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Sonstige Bewertungsansätze

4. Die monetäre Bewertung von Leben und GesundheitGesundheit

4.2 Die Bewertungsansätze

4.2.3 Sonstige Bewertungsansätze

CV-Studien zur Kriminalität des embedding Problems annimmt, ein Vergleich der impli-ziten Werte eines verhinderten Tötungsdeliktes zwischen den Studien aber nahelegt, dass embedding eine Rolle spielt. Während nämlich Ludwig und Cook (2001) eine 30-%ige Kri-minalitätsreduktion untersuchen und einen WSL in Höhe von 4,2–6,5 Mio. $ berechnen (wobei eine Orientierung am unteren Ende des Intervalls erfolgen sollte, da dieser Wert auf sinvolleren Annahmen beruht), ermitteln Cohen et al. (2004) auf der Basis einer nur 10-%igen Reduzierung von Mord mit 9,9 Mio. $ einen weitaus höheren Wert. Die Ergeb-nisse dieser beiden Studien sollten deshalb bis auf Weiteres - d.h. bis zur Durchführung weiterer CV-basierter Kriminalitätsuntersuchungen unter Verwendung von internal und external test of scope - als vorläufig betrachtet werden. Trotz dieser Vorläufigkeit ist an-zumerken, dass kriminalitätsspezifische WSL-Schätzungen höher angesiedelt sind als die Ergebnisse sonstiger CV-Studien (1,5–4,8 Mio. $, siehe oben). Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die Bevölkerung der Vermeidung tödlicher Straftaten einen höheren Wert beimisst als der Vermeidung von Todesfällen infolge von Luftverschmutzung oder Arbeitsrisiken.

4.2. Die Bewertungsansätze 159

Miller (2003) umgesetzten Schadensersatzansatzes64besteht in der kombinierten Nutzung von Schadensersatzurteilen und so genannten „quality-adjusted life year scales“ [QALYS]

zur Abschätzung des Wertes eines menschlichen Lebens. QALYS, die auf wissenschaftliche Arbeiten zu krankheitsbedingten Nutzeneinbußen aus den 1970Jahren zurückgehen, er-möglichen eine Umsetzung spezifischer physischer und psychischer Beeinträchtigungen in anteilige jährliche oder auf die gesamte Lebenszeit bezogenen Nutzenverluste. Gemäß die-ser Systematik ist z.B. der Bruch einer Nase mit Verkrümmung der Nasenscheidewand mit einer „lebenszeitlichen“ Nutzeneinbuße von 2,3% und eine Querschnittslähmung mit einer dauerhaften Nutzeneinbuße von 75% verbunden (Cohen & Miller, 2003).65Während in etlichen Untersuchungen die Schäden aus spezifischen gesellschaftlichen Gesundheits-problemen (wie z.B. von Unfällen im Straßenverkehr, Schulunfällen und Drogenkonsum) dadurch bewertet werden, dass ein (zuvor aus einschlägigen Studien ausgewählter) WSL mit den aus QALYS stammenden Nutzeneinbußen des betreffenden Gesundheitsproblems kombiniert wird, kann auch wie in Cohen und Miller (2003) die umgekehrte Vorgehens-weise gewählt werden.

Cohen und Miller nutzen 514 Schadensersatzurteile im Zusammenhang mit vorsätzli-cher Körperverletzung und 728 Schadensersatzurteile aus dem Konsumgüterbereich. Sie weisen den detailliert vorliegenden Einzelfällen mittels QALYS lebenszeitliche Nutzen-einbußen zu und schätzen so unter der Annahme, die Geschworenen orientierten sich im Rahmen ihrer Urteilsfindung an QALYS und WSL, den impliziten Wert des statistischen Lebens ab. Beispiel: Einem 23-jährigen Mann, der infolge einer Körperverletzung eine schwere Schädelfraktur, einen Nervenschaden im linken Arm, Gefühlsverlust im Mittel-finger und kurzfristigen Gedächtnisschwund erlitt, wurde von einem Geschworenengericht ein Schadensersatz in Höhe von 330.000 $ zugebilligt. Gemäß QALYS sind die erlittenen Verletzungen mit einer lebenszeitlichen Nutzeneinbuße von 16,8% zu bewerten. Daraus resultiert eine implizite Bewertung des statistischen Lebens seitens der Jury in Höhe von

64Der Terminus „Schadensersatz“ ist hier anders als im deutschen Recht als umfassendes Konzept zur Kompensation des Geschädigten zu sehen, das neben dem Ausgleich von Vermögensverlusten (entgangene Löhne, Behandlungskosten etc.) auch Entschädigung für Schmerzen, Leiden und verlorene Lebensqualität vorsieht. Im deutschen Recht ist Schadensersatz nach § 823 BGB auf den Ausgleich materieller Schäden begrenzt und wird ggf. durch Schmerzensgeld nach § 823 BGB ergänzt. Letzteres wird als Ausgleich für Schäden, die keine Vermögensschäden sind, gewährt, schließt jedoch Kompensationen für psychische Be-einträchtigungen der Geschädigten fast vollständig aus. Die einzige Ausnahme sind pathologisch bedingte direkt auf die Schädigung zurückführbare psychische Leiden (z.B. infolge einer Hirnverletzung oder eines Schocks) (siehe hierzu Hacks, Ring & Boehm, 2001).

