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Der Salon als Ort der europäischen Vernetzung

Im Dokument Vernetzt! (Seite 67-87)

1. Den Anderen imaginieren und erfahren: Austausch und europäische Kontaktnetze von Frauen vor 1848 Kontaktnetze von Frauen vor 1848

1.2. Der Salon als Ort der europäischen Vernetzung

Die Salongesellschaften gaben reisenden Frauen die Möglichkeit, mit den lokalen Oberschichten Kontakte zu knüpfen und in einen etablierten geselligen Rahmen eingeführt zu werden. Gleichzeitig symbolisierten internationale Salongäste kulturellen Einfluss und gesellschaftliche Resonanz der Gastgeberin und vermittelten trotz Zensurmaßnahmen die Neuigkeiten aus ihrer Heimat. Der Besuch lokaler Salongesellschaften ermöglichte in einigen Fällen, mit Rücksicht auf gesellschaftliche Herkunft, Vermögen und schließlich auch auf soziale, kulturelle und politische Einstellungen, eine gesellschaftliche Integration der reisenden Frauen. Wie sich die sozialen Interaktionen konkret dargestellt haben, soll im Folgenden anhand von Bespielen von freundschaftlichen Netzen vornehmlicher Akteurinnen des italienisch-deutschsprachigen Austauschs skizziert werden.

Wie schon in der Forschung in Bezug auf die deutschen Salongesellschaften gezeigt wurde, ist es schwierig, eine verallgemeinernde Rekonstruktion für die Entstehung persönlicher

68 Beziehungen in Salons zu geben.269 Oft ist die Teilnahme an Salons ausschließlich auf persönliche Gründe und Interessen zurückzuführen. Petra Wilhelmy-Dollinger hat die Verflechtung innerhalb der Salons auf drei Bedingungen zurückgeführt: die geographische Lage des Salons, die politische Orientierung der Gastgeber und Stammgäste und ihre wirtschaftlichen Interessen.270 Dabei sind auch generationsspezifische Aspekte in Betrachtung zu ziehen, wie Detlef Gaus die Salongeselligkeit im Hinblick auf männliche Stammgäste und ihre Sozialisation im Rahmen von Salons rekonstruiert hat.271 Denn die Salongesellschaften spielten schon seit der frühen Neuzeit eine bedeutende Rolle in der sekundären Sozialisation von Frauen und Männern der europäischen Oberschichten. In den italienischen Staaten wurden dagegen Salongesellschaften, Theater und Kaffeehäuser während der Restauration aufgrund der politischen Beschränkungen wichtige Formen des Zusammenkommens von Männern und Frauen, das unter anderem europäische Akteure und Akteurinnen einbezog.272 Darüber hinaus basieren historische Untersuchungen über die Vernetzung im Rahmen des Salons auf überlieferten Gästebüchern, in denen die Stammgäste – Habitués – sowie die Besucher von auswärts der Gastgeberin Einträge widmeten. Auch auf veröffentlichten Memoiren sowohl der männlichen Gäste, in denen die Figur der Salonière in den Mittelpunkt der Darstellung gestellt wird, als auch auf Memoiren der Gastgeberinnen selbst wird dabei zurückgegriffen. Aus den Korrespondenzen der Salonière kann man allerdings die Vernetzung der Salonakteure und -akteurinnen rekonstruieren. Daneben veranschaulichen Briefe Strategien und Möglichkeiten der kulturellen und politischen indirekten Beeinflussung sowie das Auftreten von Frauen als Kulturvermittlerinnen in europäischen Kreisen.273

Die Gastgeberin war in der europäischen Salonkultur eine verheiratete, gebildete, aber nicht gelehrte Frau aus den Oberschichten, wie zahlreiche Studien zur Salonkultur belegt haben.274 Sie stand aufgrund ihrer familiären Bindungen im Mittelpunkt eines breiteren Netzes von Salonhabitués und Gästen von auswärts und entschied über die Zulassung von Gästen zu

269 Vgl. Gaus, Detlef, Geselligkeit und Gesellige: Bildung, Bürgertum und bildungsbürgerliche Kultur um 1800, Stuttgart 1998, S. 220-249. Wilhelmy-Dollinger, Petra, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert: 1780 – 1914, Berlin 1989, S. 44-52.

