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2. Die Abschreckungswirkung von Strafe

2.4 Schlussfolgerung

Berührung kommen, damit sie selbst oder andere von zukünftigen Taten abgehalten wer-den. Vielmehr bedarf es für eine wirksame Abschreckung offensichtlich einer konkreten Verurteilung des verurteilungsfähigen Tatverdächtigen. Dieses Ergebnis erscheint vor dem Hintergrund der Annahme (zumindest teilweise) rationaler Straftäter eigentlich gar nicht überraschend; denn die Wahrscheinlichkeit für einen Täter, der einen schweren Diebstahl begeht, erkannt und dann auch verurteilt zu werden, betrug im Jahre 2001 im Durch-schnitt nur noch (0,13× 0,29 =) 3,8% - im Jahre 1977 lag diese Quote noch bei (0,20 × 0,43 =) 8,6%.

Eine andere These deutscher Kriminologen, wonach Sanktionen im Prinzip austausch-bar seien und deshalb auf die in ihrer Resozialisierungswirkung äußerst fragwürdige Ge-fängnisstrafe - sofern strafrechtlich und gesellschaftlich vertretbar - weitgehend verzichtet werden könne bzw. solle, kann dagegen mit dem bestehenden Datensatz nicht widerlegt werden. Für die Inhaftierungsquote erweisen sich lediglich zwei von 14 in Frage kommen-den Koeffizienten als negativ signifikant und zwei Koeffizienten sogar als positiv signifi-kant. Kaum stärkere Resultate ergeben sich für die Bewährungsquote, die in drei von zehn Fällen negativ und in zwei Fällen positiv signifikant ist. Insbesondere scheint die Länge der Haftstrafe keine bedeutende Auswirkung auf das Kriminalitätsaufkommen zu haben, da nur drei von 14 Koeffizienten signifikant sind, wovon 2 sogar ein unerwartetes positives Vorzeichen besitzen. Auch die Höhe der Geldstrafe bzw. die Anzahl der verhängten Tages-sätze besitzt keinen starken Einfluss auf das Kriminalitätsaufkommen; zwar sind zwei von fünf Koeffizienten negativ signifikant, jedoch ist die Signifikanz nur schwach. Schließlich erweist sich der Indikator für die Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwach-sende nur in zwei von acht Fällen als negativ signifikant; davon einmal mit unerwartetem positiven Vorzeichen. Trotzdem sollte das schwache Abschneiden der Indikatoren der Be-strafungsart und -härte nicht als Beweis für deren generelle Wirkungslosigkeit herange-zogen werden, da es auch möglich ist, dass die im Datensatz beobachtbare Variation der betreffenden Indikatoren nicht ausreichend stark ist, um möglicherweise existierende Ef-fekte zu identifizieren. Dennoch liegt aber der Schluss nahe, dass das „Ob“ der Bestrafung im Vergleich zum „Wie“ einen wesentlich wichtigeren Einfluss auf das Kriminalitätsauf-kommen besitzt. Dies könnte sich jedoch im Falle eklatanter Strafverschärfungen, die in den westliche Demokratien jedoch in der Regel keine Politikoption darstellen (sollten), ändern.

2.4. Schlussfolgerung 73

Als vorläufiges Fazit und kriminalpolitische Implikation dieser empirischen Abschre-ckungsstudie kann festgehalten werden, dass die in Deutschland (zumindest in manchen Ländern) von Staatsanwaltschaften praktizierte Vorgehensweise, ein erhöhtes Kriminali-tätsaufkommen nicht in Form einer erhöhten Anzahl von Anklageerhebungen bzw. Straf-befehlsanträgen an die Gerichte weiterzugeben, sondern vermehrt Diversion zu praktizie-ren, expansiv auf das Kriminalitätsaufkommen wirkt. Sollte der Grund für dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaften in der Überzeugung liegen, man würde dadurch das Krimina-litätsaufkommen nicht ungewünscht beeinflussen oder durch die Entkriminalisierung der Täter diesbezüglich sogar positive (d.h. kriminalitätsreduzierende) Effekte erzielen, so müsste diese Einschätzung vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse zumindest hinterfragt werden. Ist der Grund für die verstärkte Diversion jedoch in einer Überlas-tung der Staatsanwaltschaften zu sehen, so müssten vor dem Hintergrund weitergehender Kosten-Nutzen-Vergleiche Überlegungen hinsichtlich einer besseren personellen Ausstat-tung der Staatsanwaltschaften getroffen werden. Würde eine verstärkte „WeiterleiAusstat-tung“

