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Frauen als „politische Frauen“: „Politisieren“ und Stricken

Im Dokument Vernetzt! (Seite 122-149)

2. Kontaktnetze von Frauen in den deutschen Staaten (1830 ‒ 1850)

2.2. Partizipation von Frauen an den Umwälzungen von 1848/49

2.2.1. Frauen als „politische Frauen“: „Politisieren“ und Stricken

Nach der zeitgenössischen Wahrnehmung bestand die politische Aufgabe der Frauen nicht in einer direkten Beteiligung an militärischer Auseinandersetzung und an politisch institutionalisierten Räumen wie dem Parlament, sondern im Anspornen, Fördern und Unterstützen der Kämpfe der Männer. Diese Ansichten wurden auch von vielen liberalorientierten Frauen aus den Oberschichten geteilt. Die Verknüpfung von Emotionen und Politik sowie das Interesse am lokalen Geschehen und die Beteiligung an politischen Unternehmungen scheinen die Selbstwahrnehmung der „politischen Frauen“ zu kennzeichnen. Das (Selbst)Bild der politischen Frau reflektierte infolge der zunehmenden Abgrenzung des Bürgertums vom Hochadel um 1848 Werte und Praktiken der um 1810 geborenen Frauen aus dem Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Durch Partizipation an politischen Diskussionen in Klubs und im geselligen Rahmen sowie Wiedergabe von Nachrichten wurde sich diese Frauengeneration politischer Machtspiele und Handlungsweisen bewusst. Aufgrund ihrer sozialen Herkunft verfügten bürgerliche Frauen durch Heirat, Verwandtschaft und Freundschaften über ausreichende Kontakte und finanzielle Mittel, um Verbindungen zwischen unterschiedlichen politischen und sozialen Gruppen herstellen zu können. Die Vernetzung der Frauen scheint mir funktional für die zeitgenössischen politischen Handlungen von liberalen bürgerlichen Kreisen gewesen zu sein. Briefe und Treffen dieser Frauen ermöglichten sowohl eine indirekte politische Beeinflussung als auch die Stabilisierung des Kommunikationsflusses innerhalb der bürgerlichen Opposition, sodass sie die zeitgenössischen politischen Zusammenhänge mitprägten. Indem sie familiäre und freundschaftliche Verbindungen aufrechterhielten, formten Frauen des Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums über die lokalen Grenzen hinweg politische und freundschaftliche Kontakte der engagierten Männer. Gleichzeitig beeinflussten diese Frauen mit Aufrufen und Artikeln, Vereinigungen, Briefen und gemeinsam geführten Diskussionen den Prozess von politischer Meinungsbildung während der politisch bewegten Zeit.

Das Unterstützen der Kämpfe von Männern umfasste viele verschiedene Formen: zum Beispiel das Verfassen von Artikeln. Schon in der Publizistik hatten Frauen für die von den politischen Unruhen hervorgebrachten politischen Reformen plädiert. Zeitungsartikel und Pamphlete ermöglichten es den Frauen, sich innerhalb der oppositionellen bürgerlichen

123 Bewegung zu positionieren. Zur Unterstützung sozialpolitischer Meinungen hatten Frauen der bürgerlichen Oberschichten schon im Vormärz begonnen, Zeitungsartikel zu schreiben. Ihre journalistischen Beiträge erschienen um 1848 allerdings weiterhin anonym oder mit einer anonymisierenden Unterschrift wie „eine Frau“. Dadurch war der Name der Frau, ihre soziale und familiäre Herkunft auch vor politischen Angriffen geschützt,529 während sie ihre Deutung der zeitgenössischen politischen Ereignisse äußern konnte. Wie Britta Behmer es formuliert hat, konnten Frauen „aus der Anonymität heraus Kritik und Zukunftsvisionen“ formulieren.530 In ihren Schriften griffen schreibende Frauen wie Ludmilla Assing oder Fanny Lewald531 auf dieses Bild zurück und formten geschlechtsspezifische Erwartungen an die Partizipation der Frauen an dem zeitgenössischen politischen Wandel.532 In ihren Schriften thematisierten sie die Anwesenheit von Frauen bei Veranstaltungen, Festen oder gemeinschaftlichen Gedenkfeiern wie der Beerdigung von Märzgefallenen im April 1848. Diese weibliche Präsenz symbolisierte die Einstimmigkeit der bürgerlichen Gemeinschaft, die für die Anerkennung ihrer politischen Rechte kämpfte.533 Die Darstellungen der Nation als eine

529 Zur Anonymität von Schriftstellerinnen und ihrer sozialen Herkunft vgl. Kord, Susanne, Sich einen Namen machen, S. 112-124. Zur Anonymität der schreibenden Frauen und ihrer politischen Unangreifbarkeit vgl.

