• Keine Ergebnisse gefunden

Bei Regierungswechseln ist in aller Regel der Vorwurf zu hören, daß das Erbe der Politik der Vorgängerin den Handlungsspielraum der neuen Admi-nistration belastet. Handlungsspielraum kann dabei zunächst weit verstanden werden: zum einen bezüglich der proklamierten Ziele, zum anderen im Hin-blick auf die einsetzbaren Einnahme- und Ausgabeninstrumente und schließ-lich unter Beachtung der fiskalischen Budgetrestriktionen. Kombinationen dieser Aspekte sind durchaus denkbar.

Da wäre zunächst die Möglichkeit zu nennen, die konsensfähigen nationalen Ziele - etwa die des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes - deklaratorisch beizubehalten, aber den instrumentellen Weg zur Zielerreichung zu wech-seln. Diese Konstellation ist typisch für den Wechsel von der nachfrageorientierten zur angebotsnachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Wird dabei aber -wie z.B. im Falle der unter Präsident Ronald Reagan praktizierten Politik in den USA1% - bei angebotswirksamen Steuersenkungen ein unvermindert hohes oder sogar noch steigendes öffentliches Budget kreditfinanziert und durch entsprechende Wechselkurspolitik die Auslandsverschuldung erhöht, so handelt es sich tatsächlich um eine zumindest partiell veränderte Zielset-zung, während aus der gesamtwirtschaftlichen Perspektive faktisch eine un-veränderte Instrumentwirkung des Deficit Spending stattfindet. Es ist nicht auszuschließen, daß die gesamtwirtschaftlichen Effekte in Wirklichkeit von einer unveränderten Budgetpolitik miterzeugt werden. Lediglich die Budget-seiten werden gewechselt. Das kann oder soll auch verteilungspolitische Konsequenzen haben, was aber auch für die traditionelle Nachfragepolitik nicht ausgeschlossen ist (z.B. Senkung der Steuerlast bei konstanten Ausga-ben mit dem beabsichtigten Makroeffekt steigender privater Kaufkraft). Mit Verweis auf die Langfristigkeit der zu erwartenden Wirkungen immunisiert sich eine solche Politik gegen Kritik hinsichtlich der kurzfristig ausbleiben-den Effekte mit dem Hinweis, daß „die Politik der Verbesserung der Ange-botsbedingungen langfristig angelegt sein müsse und daß daher die Zeit für sichtbare beschäftigungspolitische Erfolge noch zu kurz ... " sei.197 Gleicher-maßen immunisierend ist natürlich auch die Auffassung, daß kurzfristig

an-196 Siehe Friedman ( 1988), insbesondere Kap. V, VII und IX.

197 Buttler/Kühl/Rahmann (1985), im Vorwort der Herausgeber.

gelegte antizyklische Maßnahmen nur deshalb nicht zum Erfolg geführt ha-ben, weil sie nicht lange genug durchgehalten worden sind.

Die Wende in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Regierungswechsel im Oktober 1982 kann als eine Spielart dieser Konstellation verstanden wer-den. Natürlich werden die im § 1 StabWG vorgesehenen Ziele nicht aus-drücklich ausgetauscht. Das Gesetz bleibt offiziell ja auch in Kraft. Es findet aber eine andere Gewichtung statt, indem der Stabilität des Preisniveaus ein eindeutig höherer Rang eingeräumt wird als den übrigen Zielen. Die bekann-te Maxime des abgelösbekann-ten Bundeskanzlers Helmut Schmidt: ,,Fünf Prozent Inflation sind mir lieber als fünf Prozent Arbeitslosigkeit" ist jedenfalls nicht mehr handlungsleitend. Es ist allerdings anzumerken, daß auch bereits die sozial-liberale Koalition gegen Ende der 70er Jahre davon abrückte, die Phillipskurve als „Menu for Policy Choice" anzusehen. Der nachfolgenden konservativ-liberalen Koalition ist es freilich strategisch gelungen, die hohe Arbeitslosigkeit nicht eigenen politischen Mißerfolgen zuzurechnen, sondern mit strukturellen und politisch nur langfristig zu bewältigenden Problemen zu charakterisieren. Konsequenter als die Vorgängerregierung setzt sie dabei auf eine erfolgreiche Rückführung der Staatsquote. Mit diesem Übergang zugunsten eines stärker betonten Allokationsziels gelingt ihr in der Tat die Wende im Sinne eines Ziel- und Instrumentwechsels - sogar zu Lasten einer unvermindert hohen (sogar noch steigenden) und sich verfestigenden Mas-senarbeitslosigkeit.

