• Keine Ergebnisse gefunden

2. Die Abschreckungswirkung von Strafe

2.3 Empirische Analyse

2.3.1 Deskription

Eine Identifikation von Abschreckungseffekten mittels aggregierter Daten ist, einmal ab-gesehen von dem generellen Problem der Scheinkorrelation - d.h. dem falschen Schluss von Korrelationen in Aggregatdaten auf individuelles Verhalten -, überhaupt nur dann möglich, wenn sowohl die zu erklärenden als auch die erklärenden Variablen eine hinrei-chend starke Variation aufweisen. Ob diese an die Daten gestellte Grundvoraussetzung erfüllt ist, kann den nachfolgenden Abbildungen und Tabellen entnommen werden. In Abbildung 2.4 wird zunächst exemplarisch für die abhängigen Variablen die Variation des schweren Diebstahls über die Bundesländer und den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg grafisch dargestellt. Dabei beschreiben die drei Schaubilder (von oben nach unten) die altersspezifischen Kriminalitätsraten von Erwachsenen, Jugendlichen und Heranwach-senden.

Exkurs: Berechnung altersspezifischer Kriminalitätsraten

Die abhängigen Variablen in empirischen Überprüfungen der ökonomischen Theorie der Kriminalität auf Makroebene sind in der Regel bevölkerungsspezifische Kriminali-tätsraten der Form (Anzahl der Straftaten / Bevölkerungszahl) bzw. Logarithmen oder Veränderungsraten dieser Größen. Zugleich wurde im vorherigen Abschnitt erläutert, wes-halb es wichtig ist, die Analysen getrennt nach verschiedenen Altersgruppen durchzufüh-ren. Deshalb müssen sowohl die Strafverfolgungsindikatoren (d.h. die erklärenden Varia-blen) als auch die abhängigen Variablen möglichst gut auf die relevanten Altersgruppen abgestimmt werden. Dies kann mit Hilfe der altersgruppenspezifisch vorliegenden Daten der PKS und StVStat (siehe Abbildungen 2.1 und 2.2) geleistet werden. Im Rahmen der Berechnung altersspezifischer Kriminalitätsraten taucht jedoch das Problem auf, dass das Alter von Tätern nur dann bekannt ist, wenn die zugehörige(n) Straftat(en) auch auf-geklärt wurden. Über das Alter von Tätern, die nicht aufauf-geklärte Straftaten begangen haben, kann folglich keine Aussage getroffen werden. Um dennoch altersspezifische Kri-minalitätsraten - d.h. Indikatoren der Art „von Personen im Alter zwischen x und y Jahren

begangene Straftaten / Anzahl der Personen im Alter zwischen x und y Jahren in der Bevölkerung“ - berechnen zu können, ist es möglich, sich mit der Annahme zu helfen, wonach die Altersverteilung von Personen, die nicht-aufgeklärte Straftaten verübt haben, der Altersverteilung von Personen, die aufgeklärte Straftaten begangen haben, entspricht.

Da die letztgenannte Verteilung bekannt ist, ergeben sich die altersspezifischen Krimina-litätsraten (pro 100.000 Personen der jeweiligen Altersgruppe) mit

Ocast= FAELLEcst× TVcast

TVcst × 1

BEVast ×100.000, (2.1)

wobei FAELLE die Anzahl der Fälle, TV die Anzahl der Tatverdächtigen und BEV die Bevölkerungszahl repräsentiert. Die Subskripte stehen für die Deliktgruppe (c), die Altersgruppe (a), das Bundesland (s) und das Jahr (t). Die beschriebene Approximation führt dann zu falschen Ergebnissen, wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit der Straftä-ter systematisch mit deren AlStraftä-ter variiert. Im Rahmen ökonometrischer UnStraftä-tersuchungen mit Paneldaten werden solche Messfehler aber nur dann zum Problem, wenn sie eine un-terschiedliche zeitliche Variation über die Beobachtungseinheiten hinweg aufweisen. Jah-resunabhängige Besonderheiten der Länder können dagegen genauso wie jahresabhängige Besonderheiten, die alle Länder gleichermaßen betreffen, mit geeigneten Schätzverfahren kontrolliert werden. Diese Aussage trifft insbesondere auch auf Messfehler der (altersspezi-fischen) Kriminalitätsraten zu, die durch die Existenz des Dunkelfeldes zustande kommen.

