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Kriminalitätstheorien und ihre empirischen Implikationen

2. Die Abschreckungswirkung von Strafe

3.1 Kriminalitätstheorien und ihre empirischen Implikationen

Einkommenserzielungsmög-3.1. Kriminalitätstheorien und ihre empirischen Implikationen 77

lichkeiten, der erwartete Gewinn aus einer Straftat, die Zerrüttung familiärer Strukturen, der Bildungsgrad, ethnische Heterogenität sowie - im Falle des schweren Diebstahls - die Aufklärungswahrscheinlichkeit wichtige Determinanten darstellen.

3.1 Kriminalitätstheorien und ihre empirischen

te, der Ladendichte, dem mittleren (steuerpflichtigen) Einkommen sowie der Sozialhilfe-und Arbeitslosenquote ein breites Set an potenziellen Indikatoren der legalen Sozialhilfe-und illega-len Einkommensmöglichkeiten zur Verfügung, wobei es naheliegend erscheint, die beiden erstgenannten Variablen als Maße der illegalen und die drei letztgenannten Variablen als Indikatoren der legalen Einkommensmöglichkeiten aufzufassen. Ob diese Einschätzung be-rechtigt ist, kann allerdings nur im Rahmen einer empirischen Analyse entschieden werden, da ein hohes mittleres Einkommen möglicherweise nicht nur legale Verdienstmöglichkeiten repräsentiert, sondern auch als Hinweis auf lohnende Kriminalitätsziele aufgefasst werden kann. Analog hierzu können hohe Sozialhilfe- oder Arbeitslosenquoten ebenso im Sinne ungünstiger legaler als auch niedriger illegaler Verdienstmöglichkeiten interpretiert wer-den, und das Mietniveau sagt nicht nur etwas über den Wert potenzieller Beuten, sondern auch etwas über die legalen Verdienstmöglichkeiten der Mieter aus.

Genauso wie die absoluten Einkommensmaße, sind auch Maße der relativen Einkom-mensverteilung - der vorliegenden Arbeit steht ein auf der Grundlage des steuerpflichtigen Einkommens berechneter Gini-Koeffizent zur Verfügung - sowohl mit legalen als auch mit illegalen Verdienstmöglichkeiten in Verbindung zu bringen. Liegt substanzielle Ungleich-heit vor, so kann es für Individuen aus den unteren Perzentilen der Einkommensverteilung zum einen attraktiver sein, Straftaten zu begehen, weil sie in schlecht bezahlten Jobs ar-beiten oder weil kriminelles Handeln aufgrund des großen Einkommensdifferenzials zu den wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen hohe Gewinne verspricht. Im Gegensatz zu den absoluten Einkommensmaßen führt die fehlende Eindeutigkeit der Interpretation je-doch nicht zu einer unbestimmten Erwartung hinsichtlich des qualitativen Einflusses der Verteilunsgvariable in Kriminalitätsangebotsfunktionen, da beide Interpretationen einen positiven Schätzkoeffizienten nahelegen. Sofern es - wie in dieser Analyse - die Datenlage jedoch zulässt, den unteren Bereich der Einkommensverteilung adäquat abzubilden (z.B.

durch das Einbeziehen von Sozialhilfe- oder Arbeitslosenquoten), sollte eine Ungleich-heitsvariable eher die illegalen Verdienstmöglichkeiten widerspiegeln.

Zwar lässt sich die ökonomische Theorie der Kriminalität prinzipiell auch auf Ge-waltdelikte anwenden, jedoch liegt ihr komparativer Vorteil sicher in der Erklärung von Straftaten mit materieller Gewinnerzielungsabsicht, da diese im Gegensatz zu den meis-ten Formen von Gewaltkriminalität stärker von Rationalität seimeis-tens der Täter geprägt sind bzw. in geringerem Umfang auf affektivem Verhalten beruhen. Eine bekannte

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logische Kriminalitätstheorie, die dazu geeignet ist, Ungleichheit, Armut, Arbeitslosigkeit und Bildung sowohl in Beziehung zu Eigentums- als auch zu Gewaltdelikten zu setzen, ist die auf Merton (1938) zurückgehende und von Agnew (1992) verallgemeinerte Ano-mietheorie. Gemäß dieser Theorie sind Individuen eher dann dazu bereit, eine Straftat zu begehen, wenn ihre gesteckten Ziele tatsächlich oder voraussichtlich nicht erreicht werden können, wenn ihnen ein geschätztes Gut tatsächlich oder voraussichtlich weggenommen wird oder wenn sie tatsächlich oder voraussichtlich mit unerfreulichen Lebenssituationen konfrontiert werden. Demnach handelt es sich bei dieser Theorie eigentlich um eine Mi-krotheorie, jedoch lässt sie sich - wie auch die ökonomische Theorie der Kriminalität - auf die Makroebene übertragen. Folglich würde man in einer empirischen Untersuchung posi-tive Kriminalitätseffekte des Gini-Koeffizienten, der Scheidungsrate sowie der Sozialhilfe-und Arbeitslosenquote erwarten, Sozialhilfe-und ein hohes Bildungsniveau der Bevölkerung - nach-folgend als Anteil der Hochschulabsolventen in der Bevölkerung gemessen - sollte sich kriminalitätsreduzierend auswirken.

