollstationärer Behandlung. Dies heißt, dass 93,1% der Normal User nur einmalig in (teil-)stationärer Behandlung waren. Hea-vy User waren hingegen nur zu 2,2% einmalig in (teil-)stationärer Behandlung. Das heißt im Umkehrschluss, dass, wenn ein Patient zum zweiten Mal innerhalb der vier Jahre (teil-) stati-onär aufgenommen wurde und er in der Summe noch nicht die Grenze von größer als 100 Tagen überschritten hat, womit er per definitionem ein Heavy User in der vorliegenden Arbeit wäre, er nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit ein Normal User bleiben wird. Insofern ist die Chance, zur Gruppe der Heavy User zu gehören, ab dem zweiten (teil-) stationären enthalt hoch signifikant erhöht, da nur 6,9 % der Normal User überhaupt einen zweiten Auf-enthalt erfahren. Im linearen Regressionsmodell konnte statistisch bewiesen werden (p<0,001) dass die Zuordnung zur Heavy User- oder zur Normal User-Gruppe die Anzahl der Aufenthalt prädizierte. Einschränkend muss gleichwohl gesagt werden, dass die vorab vorge-nommene Definition die Aussagekraft des linearen Regressionsmodells einschränkt. Dies war für die aktuelle Fragestellung aber nicht anders möglich, da nur über die Evaluation der

er-höhten Inanspruchnahme überhaupt erst herausgefunden werden kann, ob und inwiefern sich der Heavy User vom Normal User unterscheidet.

Weiter betrug die kumulative Aufenthaltsdauer eines Heavy Users im Mittel 179,4 Tage, die eines Normalusers 34,4 Tage, was etwas mehr als dem 5-fachen entspricht. Ein Anteil von 10% der Heavy User erreichte sogar mehr als 300 Tage.

Wenn man die einzelnen Behandlungsdauern zum Gegenstand der statistischen Auswertung nahm, zeigte sich, dass der Heavy User im Durchschnitt 43 Tage, der Normal User 32 Tage in der Klinik oder Tagesklinik war.

Interessanterweise war aber nur ein einziges Aufenthaltsdauerintervall, namentlich das zwi-schen 21 und 30 Tagen hochsignifkant unterschiedlich zwizwi-schen den Gruppen zugunsten des Normal Users, alle anderen 10-Tage Intervalle außer denen ≥ 91 Tagen, waren nicht signifi-kant unterschieden.

Speziell in diesem Punkt ergibt sich das Problem, dass man einen Heavy User in Zukunft nur retrospektiv als solchen identifizieren könnte, wenn er bereits mehrere stationäre Aufenthalte hinter sich hat, außer der erste Aufenthalt würde über 90 Tage dauern. Kurze Aufenthaltsdau-ern kleiner 10 oder auch kleiner 20 Tagen bzw. leicht überdurchschnittliche von 40 bis hin zu 80 Tagen ermöglichen, ohne andere Faktoren zu betrachten, nicht die Zuordnung zu einer der beiden Gruppen beim ersten Aufenthalt.

Bei der Geschlechtsverteilung zeigten sich in beiden Gruppen mit bei den Heavy Usern 52,2% und bei den Normale Usern 53,5% etwas mehr weibliche Patienten. Das Durch-schnittsalter war 45,2 Jahre beim Heavy User und 44,2 Jahre beim Normal User und damit nicht signifikant unterschieden.

Ebenso wenig war die Altersstruktur im Vergleich ohne nennenswerte Auffälligkeiten, außer dass es bei den Normal Usern etwas mehr Menschen zwischen 70-79 Jahren, und überhaupt über 80-jährige gab. Dies könnte als Hinweis für die Krankheitsschwere bei den Heavy Usern dienen, da ja bekannt ist, dass die „Severe Mental Illness“ (SMI) mit einer deutlich verringer-ten Lebenserwartung einhergeht (Chang et al., 2010; Frick und Frick, 2010).