Es bleibt nun zu fragen, ob diese Wende durch die Schuldenpolitik der so-zial-liberalen Regierung entscheidend behindert wurde; ob die Mißerfolge bei der Bekämpfung der andauernden Massenarbeitslosigkeit ursächlich ver-bunden sind mit dem Verschuldungsgrad der öffentlichen Hand; ob also fis-kalische Budgetrestriktionen daran schuld sind, daß die von der konservativ-liberalen Regierungskoalition verfolgte Politik nicht zu einem höheren Be-schäftigungsstand geführt hat. Entscheidend dafür ist die Perspektive, ob Ausgabenlasten infolge der früheren Verschuldung beschäftigungswirksame Finanzpolitik verhindert haben. In diesem Zusammenhang ist von der kon-servativ-liberalen Koalition in der Tat die These von der Erblast aufgewor-fen worden. 198

198 So beispielsweise in der Regierungserklärung von Helmut Kohl am 13. Oktober 1982, vgl. Kohl (1982), S. 858.

4 &hlußfolgerungen

Im vorangegangenen Kapitel wurde gezeigt, daß der Konsolidierungsbedarf im Sinne des Tragfähigkeitskriteriwns seit Mitte der 70er Jahre insgesamt gestiegen war. Die Notwendigkeit einer Konsolidierung Anfang der 80er Jahre steht damit außer Frage. Der gewachsene Konsolidierungsbedarf stell-te für sich genommen jedoch noch keine Erblast dar. Entscheidend ist, ob die Konsolidierungschancen sich ebenfalls im Laufe der 70er Jahre ver-schlechtert hatten und so möglicherweise eine tragfähige Finanzpolitik auf Dauer unmöglich machten. Außerdem ist zu prüfen, inwieweit die wachsen-de Zinslast zu einer Einschränkung wachsen-des Ausgabenspielrawns führte.

Grundsätzlich ist eine Haushaltsanpassung wn so schwieriger,je höher - un-ter sonst gleichen Bedingungen - die erreichte Schuldenquote bzw. der Schuldenstand ist, da die Zinsdynamik stärker greift. Darüber hinaus ist, wie gezeigt wurde, das Zins-Wachstwns-Differential im Zeitablauf tendenziell gestiegen, so daß die Eigendynamik der Verschuldung auch von dieser Seite her verstärkt wurde. Insgesamt sind also die Konsolidierungschancen eher gefallen als gestiegen. Nun wurde bei der bisherigen Untersuchung davon ausgegangen, daß die Schuldenquote jeweils auf dem bereits erreichten Ni-veau stabilisiert wird. Hätte man die Schuldenquote auf dem NiNi-veau zu Be-ginn der 70er Jahre halten bzw. sie auf diesen Stand zurückführen wollen, dann hätte es weitaus größerer Anstrengungen bedurft. Exemplarisch sind die entsprechenden Primärüberschußlücken für eine konstante Schuldenquo-te von 7, 1 % des Bruttosozialprodukts berechnet worden. Dies entspricht der Schuldenquote des Bundes von 1970 und - nach einer zwischenzeitlichen Reduzierung und einem Wiederanstieg - 1974. Die Ergebnisse sind in Schaubild 24 dargestellt.199 Noch deutlicher als bei den bisherigen Resulta-ten zeigt sich, daß die eigentliche Krise nicht mit einem exzessiven Ausga-benanstieg zu Beginn der 70er Jahre begann, sondern mit der Rezession