270 Wilhelmy-Dollinger, Petra, Der Berliner Salon.

271 Vgl. Gaus, Detlef, Geselligkeit und Gesellige, S. 227-243.

272 Betri, Maria Luisa/ Brambilla, Ersilia (Hgg.), Salotti e ruolo femminile in Italia; Mori, Maria Teresa, Salotti.

La sociabilità delle élite nell’Italia dell’Ottocento, Rom 2000.

273 Diese Rolle der Briefwechsel von Gastgeberinnen wurde bereits von den Zeitgenossen anerkannt. Vgl. Sibylle Mertens-Schaaffhausen an Lilla Deichmann, 22.1.1846, in: Houben, Heinrich Hubert (Hrsg.), Die Rheingräfin, S. 345-349.

274 Mori, Maria Teresa, Salotti; Wilhelmy-Dollinger, Petra, Der Berliner Salon; Betri, Maria Luisa/ Brambilla, Ersilia (Hgg.), Salotti e ruolo femminile in Italia.

69 ihren Abenden sowie über die Diskussionsthemen.275 Durch ihre Vermittlung hatten Intellektuelle, Politiker und junge Schriftsteller Zugang zu einer Vielfalt von Informationen:

über Arbeitsmöglichkeiten, politische und literarische Debatten oder Editionsstrategien.

Darüber hinaus förderten die Salongesellschaften die Anpassung der jüngeren Teilnehmer an gesellschaftliche Gewohnheiten.276 Dieser Sozialisationsrahmen, in dem die Salonière eine

„zivilisierende Funktion“ innehatte,277 wurde von jüngeren unverheirateten und von älteren verheiraten Frauen gestellt, die sich dabei selber aktiv an Diskussionen beteiligten. In Salongesellschaften erweiterten Frauen also durch ihre aufmerksame Teilnahme an die Debatte ihre kulturellen Kenntnisse und gleichzeitig formten sie gesellige Beziehungen mit, die kulturell, politisch und wirtschaftlich relevant waren.

Die von einer adligen Frau geführten Salons hatten dank der familiären Beziehungen der Salonière zahlreiche Verbindungen ins Ausland.278 Im Gegensatz zu den anfänglichen Vorgängen der Salongeselligkeit, die im 18. Jahrhundert stark familiär geprägt war, sodass eine familiäre Beziehung mit der Saloniere für die weibliche Zulassung in den Salon notwendig war, gewannen persönliche Kontakte und Vermittlung von dritten Personen um die Wende zum 19. Jahrhundert an Bedeutung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden dadurch sowohl das Zusammenkommen von Adel und Bürgertum als auch die Verflechtung von beiden Schichten ermöglicht.279 Aufgrund der Vermischung der einheimischen Habituès280 mit den bürgerlichen Reisenden drückte sich diese Tendenz des Übertretens sozialer Grenzen

275 Wilhelmy-Dollinger, Petra, Die internationale Vernetzung der deutschen Salons (1750-1914), in:

Simanowski, Roberto/ Turk, Horst/ Schmidt, Thomas (Hgg.), Europa – ein Salon? Beiträge zur Internationalität des literarischen Salons, Göttingen 1999, S. 40-65.

276 Zum Beispiel wie eine Konversation durchzuführen sei oder wie man an öffentlichen Debatten teilnehmen sollte. Diese Sozialisationsaufgabe wurde dem Salon sowohl im deutschsprachigen Raum als auch in den italienischen Staaten bereits zugeschrieben. Vgl. Gaus, Detlef, Geselligkeit und Gesellige; Mori, Maria Teresa, Salotti, S. 27-59.

277 Nach Sylvia Paletschek hielten die Salondamen einerseits die äußeren Verhältnisnormen – wie Abstandsregel oder Etikette – lebendig, anderseits vermittelten sie während des 19. Jahrhunderts akzeptables weibliches Verhalten – wie eine stark emotionalisierte Mutter-Kind-Beziehung. Paletschek, Sylvia, Adelige und bürgerliche Frauen (1770-1870), in: Fehrenbach, Elisabeth (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland 1770-1848, S. 159-185. Hier S. 182.

