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Sehnsuchtsland: generationsspezifisches Italienbild von Frauen aus den deutschen Staaten deutschen Staaten

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1. Den Anderen imaginieren und erfahren: Austausch und europäische Kontaktnetze von Frauen vor 1848 Kontaktnetze von Frauen vor 1848

1.1.1. Sehnsuchtsland: generationsspezifisches Italienbild von Frauen aus den deutschen Staaten deutschen Staaten

„Alles ging mich nun auf der Welt nichts mehr an, und ich konnte tun und machen, was ich wollte, und sie tun und reden lassen, was sie wollten. Denn ich war frei! Ich war in Italien“.130 Diese Worte widmete Fanny Lewald ihrem Alpenübergang und ihrer Ankunft in den italienischen Staaten. Die 1811 in Königsberg geborene Schriftstellerin machte 1845 ihre erste Italienreise, auf die sie jahrelange gewartet hatte, und verbrachte ein Jahr in Rom. Sie schilderte das von ihr Erlebte im Italienischen Bilderbuch und Jahre danach im Römischen Tagebuch. In Letzterem stellte sie den Einfluss dar, den das damals Erlebte auf ihr weiteres Schicksal hatte.131 Enige Jahre vor Lewalds Reise hatte auch Therese von Bacheracht einen Aufenthalt in den italienischen Staaten verbracht und sie veröffentlichte 1841 im Buch Briefe aus dem Süden die während ihres italienischen Aufenthaltes verfassten Briefe.132 Die beiden Frauen hatten sich 1845 in Berlin kennengelernt und schlossen eine sehr enge Freundschaft.133 Wie diese beiden, verfassten im Vormärz auch andere Frauen ihre Reisenerfahrungen in Briefen. Durch Publikationen und Episteln vermittelten Frauen ein Bild des besuchten Landes. In ihren Reisebeschreibungen erarbeiteten sich die schreibenden Frauen ein neues Italienbild, in dem der von literarischen Beispielen geprägte Natur- und Kunstkult mit der realen Armut und der Rückständigkeit der italienischen Staaten verschmolz, wie Christina Ujma bereits gezeigt hat.134 ‚Italien‘ wurde allerdings auch als ein

„Sehnsuchtsland“ dargestellt,135 das den Frauen aufgrund des selbständigen Reisens und der kulturellen Angebote einen neuen Lebenshorizont und neue Handlungsmöglichkeiten eröffnete.

130 Lewald, Fanny, Römisches Tagebuch 1845/46, Spiero, Heinrich (Hrsg.), Leipzig 1927, S. 12.

131 A.a.O., S. 14.

132 Bacheracht, Therese, Briefe aus dem Süden. Dazu vgl. auch Powell, Hugh, Fervor and Fiction. Therese von Bacheracht and her Works, Columbia 1996, S. 23-31.

133 Stamm, Ulrike, Therese von Bacheracht und Fanny Lewald. Eine Freundschaft zwischen Literatur und Liebesunordnung, in: Ujma, Christina (Hrsg.), Fanny Lewald. Studien zu einer großen europäischen Schriftstellerin und Intellektuellen, Bielefeld 2011, S. 115-130. Dazu vgl. auch Anhang: biographische Skizzen.

134 Nach Christina Ujma ist das in dem Italienischen Bilderbuch beschriebene Italien ein Ort der Kunst sowie ein realistisch geschildertes Land. Vgl. Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, S. 47-50. Die Studie von Ujma belibt bis heute die umfassendste Untersuchung über das Thema Frauenreisen nach Italien.

135 Von ‚Italien’ als Sehnsuchtsland spricht Irmela Körner. Dazu vgl. Körner, Irmela, Auf dem Weg in das suedlichen Sehnsuchtsland, in: dies. (Hrsg.), Frauenreisen nach Italien. Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts beschreiben das Land ihrer Sehnsucht, Wien 2005, S. 7-12.