1975. Zwar hätte eine Reduzierung des Schuldenstandes bzw. eine stärkere Verminderung der Schuldenquote die Situation in der Rezession erleichtert, die „Schuldenkrise" hätte damit aber nicht vermieden werden können. Für die 80er Jahre erhält man mittelfristig insgesamt höhere Finanzlücken als für die 70er Jahre, die auch nur langsam abgebaut werden. Die Werte der mit-telfristigen Primärüberschußlücken liegen zwischen 2 und 3,5%. Die langfri-stigen Indikatoren zeigen eine deutlichere Reduzierung, bleiben aber

ober-199 Die langfristigen Indikatoren gehen wiederum bis einschließlich 1986.

halb der 1 %-Marke. Wollte man also zu einer Situation vor der sozial-libera-len Koalition zurückkehren - setzte man also voraus, daß jede Regierung ih-rer Nachfolgerin sozusagen den Haushalt in einem Zustand zu hinterlassen habe, in dem sie denselben vorgefunden hat - , müßte man in der Tat vermin-derte Konsolidierungschancen und mithin eine Erblast konstatieren. Denn wie die langfristigen Indikatoren andeuten, ist dies zwar nicht völlig unmög-lich, aber mit erheblichen Einschränkungen verbunden und nur in einer sehr langen Frist zu bewältigen. Dies würde aber auch voraussetzen, daß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unverändert bleiben müßten. Außer-dem müßte unterstellt werden, daß es eine von der jeweiligen Regierung un-abhängige, quasi von außen vorgegebene Zielsetzung des Staates gäbe. Geht man hingegen davon aus, daß - und darum geht es letztlich bei den Tragfä-higkeitsüberlegungen - die bereits erreichte Schuldenquote stabilisiert und damit eine Schuldenexplosion vermieden werden soll, dann ist festzustellen, daß es der christlichliberalen Koalition gelungen ist zumindest bis 1989 -die Schuldenquote an dem erreichten Niveau zu halten und sogar teilweise zurückzuführen. Wie die Konsolidierungschancen eingeschätzt werden, hängt also damit letztlich auch davon ab, welche Schuldenquote stabilisiert werden soll. Die These, daß die sozial-liberale Finanzpolitik ein im Sinne der Tragfähigkeit vernünftiges Haushalten unmöglich gemacht hätte, ist da-mit widerlegt. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß dies nicht al-lein auf die Haushaltsführung der konservativ-liberalen Koalition zurückzu-führen ist, sondern daß die Gewinnabführung der Bundesbank dazu einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet hat, der in diesen Größenordnungen seit 1982 ein neues Phänomen ist. Darauf wird weiter unten im Zusammen-hang mit Tabelle 7 noch einmal hingewiesen.

Die Frage der Zinslast bleibt gleichwohl erhalten, unabhängig vom Konsoli-dierungsziel. Denn sobald erst einmal ein Schuldenstand besteht, wird un-weigerlich die Zinsdynamik in Kraft gesetzt, die lediglich durch Primärüber-schüsse des Haushalts kompensiert werden kann. Allein ein dauerhaft nega-tives Zins-Wachstums-Differential kann (im Falle permanenter Defizite) ein kontinuierliches Wachstum der Schuldenquote verhindern. Dies heißt je-doch, daß unter realistischen Bedingungen ( d.h. unter Bedingungen in denen das Zins-Wachstums-Diflferential nicht - zumindest nicht dauerhaft - klei-ner Null ist) eine zusätzliche Kreditfinanzierung stets mit späteren Primär-überschüssen erkauft wird. Jede Regierung, die sich verschuldet, produziert

-Schaubild 24

4 3,5 3 2,5 2

~

..

1,5

1

0,5

,_ - 1,

Primärüberschußlücken des Bundes bei Stabilisierung der Schuldenquote auf einem konstanten Niveau von 7,1 %

in v.H des Bruttossozialprodukts

....

....

~ ~

II J1 lt

~

0

-0,5 u

u

~

IIIIIJ „

-1

-

°' "' °'

V\

°' °'

r--

-~ -

r--°' °'

"' r-- V\

°'

r--

°'

r--r--

~

1

mittelfristig

langfristig 1

-00

°'

"' 00

°'

V\ 00

°'

r--00

°' °' °' °'

00

°'

....