278 Zur internationalen Dimension der Salons vgl. Simanowski, Roberto, Einleitung: Der Salon als dreifache Vermittlungsinstanz, in: Simanowski Roberto/ Turk, Horst/ Schmidt, Thomas (Hgg.), Europa – ein Salon? S. 8-39. Hier S. 21-27.

279 Verena von der Heyden-Rynsch spricht von einer Verbourgeoisierung des Adels und einer Nobilitierung des Bürgertums. Sylvia Paletschek hebt des Weiteren hervor, dass die durch die Arbeitsbeziehungen der Gatten entstandenen Kontakte von Frauen des niederen Adels mit Frauen des gehobenen Bildungs- und Handelsbürgertums für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Tendenz zur Verbürgerlichung adeliger Frauen hat aufkommen lassen, während eine Aristokratisierung des bürgerlichen Frauenlebens erst Ende des 19.

Jahrhunderts zu beobachten sei. Vgl. von der Heyden-Rynsch, Verena, Europäische Salons. Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur, Hamburg 1995, S. 16-18, Paletschek, Sylvia, Adelige und bürgerliche Frauen, S. 183.

280 Ein Beispiel dafür ist der Kooptationsmechanismus der patrizischen Gesellschaft in Florenz vgl. Kroll, Thomas, Die Revolte des Patriziats, S. 166-172.

70 noch ausgeprägter in den Salons der italienischen Staaten aus, wie Sibylle Mertens-Schaaffhausen in ihrem Tagebuch beschreibt.

„(…) obgleich ich keine Gelegenheit ungenutzt ließ, meine Bürgerlichkeit mit großer Deutlichkeit zu betonen, so konnte mich dies doch weder vor Besuchen noch vor Einladungen dieser Nobilis wahren (…); denn bisher hörte ich überall in Deutschland mehr Klage über den Hochmut als Lob über die Artigkeit des Genueser Adels. Nicht nur zuvorkommend (…) muss ich die Glieder dieser Kaste, mit denen ich bis jetzt zusammenkam, nennen, sondern auch vielseitig gebildet, wissenschaftlich unterrichtet, so Frauen wie Männer. Selbst unsere Sprache hat bei einigen Eingang gefunden.“281

1835 verreiste Sybille Mertens-Schaaffhausen für einige Monate nach Genua. Die 1797 geborene Kölnerin lebte damals von ihrem Ehemann, dem Bankier Louis Mertens, getrennt, auch wenn die beiden sich aufgrund ihres katholischen Glaubens nicht schieden ließen.

Sybille Mertens-Schaffhausen stand in enger Verbindung mit der Weimarer Gesellschaft.

Sowohl Ottilie Goethe als auch Adele Schopenhauer zählten schon seit den 1820er Jahren zu den Gästen ihres Salons in Bonn. Mit ihnen verbrachte Sybille Mertens-Schaaffhausen im Laufe der Jahre zahlreiche Aufenthalte in Rom. Genua besuchte sie mit zwei ihrer sechs Kinder. Als im Sommer die Cholera in der Stadt ausbrach, engagierte Sybille Mertens-Schaffhausen sich bei der Pflege von Waisenkindern, wofür sie im November 1835 vom sardischen König Karl Albert, dem damaligen Herrscher über Genua, mit einer Medaille geehrt wurde.282 Damit stieg ihr Ansehen in der lokalen Gesellschaft. Trotz ihrer wirtschaftsbürgerlichen Herkunft integrierte sich Sybille Mertens-Schaffhausen zunehmend in den Adel Genuas, indem sie ihre Freundschaft zu den Frauen der adligen Familie Di Negro verfestigte. Wie das Beispiel von Sibylle Mertens-Schaffhausen zeigt, verkehrten reisende Frauen in den besuchten Ländern in lokalen Salongesellschaften und integrierten sich trotz der sozialen unterschiedlichen Herkunft. Die Vermittlung und das Knüpfen von Kontakten zwischen Frauen aus den deutschen und italienischen Staaten verlief noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über Pariser Salons, die im Mittelpunkt der europäischen künstlerischen und politischen Netze standen.

a) Paris

Die Hauptstadt des Königsreichs Frankreich wurde in den 1830er Jahren zum Wohnsitz zahlreicher politischer Flüchtlinge aus den deutschen und den italienischen Staaten. Während die politische Emigration aus den italienischen Staaten infolge der 1820/21 Unruhen schon

281 Aus dem Tagebuch von Sibylle Mertens-Schaaffhausen, 24.7.1835, in: Houben, Heinrich Hubert, Die Rheingräfin, S. 136-137.