43 Noch im Vormärz stellten die italienischen Staaten für Frauen des gebildeten Bürgertums im Deutschen Bund ein wichtiges Reiseziel dar. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich für Frauen – wenn auch nur in Begleitung – die Möglichkeit erschlossen, zu Bildungszwecken in die italienischen Staaten zu reisen.136 Wie Attilio Brilli gezeigt hat, wurde das Reisen zeitgenössisch als ein „Initiationsritus“ wahrgenommen, durch den der Reisende von seinen sozialen Bindungen wie Familie und Gesellschaft losgelöst wurde und sich allein mit dem Anderenauseinandersetzte.137 Aus diesem Grund war so Christina Ujma für junge Männer aus den Oberschichten die Grand Tour „Teil ihrer Erziehung“. Für Frauen war das Reisen dagegen erst nach der Eheschließung oder als Witwe vorgesehen.138 So besuchten Frauen wie Esperance von Schwartz die italienische Halbinsel erst mit ihren Ehemännern. Emma Herwegh beispielsweise verreiste in den Flitterwochen in die italienischen Staaten.139 Obwohl sich diese Frauen nicht mehr im jugendlichen Lebensalter befanden, spielte in ihren späteren Leben ihr Aufenthalt auf der italienischen Halbinsel eine große Rolle und beeinflusste ihre Selbst- und Weltwahrnehmung.

Grund dafür mag in der zeitgenössischen Wahrnehmung und in der Tradition der Italienreise liegen. ‚Italien‘ stellte im Vormärz für diese gebildeten Frauen aus den bürgerlichen Oberschichten ein Sehnsuchtsland dar, auch weil es bereits eine wichtige Rolle für die deutschsprachigen Romantiker gespielt hatte und dergestalt auch noch präsent war.140 So schilderte Therese von Bacheracht die von ihrem Italienaufenthalt hervorgerufenen Empfindungen:

„Oft hatte ich von Italien geträumt, wie ich ganz junges Mädchen mich mit weißen Schleiern drapierte, in der Ecke des rothen Sopha’s saß, und Italien, Italien rief, mit jenen Tönen der Sehnsucht, die die Liebe für den Geliebten findet. Denke Dir nun das Entzücken der Frau, die das

136 Körner, Irmela, Auf dem Weg in das suedlichen Sehnsuchtsland; Scheitler, Irmgard, Gattung und Geschlecht.

Reisebeschreibungen deutscher Frauen 1780- 1850, Tübingen 1999, S. 50-62.

137 Im Folgenden vgl. Brilli, Attilio, Als Reisen eine Kunst war. Vom Beginn des modernen Tourismus: Die Grand Tour, Berlin 1997, S. 77; Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, S. 39-40.

138 Hiltgund Jehle führt diese Tendenz auf die Machtstruktur des patriarchalen Gesellschaftssystems zurück, weil Frauen durch Reisen ihre selbständige und eigenverantwortliche Handlungsfähigkeit bewiesen, die der männlichen Autorität widerspreche. Christina Ujma knüpft das Idealbild der Reisenden an das des heroischen Mannsbildes, „das sich hinaus in die Fremde wagt, politische und kulturelle Grenzen überwindet und das intellektuelle Muster zu dessen Deutung liefert“. Jehle, Hiltgund, „Gemeiniglich verlangt es die Damen gar nicht sehr nach Reisen…“ Eine Kartographie zur Methodik, Thematik und Politik in der historischen Frauenreiseforschung, in: Jedamski, Doris/ Jehle, Hiltgund/ Siebert, Ulla (Hgg.)“Und tät das Reisen wählen!“ - Frauen, Reise, Kultur, Zürich 1994, S. 16-35; Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien. S. 36-40.

139 Von der Hochzeitsreise in die italienischen Staaten sind nur wenige Dokumente überliefert worden. Das Ehepaar Herwegh war mit dem Schiff nach Genua, Livorno, Pisa und Neapel gefahren. Das Tagebuch von Emma Herwegh endet mit Anmerkungen über ihren kranken Zustand in Neapel. Aus ihrer Zeit in Rom steht nur ihr Haushaltsbuch zur Verfügung, wo sie ausschließlich Notizen über den Einkauf schrieb. Aus diesem Grund ist die Rekonstruktion ihres römischen Kontaktnetzwerks und ihrer damaligen Italienwahrnehmung nicht möglich.