Alle drei Grafiken in 2.4 lassen weitgehend übereinstimmende zeitliche Entwicklun-gen erkennen - ein AnsteiEntwicklun-gen der schweren Diebstähle bis Anfang der 1990er-Jahre und danach wieder ein Absinken in Richtung des Ausgangsniveaus - und gleichen sich eben-falls hinsichtlich der Position der Bundesländer. So lassen sich drei Gruppen von Ländern identifizieren. Eine Gruppe mit Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, die eine im Vergleich zum Bund unterdurchschnittliche Kriminalitätsbelastung aufweist. Eine zweite Gruppe mit den übrigen Flächenstaaten (Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein), die über dem Bundesdurchschnitt liegt und schließlich die Gruppe der Stadtstaaten (Bremen, Hamburg) mit Diebstahlsraten, die um ein Vielfaches über denen der Flächenstaaten liegen. Grafiken der übrigen Kri-minalitätskategorien können den Abbildungen A.1 (Erwachsene) A.2 (Jugendliche) und A.3 (Heranwachsende) im Anhang entnommen werden (siehe Seite 236ff.). Wenngleich die Anordnung der Bundesländer im Falle der übrigen Straftaten nicht so systematisch ist wie bei schwerem Diebstahl, so sind doch stets die höchsten Kriminalitätsraten in den Stadt-staaten und die niedrigsten Kriminalitätsbelastungen (mit wenigen Ausnahmen) in den süd- und südwestdeutschen Bundesländern zu beobachten. Bezüglich der zeitlichen Ent-wicklung ergeben sich für die einzelnen Deliktgruppen unterschiedliche Befunde. Während für die Schwerstkriminalität (Mord und Totschlag, Vergewaltigung) über den

Beobach-2.3. Empirische Analyse 43

02000400060008000Faelle je 100.000 Personen der Altersgruppe

1980 1985 1990 1995 2000 Jahr

D BW BAY HB HH HES NSA NRW RPF SAR SHL

Straftat 4000

01000020000300004000050000Faelle je 100.000 Personen der Altersgruppe

1980 1985 1990 1995 2000 Jahr

D BW BAY HB HH HES NSA NRW RPF SAR SHL

Straftat 4000

01000020000300004000050000Faelle je 100.000 Personen der Altersgruppe

1980 1985 1990 1995 2000 Jahr

D BW BAY HB HH HES NSA NRW RPF SAR SHL

Straftat 4000

Quelle: Darstellung auf Grundlage des vom Bundeskriminalamt akquirierten Datenmaterials. Oberes Bild:

Erwachsene; mittleres Bild: Jugendliche; unteres Bild: Heranwachsende.

Abbildung 2.4: Schwere Diebstähle von Erwachsenen, Jugendlichen und Heranwachsen-den je 100.000 Personen der jeweiligen Bevölkerungsgruppe nach Bun-desländern

tungszeitraum ein fast konstantes Aufkommen (mit leichten Anstiegen im Bereich der Jugendlichen) zu beobachten ist, ist bei Raub sowie schwerer und gefährlicher Körperver-letzung (insbesondere von Jugendlichen und Heranwachsenden) eine starke Zunahme ab Mitte der 1980er / Anfang der 1990er-Jahre zu verzeichnen. Für einfachen Diebstahl liegt in etwa die gleiche zeitliche Entwicklung vor wie für schweren Diebstahl (siehe oben); Be-trug und Sachbeschädigung sind für alle Altersgruppen tendenziell angestiegen. Es kann also festgehalten werden, dass Kriminalität (mit Ausnahme der Schwerstkriminalität in den Flächenstaaten) sowohl über die Zeit als auch über die Bundesländer hinweg eine erhebliche Variation aufweist. Dass dies auch für die Strafverfolgungsindikatoren der Fall ist, zeigen die Abbildungen 2.5, 2.6 und 2.7, in denen jedoch aus Gründen der Übersicht-lichkeit mit Bayern, Bremen und Schleswig-Holstein (und dem Bund als Referenz) jeweils nur ein Vertreter aus den drei in Abbildung 2.4 identifizierten Ländergruppen dargestellt wird. Wie im Falle der erklärenden Variablen erfolgt in den nachstehenden Abbildun-gen zunächst eine grafische Darstellung des schweren Diebstahls, die im Anhang um die übrigen Deliktgruppen (unter Einbeziehung aller Bundesländer) ergänzt wird (siehe Ab-bildungen A.4 bis A.18 auf Seite 239ff.).