282 Houben, Heinrich Hubert, Die Rheingräfin, S. 144-163.

71 Anfang der 1830er Jahre zugenommen hatte,283 flohen Intellektuelle aus den deutschen Staaten verstärkt nach 1835 infolge strengerer Zensurbestimmungen nach Paris.284 Die französische Hauptstadt galt nach der Julirevolution als Vorposten des Liberalismus.285 Hier trafen sich liberal gesinnte Flüchtlinge, die allein oder mit ihrer Familie aufgrund ihres politischen Engagements ihre Heimat verlassen hatten. Die politische Emigration aus den deutschen Staaten verlief parallel zur wirtschaftlich motivierten.286 Im Vergleich mit Flüchtlingen aus der italienischen Halbinsel stellten politische Migranten aus den deutschen Staaten eine Minderheit dar.287 In den Kreisen der politischen Exilanten spielten Frauen eine wesentliche Rolle: Sie scheinen in aller erster Linie für die Informationsvermittlung und Kontaktschließung und -stabilisierung auf europäischer Ebene verantwortlich gewesen zu sein.

Den Mittelpunkt der Sozialisation dieser gebildeten, wohlhabenden und politisch engagierten Flüchtlinge stellten die Salons dar. Die Pariser Salons in der Restaurationszeit scheinen „an antidote to the characteristic divisiness of partisan politics“ zu sein, wie Steven Kale es formuliert hat.288 Mit der Julimonarchie verschärfte sich die politische Auseinandersetzung, sodass Salons neue Sozialisationsaufgaben erfüllten: sie wurden von einer neue Generation liberaler Salonnières geführt und öffneten sich nun auch Bürgerlichen, Künstlern und Schriftstellern.289 Schließlich diskutierte man mit einer ungezwungeneren Etikette über das zeitgenössische politische Geschehen. Der Salon von Marie d’Agoult steht beispielhaft hierfür. Marie d’Agoult, eine in Frankfurt geborene Gräfin, hatte von der Julimonarchie Abstand genommen und nach einem „self-imposed exile“ in der Schweiz und in den

283 Zur Pariser Vernetzung der Frauen aus den italienischen Staaten und zur Frauenpartizipation an den politischen Umwälzungen 1820/21 und 1830/31 auf der italienischen Halbinsel vgl. Kap. 3.1.

284 Um 1835 hatten viele Aktivisten aufgrund von Repressionsmaßnahmen die deutschen Staaten verlassen und sich in der Schweiz oder Paris niedergelassen. In der Schweiz hatten sie an den Aktivitäten des demokratisch gesinnten Giuseppe Mazzini teilgenommen, indem sie die Sektion „Junges Deutschland“ innerhalb der breiteren demokratischen Bewegung „Junges Europa“ gründeten. In Paris gründeten emigrierte Kaufleute und Intellektuelle den „Deutschen Vaterlandsverein“, in dem sich auch Handwerker mit ihrem Engagement profilierten. Da sowohl der „Deutsche Vaterlandsverein“ als auch das Schweizer Emigrationsnetz anscheinend vornehmlich männlich geprägt war, ist ihre Rolle für die Fragestellung dieser Arbeit nicht von Belang. Vgl. dazu Inauen, Josef, Brennpunkt Schweiz. Die süddeutsche Staaten Baden, Württemberg und Bayern und die Eidgenossenschaft, 1815-1840, Freiburg 2008, S. 138-154; Schieder, Wolfgang, Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution von 1830, Stuttgart 1963, S. 14-44.