Die Lebensstil / Routineaktivitätstheorie (Cohen & Felson, 1979), die weder als ex-plizite Mikro- oder Makrotheorie angesehen werden kann, stellt die Rahmenbedingungen, unter denen kriminelle Taten begangen werden, in den Vordergrund. Das grundlegende Axiom dieser Theorie besagt, dass eine erfolgreiche Straftat drei wesentliche Komponenten besitzen muss: einen Täter, der gewillt ist, eine Straftat zu begehen, ein geeignetes Ziel für die erwogene kriminelle Handlung (Person oder Vermögenswert) sowie die Abwesenheit Dritter, welche die Ausführung der Tat behindern könnten (Cohen & Felson, 1979, S. 588).

Demnach kann davon ausgegangen werden, dass Lebensstilaspekte, wie abendliches Aus-gehen und routinemäßige Aktivitäten, wie z.B. das Benutzen öffentlicher Transportmittel zur Erreichung des Arbeitsplatzes - in dieser Arbeit durch Pendlerbewegungen gemessen -, kriminalitätsbegünstigende Faktoren sind.

Die Theorie der sozialen Desorganisation (Shaw & McKay, 1942) verlässt mit ihren Erklärungsansätzen die individuelle Ebene und wendet sich der sogenannten „Community“

zu.2 In ihrer Erweiterung der ursprünglichen Theorie der sozialen Desorganisation postu-lieren Sampson und Groves (1989), dass die fünf strukturellen Faktoren, niedriger ökono-mischer Status (in dieser Arbeit durch die Sozialhilfe- und Arbeitslosenquote erfasst),

eth-2Unter „Community“ ist eine räumliche Einheit zu verstehen, die nicht größer ist als eine Gemeinde.

In den empirischen Untersuchungen zu dieser Theorie wird auch häufig von kleineren Einheiten, wie z.B.

„Neighborhoods“ oder „Blocks“ Gebrauch gemacht.

nische Heterogenität (hier Ausländeranteil), Mobilität der Bevölkerung, Zerrüttung von Familienverhältnissen (hier Scheidungsquote) und Verstädterung (hier Bevölkerungszahl und -dichte), zu einem Zerfall des Gemeinwesens, z.B. in Form spärlicher lokaler Freundes-kreise, unbeaufsichtigter Jugendgruppen und niedriger Beteiligung an gemeinschaftlichen Aktivitäten führen, der sich wiederum in höheren Kriminalitätsraten niederschlägt.3

Neben der Bestimmung der Determinanten von Kriminalität im Allgemeinem hat die-ses Kapitel auch die Untersuchung systematischer Ursachen der Tätermobilität zum Ge-genstand. Obwohl die Relevanz von Tätermobilität in der Kriminologie bereits seit den 1970er-Jahren diskutiert wird (vgl. Brantingham & Brantingham, 1981), wurde weder in dieser noch in einer anderen Forschungsdisziplin eine Theorie aufgestellt, die dieses Phänomen explizit berücksichtigt. Es ist allerdings prinzipiell möglich, diese Mobilitäts-entscheidung mit dem Instrumentarium der ökonomischen Theorie der Kriminalität zu untersuchen. Eine entscheidende Variable stellen dabei die Entfernungskosten dar. Ange-nommen, es existieren zwei in Hinblick auf eine zu begehende Straftat völlig identische Orte (gleiche Beute, gleiche Entdeckungswahrscheinlichkeit etc.), die sich nur hinsichtlich ihrer Entfernung vom Wohnort des Täters unterscheiden. In diesem Fall wird sich der Täter für den räumlich näher gelegenen Ort entscheiden, da dieser geringere Entfernungs-kosten mit sich bringt. Wäre dagegen unter sonst gleichen Bedingungen der erwartete Beutewert in der weiter entfernten Gemeinde höher, dann würde der Täter für den Fall, dass diese Differenz die Entfernungskosten übersteigt, die weitere „Reise“ in Kauf nehmen.

Folglich liegt es nahe, sämtliche durch die ökonomische Theorie der Kriminalität moti-vierten erklärenden Variablen auch in geeigneter (d.h. entfernungsabhängiger) Gewichtung als Nachbarschaftsvariablen in ein Schätzmodell der Tätermobilität einfließen zu lassen.

Demnach wären z.B. für das durch ortsfremde Täter erzeugte Kriminalitätsaufkommen in Gemeinde i nicht nur die lokalen illegalen Einkommensmöglichkeiten (IEKMi), sondern auch jene in der (den) Nachbargemeinde(n) j (IEKMj) relevant, wobei man in einer Schätzung einen positiven Koeffizienten für IEKMi und einen negativen Koeffizienten für IEKMj erwarten würde. Denn ist Gemeinde i im Vergleich zu ihrer Nachbarschaft relativ reich, dann werden verstärkt Täter aus der Nachbarschaft einpendeln; ist

Gemein-3Wikström (1998, S. 273) weist auf ein zentrales methodologisches Problem hin, das bei empirischen Überprüfungen der Theorie der sozialen Desorganisation auftaucht. Dieses besteht in der Ungewissheit darüber, ob die beobachtete Varianz der Kriminalität im Raum wie von der Theorie postuliert tatsächlich von den Charakteristika der Gemeinden herrührt oder sich vielmehr daraus ergibt, dass sich Individuen selektiv zu Gemeinden aggregieren.