In Abbildung 2.5 wird das Strafverfolgungsindikatorensystem für Erwachsene, in Ab-bildung 2.6 jenes für Jugendliche und in AbAb-bildung 2.7 das für Heranwachsende dar-gestellt. Jedes der Systeme enthält als ersten Indikator die Aufklärungsquote (c), die, wie oben dargelegt, nicht nach Alter differenziert werden kann und deshalb in identi-scher Form in alle drei Systeme einfließt. Der Ländervergleich ergibt, dass bei allgemein niedrigem Niveau Bayern die höchste Aufklärungsquote besitzt, die auch weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Die Quote in Schleswig-Holstein stimmt über den Beobach-tungszeitraum hinweg weitgehend mit dem Bundesdurchschnitt überein und jene in Bre-men liegt stets darunter. Dass die Aufklärung von schweren Diebstählen in BreBre-men so niedrig ist (zuletzt deutlich unter 10%), muss dabei nicht zwingend in der schlechteren Leistungsfähigkeit der Bremer Polizei begründet sein, sondern kann seine Ursache auch in der erschwerten Aufklärungsarbeit im urbanen Umfeld haben. Die Evidenz für schweren Diebstahl setzt sich (bei allerdings sehr unterschiedlichen Niveaus) auch für die meisten anderen Straftaten fort. So kann Abbildung 239 im Anhang entnommen werden, dass Bayern stets überdurchschnittliche und Bremen und Hamburg mit wenigen Ausnahmen stark unterdurchschnittliche Aufklärungsquoten aufweisen. Insgesamt lässt sich eine

er-2.3. Empirische Analyse 45

,05,1,15,2,25Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator c − Straftat 4000

,2,3,4,5,6,7Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator g_2160 − Straftat 4000

,2,3,4,5Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator i_stgb − Straftat 4000

,3,35,4,45,5,55Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator p_stgb − Straftat 4000

,15,2,25,3,35,4Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator f − Straftat 4000

101214161820Mittlere Laenge der Haftstrafe in Monaten

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator t_stgb − Straftat 4000

406080100120Mittlere Anzahl der Tagessaetze

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator r − Straftat 4000

Quelle: Darstellung auf Grundlage des vom Bundeskriminalamt und Statistischen Bundesamt akquirierten Datenmaterials.

Abbildung 2.5: Strafverfolgungsindikatoren für Verurteilungen nach allgemeinem Straf-recht bei schwerem Diebstahl für ausgewählte Bundesländer

,05,1,15,2,25Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator c − Straftat 4000

,1,2,3,4,5Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator g_1418 − Straftat 4000

,05,1,15,2,25Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator i_jstr − Straftat 4000

,1,15,2,25,3,35Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator p_jstr − Straftat 4000

,3,4,5,6,7,8Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator d − Straftat 4000

0,05,1,15,2,25Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator e − Straftat 4000

10152025Mittlere Laenge der Haftstrafe in Monaten

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator t_jstr − Straftat 4000

Quelle: Siehe Anmerkungen zu Tabelle 2.5.

Abbildung 2.6: Strafverfolgungsindikatoren für Verurteilungen nach Jugendstrafrecht bei schwerem Diebstahl für ausgewählte Bundesländer

2.3. Empirische Analyse 47

,05,1,15,2,25Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator c − Straftat 4000

,1,2,3,4,5,6Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator g_1821 − Straftat 4000

0,05,1,15,2Anteilswert

1980 1985 1990 1995 2000

Jahr

D BAY HB SHL

Indikator s − Straftat 4000

Quelle: Siehe Anmerkungen zu Tabelle 2.5.

Abbildung 2.7: Strafverfolgungsindikatoren für Heranwachsende bei schwerem Dieb-stahl für ausgewählte Bundesländer

hebliche Spannweite der Aufklärungsquoten über die Länder hinweg feststellen, die bei Raub (in manchen Jahren bis zu 30 Prozentpunkte) am höchsten ausfällt. Bei einigen Straftaten zeigt die Aufklärungsquote auch deutliche Variationen über die Zeit. So ist im Falle des schweren Diebstahls und Betrugs ein kontinuierlicher Rückgang und bei Verge-waltigung seit Anfang der 1990er-Jahre ein deutlicher Anstieg (jeweils gemessen an der Bundesentwicklung) der Quoten zu verzeichnen.