Vgl. Dichter- und Stadtmuseum Liestal (DISTL), Nachlass Herwegh, BRH 1701 Tagesbuch; Nachlass Herwegh, Dispensenbuch (1843).

140 Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, S. 25-30.

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Leben kennt und die endlich das Glück der Erfüllung genießt. Ich habe Flügel, wie sonst, ich fühle daß ich noch jung bin, daß ich wieder Hoffnung schöpfen kann, dass nicht Alles im Grabe verschüttet ruht.“141

Durch die Italienreise wurde Lewald und Bacheracht, wie auch vielen anderen Zeitgenossinnen, ein neuer Lebenshorizont eröffnet,142 der sich mit dem Ideal der wiedergefundenen Jugend verband.

Therese von Bacheracht, geborene von Struve, hatte aufgrund der beruflichen Tätigkeiten ihres Vaters, eines Staatsrates, eine umfassende Bildung und Erziehung genossen. Nach dem Familienumzug nach Hamburg verkehrte sie in den angesehensten Gesellschaftskreisen der Stadt, in denen ihr Konversationstalent hoch geschätzt wurde. Im Alter von 21 Jahren heiratete sie den russischen Konsul Robert von Bacheracht, mit dem sie allerdings eine unglückliche Ehe führte und sich 1849 wieder scheiden ließ.143 In den 1840er Jahren setzte sich Bacheracht auch mit den Schriftstellern des Jungen Deutschlands in Verbindung: mit Karl Gutzkow hatte sie eine leidenschaftliche Beziehung,144 die zu ihren schriftstellerischen Tätigkeiten beitrug. Gutzkow spornte sie an, Reisebeschreibungen und Novellen für seine Zeitschrift «Telegraph für Deutschland» zu verfassen. Die Ehe von Therese und Robert von Bacheracht brachte einen Sohn hervor, der jedoch früh verstarb. Um den Tod ihres einzigen Kindes zu verarbeiten, verreiste Therese von Bacheracht auf die italienische Halbinsel und nach Malta. Im Buch Briefe aus dem Süden thematisiert von Bacheracht ihr Leiden über den verlorenen Sohn.145 Gleichzeitig beschrieb sie das von ihr Gesehene und Erlebte.

Die Reise in die italienischen Staaten bot Therese von Bacheracht die Gelegenheit ihre bisherigen Lebenserfahrungen zu reflektieren und zu verarbeiten. Die italienische Landschaft wird von ihr sogar ganz explizit als „Heilungsmittel“ dargestellt: „Die Schönheit des italienischen Himmels und die himmlische Ruhe dieser Nächte sind mächtige Heilmittel für eine leidende Seele“.146 Nicht nur die Natur, sondern auch die antiken Monumente nimmt Bacheracht als „heilend“ war: „Ich komme mir mit all meinen Ameisenangelegenheiten ganz erbärmlich, zum Beispiel neben einem Stück Peterskirche, vor. Nichts thut wohler, als an dem

141 Bacheracht, Therese, Briefe aus dem Süden, S. 86.

142 Vgl. Rettenmund, Barbara/ Voirol, Jeannette, Emma Herwegh. Die größte und beste Heldin der Liebe, Zürich 2000, S. 169-176. Hier werden die Reisenerfahrungen von Emma Herwegh in der Schweiz anhand ihrer Tagebücher nachgezeichnet.

143 Sie ging 1849 mit ihrem Cousin Heinrich Freiherr von Lützow eine zweite Ehe ein. Zu Therese von Bacheracht vgl. Anhang: biographische Skizzen.

144 Im Folgenden vgl. Beneke, Otto, Lützow, Therese Freifrau von, in: ADB, Bd. 19, Leipzig 1884, S.723-724;

Bacheracht, Therese von, in: Brinker-Gabler, Gisela/ Ludwig, Karola/ Wöffen, Angela (Hgg.), Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945, München 1986, S. 24.