von Tatverdächtigen an die Gerichte dort zu einer Überlastung führen, wäre auch über die Neueinstellung von Richtern bzw. über die Optimierung von Prozessabläufen nachzu-denken. Insbesondere wäre zu überlegen, (noch) stärker vom Instrument des Strafbefehls Gebrauch zu machen, der prinzipiell für alle Delikte anwendbar ist, die keine Verbre-chen sind, also nicht von einer Mindestsrafe von einem Jahr oder mehr bedroht sind.

Zur Reduzierung der Kriminalität könnte es insbesondere interessant sein, auf diese Art kostengünstig die Verurteilungsquote von schwerem Diebstahl zu erhöhen, da bei dieser Straftat die Aufklärungsquote traditionell sehr niedrig ist (15,7% im Bundesdurchschnitt der Jahre 1977–2001) und seitens der Täter am ehesten von rationalem Handeln und da-mit von entsprechenden Handlungsanpassungen auszugehen ist. Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass die hier präsentierten Ergebnisse und damit auch die Schlussfolgerun-gen aufgrund der ausführlich diskutierten Datenprobleme nur vorläufiSchlussfolgerun-gen Charakter ha-ben können. Tiefere Einsichten wären sicherlich durch die Zurverfügungstellung besseren Datenmaterials durch die amtliche Statistik zu gewinnen. Eine essentielle Voraussetzung dafür bestünde in der Koordination von PKS, StA-Statistik, StVsTat sowie der weiteren Rechtspflegestatistiken.

3. Lokale Determinanten der Kriminalität und Tätermobilität

„Community crime rates are not a simple reflection of community offender rates. Some communities have high rates of crime and high rates of offenders, while others have high rates of crime but low rates of offenders“ (Per-Olof H.

Wikström, 1998, S. 279).

In der empirischen Kriminalitätsforschung ist die Verwendung räumlich disaggregierter Daten zur Untersuchung der Bestimmungsfaktoren von Kriminalität weit verbreitet. Ent-sprechende Untersuchungen für Deutschland stammen von Ohlemacher (1995), Hermann und Laue (2000), Entorf und Spengler (2000) und Entorf und Winker (2003). Neuere Bei-spiele aus dem angelsächsischen Sprachraum sind die Studien über Abschreckungseffekte von Levitt (1997), über Ungleichheit von Kelly (2000) und über die Konzentration von Kriminalität in Städten von Glaeser und Sacerdote (1999). Die Stärke der Verwendung räumlich disaggregierter Daten ist darin zu sehen, dass die mitunter große Variation der sozio-demographischen Bedingungen über die jeweiligen Gebietskörperschaften die empi-rische Überprüfung der Determinanten von Kriminalität erleichtert. Mit zunehmendem Disaggregationsgrad wird es jedoch immer unwahrscheinlicher, dass die Beobachtungsein-heiten als voneinander unabhängige statistische EinBeobachtungsein-heiten angesehen werden können. Im kleinräumigen Kontext gewinnt insbesondere die Segregation der Bevölkerung in Hinblick auf Wohlstand und andere Merkmale an Bedeutung. So ist bekannt, dass wirtschaft-lich erfolgreiche Individuen und junge Familien dazu neigen, die stärker mit Kriminali-tät belasteten Gebiete, z.B. Innenstadtbereiche, zu verlassen, um sich im Umland einer Stadt – möglicherweise sogar in umzäunten Vorortsiedlungen – niederzulassen (z.B., Hels-ley & Strange, 1999). Gleichzeitig kommt es infolge des selektiven Wanderungsprozesses zu einer Konzentration von wirtschaftlich weniger erfolgreichen Individuen in