Die Aufklärung einer Straftat impliziert, dass der Polizei ein Tatverdächtiger zumin-dest namentlich bekannt ist. In welchem Ausmaß Tatverdächtige den Gerichten zugeführt und bestraft werden, misst die Verurteilungsquote, die mit der RegKrimDA sowohl für Erwachsene (g2160), Jugendliche (g1418) als auch für Heranwachsende (g1821) berechnet werden kann. Während im Falle des schweren Diebstahls für g2160 (siehe Abbildung 2.5) seit 1987 kein bedeutender Unterschied mehr zwischen den drei exemplarisch betrach-teten Bundesländern beobachtet werden kann, zeigt sich Bayern im Falle jugendlicher (Abbildung 2.6) und heranwachsender (Abbildung 2.7) Straftäter spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre als eindeutig „bestrafungsfreudigstes“ Bundesland. So beträgt der Un-terschied in g1418 und g1821 zwischen Bayern und Schleswig-Holstein am aktuellen Rand ca. 20 Prozentpunkte. Hierin äußerte sich möglicherweise eine von Bayerischen Staatsan-waltschaften und Gerichten vertretene Einschätzung, wonach man sich gemäß der Devise

„wehret den Anfängen“ insbesondere von einer formellen Sanktionierung junger Straftäter einen spezial- und generalpräventiven Effekt erhofft. So ist auch zu beobachten, dass der deutliche Bundestrend in Richtung fallender Verurteilungsquoten bzw. verstärkter Diver-sion, der für alle Altersgruppen, insbesondere aber für Jugendliche vorliegt, von Bayern nicht nachvollzogen wird. Vergleicht man den Anfang mit dem Ende des Beobachtungs-zeitraums, so zeigt sich für Bayern in allen Altersgruppen eine weitgehend konstante Ver-urteilungshäufigkeit. Für Schleswig-Holstein ergibt sich hier ein ganz anderes Bild. Hier kann man zu Beginn der Beobachtungsperiode hohe - sogar über Bayern angesiedelte - Verurteilungsquoten beobachten, die dann aber im Zeitverlauf dramatisch abgesunken sind und sich inzwischen teilweise unter der traditionell niedrigen Bremer Quote bewegen.

Ein Blick auf die ausführlichen graphischen Darstellungen in Abbildungen A.5, A.11 und A.17 im Anhang (Seiten 240, 246 und 252) offenbart ein ähnliches Bild wie für schweren Diebstahl im Dreiländerfall. Für Erwachsene ergibt sich über die Straftaten hinweg ein weitgehend diffuses Bild, das keine klaren Ländermuster erkennen lässt. Eine

Ausnah-2.3. Empirische Analyse 49

me stellt Baden-Württemberg dar, dessen Verurteilungsquoten sich am aktuellen Rand für fast alle Deliktgruppen im oberen Bereich bewegen. Was jedoch die Quoten für Ju-gendliche und Hernwachsende angeht, kann ähnlich wie beim Kriminalitätsaufkommen ein gewisses Nord-Süd-Gefälle beobachtet werden, wobei sie südlichen und südwestlichen Länder höhere Quoten aufweisen.

Kommt es zu einer Verurteilung, so werden im Bereich des allgemeinen Strafrechts ent-weder Freiheitsstrafen ohne Bewährung, Bewährungsstrafen oder Geldstrafen als Haupt-strafe ausgesprochen. Die entsprechenden Indikatoren / Quoten (istgb,pstgb undf) können ebenfalls Abbildung 2.5 entnommen werden. Hier wird deutlich, dass Bayern im Vergleich zu Schleswig-Holstein über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg härtere Strafen für schweren Diebstahl verhängt hat. Das bedeutet, dass häufiger von nicht ausgesetz-ten Freiheitsstrafen und selausgesetz-tener von Geldstrafen Gebrauch gemacht wurde. Bei zuletzt annähernd gleicher Bewährungsquote belaufen sich diese Unterschiede auf jeweils ca. 10 Prozentpunkte. Interessant ist, dass Bremen inzwischen eine mit Bayern fast identische Verteilung der Strafarten aufweist. Dies kann jedoch im Zusammenwirken mit der nied-rigen Verurteilungsquote daran liegen, dass in Bremen ohnehin nur „schwerere Jungs“

verurteilt werden, diese dann aber auch relativ harte Strafen erhalten. Betrachtet man die Strafhärte am Beispiel der mittleren Länge der verhängten Freiheitsstrafen (t), dann liegt auch hier Bayern weit - zuletzt um ca. 6 Monate - über Schleswig-Holstein (und Bremen). Bei der Anzahl der Tagessätze (r) ergibt sich allerdings kein klares Muster.