145 Dazu vgl. von Strombeck, Friedrich Karl, Vorwort, in: Bacheracht, Therese, Briefe aus dem Süden, S. III-VI;

Powell, Hugh, Fervor and Fiction.

146 Bacheracht, Therese, Briefe aus dem Süden, S. 118.

45 Großen um sich seine Kleinigkeit messen.“147 Über diese neu gewonnene Perspektive setzte sie sich mit ihrem bisherigen Leben in Hamburg und mit dem Verlust des Kindes auseinander und versuchte einen Umgang damit für sich zu finden. Denn so Bacheracht „ob es auch sehr oft kaum beachtenswerth ist, was wir erleben, so ist es immer wichtig, wie wir das, was als Begebenheit oder Erfahrung in unser Leben eingriff, aufnahmen und in uns zu höherer Blüthe trieben“.148 Natur und Kunst werden hin und wieder von der Schriftstellerin thematisiert, indem sie sie zu philosophischen Betrachtungen des Lebens veranlassen. Dabei spielen oft auch religiöse Überlegungen eine Rolle.149 In dieser wechselwirkenden Beziehung zwischen Landschaft und Verarbeitung des Erlebten lag nach Therese von Bacheracht die heilende Kraft von ‚Italien‘. Diese Wahrnehmung von ‚Italien‘ als Heilungsmittel wurde auch von anderen Frauen dieser Generation geteilt. Denn ‚Italien‘ stellte ein beliebtes Reiseziel für unglücklich verheiratete Frauen über Jahrzehnten hinweg dar.

Der soziale Status der italienreisenden Frauen war bezeichnend für die europäische kollektive frauenspezifische Wahrnehmung der italienischen Staaten, wie in der Forschung bereits gezeigt wurde.150 Diese Tendenz wurde nicht nur von den eigenen Erfahrungen der Reisenden, sondern auch durch den Roman Corinne ou l‘Italie von Madame De Staël geprägt.151 Wie Glenda Slunga beobachtet hat, beeinflusste Madame de Staël mit ihrem fiktionalen Charakter Corinne Frauen vieler Generationen, “inspiring them to greatness in a modernising, nationalising Europe, in which the public role and the intellectual capacity of women was increasingly disparaged.”152 Insbesondere englischsprachige Journalistinnen stellten eine Verbindung zwischen der beschränkten Position der Frau in der Gesellschaft und der politischen Ordnung Italiens her.153 Aus diesem Grund engagierten sich diese Frauen oft in der italienischen Nationalbewegung an der Seite der Demokraten.154 Dagegen scheinen

147 A.a.O., S. 90.

148 A.a.O., S. 29.

149 A.a.O., S. 163.

150 Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, S. 54-55.

151 A.a.O., S. 25-27.

152 Slunga, Glenda, Gender and the Nation: Madame de Staël or Italy, in: «Women’s Writing», Bd.10 (2003), S. 241-250. Hier S. 241-242.

153 Diese Tendenz wurde in der Forschung als „Corinne complex“ beschrieben. Vgl. Campbell Orr, Clarissa, The Corinne Complex: Gender, Genius and National Character, in: dies. (Hrsg.), Women in the Victorian Art World, Manchester 1995, S. 89-106; Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, 28; Brilli, Attilio, Un paese di romantici briganti. Gli italiani nell’immaginario del Grand tour, Bologna 2003, S. 56-58.

154 Hier sei nur beispielhaft die amerikanische Journalistin Margaret Fuller Ossoli (1810-1850) genannt. Fuller hatte während ihres englischen Aufenthaltes Giuseppe Mazzini kennengelernt und nach kurzer Zeit zog sie nach Rom, wo sie nach der Ehe mit dem italienischen Demokraten Graf Giovanni Angelo Ossoli (1821-1850) um 1848 Berichte für die New York Tribune schrieb. Sie engagierte sich als Krankenschwester in den Gefechten der römischen Republik 1848/49. Vgl. Caine, Barbara, La bella libertà, in:«Women’s Writing», Bd.10 (2003), S. 237-240; Gemme, Paola, Domesticating Foreign Struggles: The Italian Risorgimento and Antebellum American Identity, Athen 2005, S. 89-106; Giorcelli, Cristina, La Repubblica Romana di Margaret Fuller: tra