65Lebenszeitliche Nutzeneinbußen errechnen sich durch Diskontierung der zukünftigen jährlichen Nut-zeneinbußen.

(330.0000,168 =) 1,96 Mio. $. Über alle 514 Körperverletzungs- und 728 Produzentenhaftungsur-teile hinweg ergeben sich durchschnittliche WSL in Höhe von 20,1 Mio. $ bzw. 9,1 Mio. $.

Da diese Mittelwerte jedoch stark von Ausreißern beeinflusst seien, berechnen Cohen und Miller auch die Mediane, die mit 1,4 Mio. $ und 1,7 Mio. $ (alle voranstehenden Angaben in $ von 1995) sehr viel niedriger ausfallen.66

In Ergänzung zu diesem nicht-parametrischen Ansatz führen Cohen und Miller auch Regressionsanalysen der logarithmierten Schadensersatzsumme auf etliche den Fall cha-rakterisierende Faktoren (z.B. Alkohol oder Drogeneinfluss des Geschädigten zur Tatzeit, Alter und Geschlecht des Opfers, prozessspezifische Indikatoren) durch. Die entscheiden-de Variable, die sich auch über alternative Spezifikationen entscheiden-der (getrennt geschätzten) Körperverletzungs- und Produzentenhaftungsmodelle hinweg als robust erweist, ist die (relative) lebenszeitliche Nutzeneinbuße, für die sich hochsignifikant positive Koeffizien-ten von 6,61 (Körperverletzungen) und 3,66 (Konsumgüter) ergeben. Diese KoeffizienKoeffizien-ten können durch Multiplikation mit den jeweiligen mittleren Schadensersatzsummen (auf-grund der semi-logarithmischen Spezifikationen) von 574,935 $ und 514,879 $ in implizite Werte des (statistischen) Lebens von 3,8 bzw. 1,9 Mio $ (in $ von 1995) überführt wer-den.67

Als Resümee des Schadensersatzansatzes kann festgehalten werden, dass dieser nur dann valide Schätzungen des WSL hervorbringen kann, wenn sich die Entscheidungsträger (Geschworene oder Richter) im Rahmen ihrer Schadensersatzzumessungen für Beeinträch-tigungen der körperlichen Unversehrtheit an ebendiesem WSL und anquality-adjusted life year scales orientieren. Sollte diese Annahme unzutreffend sein - was anzunehmen ist -, so bringt der Schadensersatzansatz Ergebnisse hervor, die nicht als WSL im Sinne der in Ab-schnitten 4.2.1 und 4.2.2 vorgestellten ex ante Methoden zu interpretieren sind, sondern einfach nur der implizitenex post Bewertung des menschlichen Lebens durch Geschworene oder Richter entsprechen. Da KNA jedoch in aller Regel dieex ante Evaluierung geplanter Maßnahmen zum Gegenstand haben und deshalb auch aufex ante Zahlungsbereitschaften für Risikoreduktionen aufbauen sollten, stellt sich die Frage nach dem Einsatzbereich der mit dem Schadensersatzansatz erzielten Ergebnisse. Dieser könnte nach Vorstellung von Cohen und Miller darin bestehen, die ermittelten Wertebereiche für den impliziten Wert

66Die korrespondierenden Werte in $ des Jahres 2000 belaufen sich auf 1,5 bzw. 1,9 Mio $.

67Die korrespondierenden Werte in $ des Jahres 2000 belaufen sich auf 4,1 bzw. 2,1 Mio $.

4.2. Die Bewertungsansätze 161

des Lebens von 1,5 Mio. $ (Ergebnis der nicht-parametrischen Schätzung) bis 4,1 Mio

$ (parametrischen Schätzung) in Körperverletzungsprozessen und 1,7–1,9 Mio $ in Pro-duzentenhaftungsprozessen in Verbindung mit den QALYS zukünftig zur Grundlage der Festlegung von Schadensersatzsummen zu machen. Dadurch würden Schadensersatzsum-men berechenbarer und gerechter und gleichzeitig bliebe ihr durchschnittliches Niveau annähernd erhalten. Würden dagegen WSL-Schätzungen aus dem Arbeitsmarktbereich (5–12 Mio. $) als Bemessungsgrundlage herangezogen, müssten die Schadensersatzsum-men substanziell ansteigen. Überdies kann analog zu den Ergebnissen der CV-Studien (siehe Abschnitt 4.2.2) beobachtet werden, dass die auf Grundlage kriminalitätsbezoge-ner Schadensersatzfälle geschätzten impliziten Werte des Lebens höher ausfallen als die entsprechenden aus Produzentenhaftungprozessen ermittelten Werte, wobei dieser Un-terschied im von Cohen und Miller bevorzugten parametrischen Schätzmodell besonders deutlich ist.