Den gesamten Strafverfolgungsprozess im Bereich des allgemeinen Strafrechts betrach-tend kann also festgehalten werden, dass in Bayern nicht nur mehr schwere Diebstähle aufgeklärt werden. Die ermittelten Täter werden (zumindest am aktuellen Rand) auch mit höherer Wahrscheinlichkeit verurteilt, wobei die resultierenden Strafen häufiger nicht ausgesetzte Freiheitsstrafen sind, die zudem für eine längere Dauer ausgesprochen werden.

Kurzum, Bayern besitzt das im Vergleich zu Schleswig-Holstein und Bremen repressivere, möglicherweise auch effizientere Strafverfolgungssystem und sollte damit nach der ökono-mischen Theorie der Kriminalität potenzielle Straftäter stärker abschrecken. Die Frage, ob hierdurch die bedeutend niedrigeren Kriminalitätsraten in Bayern erklärt werden können, kann allerdings nur im Rahmen einer multivariaten Analyse beantwortet werden.

Die detaillierten graphischen Darstellungen dieser Indikatoren für alle Straftaten und Bundesländer finden sich in den Abbildungen A.6 bis A.10 im Anhang (Seiten 241ff). In

Anbetracht der Informationsfülle, die diese Schaubilder bieten, sollen nur einige besonders auffällige Fakten herausgegriffen werden. Hier ist zum einen der starke Anstieg der Bewäh-rungsquote bei gleichzeitigem Rückgang der Geldstrafenquote für gefährliche und schwere Körperverletzung zu nennen (siehe Abbildungen A.7 und A.10). Diese Entwicklungen stehen offensichtlich im Zusammenhang mit der Strafrechtsreform von 1998, wenngleich sie schon vor diesem Jahr einsetzten. Möglicherweise erfolgte hier eine Antizipation der geplanten Gesetzesänderung durch die Gerichte oder es war gar das Gesetz, das einer bereits von den Gerichten eingeleiteten Tendenz in Richtung einer strengeren Ahndung von Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit folgte. Für den zweiten Erklärungs-ansatz spricht möglicherweise die über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg zu beobachtende Ausdehnung der Haftlängen für schwere und gefährliche Körperverletzung sowie sexuelle Nötigung (siehe Abbildung A.9).

Auch das Jugendstrafrecht sieht Haftstrafen - die als Jugendstrafen bezeichnet werden - ohne und mit Bewährung vor. Die alternative Strafkategorie besteht allerdings nicht in Geldstrafe, sondern in Zuchtmitteln und Erziehungsmaßregeln. Die korrespondieren-den Quoten (ijstr, pjstr, d und e) sind in Abbildung 2.6 dargestellt. Es ist interessant, dass Haftstrafe als härteste Strafe im Jugendbereich in Bayern für schweren Diebstahl zuletzt seltener als im Bundesdurchschnitt verhängt wurde. Demnach besteht die Strenge des Bayerischen Strafverfolgungssystems im Jugendbereich mehr im „Ob“ als im „Wie“

der Strafe. Im Vergleich zu Schleswig-Holstein erweist sich Bayern aber auch in Bezug auf die Bestrafungsart als restriktiver. So werden bei ungefähr gleicher durchschnittli-cher Inhaftierungsquote der beiden Länder in Bayern (um 10 Prozentpunkte) häufiger Bewährungsstrafen verhängt. Auch hinsichtlich der Haftlänge ist man in Bayern deutlich strenger als in Schleswig-Holstein und auch strenger als der Bundesdurchschnitt. Wie im Falle des allgemeinen Strafrechts kann also auch für das Jugendstrafrecht festgehalten werden, dass Bayern über den gesamten Strafverfolgungsprozess hinweg repressiver ist als das nördlichste deutsche Bundesland. Die korrespondierenden Darstellungen der Indika-toren für alle Straftaten und Bundesländer finden sich in Abbildungen A.12 bis A.16 im Anhang (Seite 247). Aus den in Abschnitt 2.2.2 diskutierten Gründen ist es nicht möglich, den gesamten Strafverfolgungsprozess für Heranwachsende abzubilden. Deshalb steht au-ßer der Aufklärungs- und Verurteilungsquote nur noch ein Indikator (s) zur Verfügung, der angibt, wie häufig diese Altersgruppe nach allgemeinem Strafrecht verurteilt wird.