46 sich die deutschsprachigen reisenden Frauen, trotz des Einflusses von Madame de Staëls Corinne auf ihre Wahrnehmung ‚Italiens‘ vor ihre Abreise, kaum für die soziale und politische Lage des besuchten Landes interessiert zu haben, wie Christina Ujma gezeigt hat.155 Sie waren mehr auf der Suche nach dem Land der „Laubengänge von Orangen- und Zitronenbäumen“, von denen sie sich künstlerische Inspiration und neue Lebensperspektive versprachen.156

Aus den vielen Italienreisenden ragen ledige Frauen, unglückliche Ehefrauen oder Witwen heraus, die künstlerische Interessen und familiäre bzw. gesellschaftliche Erfahrungen in der Heimat miteinander teilten.157 In den italienischen Staaten hatten sich diese Frauen einen Raum geschaffen, in dem sie relativ frei über ihre Zeit verfügen, ihren Interessen an Kunst, Sprache und Archäologie nachgehen und neue freundschaftliche Verbindungen mit Künstlern und Künstlerinnen sowie anderen Reisenden knüpfen konnten. Ein Grund dafür lag in den künstlerischen und archäologischen Angeboten in den verschiedenen italienischen Königsreichen. Gleichzeitig entdeckten sie Handlungsfreiheit,158 so dass sich Freiheitsgefühl und Selbstverwirklichung untrennbar mit dem Italienbild der Frauen verbanden. Nicht zuletzt deswegen waren Städte wie Rom oder Florenz Ende des 18. Jahrhunderts als Wahlheimat von einigen deutschsprachigen Künstlerinnen ausgewählt worden.159 Erst in Rom hatte Fanny Mendelssohn Hensel beispielsweise die Möglichkeit, ihre musikalische Begabung vorzuführen.160 Therese von Bacheracht widmete sich dagegen dem Schreiben. Schließlich

visione politica e impegno etico, in: Antonelli, Sara/ Fiorentino, Daniele/ Monsagrati, Giuseppe (Hgg.), Gli Americani e la Repubblica Romana, Rom 2000, S. 53-88. Zur Römischen Republik vgl. Kap. 3.2.2.

155 Zu ihren jugendlichen Lektüren von Corinne und zum Mythos von Corinne in der deutschen und europäischen Frauenliteratur vgl. Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, S. 25-28.

156 Dazu vgl. Bäumer, Konstanze, Reisen als Moment der Erinnerung. Fanny Lewalds (1811-1889) Lehr- und Wanderjahre, in: Joeres, Ruth-Ellen B./ Burkhard, Marianne (Hgg.), Out of line – ausgefallen. The Paradox of Marginality in the Writings of 19th-century German Women, Amsterdam 1989, S. 137-160. Beispielsweise vgl.

Lewald, Fanny, Italienisches Bilderbuch, Bd. 1, Berlin 1847, S. 15.

157 Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, S. 41 und S. 156-162; Caine, Barbara, La bella libertà, S.

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158 Vita Fortunati, Rita Monicelli und Maurizio Ascari weisen darauf hin, dass die Konfrontation mit dem Anderen in reisenden Frauen eine Identitätsbewegung in Gang setzt, die ihre Position am Rand der heimatlichen gesellschaftlichen Ordnung aufgrund ihres Andersseins betont. Fortunati, Vita/ Monicelli, Rita/ Ascari, Maurizio, Introduction in: dies. (Hgg.), Travel Writing and the Female Imaginary, Bologna 2001, S. 5-15.

159 Zur Italienreise der Künstlerinnen am Ende 18. Jahrhundert vgl. Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbanes Arkadien, S. 12-13 und S. 44.