Gatter, Nikolaus, „Letztes Stück des Telegraphen…“, S. 15.

530 Vgl. Behmer, Britta, Anonymität und Autorschaft. Die fremde Stimme Ottilie Assings, in: Gatter, Nikolaus (Hrsg.), Makkaroni und Geistesspeise. Almanach der Varnhagen Gesellschaft, Berlin 2001, S. 369-377. Hier S. 374.

531 Fanny Lewald widmete einen Zeitungsartikel den Märzgefallenen, als am 4. Juni 1848 eine Demonstration in Friedrichshain mit anschließender Gedenkfeier stattfand. In ihrer Beschreibung des Trauerzuges präsentierte Lewald die „Bürger von Berlin“ als „die Begründer des neuen Preußens“. Während eine Truppe berittener Bürgerwehr, die den Zug eröffnete, die neue und ersehnte Form der politischen Partizipation der Männer darstellte, wiesen die „Frauen und Töchter der Mitglieder des Demokratischen Klubs“ explizit auf die Anwesenheit von Frauen hin. Mit dieser Schilderung inszenierte Fanny Lewald die bürgerliche Familie als Basis des werdenden deutschen Nationalstaates. Zeitgenössisch waren Nationalstaatsidee und Geschlechterdiskurs eng miteinander verbunden. Obwohl Frauen von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen blieben, ergänzte ihre Anwesenheit in öffentlichen Veranstaltungen den politischen Diskurs und seine Wirksamkeit. Vgl.

Fanny Lewald zur Teilnahme der demokratischen Frauen Berlins am Trauerzug vom 4. Juni 1848, nachgedruckt in: Hummel-Haasis, Gerlinde (Hrsg.), Schwestern zerreißt eure Ketten, S. 15; Hachtmann, Rüdiger, Berlin 1848, S. 507-509; Lipp, Carola, Frauen und Öffentlichkeit, S. 295.

532 Der Presseboom dieser Jahre hatte auch die publizistischen Tätigkeiten der Frauen begünstigt, die mit Zeitungsartikeln, Pamphleten und Gedichten ihre Meinung über das politische Geschehen äußerten. Zeitungen stützten sich für ihre extralokalen Mitteilungen auf vorherige Korrespondenten, die nicht zwangsläufig bis dahin über politische oder soziale Themen berichtet hatten. Als Zeitungskorrespondenten agierten also auch einige Frauen, die vorher über Theater, Literatur oder Kunstausstellungen Artikel verfasst hatten und um 1848 vor Ort den Verlauf der revolutionären Ereignisse erlebt oder beobachtet hatten. Darüber hinaus fingen Frauen wie Louise Otto Peters in Leipzig auch an, ihre eigenen Zeitungen herauszugeben, in denen nicht nur über die politischen Ereignisse berichtet wurde, sondern auch geschlechterspezifische Initiativen angekündigt wurden.

Langewiesche, Dieter (Hrsg.), Kommunikationsraum Europa. Für einen Überblick auf die Revolution aus einer mediengeschichtlichen Perspektive vgl. Stein, Peter, Strukturwandel oder Kommunikationsrevolution?

Literarisch-publizistische Öffentlichkeit im Umbruch der Revolution von 1848/49 – ein Problemaufriß, in:

«Jahrbuch der Bettina von Arnim Gesellschaft», Bd. 11/12 (1999/2000), S. 25-53; Siemann, Wolfram, Revolution und Kommunikation; Freund, Marion, “Mag den Thron”.