5.2.3 Diagnosen

Die Vollmanifestation der Psychose in Form der Paranoiden Schizophrenie im Sinne der F20.0 nach ICD-10 zeigte bei beiden Gruppen eine ähnliche Verteilung mit etwas mehr Hea-vy Usern von 63% gegenüber 59,7%. Die schizoaffektive Störung zeigte sich mit rund 33,7%

vs. 25% tendenziell häufiger bei den Heavy Usern, wobei insbesondere die schizoaffektive Störung mit gegenwärtig manischer Phase im Sinne der F25.0 nach ICD-10, wenn man nicht pro Patient sondern nach einzelnen Behandlungen rechnete, statistische Signifikanz erzeugte.

Alle anderen Erkrankungsvarianten aus der Reihe der F2-Diagnosen nach ICD-10 fanden sich viereinhalb mal so häufig bei den Normal Usern, was dem zu erwartenden Bild entspricht.

Beispielsweise gehen die im Verhältnis kürzeren psychotischen Episoden bei den F23.x-Diagnosen oder auch die anhaltend wahnhafte Störung F22.0 nach ICD-10 mit einer geringe-ren Einbuße im psychosozialen Funktionsniveau einher, womit eine Behandlung in der Klinik weniger notwendig wird. Des Weiteren war die Schwere der Psychopathologie womöglich derart, dass eine ambulante Behandlung indiziert war.

Folgend wurden alle psychiatrischen Nebendiagnosen in Anzahl und Art ausgewertet. Das Gros der Nebendiagnosen verteilte sich auf F1-Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen nach ICD-10 mit 20% bei den Heavy Usern und 22% bei den Normal Usern sowie auf das schizophrene Residuum F20.5 nach ICD-10 mit 19% beim Heavy User bzw. 15% beim Normal User, wobei kein signifikanter Unterschied gefunden werden konnte.

Zu erwarten gewesen wäre vielleicht ein höherer Anteil an schizophrenen Residuen bei den Heavy Usern, da jenes eine beträchtliche, erst in jüngere Zeit wieder beachtete, Rolle im Langzeitverlauf spielt. (Hasan et al., 2013; Lang et al., 2013). Die Komorbidität mit psycho-tropen Substanzen wäre womöglich eher bei den Heavy Usern zu erwarten gewesen.

Bei den Normal Usern fand sich ein signifikant höherer Anteil der Nebendiagnosen F0-Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen nach ICD-10 mit 5,4 vs.

1,6%. Ein mutmaßlicher früherer Tod der Heavy User könnte hier eine Rolle gespielt haben, da erstens die Altersverteilung bei den Normal Usern auch Altersspitzen von 91 Jahre (vs. 79 Jahre beim Heavy User) erreichten. Und wie oben genannt, geht die „Serious Mental Illness“

(SMI) mit einer deutlich geringeren Lebenswartung einher. Ferner ist möglich, dass Patienten mit einem degenerativen Hirnprozess im Alter die Klinik wegen einer anderen Hauptdiagno-se, unter Umständen einer fortgeschrittenen Demenz, aufsuchen mussten. Die übrigen Neben-diagnosegruppen erreichten keine nennenswert hohen Anteile.

5.2.4 Soziodemographische Faktoren

Beide Gruppen bewohnten zu fast 2/3 eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus. Dass nur ein marginaler Unterschied zwischen Gruppen bestand, bestätigte nur, dass die Psychose im Allgemeinen sehr häufig und oft schon nach Ersterkrankung einen sozialen Abstieg

verur-sacht (Schultze-Lutter und Ruhrmann, 2008), da 1/3 der Menschen keinen eigenen Wohnraum hatten. Rund 20% beider Gruppen lebten noch bei den Eltern, was die Unselbstständigkeit untermauert.

Das betreute Wohnen war beim Heavy User zweieinhalbmal so häufig anzutreffen. Die Krankheitsschwere war hiervon gut ableitbar. In Heimen Wohnende fanden sich fast doppelt so häufig bei den Normal Usern, was am ehesten auf die Altersstruktur zurückzuführen war.