~ ::!:

~ ~ OQ"

~ ~

~

Monika Hanswillemenke and Bernd Rahmann - 978-3-631-75268-5Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 06:29:54AMvia free access

mithin eine Last, es sei denn, es gelingt ihr, das Wachstum derart anzuregen, daß hierüber die Schuldenquote stabilisiert wird. 200 Dies ist aber nur unter Bedingungen möglich, die lediglich zeitlich begrenzt und eben nicht dauer-haft erfüllbar sind. Wird nun die notwendige Stabilisierung der Schulden-quote nicht von der sich verschuldenden Regierung selbst geleistet, dann müssen die entsprechenden Primärüberschüsse von einer späteren Regierung ,,erwirtschaftet" werden - einschließlich einer zusätzlichen Last, die sich in-folge der zeitlichen Verzögerung aus der Zinsdynamik ergibt. 201 Ob diese Last auch eine Erblast darstellt in dem Sinne, daß damit eine W ohlfahrtsmin-derung einhergeht, ist im Rahmen der Lastverschiebungsdebatte eingehend, allerdings ohne eindeutiges Resultat diskutiert worden und soll hier nicht weiter thematisiert werden.

Es ist jedoch noch zu untersuchen, in welchem Maße der Ausgabenspiel-raum durch die Verschuldung eingeschränkt wurde. 202 Hierzu wird auf eine einfache Beispielrechnung zurückgegriffen, mit Hilfe derer dargestellt wer-den kann, wie sich im Falle einer Kreditfinanzierung der Anteil der Zinsen an den Gesamtausgaben im Zeitablauf verändert und welcher Beitrag der Verschuldung damit letztlich noch zur Finanzierung originärer Ausgaben zur Verfügung steht.203 Zur Vereinfachung werden Defizitquote, Ausgabenquo-te, rechnerische Zins- und Wachstumsrate als konstant angenommen, wobei hier jeweils die Durchschnittswerte der Jahre 1970 bis 1982 zugrundegelegt werden, d.h. 1,6% für die Defizitquote, 14,4% für die Ausgabenquote sowie 6,6% und 7 ,5% für den rechnerischen Zins bzw. die Wachstumsrate. Das

200 Direkt, indem der Quotient aus Schuldenstand und Bruttosozialprodukt verringert wird und indirekt, indem die Steuereinnahmen steigen.

201 Blanchard hat im Falle von Einnahmenlücken gezeigt, daß die zur Stabilisierung not-wendige Einnahmenquote proportional mit dem Zins-Wachstums-Differential und mit dem Zeitraum der Anpassungsverzögerung wächst. Beträgt die Einnahmenlücke z.B. 3%, dann wächst sie bei einem Zins-Wachstums-Differential von 2% und einer Verzögerung von 5 Jahren um 0,3%, vgl. Blanchard (1990), S. 14.

202 Daß der Handlungsspielraum auf der Ausgabenseite des Budgets neben den Zins-ausgaben auch durch andere, kurzfristig nicht änderbare Ausgaben eingeengt wird, wurde bereits in Abschnitt 1.2 thematisiert. Die Ursachen sind jedoch nicht in einer erhöhten Verschuldung, sondern in rechtlichen, sozio-ökonomischen und anderen Faktoren zu suchen. Auf eine nähere Betrachtung wird daher verzichtet, vgl. hierzu Ewringmann (1975).

203 Vgl. Rürup (1982), insbesondere S. 617-626.

Schaubild 25

12 10 8

..:e. 6

4

2

Beitrag der Verschuldung zur Finanzierung der Ausgaben des Bundes auf Basis der Durchschnittswerte für 1970 bis 19 82

!' NcttobeitJBg der Verschuldung zur Finanzierung

der Ausgaben

....

in % der Gesamtausgaben

.. --··

-

....... ··· ----· ··· ..... ···. --·· .... -..

0 +----+----+---+---+---+---t---t---t---+---1

0 0

-

0 M 0 M 0

..,.