533 Die Anwesenheit von Frauen an Festen war ein wichtiger Bestandteil der politischen Inszenierung, da ihre Partizipation zur Emotionalisierung der Veranstaltungen beitrug. Nach Assings Erzählung habe sich die ganze Stadt Berlin in einem „Gefühl der Trauer und der freudigen Erhebung“ versammelt, und jeder sei sich „der Bedeutung dieses Tages in tiefstem Ernste bewußt worden“. Frauen erschienen damals in „tiefer

124 familiäre Gemeinschaft legitimierte also die Beteiligung der Frauen aus dem Bürgertum an öffentlichen Veranstaltungen und schreibende Frauen formten und propagierten dieses Ideal mit.

Die Neugier für das Zeitgeschehen war eine treibende Kraft für die politische Partizipation der Frauen. Anhand von regen Briefen und alltäglichen Lektüren von mindestens zwei Zeitungen stillten Frauen ihren Wissensdurst. Schon im März 1848 hatte Hermine Wurm dank des alltäglichen Briefaustausches mit ihrem Ehemann die Vorbereitungen für die Nationalversammlung eifrig verfolgt. In Hamburg hatte sie die Briefe ihres Ehemannes über die Arbeiten des Vorparlaments in ihrem breiteren freundschaftlichen und familiären Kreis vorgelesen.534 Wegen eines möglichen radikalen Ausganges der politischen Entwicklungen in Besorgnis versetzt, hatte sie ihm aus Hamburg ihre Erwartung bezüglich der politischen Entscheidungen des Vorparlaments mitgeteilt: „Sagt mir auch, siehst Du auch die Weserzeitung? Walkers Kommissionsbericht habe ich noch einmal gelesen. Das gefällt mir sehr gut, u. darum bitte, macht keine Republik! Die Franzosen sind Schweinigel, trotz der Bitte des Erzbischofs setzen sie ihre Versammlung grade auf den ersten Ostertag. Das ärgert mich sehr (…)“.535 Die politischen Überzeugungen werden hier deutlich formuliert. Sie stand der republikanischen Staatsordnung kritisch gegenüber, die ihrer Meinung nach die soziale Ordnung gefährden könnte, wie das Beispiel Frankreichs ihrer Einsicht nach zeigte.536 Aus diesem Grund bevorzugte sie eine gesamtdeutsche Monarchie als einzige Staatsordnung, die religiöse Forderungen berücksichtigen würde.

Die politischen Orientierungen der Frauen änderten sich in dieser Zeit. Dabei spiegelten solche Veränderungen die zeitgenössischen politischen Debatten, denen die ‚politischen Frauen‘ eifrig folgten. Die zunehmende Spaltung zwischen Konservativen und Linksliberalen verkomplizierte die Position von gemäßigt-liberalen Gruppen, die sich für konstitutionelle Reformen 1848 weiterhin einsetzten. „Republik“ bedeutete den Konstitutionellen zufolge die Auflösung der Monarchie und die darauffolgende Anerkennung der sozialpolitischen

Trauerkleidung“. Das gemeinsame Erleben der militärischen Auseinandersetzung sowie die gemeinsame emotionale Verarbeitung stifteten laut Assing ein verbreitetes Gemeinschaftsgefühl, da die Märztage auf politischer Ebene gezeigt hatten, dass Preußen „deutsch geworden“ sei und dort nicht mehr „das Alles entscheidende einzige Ich (…) sondern das Wir des Volkes“ gültig sei. (Ludmilla Assing), Die Märztage Berlins (aus dem Tagebuche einer deutschen Frau), in: «Europa. Chronik der gebildeten Welt», Nr. 14, Leipzig 1.4.1848, S. 233-237. Hier S. 235. Dazu auch Lipp, Carola, 1848/49- emotionale Erhebung und neuen Geschlechterbeziehung?

534 Vgl. Kap. 2.2.1.

535 SUBHH, NLCFW 48, 38-61, Brief von Hermine Wurm an Christian Friedrich Wurm, Nr. 4, Hamburg Sonnabend 2.4.1848.

536 Zur Rezeption Frankreichs in der Revolution 1848/49 vgl. Ruttmann, Ulrike, Wunschbild – Schreckbild – Trugbild. Rezeption und Instrumentalisierung Frankreichs in der Deutschen Revolution von 1848/49, Stuttgart 2001.