2.3. Empirische Analyse 51

Auch hier ist Bayern restriktiver als Schleswig-Holstein, nicht jedoch strenger als Bre-men. Die zugehörige Gesamtdarstellung findet sich in Abbildung A.18 im Anhang (Seite 253). Hier ist auffällig, dass bis Anfang / Mitte der 1990er Jahre vor allem in Rheinland-Pfalz Heranwachsende häufig nach StGB verurteilt wurden. Zwar ist die diesbezügliche Sonderstellung von Rheinland-Pfalz inzwischen verschwunden, jedoch bewegt sich das Land zusammen mit Baden-Württemberg (und teilweise Bremen) noch immer im oberen Bereich der Bundesländer.

Als Fazit dieser deskriptiven Betrachtung kann festgehalten werden, dass Strafverfol-gungsindikatoren, deren Einfluss auf das Kriminalitätsaufkommen in dieser Arbeit unter-sucht werden soll, sowohl über die Bundesländer als auch über den Beobachtungszeitraum hinweg eine beachtliche Variation aufweisen. Dass diese Variation, insbesondere was die Bundesländer angeht, in einer gewissen Übereinstimmung mit den Kriminalitätshäufig-keiten stehen, ist eine interessante Beobachtung, die jedoch aufgrund ihres rein deskripti-ven Charakters nicht als Kausalität gewertet werden darf. Hierzu bedarf es des Einsatzes multivariater statistischer Verfahren wie der Regressionsanalyse und der Berücksichtigung zusätzlicher erklärender Variablen; insbesondere solcher, welche die legalen und illegalen Einkommensmöglichkeiten abbilden. Deshalb fließen in alle Schätzungen das reale Brut-toinlandsprodukt pro Kopf (BIP95pc), die Arbeitslosenqote (ALOQ) und die Ausländer-quote (AUSLQ) ein. Alle Variablen, die Eingang in die empirische Analyse finden, werden in Tabelle 2.2 näher beschrieben.

Tabelle2.2:ÜbersichtundDefinitionenderanderempirischenAnalysebeteiligtenVariablen VariableBeschreibungVerw.inModellfürVariablentypkrim.spez. (1)(2)(3)(4)(5) O2160Straftatenpro100.000PersonenderAltersgruppeErwachseneendogenja O1418Straftatenpro100.000PersonenderAltersgruppeJugendlicheendogenja O1821Straftatenpro100.000PersonenderAltersgruppeHeranwachsendeendogenja cAufklärungsquote(s.auchTabelle2.1)Erw./Jugdl./Heraw.exogen/endogenja g2160Verurteilungsquote(s.auchTabelle2.1)Erwachseneexogenja istgbInhaftierungsquote(s.auchTabelle2.1)Erwachseneexogenja pstgbBewährungsquote(s.auchTabelle2.1)Erwachseneexogenja fGeldstrafenquote(s.auchTabelle2.1)Erwachseneexogenja tstgb ØHaftlänge(s.auchTabelle2.1)Erwachseneexogenja rØAnzahlvonTagessätzen(s.auchTabelle2.1)Erwachseneexogenja g1418Verurteilungsquote(s.auchTabelle2.1)Jugendlicheexogenja ijstr Inhaftierungsquote(s.auchTabelle2.1)Jugendlicheexogenja pjstrBewährungsquote(s.auchTabelle2.1)Jugendlicheexogenja dZuchtmittelquote(s.auchTabelle2.1)Jugendlicheexogenja eErziehungsmaßregelquote(s.auchTabelle2.1)Jugendlicheexogenja tjstr ØHaftlänge(s.auchTabelle2.1)Jugendlicheexogenja g1821 Verurteilungsquote(s.auchTabelle2.1)Heranwachsendeexogenja sAnteildernachStGBVerurteilten(s.auchTabelle2.1)Heranwachsendeexogenja BIP95pcRealesBIPproKopf(Preisevon1995)Heranwachsendeexogennein ALOQArbeitslosenquoteErw./Jugdl./Heraw.exogennein AUSLQAusländerquoteErw./Jugdl./Heraw.exogennein VersuchAnteilversuchterStraftatenanversuchtenu.vollendetenTatenErw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentja TOrt20AnteilStraftatenmitTatortinGemeindenmitbiszu20.000Einw.Erw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentja TOrt20100AnteilStraftatenmitTatortinGemeindenmit20.000–100.000Einw.Erw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentja TOrt100500AnteilStraftatenmitTatortinGemeindenmit100.000–500.000Einw.Erw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentja TOrt500AnteilStraftatenmitTatortinGemeindenüber500.000Einw.Erw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentja WahlJIndikatorvariablefür(Landtags-)WahljahrErw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentnein VorWahlJIndikatorvariablefür(Landtags-)Vorwahljahr(sofernVorwahljahr6=Wahljahr)Erw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentnein Schuld95pcRealerSchuldenstandproKopf(Preisevon1995)Erw./Jugdl./Heraw.exogen/Instrumentnein %1821jstrAnteilheranwachsenderVerurteilteranallennachJugendstrafrechtVerurteiltenJugendlicheexogen/Bereinigungja