Im Rahmen des Humankapitalansatzes68 [HKA] werden ex post Bewertungen von Schäden an Leben und Gesundheit durch die Berechnung des Gegenwartswertes der aus Todesfällen und Verletzungen resultierenden zukünftigen Produktionsverluste vorgenom-men. Damit werden allerdings nicht nur immaterielle Schäden wie Schmerzen, Leid und verlorene Lebensqualität völlig außer Acht gelassen, sondern auch die materiellen Scha-denskomponenten nur unvollständig berücksichtigt. Krupp und Hundhausen (1984, S. 7 ff) schlagen deshalb in ihrer Arbeit zu den volkswirtschaftlichen Kosten von Personenschäden im Straßenverkehr mit dem Schadenskostenansatz [SKA] eine Methode zur umfassenderen Bewertung materieller Schäden vor. Der SKA umfasst neben den so genannten „Ressour-cenausfallkosten“, welche analog zum HKA aus der entgangenen produktiven Wertschöp-fung für die Volkswirtschaft infolge des betrachteten Phänomens (Straßenverkehrsunfälle, Umweltverschmutzung, Kriminalität etc.) bestehen, auch die so genannten „Reprodukti-onskosten“, unter welchen die mit Marktpreisen bewerteten Güter und Dienstleistungen zur Wiederherstellung desstatus quo (vor Eintritt der Schadensereignisse) zu subsummie-ren sind. Baum und Höhnscheid (1999) nehmen in einer neuesubsummie-ren Arbeit - ebenfalls zu den Kosten von Personenschäden im Straßenverkehr - eine weitere Unterteilung in direkte und indirekte Reproduktionskosten vor, wobei ambulante und stationäre Behandlungskosten, Krankentransport-, Nachbehandlungs-, Hilfsmittel-, Rehabilitations-, Pflege- und

Förde-68Im angelsächsischen Sprachraum als „human capital approach“ bezeichnet.

rungskosten den direkten und Kosten der Polizei und Rechtsprechung, Verwaltungskosten der Versicherungen, Neubesetzungskosten und Sterbegeld den indirekten Reproduktions-kosten zuzurechnen sind.

Aufgrund seiner Anknüpfung an „tatsächlichen wirtschaftlichen Verlusten“ (Baum &

Höhnscheid, 1999, S. 9) und seiner relativ einfachen Methodik ist der HKA/SKA vor al-lem in frühen Studien zur Bewertung von Leben und Gesundheit zur Anwendung gekom-men. Als alleiniges Bewertungsverfahren ist der HKA/SKA allerdings nur dann geeignet,

„if one is interested solely in the effect of death on economic activity, as measured by the gross national product, and on household production“ (Cohen, Miller & Rossman, 1994, S. 74). Erkennt man jedoch die Relevanz von Schmerzen, Leiden und verlorener Le-bensqualität als essentielle Kostenbestandteile von KNA, so muss der HKA/SKA durch Zahlungsbereitschaftsansätze (Marktansätze oder CV-Studien) ersetzt oder zumindest er-gänzt werden.69 Ob auf den HKA/SKA vollständig verzichtet werden kann, hängt von der Konzeption des verwendetenwillingness-to pay Ansatzes ab. Ist letzterer so ausgestaltet, dass er neben den immateriellen auch die materiellen Werte bzw. Schäden abdeckt, dann wird der HKA/SKA nicht benötigt. Decken Zahlungsbereitschaftsansätze dagegen mate-rielle Wert- bzw. Kostenkomponenten nicht oder nur unvollständig ab, so bedarf es eines ergänzenden Einsatzes direkter Bewertungsmethoden wie des HKA/SKA.

Im Rahmen dieser Arbeit werden hedonische Lohnregressionen zur Bewertung eines statistischen Lebens in Deutschland durchgeführt. Wie in Abschnitt 4.2.1.1 diskutiert, verkörpert ein auf der Grundlage deutscher Arbeitsmarktdaten (in Kombination mit Ar-beitsunfalldaten) ermittelter WSL materielle Wert- bzw. Schadensbestandteile nur in-soweit, als sie sich in den Lohnforderungen der Arbeitnehmer niederschlagen. Werden materielle Schäden aus Arbeitsunfällen ex post ersetzt, so fließen sie nicht in die kom-pensatorischen Lohndifferenziale und damit auch nicht in den WSL (oder WSV) ein.

Versicherte materielle Schäden sind z.B. die von der Unfallversicherung geleisteten antei-ligen Ausgleichszahlungen für Einkommensverluste aus der Minderung bzw. dem Wegfall der Erwerbsfähigkeit und die medizinischen Versorgungskosten, die i.d.R. vollständig von

69Während der HKA/SKA in den USA seit geraumer Zeit allenfalls noch in Ergänzung zu Zahlungs-bereitschaftsansätzen Verwendung findet, war er noch bis weit in die 90er-Jahre hinein der alleinige Be-wertungsansatz deutscher Ökonomen zur Schadensberechnung im Umweltbereich (Rennings, 1997) und wird noch heute von der Bundesanstalt für Straßenwesen als alleiniger Ansatz zur Berechnung der volks-wirtschaftlichen Kosten von Personenschäden im Straßenverkehr angewendet (siehe Baum & Höhnscheid, 1999).