285 Ibidem.

286 Vgl. König, Mareike, Brüche als gestaltendes Element. Die Deutschen im Paris im 19. Jahrhundert, in: dies.

(Hrsg.), Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris: eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert, München 2003, S. 9-26; Esch, Michael G., Parallele Gesellschaften und soziale Räume: osteuropäische Einwanderer in Paris 1880-1940, Frankfurt a. M. 2012.

287 Reiter, Herbert, Politisches Asyl im 19. Jahrhundert. Die deutschen politischen Flüchtlinge des Vormärz und der Revolution von 1848/49 in Europa und den USA, Berlin 1992, S.111-116.

288 Kale, Steven, French Salons. High society and political sociability from the Old Regime to the Revolution of 1848, Baltimore 2004, S. 108.

289 A.a.O., S. 172.

72 italienischen Staaten hatte sie in Paris einen Salon eröffnet, in dem sich europäische Liberale trafen.290 Marie d’Agoult gehörte zu einer Generation von französischen Schriftstellerinnen, die miteinander ihre sozialen Herkunft teilten und der Julimonarchie kritisch gegenüber standen. Für diese Frauen, so Whitney Walton, seien Politik und Schreiben miteinander verquickt.291 Unter anderem verkehrten in diesem Kreis die mailändische Fürstin Cristina di Belgioioso, die infolge der norditalienischen politischen Unruhen 1830/31 in Paris lebte,292 und die Berlinerin Emma Herwegh.

1817 wurde Emma Herwegh in Berlin geboren, als Tochter des Kaufmanns Johann Gottfried Siegmund und Henriette Wilhelmine Siegmund, geborene Cramer. Ihr Vater war vom Judentum zum Protestantismus konvertiert und sorgte für Emma Herweghs Bildung und Erziehung.293 Wie für viele großbürgerliche und adlige Frauen dieser Generation bestand diese aus Sprach-, Musik und Handarbeitsunterricht. In ihren Tagebüchern skizzierte sie unter anderem auch die von ihr besuchten geselligen Treffen in Berlin. Als unverheiratetes Mädchen hatte Emma Herwegh aufgrund ihrer großbürgerlichen Herkunft Kontakte mit dem Kreis um Varnhagen von Ense, zu dem auch Bettina von Arnim und später Fanny Lewald und Ludmilla Assing gehörten,294 und Zugang zu den vornehmen politischen und bildungsbürgerlichen Kreisen Berlins. 1842 lernte sie in Berlin den Dichter Georg Herwegh kennen, dessen Werke trotz der Zensurmaßnahmen bekannt gewordenen waren. Nach wenigen Wochen verloben sich die beiden und heirateten 1843.295 Nach dem Verbot der Schriften Herweghs seitens des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. hatte Georg Herwegh einen Brief verfasst, in dem er seine republikanischen Überzeugungen kundgab und der die Ausweisung Herweghs veranlasste. Im Herbst 1843 zog das Ehepaar Herwegh nach Paris, wo Emma Herwegh den ersten Sohn auf die Welt brachte. Das Ehepaar Herwegh verblieb bis 1848 in Paris, wo sie um sich die Pariser Deutsche Legion scharten, um

290 Marie Cathérine Sophie Comtesse d’Agoult geb. de Flavigny (Frankfurt 1805 – Paris 1876) verfasste unter dem Pseudonym Daniel Stern Novellen und eine Geschichte der Revolution 1848/49. Zeitgenössisch war sie unter anderem für die Beziehung mit dem Komponisten Franz Liszt bekannt. Sie stand in Kontakt mit Varnhagen von Ense in Berlin, mit Giuseppe Mazzini, Camillo Cavour und Sarah Nathan. Zur Rekonstruktion der generationellen Vernetzung der französischen Schriftstellerinnen u.a. Marie d’ Agoult vgl. Walton, Whitney, Writing the 1848 Revolution: Politics, Gender, and Feminism in the Works of French Women of Letters, in:

«French Historical Studies», Bd. 18 (1994), S. 1001-1024. Hier S. 1005.