Abwande-rungsgebieten, wie beispielsweise den Innenstadtbereichen. Diese Tendenz zur räumlichen Trennung von Bevölkerungsgruppen kann zu einer erhöhten Tätermobilität führen, da die durchschnittliche Kriminalitätsbereitschaft in den Abwanderungsgebieten zunimmt und die dortige Klientel von den illegalen Gewinnmöglichkeiten in den wohlhabenderen Wohngegenden angezogen wird (z. B., Katzman, 1981). Demnach sollten in empirischen Analysen, die auf disaggregiertem Datenmaterial beruhen, statistische Analyseverfahren zur Anwendung kommen, die eine adäquate Berücksichtigung räumlicher Abhängigkeiten ermöglichen.

In diesem Kapitel werden die Determinanten von einfachem Diebstahl, schwerem Dieb-stahl und Gewaltkriminalität mittels eines stark disaggregierten Datensatzes, der Informa-tionen aller 1111 baden-württembergischen Gemeinden enthält, untersucht. Potenziellen Wechselwirkungen zwischen den Gemeinden wird durch die Verwendung von Methoden aus der räumlichen Ökonometrie Rechnung getragen. Ähnlich wie in einer früheren Studie von Fabrikant (1979) erlauben es die Daten, zwischen Delikten von ortsansässigen und ortsfremden Tätern zu unterscheiden. Die empirische Analyse erfolgt in drei Schritten: Zu-nächst werden einfache Regressionen der Häufigkeitszahlen von Diebstahl und Gewaltkri-minalität auf lokale Charakteristika durchgeführt. Im zweiten Schritt werden zusätzliche erklärende Variablen in das Ausgangsmodell eingeführt, welche die Merkmale der Nach-bargemeinden abbilden. Aus der häufigen Signifikanz dieser Nachbarschaftsvariablen lässt sich schließen, dass das Kriminalitätsaufkomen einer Gemeinde in enger Beziehung zur soziodemographischen Struktur ihres Umlandes steht. Schließlich wird in einem dritten Schritt die Beschaffenheit der zuvor aufgedeckten räumlichen Effekte genauer beleuchtet, indem die von Ortsfremden begangenen Delikte gesondert untersucht werden.

Die Ergebnisse deuten daraufhin, dass Tätermobilität keinesfalls zufällig ist, sondern systematische Ursachen hat: Der Umfang der Tätermobilität steigt sowohl mit der Intensi-tät der berufsbedingten Pendlerbewegungen als auch mit zunehmenden Vermögensunter-schieden zwischen den Gemeinden an. Im Gegensatz zu Kelly (2000), der den Einfluss von Einkommensungleichheit auf Eigentums- und Gewaltkriminalität für die USA untersucht, wird in dieser Arbeit ein kriminalitätsfördernder Effekt von Ungleichheit auf Eigentums-delikte ermittelt, während jedoch kein statistisch gesicherter Einfluss dieser Variablen auf Gewaltkriminalität feststellt werden kann. Darüber hinaus bestätigen die Analysen die Ergebnisse der kriminometrischen Literatur, wonach legale

Einkommenserzielungsmög-3.1. Kriminalitätstheorien und ihre empirischen Implikationen 77

lichkeiten, der erwartete Gewinn aus einer Straftat, die Zerrüttung familiärer Strukturen, der Bildungsgrad, ethnische Heterogenität sowie - im Falle des schweren Diebstahls - die Aufklärungswahrscheinlichkeit wichtige Determinanten darstellen.

3.1 Kriminalitätstheorien und ihre empirischen