0

"'

0

g

0 00 ~

\···Zins-Ausgabenquote --Bruttobeitrag der Verschuldung zur Finanzierung der Ausgaben

0 0

-...

~

~

~ OQ°

~ ~

s

Monika Hanswillemenke and Bernd Rahmann - 978-3-631-75268-5Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 06:29:54AMvia free access

i:: ~

~

~

~ ~

~ ...

20 18 16 14

1 12

1 ~ 10

1 8

1 6

4 2 0

1965

Zins-Ausgaben- und Kreditfinanzierungsquote des Bundes

in v.H.

1970 1975 1980 1985 1990 1995 Monika Hanswillemenke and Bernd Rahmann - 978-3-631-75268-5 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 06:29:54AM via free access

4 Schlußfolgerungen

Ergebnis ist für einen Zeitraum von 100 Jahren in Schaubild 25 dargestellt worden. Insgesamt werden in dieser Rechnung 11, 1 % der Ausgaben durch Kredite finanziert. Nach 12 Jahren muß bereits die Hälfte der aufgenomme-nen Mittel zur Finanzierung der Zinsausgaben herangezogen werden. Lang-fristig verbleiben lediglich rund 2% der Nettoneuverschuldung zur Finanzie-rung anderer Ausgaben. Wäre ein positives Zins-Wachstums-Differential an-gesetzt worden und nicht wie in den Beispielrechnungen ein negatives, dann hätte auf Dauer die Verschuldung nicht einmal zur Finanzierung der Zins-ausgaben gereicht.204 Die tatsächlichen Werte sind zum Vergleich in Schau-bild 26 abgeSchau-bildet.

In der bisherigen Betrachtung wurden Schulden- und Haushaltsentwicklung jeweils in Relation zum Sozialprodukt gesetzt. Alternativ kann sie in Bezie-hung zu den regulären Einnahmen gesetzt werden.205 Die Entwicklung des Ausgabenspielraums, d.h. des Teils der Einnahmen (reguläre und Verschul-dung), der nicht in Form von Zinsausgaben abfließt, hängt bei gegebenem Aufkommen der regulären Einnahmen vom Verhältnis der Nettokreditauf-nahme und der Zinsausgaben ab. Liegt die Nettoneuverschuldung oberhalb der Zinsausgaben, dann wird der Ausgabenspielraum ausgeweitet, liegt sie unterhalb, wird er entsprechend eingeengt. Die Erhaltung des Ausgaben-spielraums ist bei unveränderter Steuerpolitik nur bei fortgesetzter Verschul-dung möglich, und zwar muß dazu das Wachstum des Schuldenstandes min-destens so groß sein wie das seiner Verzinsung. 206

Setzt man nun den Schuldenstand der Nettoneukreditaufnahme und der Zins-ausgaben in Relation zu den regulären Einnahmen, dann zeigt sich folgen-des: In dem Fall, daß der (rechnerische) Zins oberhalb des Einnahmen-wachstums liegt, kann der Ausgabenspielraum nur bei einem Anstieg des Schuldenstandsquotienten (Schuldenstand in v.H. der regulären Einnahmen) gewahrt werden. Lediglich in dem Fall, daß die Verzinsung kleiner als das Einnahmenwachstum ist bzw. diesem gerade entspricht, ist die Wahrneh-mung des Ausgabenspielraums ohne einen zwangsläufigen Anstieg des

204 In diesem Fall hätte die Kurve der Zins-Ausgabenquote die Bruttobeitrags-Gerade geschnitten.

205 Vgl. Gschwendter (1981).

206 Vgl. Gschwendter(l981), S. 309.

Schuldenstandsquotienten möglich.207 Die tatsächlichen Wachstumsraten der laufenden Einnahmen sowie die Verzinsung der Schulden sind für den Bund in Schaubild 27 wiedergegeben. Parallel zur Wachstumsrate zeigt sich ein insgesamt sinkender Trend, was die Abhängigkeit der Einnahmen von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung widerspiegelt. Hierbei zeigt sich, daß zu Beginn der 70er Jahre sowie von 1977 bis Ende der 70er Jahre das Ein-nahmenwachstum oberhalb der Verzinsung liegt, von 1981 bis 1989 das Einnahmenwachstum permanent und mit sinkender Tendenz darunter bleibt.

