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Geschichtlich betrachtet wurden vom Mittelalter bis weit in das 20. Jahrhundert hinein psy-chisch Kranke (die damaligen Bezeichnungen differieren) meistens weit außerhalb der norma-len Bevölkerung u.a. regelrecht verwahrt. Der Staat sah darin kaum einen Teil seiner Aufgabe (Regus, 1998). Noch 1930 betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in württembergi-schen Heil- und Pflegeanstalten ca. 8.5 Jahre. Hohe Mauern und vergitterte Fenster der ge-schlossenen Stationen waren obligat. In der ersten Hälfte des 20. Jh. verbrachten bis zu 65 Prozent von Erstaufgenommenen länger als ein Jahr in einer Einrichtung bzw. einem Kran-kenhaus. Dies ist heute nahezu nie mehr der Fall (Häfner, 2005).

Mit der „Enquête der 200“ des Bundestages 1975, dem anschließenden Bundesmodellpro-gramm 1988 (BMJFFG 1988) und weiteren Expertenempfehlungen wurde die Versorgung psychisch Kranker eine moderne. Tageskliniken, Wohnheime und beschützte Wohngruppen, Werkstätten und sozialpsychiatrische Dienste sowie berufliche Rehabilitation wurden deutschlandweit gefördert (Crefeld, 1998).

Nicht zu vergessen, wenngleich schon 1952 entwickelt und als eigentliche Wende im medizi-nischen Behandlungssystem zu sehen, ist das in Frankreich entdeckte und eingeführte erste Neuroleptikum Chlorpromazin. Wenig später gelang es Delay und Deniker, den dramatischen Effekt in der Symptomreduktion von Psychosen zu demonstrieren (Colasanti, 2000).

Die Psychiatrie-Enquête 1975 war die große Reform in der Versorgung psychisch Kranker.

Sie gründete sich auf folgenden Prinzipien: psychisch Kranke sollten in ihrem Anspruch auf gesundheitliche und soziale Hilfen anderen Kranken gleichgestellt werden und die Versor-gung sollte gemeindenah stattfinden, klinisch in Allgemeinkrankenhäusern sowie multiprofes-sionell. Die Konsequenzen waren, dass über den Arzt hinaus psychotherapeutische, sozio- und ergotherapeutische und pflegerische Berufsgruppen an der Versorgung teilnahmen. Zu-dem wurde das veraltete Entmündigungs- und Pflegschaftsrecht durch das Betreuungsgesetz (eine 1992 in Kraft getretene grundlegende Reform hat die Betreuung als neues Rechtsinstitut des Zivilrechts eingeführt) ersetzt. Die sog. „Empfehlungen der Expertenkommission“ 1988 waren eine Fortentwicklung dessen. Die etablierte psychosoziale Versorgung wurde dahinge-hend optimiert, dass v.a. chronisch psychisch Kranke und chronisch Suchtkranke vermehrt Unterstützung erhielten.

Psychiatrische Versorgung aus heutiger Sicht muss daher ein fester Bestandteil gesundheits- und sozialpolitischer Planung sein. Daran beteiligt sein sollten Wohlfahrtsverbände, Kranken-hausträger und Krankenhäuser, kommunale Ämter (z.B. das Sozialamt, das Ordnungsamt, das Arbeitsamt), Angehörigenverbände oder Selbsthilfegruppen sowie niedergelassene Ärzte. Um über die institutionellen Grenzen eine Koordination zu ermöglichen, entstanden die Sozial-psychiatrischen Dienste.

Die Dienste sollten sektorisiert und mobil-aufsuchend sein und sich v.a. dem Hilfsbedarf der Klientel und nicht umgekehrt anpassen. Hilfsangebote für Angehörige und Bezugspersonen sowie tagesstrukturierende Angebote sind ebenso fester Bestandteil (Crefeld, 1998).

Des Weiteren wurde die Rehabilitation psychisch Kranker etabliert. Dabei geht es um Rehabi-litationsbedürftigkeit, -fähigkeit, -ziel und -prognose. Nicht zuletzt aus Kostengründen solle dies schon während der Akutbehandlung im Krankenhaus geschehen. Arbeitsunfähige Versi-cherte können zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben z.B. schrittweise über das Ham-burger Modell § 74 SGB V im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung in das Er-werbsleben eingeführt werden. Bei schwer schizophren Erkrankten gibt es die Möglichkeit der ambulanten Soziotherapie als Krankenkassenleistung nach § 37 A SGB V.

Der Rentenversicherungsträger ist gemäß § 10 SGB VI zuständig, wenn es darum geht, medi-zinische Rehabilitation anzubieten, bevor es zu einem massiven Abfall aus dem Erwerbsleben kommt. „Reha vor Rente“ ist der Grundsatz.