160 Fanny Hensel, geborene Mendelssohn, (Hamburg 1805 - Berlin 1847) stammte aus einer jüdischen Familie und war eine hochbegabte Komponistin und die ältere Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy (Hamburg 1809 - Leipzig 1847) und Rebekka (Hamburg 1811 - Göttingen 1858), später verheiratete Dirichlet. Nach ihrer Ehe mit dem Maler Wilhelm Hensel leitete sie 1831 die von der Familie Mendelssohn veranstalteten Sonntagsmusiken, an denen 1836 unter anderem auch Johanna Kinkel teilnahm. Sowohl während ihres Lebens als auch in der späteren Forschung, die die Zusammenarbeit der Mendelssohn Geschwister kaum berücksichtigt, blieb sie im Schatten ihres Bruders. Vgl. Weissweiler, Eva, Vorwort, in: Fanny Mendelssohn, Italienisches Tagebuch, Frankfurt a. M. 1982, S. 5-30; Klein, Hans-Günter, Die Mendelssohns in Italien: Ausstellung des Mendelssohn-Archivs der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, 6. Dezember 2002 bis 18.

Januar 2003, Wiesbaden 2002, S. 58-100. Vgl. auch Kap. 1.3.

47 konnte Fanny Lewald in ähnlicher Weise in der römischen Künstlerkolonie mit einer Vielzahl von Leuten verkehren.

Zum Zeitpunkt ihres lang erwarteten Aufenthaltes in Rom war Fanny Lewald eine 34-jährige Frau jüdischer Herkunft. Nach zwei unglücklichen Liebesbeziehungen hatte sie keine Aussicht auf eine Eheschließung, zumal sie sich ihrem Wunsch nach Selbständigkeit folgend gegen eine Konvenienzehe entschieden hatte.161 Aus diesem Grund wohnte sie in ihrem Vaterhaus in der preußischen Hafenstadt Königsberg. Die Familie führte die angehende Schriftstellerin hin zu einem Leben, das an die bürgerliche Geschlechterrolle gebunden war:

Entgegen ihrem eigentlichen Willen ersetzte Lewald am Ende ihrer Schulzeit ihre weitere Bildung durch Haushaltsführung. Obwohl Lewalds Familie grundsätzliche Bedenken hatte, unterstützte sie Fannys literarische Bestrebungen. Dank der Förderung ihres Vetters August Lewald wurden ihre ersten Schriften veröffentlicht. Aus Rücksicht auf ihre Familie und nach Wunsch ihres Vaters blieben sie jedoch anonym. Von Anfang an blieb sie wegen ihrer eingeschränkten finanziellen Lage vom literarischen Kreis ausgeschlossen. Darüber hinaus konnte sich die unverheiratete Schriftstellerin auch nach Aufgabe ihrer Anonymität aufgrund ihres Familienstandes nur schwer in die Berliner Gesellschaft integrieren.162 Erst während ihres Italienaufenthaltes stand Lewalds Status als Schriftstellerin anstatt ihres Status als ledige Frau im Vordergrund.163

Daneben ermöglichte eine Italienreise die praktische Umsetzung des Wissensvorrats von Frauen: durch sie erfuhren die Frauen die Welt, die eine so bedeutende Rolle in der deutschen Kultur gespielt hat. Das von Schriftstellern und Dichtern vermittelte Italienbild hatte längst die kollektive Vorstellungswelt der gebildeten Oberschichten geprägt, sowie die Art und Weise der Annäherung an das ‚Sehnsuchtsland’. Durch die oft gelesenen und gehörten Beschreibungen des Landes waren die italienischen Staaten eine „vertraute Fremde“, deren Landschafts- und Menschenbilder Frauen bereits vor ihren Reisen durch Kunst, Literatur und Konversationen kannten.164 In vielen Reisetagebüchern und Reisebriefen von Frauen werden Gedichte von Schiller oder Passagen aus der Italienischen Reise von Goethe zitiert.165 Solche Zitate dienten für Frauen auch dazu, Verbindungen mit der Heimat wiederherzustellen und

161 Lewald, Fanny, Italienisches Bilderbuch, S. 4. Zu Fanny Lewald vgl. Anhang: biographische Skizzen.

162 Vgl. Schneider, Gabriele, Fanny Lewald, Hamburg 1996, S. 10-53.

163 Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbane Arkadien.