Darüber hinaus weist der rechnerische Zins selbst eine steigende Tendenz auf.

Aus dieser Entwicklung lassen sich im Zusammenhang mit dem Schulden-standsquotienten folgende Schlüsse ziehen: Während die sozial-liberale Koalition die Haushaltssituation teilweise zu einer Reduzierung des Schul-denstandsquotienten genutzt hat (1970 bis 1973), teilweise aber den Ausga-benspielraum trotz über dem Zins liegenden Wachstums der Einnahmen zu Lasten des Schuldenstandsquotienten ausgeweitet hat (1970; 1977 bis 1980), bestand für die christlich-liberale Koalition sozusagen ein trade-off zwischen der Stabilität des Schuldenstandsquotienten und der Bewahrung des Ausgabenspielraums, d.h. das eine Ziel konnte nur auf Kosten des je-weils anderen verwirklicht werden. Dieser Zielkonflikt wird durch Steuerer-leichterungen im Zuge der stärkeren Angebotsorientierung von der konser-vativ-liberalen Koalition selbst noch verstärkt.208 Dies wurde auch bereits an der Entwicklung der Ausgabenlücken deutlich. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der fiskalische Handlungsspielraum der konservativ-liberalen Koalition zu einem gewissen Teil durch die Verschuldung seit Mitte der 70er Jahre eingeengt wurde, zum Teil jedoch auch hausgemacht war.

207 Indem nun die Schulden sowie Nettokreditaufuahme und Zinsausgaben in Relation zu den laufenden Einnahmen gesetzt werden, statt wie bisher in Relation zum (nomi-nalen) Bruttosozialprodukt, wird anstelle des Zins-Wachstums-Differentials die Dif-ferenz zwischen dem rechnerischen Zins und dem Einnahmenwachstum für das Wachstum des Schuldenstandsquotienten zur relevanten Größe.

208 Einschränkend sei jedoch erwähnt, daß weder die inflationsbedingten realen Ausga-beneinschränkungen berücksichtigt sind, noch daß in einer wachsenden Wirtschaft auch die staatlichen Ausgaben steigen müssen. Letzteres fließt nur insofern mit ein, als in einer wachsenden Wirtschaft (unter sonst gleichen Bedingungen) auch die re-gulären Einnahmen wachsen.

Schaubild 27

Wachstumsrate der Einnahmen und rechnerischer Zinssatz für den Bund

Monika Hanswillemenke and Bernd Rahmann - 978-3-631-75268-5Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 06:29:54AMvia free access

Hier wird ein allgemeines, zwnindest kurzfristiges Dilemma sichtbar: Sobald eine öffentliche Verschuldung existiert und somit der beschriebene Zins-Wachstums-Differential-Mechanismus aktiviert wird, ist eine Hochzinspoli-tik, die u.a. zur Bekämpfung inflationärer Tendenzen eingesetzt wird, im Falle des Erfolgs, also Senkung der Inflationsrate, zugleich eine Gefahr für den öffentlichen Haushalt, wenn die Zinssätze von der Zentralnotenbank nicht rasch abgesenkt werden. Denn dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, daß die Differenz zwischen Zinssatz und nominaler Wachstumsrate größer wird. Die realen Wachstumsraten lassen sich eben nicht beliebig steigern.