125 Forderungen der Unterschichten sowie den Zerfall der bestehenden Herrschaftsstrukturen.537 Viele Liberale, vor allem diejenigen aus den norddeutschen Staaten, wurden von solchen republikanischen Forderungen im Vorparlament überrascht.538 Aus der Sicht der Liberalen radikalisierten die demokratischen Forderungen von Friedrich Hecker, Gustav Struve und ihren Anhängern539 die bereits existierenden politischen Spannungen zwischen Opposition und Regierung. Sie gefährdeten den Konstitutionellen zufolge das Ziel der ersehnten verfassungsgebenden Nationalversammlung, wodurch sie Gesellschaft und monarchische Staatsordnung reformieren wollten.540 Auch Demokraten um Robert Blum, wie Franz Heinrich Zitz, sprachen sich für eine Zusammenarbeit mit linkem Flügel der Liberalen für die vom Parlament getragene Erneuerungspolitik aus.541 Die Freiwilligentruppe, die Georg Herwegh in Paris um sich geschert hatte,542 und der Heckerzug543 im April 1848 legitimierten für viele Zeitgenossen die mit der „Republik“ verbundenen Ängste vor sozialen

537 Wie Dieter Langewiesche bemerkt hat, habe das Wort „Republik“ Schreckensvisionen in den liberalorientierten Zeitgenossen ausgelöst, die republikanische Staatsordnung mit sozialem und politischem Chaos verbanden. Reiß hat gezeigt, dass die Frage „Monarchie oder Republik“ um 1848 zum „Brennpunkt“ der politischen Diskussion in der Oppositionsbewegung wurde. In den Diskussionen waren auch reformistische Liberale einbezogen. In diesem komplexen Beziehungsgeflecht soll diese Frage, so Reiß, zur Konstituierung der Radikalen geführt haben. Vgl. Langewiesche, Dieter, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988, S. 46;

Reiß, Asgar, Radikalismus und Exil. Gustav Struve und die Demokratie in Deutschland und Amerika, Wiesbaden 2004, S. 47-48 und S. 128-130.

538 Freitag, Sabine, Friedrich Hecker, S. 110-119; Reiß, Asgar, Radikalismus und Exil, S. 130-136.

539 Im Vorparlament hatten Demokraten um Gustav Struve einen politischen Antrag vorgestellt, in dem bestimmte politische Forderungen an die Versammlung dargelegt wurden. Einige Punkte dieses politischen Programms waren direkt von den Forderungen der Offenburger Versammlung abgeleitet. Unter anderem forderte Struve das Vorparlament auf, über eine republikanische Staatsordnung abzustimmen, indem er in seinem Antrag

„die Idee einer Neugründung des Staates ‚von unten’“ vertrat und eine Reformpolitik der bisherigen Regierungsform ablehnte. An der Antragsstellung hatte sich auch Franz Heinrich Zitz, der Ehemann von Kathinka Zitz-Halein, beteiligt, der Anführer der Mainzer Demokraten war. In April 1848 wurde er in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Reiß, Asgar, Radikalismus und Exil, S. 131; Zucker, Stanley, Kathinka Zitz-Halein, S. 97-121; Freitag, Sabine, Friedrich Hecker, S. 124-135.

540 Zur konstitutionell-monarchischen Reformpolitik der Liberalen, die sie auch im Frankfurter Parlament vertraten vgl. Langewiesche, Dieter, Liberalismus in Deutschland, S. 39-56.

541 Reichel, Peter, Robert Blum. Ein deutscher Revolutionär 1807–1848, Göttingen 2007, S. 80-83 und S. 90-92.

542 Schon am Anfang März hatte der aus politischen Gründen ausgewanderte Dichter Georg Herwegh als Präsident der deutschen demokratischen Gesellschaft in Paris deutsche Exilanten und Handwerker um sich geschart, die die Revolution in den deutschen Staaten unterstützen wollten. Diese formten eine Freiwilligenlegion, die für die Unterstützung der demokratischen Bestrebungen in den deutschen Staaten agieren sollte. Nach Herwegh hätte man auch mit Waffen die Republik in den deutschen Staaten einführen sollen. Viele der Demokraten aus den deutschen Staaten standen allerdings den Unternehmungen Herweghs sehr kritisch gegenüber, da sie einen von der deutschen Bevölkerung getragenen Aufstand erwarteten und die Legitimation einer Einmischung auswärtiger Truppen zur Unterdrückung der Revolution vermeiden wollten. Vgl. Ruttmann, Ulrike, Wunschbild, S. 100-111.