291 A.a.O., S. 1007.

292 Dazu vgl. auch Kap. 3.1. In Paris hatte Cristina di Belgioioso nicht nur Spendeninitiativen zugunsten der politischen Flüchtlinge aus den italienischen Staaten organisiert, sondern auch ein Konzert mit Franz Liszt für Waisenkinder. Vgl. Pepperle, Ingrid (Hrsg.), Georg Herwegh. Werke und Briefe. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe, Bielefeld 2005, S. 386. Zur Biographie von Cristina di Belgioioso vgl. Anhang: biographische Skizzen.

293 Zur Biographie Emma Herweghs vgl. Rettenmund, Barbara/ Voirol, Jeannette, Emma Herwegh. Dazu vgl.

auch Anhang: biographische Skizzen.

294 Dazu vgl. Kap. 2.1. Zur Freundschaft zwischen Emma Herwegh und Ludmilla Assing vgl. Kap. 4.2.2.

295 Zur Liebesvorstellungen Emma Herweghs und der Frauen dieser Generation vgl. Kap. 2.1.

73 Revolutionäre in Baden zu unterstützen.296 In Paris hatte Georg Herwegh mit europäischen Liberalen wie Alexander Herzen Kontakt geknüpft.297 Darüber hinaus verkehrte er im Salon der Schriftstellerin Marie D’Agoult, mit der er eine kurze Liaison einging. Trotz der Liaison ihres Ehemannes pflegte Emma Herwegh den Kontakt zu Marie D’Agoult. Dadurch kam sie auch mit der mailändischen Fürstin Belgiojoso in Verbindung. Diese erwies sich allerdings als eine Salonbekanntschaft, die kaum Spuren hinterlassen hat.298

Der Aktionsradius Emma Herweghs während des Exils verdeutlicht ihre Rolle als Vermittlerin. Wie andere politisch emigrierte Frauen hatte sie Zugang zu Flüchtlingskreisen und lokalen Salongesellschaften.299 Wie Kale bemerkt hat, konnten die nicht aus Frankreich stammenden Frauen in Paris zwischen unterschiedlichen soziale Gruppen vermitteln, da sie zu

„exclusive coteries or long-established social groups“ nicht gehörten.300 In Abwesenheit ihres Ehemannes hielt Emma Herwegh die Kontakte mit dieser Gruppe aufrecht: In Paris pflegte sie für Georg Herwegh die Korrespondenz, beschaffte Informationen und pflegte Bekanntschaften, die er während seines Aufenthaltes in den italienischen Staaten treffen konnte.301 Später agierte sie für ihn während einer Reise nach Preußen als Emissärin, indem sie Kontakte mit Zeitungen, Verlegern und Politikern in Berlin beschaffte.302

Als ein weiteres Beispiel der Aktivitäten von nicht französischen Frauen in Paris kann Mary Mohl, geborene Clark, angesehen werden. Geboren 1793 in England, genoss Mary Clark Bildung und Erziehung in Frankreich, wohin ihre Eltern ihren Wohnsitz verlegt hatten. Schon ihre Mutter hatte kleine gesellige Treffen organisiert. Diese hatte zu der Bekanntschaft mit Julie Récamier geführt, die den Umgang von Mary Clark mit politisch und literarisch bedeutenden Kreisen von Paris ermöglichte.303 Aufgrund ihrer engen Beziehung mit dem

296 Vgl. Kap. 2.2.1.

297 Dazu vgl. auch Kap. 4.2.2.

298 In den Briefen von Georg Herwegh an Emma Herwegh und Marie D’Agoult ist die Bekanntschaft nachzuweisen. Pepperle, Ingrid (Hrsg.), Georg Herwegh, S. 160 und S. 258. Eine Korrespondenz zwischen Emma Herwegh und Cristina di Belgiojoso war im Nachlass Herweghs nicht zu finden.

299 Perrot, Michelle, Femmes Publiques, Paris 1997, S. 64.

300 Kale, Steven, French Salons, S. 145.

301 1847 war das Hauptanliegen Georg Herweghs Empfehlungen für Häuser zu finden, „wo man Italiener sieht“, um „untern dem neuen Pabst die Italiener ein bischen [sic!] über ihre Illusionen u.s.w. zu explorieren.“ Vgl.