Betrachtete man den Beschäftigungsstatus zwischen den Gruppen, zeigte sich die stärkere Beeinträchtigung des Heavy Users auf dem Arbeitsmarkt (entspricht schlechterem psychoso-zialen Funktionsniveau), wenngleich das Signifikanzniveau verfehlt wurde. Die Normal User bestritten um 10% häufiger einen regulären beruflichen Werdegang, wobei dies mit einem Anteil von 45% im Vergleich mit der Normalbevölkerung trotzdem gering war.

Weniger Beeinträchtigung hingegen schien der Heavy User in dieser Untersuchung (allge-mein betrachtet) in Beziehungen zu haben. Sie lebten zu 40% vs. 35% in Partnerschaften oder Ehe. Heavy User hatten mit 0,71 vs. 0,89 weniger Kinder, wobei dies statistisch nicht relevant war. Die Zahlen sind im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt schwer zu interpretieren, da das Statistische Bundesamt mit einem Wert pro Frau rechnet. Im Jahr 2012 betrug dieser 1,39 Kinder pro Frau (Pötzsch, 2012).

Bei der Geschäftsfähigkeit zeigte sich, dass der Heavy User tendenziell häufiger (37% vs.

26,4%) einen gerichtlich eingesetzten Betreuer hatte. Dazu passend fand sich beim Heavy User häufiger Einzelfallhilfe. Beides war hochwahrscheinlich der Krankheitsschwere und dem psychosozialen Funktionsniveau geschuldet und zeigte den höheren Hilfsbedarf in recht-lichen und alltägrecht-lichen Belangen. Eine Bevollmächtigung zeigte sich vermehrt bei den Nor-mal Usern, wobei hier am ehesten auf die Altersstruktur zu schließen ist.

In der Soziodemographie wurden zuletzt gerichtliche Verurteilungen bewertet. Es zeigte sich ein hochsignifikanter Unterschied beim Heavy User bei einer allgemein delinquenten Vorge-schichte mit 56 Fällen gegenüber 1 Fall beim Normal User. Eine normale Inhaftierung oder die Unterbringung nach § 63 StGB wurde bei beiden Gruppen mit 2 bzw. 4 Fällen ähnlich selten in der Vergangenheit verhängt. Unter dem Strich waren 85% der Heavy User und 97%

der Normal User ohne Delikt in der Vergangenheit.

5.2.5 Behandlungsfaktoren

Der Modus, durch welchen die Patienten die Klinik erreichten, zeigte an, dass der Heavy User auch zu Behandlungsbeginn nachweislich schwerer krank war. In der Summe zeigten eine

polizeibegleitete, eine notärztliche, eine durch den Betreuer oder SPDi initiierte Einweisung und auch die Verlegung aus einer anderen mit 46 % gegenüber 34% der anderen Einwei-sungsmodi eine statistisch hoch signifikant höhere Rate. Demgegenüber war eine Einweisung durch vorherige Kontaktierung eines ambulanten Arztes für sich allein schon betrachtet signi-fikant häufiger beim Normal User mit knapp über 40% versus nur fast 30 % beim Heavy U-ser. Rechnete man die routinemäßige Rettungsdiensteinweisung zur ambulanten Einweisung hinzu, zeigte sich, wie genannt, ein signifikanter Unterschied gegenüber den Heavy Usern.

Die Selbsteinweisung oder die Einweisung durch Angehörige oder Freunde schien schwieri-ger einzuordnen zu sein, wobei sich bis auf eine etwas höhere Selbsteinweisungsrate beim Heavy User ohnehin keine relevanten Unterschiede darstellten.

Dazu passend waren initiale Suizidalität und Fremdgefährdung. Bei der Suizidalität war der Unterschied mit 28% vs. 16% sehr signifikant, bei der Fremdgefährdung mit 11% vs. 5% bei nahezu doppelter Rate ebenso signifikant. Ähnliches drückte sich in der Behandlungs- und Krankheitseinsicht aus, wobei die Unterschiede eine Tendenz erreichten. 58% der Heavy User waren krankheitseinsichtig, 75% behandlungseinsichtig. Bei der Behandlung gegen den Wil-len des Patienten zum Aufnahmezeitpunkt war auch eine Tendenz zu verzeichnen. 17% der Heavy User wurden zu etwa gleichen Teilen nach dem BbgPsychKG oder nach Betreuungs-recht § 1906 BGB behandelt, bei den Normal Usern betrug der Anteil 11%.