543 Auch Hecker lenkte einen bewaffneten Aufstand bis April 1848 ab. Mit dem Scheitern seines Agierens in der badischen Kammer überzeugte er sich von der Notwendigkeit, für die ersehnte Republik die gärende Stimmung der Bevölkerung zu entflammen. Aus diesem Grund zog er nach Konstanz, wo er sich breitere Zustimmung erhoffte. Dort sprach er sich für die bewaffnete Einsetzung der Bevölkerung zur Ausrufung einer Republik aus.

Die vezögerte Unterstützung der ländlichen Bevölkerung, die mangelhafte Koordination sowie die Einsetzung von Truppen im Auftrag des Deutschen Bundes führten zur Niederlage des Zuges. Vgl. ibidem; Freitag, Sabine, Friedrich Hecker, S. 119-121.

126 Umwälzungen. Gleichzeitig wirkten die Unternehmungen den Demokraten zufolge auf die politische Glaubwürdigkeit der demokratischen Bewegung gegenüber den Liberalen.

Frauen positionierten sich bezüglich der Unternehmungen Heckers und Herweghs. Während Fanny Lewald 1849 rückblickend in ihren Erinnerungen aus der Revolution die politische Position von Georg Herwegh als realitätsfern erklärte,544 verteidigte Emma Herwegh sowohl ihr eigenes Handeln als auch das Agieren von Georg Herwegh in ihren Memoiren545 gegen die Vorwürfe der demokratischen Vertreter. Unter den gemäßigt Liberalen hatte man dagegen mit Angst und Sorge die Ereignisse in Baden verfolgt. Im April 1848 kommentierte Hermine Wurm aus Hamburg die Unternehmung Georg Herweghs wie folgt: „das Korps, das der verwünschte Herwegh, dieser Kerl ohne Gott und Himmel, anführt (…) ist dasjenige was mir am meisten Sorge in dieser ganzen Zeit macht. Nun Gott, der so Großes an Deutschland gethan, wird ja auch wohl ferner sein Segen geben“.546 Die hoch emotional aufgeladene Äußerung verdeutlicht die liberale monarchische Einstellung von Hermine Wurm und weist auf die Verflechtung des Politischen und Religiösen in der Situationsdeutung hin. Nach Meinung der Hamburgerin konnte nur die monarchische Staatsform die von Gott gegebene soziale Ordnung bewahren. Die emotionale Argumentation entsprach auch einer rhetorischen Tendenz des rechten Flügels in der Nationalversammlung. Wie Horst Gründert bemerkt hat, trug das verbal emotive Element in der Parlamentsdebatte zum Aufbau einer „emotionalen Atmosphäre, aus der heraus Entscheidungen mit einem bestimmten politischen Sinn getroffen werden sollen“, bei.547 Durch Rhetorik und religiös-politische Verquickung führte Hermine Wurm gemäßigt-liberale Einstellungen aus.

Obwohl die Unternehmung Herweghs in Baden die Positionierung der Frauen in den deutschen Staaten in Zeiten der politischen Polarisierung verdeutlicht, blieben „politische Frauen“ in den ersten Monaten nach dem Ausbruch der politischen Unruhen weiterhin an den Entwicklungen des von ihnen erlebten lokalen bzw. städtischen oder regionalen politischen Lebens interessiert. Sie verfolgten aufmerksam die Debatten in Klubs und informierten sich auch über die Initiativen derjenigen liberalen Gruppen, deren politischen Ansichten sie nicht teilten. Beispielhaft dafür sind die Erfahrungen der Berlinerin Ludmilla Assing und der Hamburgerin Hermine Wurm. Während Hermine Wurm in Hamburg die vom Deutschen

544 Lewald, Fanny, Erinnerungen aus dem Jahr 1848, Bd. 1, Braunschweig 1850, S. 46.

545 Vgl. Herwegh, Emma, Zur Geschichte der deutschen demokratischen Legion. Von einer Hochverrätherin, Grünberg 1849.

546 SUBHH, NLCFW 48, 38-61, Brief von Hermine Wurm an Christian Friedrich Wurm, Nr. 4, Hamburg 1.4.1848, abends 10 Uhr.

547 Gründert, Horst, Sprache und Politik. Untersuchungen zum Sprachgebrauch der Paulskirche, Berlin-New York 1974, S. 234.