164 Zum Konzept der vertrauten Fremde vgl. Pelz, Annegret, Reisen durch die eigene Fremde. Reiseliteratur von Frauen als autogeographische Schriften, Köln 1993, S. 114-115. Zu ‚Italien’ als vertraute Fremde vgl. auch Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbane Arkadien, S. 44.

165 Lewald, Fanny, Römisches Tagebuch, S. 16-17. Vgl. auch Brief von Fanny Mendelssohn an Lea Mendelssohn Bartholdy, Bormio, 27. September, 1839 in: Mendelssohn, Fanny, Italienisches Tagebuch, S. 36- 43.

48 sich einen Bezugsrahmen zu schaffen, der ihnen oft als Interpretationsmuster für ihre ersten Eindrücke in dem fremden Land diente, wie Christina Ujma am Beispiel der Schriften von Fanny Lewald argumentiert hat.166

Die in der Heimat gelesenen Werke vermittelten den Frauen, wie sie ihre Gefühle gegenüber dem Fremden meistern sollten und wie sie ihre Erfahrung des Fremden verarbeiten sollten.

Reisende Frauen setzten sich jedoch auch mit weiblicher Sinnlichkeit auseinander, indem sie künstlerische und alltägliche Weiblichkeit suchten.167 Schon das Damen Conversations Lexikon von 1834 machte die Leserinnen auf die weibliche Sinnlichkeit in den italienischen Staaten aufmerksam. Denn es schildert Italien als „noch immer das Land, wo die Citronen blühen, das Land der Frauen mit dunkelglühenden Augen, das Land der Abenteuer und Räuberanfälle, der eifersüchtigen Männer und der Cicisbeo‘s, der kolossalen Bauten, der reizenden Landschaften, des Gesanges und der ungezwungenen Heiterkeit“.168 Diese Beschreibung greift auf das von Goethe verbreitete Naturideal zurück. Gleichzeitig vergegenwärtigte man mit diesem Ideal Bilder der Rückständigkeit des Landes, die sich in den sozialen Praktiken wie den Cicisbeatos widerspiegelte.169 Sah man doch in ihr die Ursache für bestimmte Praktiken im Umgang mit Frauen und für die Unmöglichkeit einer kritischen kulturellen Auseinandersetzung. Solche Sitten wurden jahrzehntelang von europäischen Beobachtern als Zeichen der Rückständigkeit der italienischen Gesellschaft angesehen und galten als eine der Ursachen der fehlenden Modernität in den italienischen Staaten.170 Erst im Zuge der seit den 1820er Jahren zunehmenden Kritik an solchen gesellschaftlichen Praktiken seitens der italienischen Nationalliberalen und des sich verbreitenden Nationaldiskurses ging in den italienischen Staaten die Praxis zurück,

166 Vgl. Ujma, Christina, Fanny Lewalds urbane Arkadien, S. 26. Für die englischsprachigen Reisenden vgl.

Buzard, James, The Beaten Track. European Tourism, Literature, and the Ways to Culture, Oxford 1993, S. 110-112.

167 Dazu vgl. Ujma Christina, Fanny Lewalds urbane Arkadien, S. 95. Diese These wurde allerdings von Uta Treder aufgestellt. Vgl. Treder, Uta, Die Reise zwischen Imagination und Wirklichkeit, in: dies. (Hrsg.), Die Liebesreise oder der Mythos des süßen Wassers. Ausländerinnen im Italien des 19. Jahrhunderts, Bremen 1988,

167 Dazu vgl. Ujma Christina, Fanny Lewalds urbane Arkadien, S. 95. Diese These wurde allerdings von Uta Treder aufgestellt. Vgl. Treder, Uta, Die Reise zwischen Imagination und Wirklichkeit, in: dies. (Hrsg.), Die Liebesreise oder der Mythos des süßen Wassers. Ausländerinnen im Italien des 19. Jahrhunderts, Bremen 1988,

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