Anhand dieser eben genannten Faktoren kann behauptet werden, dass bei Beginn der Behand-lung beim Heavy User eine ausgeprägtere Krankheitsschwere bestand, die sich sowohl in der Psychopathologie als auch in den Gefährdungsmomenten ausdrückte. Bekanntermaßen ist das Sterblichkeitsrisiko für schizophrene Patientin durch Suizid sehr hoch (Garlipp et al., 2006).

Die Heavy User kamen somit auch zu höherer Zahl zwischen 16 und 24 Uhr, wohingegen der Normal User während der regulären Dienstzeit zwischen 8 und 16 Uhr gehäufter in die Klinik kam, was dem etwas normierteren Lebenswandel entsprechen mochte. Während der Nacht-stunden zeigte sich kein Unterschied.

Ein Grund für die eben genannten Tatsachen könnte in der Handhabung der ambulanten Me-dikation liegen. Nicht nur bestand eine deutlich geringere Compliance von 27% gegenüber 43%, sondern es musste womöglich krankheits- oder nebenwirkungsbedingt beim Heavy User viermal häufiger umgestellt oder reduziert werden.

Schon zum Entlassungszeitpunkt aus der Klinik wiesen die Heavy User mit durchschnittlich 2,02 hoch signifikant mehr Psychopharmaka als die Normal User mit 1,7 pro Patient auf. Dies galt sowohl für die Neuroleptika (sehr signifikant) inklusive Depotpräparaten (hoch

signifi-kant), die Antidepressiva (sehr signifikant) als auch die Moodstabilizer (sehr signifisignifi-kant), fer-ner für Sedativa oder andere beruhigende Medikamente wie niederpotente Neuroleptika (hoch signifikant).

Die Dosierungen fanden sich dementsprechend nahezu durchgängig höher (siehe Kapitel 4.2.21). Klinischer Erfahrung entsprechend werden Psychopharmaka der Schwere der Psy-chopathologie angepasst, was im Ergebnis die ausgeprägtere PsyPsy-chopathologie des Heavy Users gut darstellen konnte.

Keine Unterschiede waren bei einer vorzeitigen Beendigung der Behandlung, sei es auf eige-nen Wunsch oder gegen ärztlichen Rat, zu ermitteln. Beide Patientengruppen schlossen die Behandlung zu 81% regulär ab, was dafür spricht, dass der Heavy User die Behandlung ge-nauso benötigt und regelhaft zu beenden versucht wie sein Pendant.

Was die ambulante ärztliche Versorgung betrifft, konnte ebenso gezeigt werden, dass der Heavy User schwerer erkrankt war. 32,6% der Heavy User gegenüber 23,6 Prozent der Nor-mal User wurden in der Psychiatrischen Institutsambulanz behandelt, die gegenüber den Kas-senärzten den Auftrag haben, psychisch schwerer Erkrankte zu behandeln. Dem gegenüber wurden die Normal User etwas häufiger beim Kassenarzt psychiatrisch behandelt. Die haus-ärztliche Versorgung war bei beiden Gruppen gleich hoch.

Zusammengefasst zeigte der Heavy User eine höhere Krankheitsschwere, was sich am deut-lichsten an den Aufenthaltsanzahlen, Aufenthaltsdauern sowie an der Anzahl und Art der Psychopharmaka ausdrückte. Ferner drückte es sich an der psychiatrischen Hauptdiagnose, der Eigen- und Fremdgefährdung, dem Einweisungsmodus und dem Einweisungszeitpunkt, dem Aufnahmerechtsstatus, der ambulant ärztlichen Behandlung sowie möglicherweise an einem geringeren Höchstalter aus. Des Weiteren zeigte sich ein schlechteres psychosoziales Funktionsniveau. Die Wohn- und Arbeitssituation, die Geschäftsfähigkeit und die Historie gerichtlicher Verurteilungen zeigten dies gut. Weitere untersuchte Faktoren waren statistisch nicht relevant oder weniger zentral.