Weiterhin gibt es die sogenannte Eingliederungshilfe nach den §§ 53,54 SGB XII, wobei es insbesondere um Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, z.B. Hilfe bei basa-len Dingen wie dem Wohnungserhalt oder dem Einkaufen, ferner um Schulausbildung und die bleibende Teilhabe am Arbeitsleben geht (Irle, 2007).

Wohnen und Rehabilitation: Man schätzte 1996, dass ca. die Hälfte der aus stationären Be-handlungen entlassenen Schizophrenen Hilfe bei der Wohnungs- und Wohnsituation benötig-ten. Heute gilt, dass chronisch psychisch Kranke je nach Schweregrad in betreutes Einzel-wohnen, betreute Wohngemeinschaften, Wohn- oder Pflegeheime eingegliedert werden. Zu-sätzlich gibt es sog. Übergangseinrichtungen und sozialtherapeutisches Wohnen (z.B. für Doppeldiagnosen F2 und F1 gemäß ICD-10). Theoretisches Ziel ist eine stufenweise Wieder-eingliederung über rehabilitative Maßnahmen im weitesten Sinne, wobei es auch um Enthos-pitalisierung geht. Den größten Anteil mit ca. 2/3 der in diesen Einrichtungen lebenden Men-schen stellen solche mit chronifizierten Psychosen dar.

Ressourcenorientierung, Autonomieförderung, ambulante vor stationärer Versorgung, Betreu-ung nach individuellem Bedarf sind die Stichworte für ein modernes adäquates Vorgehen (Moos und Wolfersdorf, 2007).

Ein weiteres wichtiges Kapitel ist die gesetzliche Betreuung psychisch behinderter Menschen.

Dabei gilt der sog. Erforderlichkeitsgrundsatz nach § 1896 BGB, der besagt, dass ein Betreuer nur in den erforderlichen Fällen und in dem insoweit erforderlichen Umfang bestellt werden darf. Ähnliches gilt für das Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem, hier soll ein größt-mögliches Maß an Selbstbestimmtheit beim seelisch behinderten Menschen verbleiben, so-dass im besten Fall dieser Mensch selbständig agiert und der Betreuer lediglich überwacht, bzw. auch eine Anregung der Reduzierung oder Beendigung des Betreuungsverhältnisses an-strebt. Der andere Extremfall ist, wenn ein Betreuer mit allen Aufgabenkreisen einschließlich eines Einwilligungsvorbehaltes betraut ist.

Als ein weiterer wichtiger Punkt der Psychiatrie muss die gesetzliche Unterbringung betrach-tet werden. Nach deutscher Rechtsprechung sind seit ca. 200 Jahren Zwangsunterbringungen möglich. Die Öffentlichkeit vor den „gemeingefährlichen Irren“ zu schützen und auch den

„Blödsinnigen“ vor sich selbst, war lange die Pflicht der Polizei. Als zweite Möglichkeit

konnte ein „Geisterkranker oder -schwacher“ von seinem Vormund nach dem damaligen Entmündigungsrecht in eine Anstalt eingewiesen werden. In dieser war er aber bis ungefähr zum Ende des 19. Jahrhunderts quasi ohne eigene Rechte. Danach wurden „Irrenschutzgeset-ze“ eingeführt, wenngleich es noch bis 1969 dauerte, bis in Nordrhein-Westfalen das erste PsychKG in Kraft trat. Hiernach werden Personen zum Selbstschutz und zum Schutz der öf-fentlichen Sicherheit bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gegen ihren Willen in Psychiatrien untergebracht, im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Die zivil-rechtliche Unterbringung nach Betreuungsrecht gem. § 1906 BGB (nach Beantragung durch einen Betreuer, einer ärztlichen Stellungnahme und einer Genehmigung durch ein Gericht) dient dem akuten Selbstschutz des Betroffenen bzw. wenn eine dringende Indikation zu Heil-behandlung besteht. Sie ist nicht Gegenstand polizeilicher Aufgaben (öffentliche Sicherheit).

Dieses Gesetz trat 1992 in Kraft.

Letztlich besteht noch die Möglichkeit der strafrechtlichen Unterbringung in einer forensisch-psychiatrischen Abteilung oder in Maßregelvollzugskrankenhäusern bei krankheitsbedingter verminderter oder aufgehobener Schuldunfähigkeit. Es gilt dabei, dass keine Befristung vor-gesehen ist. Die schrittweise Wiedereingliederung in die Gesellschaft folgt dabei der gut-achterlichen Einschätzung des Gefährdungspotentials für erneute Straftaten (Crefeld, 1998).