Vergleicht man die Zeiträume 1970 bis 1982 und 1983 bis 1989, indem man das Wachstum der Schuldenquote in seine Komponenten zerlegt (vgl. Ta-belle 7), dann ergibt sich folgendes Bild: Es zeigt sich, daß rund vier Fünftel des Anstiegs der Schuldenquote auf die Periode 1970 bis 1982 zurückgehen, ein Fünftel auf die Jahre 1983 bis 1989. Umgelegt auf die einzelnen Jahre erhält man einen Anteil von jeweils 6,6 bzw. 3,1%, d.h. die Jahre 1970 bis 1982 hatten einen durchschnittlich doppelt so großen Anteil am Anstieg der Schuldenquote wie die Jahre 1983 bis 1989. Dafür verantwortlich sind in erster Linie die durchschnittlich höheren Primärdefizite (unter Herausrech-nung des Bundesbankgewinns). Diese führen im Durchschnitt 1970 bis 1982 zu einem Anstieg der Schuldenquote von 7,4% pro Jahr; 1983 bis 1989 liegt ihr Anteil bei durchschnittlich 2,9% pro Jahr. Der Anteil der Zinsausgaben wird in den Jahren 1970 bis 1982 leicht durch das Wachstum des Bruttoso-zialprodukts überkompensiert. In den Jahren 1983 bis 1989 ist dies aufgrund gestiegener Zinsen sowie eines geringeren Wachstums nicht mehr gegeben.

Einen deutlichen Unterschied gibt es zudem, wie bereits erwähnt, in der Rol-le, die der Bundesbankgewinn bei dieser Entwicklung spielt. 1970 bis 1982 trägt er lediglich mit durchschnittlich 0,5% zur Begrenzung des Wachstums der Schuldenquote bei, 1983 bis 1989 mit durchschnittlich 3, 7%. Daß die Bundesregierung Primärüberschüsse erzielen konnte, ist damit zu einem nicht unerheblichen Teil durch den Zufluß des Bundesbankgewinns ermög-licht worden. Der Haushalt selbst blieb defizitär.

Gerade die Position Bundesbankgewinn zeigt, daß eine Berechnung, wie sie in Tabelle 7 abgebildet ist, zwar ex post nicht mehr korrigiert werden kann, jedoch gegenüber Veränderungen einzelner Positionen theoretisch sehr

sen-sibel reagiert, weil die betrachteten Komponenten nicht unabhängig

vonein-4 Schlußfolgerungen

ander sind. Hätte bereits der sozial-liberalen Regierung ein ähnlich hoher Bundesbankgewinn zur Verfügung gestanden, dann wären infolge dieser zu-sätzlichen Finanzierungsquelle das Defizit und damit die Zinslast geringer ausgefallen. Dies hätte zweifach in die gleiche Richtung auf die Schulden-quote gewirkt und deren Verteilung auf die betrachteten Zeiträume wesent-lich ausgegwesent-lichener gestaltet.

Tabelle 7: Korn onenten der Veränderun der Schulden uote 1970-1989 Anteil an der Veränderung der Schuldenquote

Zeitraum insgesamt

1970-82 86

1983-89 22

1970-82 7,4 5 -5,2 -0,5 6,6

1983-89 2,9 11,6 -7 6 -3,7 3,1

Anmerkung: (a) Primärdefizit ohne Bundesbankgewinn. (b) Die Summe der Anteile von Primärdefizit, Zinsausgaben etc. über beide Zeiträume ergibt 108%. Die Differenz zu 100% erklärt sich aus der nicht vollständigen Kompatibilität der Haushalts- und der Schuldenstatistik.

Quelle: Statistisches Bundesamt (1994b) sowie interne Unterlagen, Sachverständigenrat zur Begutach-tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ( 199 5), Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht, diverse Jahrgänge; eigene Berechnungen.

Bestätigt sich somit die These von einer Erblast durch Staatsverschuldung?

Unter einem isolierten und rein fiskalischen Aspekt ist die Antwort zunächst scheinbar eindeutig: ja! Im Falle eines streng objektbezogenen Defizits, bei dem die Erträge des schuldfinanzierten Objektes direkt die Zinszahlungen und die Abschreibungen decken und die Tilgungen daraus prompt erfolgen, trägt sich die Schuldfinanzierung allerdings selbst, und der gesamte Vorgang

Unter einem isolierten und rein fiskalischen Aspekt ist die Antwort zunächst scheinbar eindeutig: ja! Im Falle eines streng objektbezogenen Defizits, bei dem die Erträge des schuldfinanzierten Objektes direkt die Zinszahlungen und die Abschreibungen decken und die Tilgungen daraus prompt erfolgen, trägt sich die Schuldfinanzierung allerdings selbst, und der gesamte Vorgang