Georg Herwegh an Emma Herwegh, Nizza, 3.1.1847, editiert in: Pepperle, Ingrid (Hrsg.), Georg Herwegh, S. 251-253. Hier S. 253.

302 Beispielhaft dafür sind die Briefe von Georg Herwegh aus Paris an Emma Herwegh in Berlin im November 1847, in dem er sie darum bittet, ihre Aufgabe zu erfüllen: „Du bist der Besuche u. Bekanntschaften schon müde? Das thut mir leid, obschon ich’s vollkommen begreife u. wahrscheinl. die Waffen viel früher selbst als Du gestreckt hätte. Thu indeß Dein Möglichstes, Dein Emissariat zu meiner Zufriedenheit zu Ende zu bringen.

Ueber alle Dekorationen, die ich auszutheilen habe, kannst Du dann verfügen. Höre und beobachte! (….).“ Vgl.

Georg Herwegh an Emma Herwegh, Paris 3.11.1847, editiert in: Pepperle, Ingrid (Hrsg.), Georg Herwegh, S. 270.

303 Vgl. Simpson, Mary Charlotte Mair, Letters and Recollections of Julius and Mary Mohl, London 1887, S. 20-24.

74 Philologen und Literaturhistoriker Charles Claude Fauriel stand die Engländerin Mary Clark im Mittelpunkt eines Netzes, zu dem auch zahlreiche Liberale aus Mailand wie Costanza Arconati Visconti, Margherita Provana di Collegno, Bianca Mojon und Cristina di Belgiojoso gehörten.304 In der Verknüpfung dieser Kontakte spielte auch die Freundschaft Manzonis zu Fauriel eine bedeutende Rolle. In den 1820er Jahren war Mary Clark mit Fauriel und ihrer Mutter in die italienischen Staaten gereist, wo sie Gelegenheit hatte, Kontakte mit den lokalen Oberschichten zu knüpfen.305

In den 1830er Jahren scharte Mary Clark zahlreiche politische Flüchtlinge aus den italienischen Staaten um sich wie Federico Confalonieri, Costanza Arconati und ihre Schwester Margherita sowie Cristina di Belgiojoso. Daneben waren die Gebrüder Mohl während mehrerer Aufenthalte in Paris bei ihr zu Gast. Robert, Julius und Hugo Mohl gehörten einer angesehenen württembergischen Beamtenfamilie an. Robert Mohl strebte eine juristische Karriere an, die später zu seiner Berufung an der Universität Heidelbergs und 1847 zu seiner Wahl in die württembergische Landeskammer führen sollte. Der Orientalist Julius Mohl lebte dagegen wegen seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten in Paris und wurde zum engen Freund Mary Clarks. Trotz des großen Altersunterschieds heirateten die beiden 1847.306 Nach der Ehe eröffnete Mary Mohl einen Salon. Viele junge englischsprachige Frauen wie Florence Nightingale und Margareth Fuller wohnten den Treffen im Haus Mohl bei.307 Darüber hinaus pflegte Mary Mohl weiterhin eine gute Freundschaft mit den Frauen

In den 1830er Jahren scharte Mary Clark zahlreiche politische Flüchtlinge aus den italienischen Staaten um sich wie Federico Confalonieri, Costanza Arconati und ihre Schwester Margherita sowie Cristina di Belgiojoso. Daneben waren die Gebrüder Mohl während mehrerer Aufenthalte in Paris bei ihr zu Gast. Robert, Julius und Hugo Mohl gehörten einer angesehenen württembergischen Beamtenfamilie an. Robert Mohl strebte eine juristische Karriere an, die später zu seiner Berufung an der Universität Heidelbergs und 1847 zu seiner Wahl in die württembergische Landeskammer führen sollte. Der Orientalist Julius Mohl lebte dagegen wegen seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten in Paris und wurde zum engen Freund Mary Clarks. Trotz des großen Altersunterschieds heirateten die beiden 1847.306 Nach der Ehe eröffnete Mary Mohl einen Salon. Viele junge englischsprachige Frauen wie Florence Nightingale und Margareth Fuller wohnten den Treffen im Haus Mohl bei.307 Darüber hinaus pflegte Mary Mohl weiterhin eine gute Freundschaft mit den Frauen

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