127 Club angestrebten politischen Reformen dank der Mitgliedschaft ihres Schwagers sowie dank ihrer weiblichen und männlichen Freundschaften verfolgte, besuchte Ludmilla Assing Ende März 1848 mit Clara Mundt548 und „Madame Waitz“549 in Berlin die Sitzungen des

„Konstitutionellen Clubs“.550 Während der Revolution wurden die schon vorhandenen Klubs potentiell allen Menschen als Austausch- und Diskussionsforum zugänglich,551 sodass auch Frauen diese Möglichkeit wahrnahmen. Diese Besuche von politischen Klubs schienen ein gemeinschaftsstiftendes Moment für Frauen darzustellen, die mit Freundinnen und Bekannten den Klubsitzungen beiwohnten.

Der Konstitutionelle Klub stellte 1848/49 unter der Führung Creglingers den einzigen gemäßigt-liberalen Verein in Berlin dar. Er wurde am 27. März 1848 mit dem Ziel gegründet, die Entfaltung einer liberalen Mitte zwischen konservativen und demokratischen Kräften zu ermöglichen.552 Seine politischen Unternehmungen waren aber aufgrund der Vernachlässigung von praktischen Angelegenheiten und politisch bedeutenden Fragen sowie aufgrund des Schwankens zwischen politischen Polen nicht wirkungsvoll, so dass der Klub über geringeren politischen Einfluss und Mitgliederanzahlen als der demokratische oder der

548 Clara Müller (Neubrandenburg 1814-Berlin 1873) war seit 1839 mit dem Schriftsteller Theodor Mundt verheiratet, nachdem sie ihm ihre schriftstellerischen Versuche gesendet hatte und dadurch mit ihm eine vertraute auf literarischer Bewunderung basierte Beziehung aufbaute. Unter dem Pseudonym von Luise Mühlbach veröffentlichte sie ihre viel gelesenen Romane und Novellen, in denen sie wie bei Therese von Bacheracht die Lebensbedingungen und die soziale Stellung der Frauen thematisierte und sich gegen die Konventionsehe aussprach. Vgl. Möhrmann, Renate, Die andere Frau, S. 60-84.

549 Vermutlich handelt es sich hier um Clara Waitz geb. Schelling. Die Tochter des Philosophen Friedrich Schelling und Pauline Gotters war seit 1842 mit dem Historiker Georg Waitz verheiratet, der 1846 Abgeordneter der Holsteinischen Ständeversammlung war und 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde.

Aufgrund seiner familiären Verbindungen mit der Familie Schelling gab Georg Waitz schließlich die Briefe von Caroline Schlegel-Schelling an ihre Verwandte heraus. Vor seiner Ernennung in der Paulskirche wurde Waitz im Frühling 1848 als Vertreter der provisorischen Regierung Schleswig-Holsteins nach Berlin für militärische Verhandlungen entsandt. In der Nationalversammlung wurde er im Verfassungsausschuss tätig und sprach sich für ein deutsch-österreichisches Bündnis aus, obwohl er zu den Wenigen zählte, die sich für die Unabhängigkeit Lombardo-Venetiens von der Habsburgischen Monarchie aussprachen. 1849 wurde er zum Professor für mittelalterliche Geschichte berufen. Clara Waitz folgte ihm in seinen Umzügen. Aus dem Tagebuch von Friedrich Schelling sind einige Bemerkungen über das Alltagsleben seiner Tochter Clara 1848 in Berlin erhalten, obwohl Schelling mit keiner Andeutung eine eventuelle freundschaftliche Verbindung seiner Familie mit Ludmilla Assing, August Varnhagen von Ense und dem Ehepaar Mundt erwähnt. Schelling, Friedrich Wilhelm, Das Tagebuch 1848. Rationale Philosophie und demokratische Revolution, Hamburg 1990; Waitz, Georg, Caroline: Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste, die Familie Gotter, F.L.W. Meyer, A.W. und Fr.