2.3. Empirische Analyse 53

Tabelle 2.3: Deskriptive Statistik der nicht-kriminalitätsspezifischen Variablen

Variable Beob. Mw. Std.abw. Min. Max.

(1) (2) (3) (4) (5)

BIP95pc 250 22972 5734 14892 40968

ALOQ 250 ,086 ,032 ,021 ,168

AUSLQ 250 ,079 ,032 ,029 ,176

WahlJ 250 ,248 ,433 0 1

VorWahlJ 250 ,236 ,425 0 1

Schuld95pc 250 4019 2828 747 13107

Quelle: Verschiedene Publikationen des Statistischen Bundesamt.

Der Typ bzw. die Funktion dieser Variablen kann Spalte 5 der Tabelle entnommen wer-den. Neben den abhängigen Variablen, den Strafverfolgungsindikatoren und den übrigen Kontrollvariablen fließen auch Instrumentvariablen und eine Variable zur Bereinigung et-waiger Verzerrungen der Strafhärteindikatoren des Jugendstraftrechts in die Analyse ein.

Spalte 3 gibt Aufschluss über die Definitonen der Variablen, Spalte 2 kann entnommen werden, für welche Altersgruppe der jeweilige Indikator vorgesehen ist und Spalte 5 gibt Aufschluss darüber, ob die Variable kriminalitätsspezifisch - d.h. in acht verschiedenen Varianten - vorliegt und genutzt wird. Tabellen 2.3 und 2.4 weisen schließlich deskriptive Statistiken der in Tabelle 2.2 aufgeführten Variablen für den gesamten Schätzdatensatz aus. Diese Darstellungen werden durch die länderspezifischen Tabellen A.1 bis A.11 im Anhang ergänzt (siehe Seite 254ff).

Tabelle2.4:DeskriptiveStatistikderkriminalitätsspezifischenVariablen MordundTotschlagVergewaltigungundsex.NötigungRaubSchw.undgef.Körperverletzung VariableBeob.Mw.Std.abw.Min.Max.Beob.Mw.Std.abw.Min.Max.Beob.Mw.Std.abw.Min.Max.Beob.Mw.Std.abw.Min.Max. (1)(2)(3)(4)(5)(6)(7)(8)(9)(10)(11)(12)(13)(14)(15)(16)(17)(18)(19)(20) O21602507,012,902,4523,625024,09,4810,552,225068,859,716,733125014348,782,9285 O1418 2504,934,50036,825034,618,3017025044168658,8373625037525681,11296 O182125012,37,45055,225047,519,7012725038443292,226172504882092281194 c250,939,039,7401250,684,066,469,846250,492,076,291,651250,839,050,671,934 g2160246,262,107,038,833246,270,072,104,6246,293,059,121,509242,180,034,102,292 istgb 242,908,063,6671242,543,080,235,767242,622,083,346,802242,108,030,017,248 pstgb242,081,0570,333242,436,080,219,7242,362,082,193,635242,282,107,116,647 f242,011,0310,25242,021,0210,118242,015,0130,095242,610,122,238,822 tstgb24291,913,64814324239,77,3923,27924242,06,3322,661,424214,93,005,2524,1 r00024260,819,530,6107 g1418240,346,30901245,326,18201246,400,151,075,96242,269,116,031,640 ijstr 235,902,14501244,314,14301244,315,096,103,691240,082,0390,292 pjstr235,087,12701244,424,16001244,394,081,051,639240,149,0570,370 d235,009,07301244,221,13701244,250,104,033,606240,682,108,290,906 e235,002,0130,167244,041,0660,444244,041,0470,277240,087,0770,442 tjstr 23369,712,527,69023429,18,8369024425,65,2013,842,823718,43,876,532 g1821 246,321,22701245,331,15901246,397,112,132,843242,240,072,055,491 s233,073,13801244,073,0960,536246,034,0400,235242,160,1320,641 Versuch250,674,100,218,873250,351,085,153,554250,210,033,112,304250,064,019,026,112 TOrt20250,289,1890,645250,261,1740,566250,157,1100,369250,246,1630,526 TOrt20100250,245,1430,556250,251,1450,612250,243,1400,513250,234,1340,458 TOrt100500250,203,1080,465250,210,1050,578250,265,1290,499250,237,1140,439 TOrt500250,259,32501250,273,3210,974250,333,3180,996250,283,3270,998 %1821jstr235,673,22201244,529,15701244,485,092,220,744240,494,088,305,756 FortsetzungaufdernächstenSeite...