Schlegel, J. Schelling u.a.: nebst Briefen von A.W. und Fr. Schlegel u.a, 2 Bde. Leipzig 1871; Frensdorff, Ferdinand, Waitz, Georg, in: ADB, Bd. 40, Leipzig 1896, S. 602-629.

550 Ludmilla Assing, Tagebucheintrag 30.3.1848, editiert in: Nikolaus, Gatter, Wenn die Geschichte um eine Ecke geht, S. 97.

551 Die Basis für den Diskurs um die vereinspolitische Partizipation der Frauen war in Gesetzen verankert. In den Ländern des Deutschen Bundes und der Habsburger Monarchie waren Frauen 1848/49 zu öffentlichen Versammlungen von politischen Vereinen als Zuhörerinnen, nicht aber als Mitglieder mit Stimm- und Rederecht zugelassen. Vgl. Hauch, Gabriella, Frauenräume in der Männerevolution 1848, in: Dowe, Dieter/ Haupt, Heinz-Gerhard/ Langewiesche, Dieter (Hgg.), Europa 1848, S. 845-853.

552 Zum konstitutionellen Klub in Berlin vgl. Hachtmann, Rüdiger, Berlin 1848, S. 281-285.

128 konservative Klub verfügte.553 Ludmilla Assing schien von den Sitzungen des Klubs und von seinen Mitgliedern, die vor allem aus dem Bildungsbürgertum stammten, enttäuscht gewesen zu sein. Sie beschrieb die Sitzungen mit einer Andeutung an Schiller als „Wallensteins Lager“, um die kleinen Streitigkeiten zwischen den Klubmitgliedern und den Zuhörern zur Geltung zu bringen. „Eine Dame, die um eine Chokolade handelte. Eine Mutter mit ihrem Sohn in einer gestrickten Jacke. Wüthen, Pfeifen und Schreien. Falsche Nachricht vom Tode des Königs von Danmark, der man applaudierte. Ein Wüthender der es auf Crelinger abgesehen hatte.“ 554 In ihrer Beschreibung verdeutlicht Assing ihre Unzufriedenheit mit dem Verhalten der Berliner Konstitutionellen und grenzt sich von diesen ab. Der Besuch des konstitutionellen Klubs zeigt die Neugier Assings und ihrer Freundinnen für die aus den politischen Umwälzungen hervorgebrachte neue Institution: und zwar den politischen Klub.

Das Interesse für die zeitgenössischen politischen Entwicklungen wurde von vielen Frauen dieser Generation geteilt. Die politisch geprägten Meinungsunterschiede und Auseinandersetzungen in bürgerlichen liberalen Kreisen werden auch von der Hamburgerin Hermine Wurm in ihren Briefen an ihren Mann mehrmals thematisiert.555 Anderes als in Berlin hatten die politischen Umwälzungen vom März 1848 in Hamburg kaum zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Militär und Bevölkerung geführt. Wie John Breuilly bemerkt hat, waren Demonstrationen und Proteste in den ersten Revolutionsmonaten in Hamburg gegen bestimmte lokale politische Maßnahmen wie die Sperre der Stadttore

Das Interesse für die zeitgenössischen politischen Entwicklungen wurde von vielen Frauen dieser Generation geteilt. Die politisch geprägten Meinungsunterschiede und Auseinandersetzungen in bürgerlichen liberalen Kreisen werden auch von der Hamburgerin Hermine Wurm in ihren Briefen an ihren Mann mehrmals thematisiert.555 Anderes als in Berlin hatten die politischen Umwälzungen vom März 1848 in Hamburg kaum zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Militär und Bevölkerung geführt. Wie John Breuilly bemerkt hat, waren Demonstrationen und Proteste in den ersten Revolutionsmonaten in Hamburg gegen bestimmte lokale politische Maßnahmen wie die Sperre der Stadttore

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