2.3. Empirische Analyse 55

DeskriptiveStatistikderkriminalitätsspezifischenVariablen-Fortsetzung EinfacherDiebstahlSchwererDiebstahlBetrugSachbeschädigung VariableBeob.Mw.Std.abw.Min.Max.Beob.Mw.Std.abw.Min.Max.Beob.Mw.Std.abw.Min.Max.Beob.Mw.Std.abw.Min.Max. (21)(22)(23)(24)(25)(26)(27)(28)(29)(30)(31)(32)(33)(34)(35)(36)(37)(38)(39)(40) O2160 250197376910344816250243616755678315250107565633051632506472262811269 O14182507422304237771746125014755102763918484442501017136970,610532250308716619009536 O1821 25051482243274115855250153261051633874974425021642286248174762502719107512837017 c250,471,056,327,577250,155,048,062,281250,887,072,6721250,240,034,165,327 g2160 246,364,073,199,614246,334,082,193,699246,318,054,132,468246,120,033,051,214 istgb242,053,017,019,096242,347,060,197,535242,054,026,009,133242,016,0110,055 pstgb 242,093,024,050,169242,426,046,306,578242,141,040,068,289242,035,0180,109 f242,854,036,766,923242,227,047,114,405242,805,060,598,922242,949,024,8681 tstgb2426,791,214,0810,824215,61,8610,821,924213,82,568,5526,62155,963,63325,5 r24626,85,7114,741,324682,89,8251,810924636,97,3718,954,724627,96,8113,045,7 g1418 246,194,110,005,442246,303,120,038,580246,155,138,001,935246,080,048,001,271 ijstr244,042,024,012,144244,145,046,057,402244,045,0290,182244,010,0150,105 pjstr 244,063,032,008,206244,209,055,036,359244,078,0490,364244,021,0310,333 d244,732,149,268,930244,553,108,240,768244,726,132,289,937244,811,137,2861 e244,164,1260,524244,094,0760,369244,151,1270,605244,159,1340,644 tjstr24415,83,178,448,824418,72,6810,826,623316,84,5664816214,76,93648 g1821246,250,098,019,444246,328,096,090,643246,205,098,008,565246,090,044,002,195 s246,251,167,017,637246,082,0630,357246,350,179,025,784246,261,1820,833 Versuch250,016,005,009,052250,173,030,091,249250,061,056,014,882250,005,002,001,014 TOrt20250,230,1570,466250,246,1620,532250,238,1690,998250,290,1900,572 TOrt20100250,261,1480,525250,258,1470,504250,229,1380,621250,250,1450,490 TOrt100500250,222,0990,345250,205,0960,352250,217,1180,531250,197,0910,436 TOrt500250,277,3230,990250,289,3360,998250,306,32901,69250,257,32601,000 %1821jstr244,384,106,156,772244,475,087,295,736244,668,120,254,944244,411,119,167,786 Quelle:DarstellungaufGrundlagedesvomBundeskriminalamtundStatistischenBundesamtakquiriertenDatenmaterials.