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Einfluß der Finanzpolitik auf Wachstum und Zinsen und ihre Auswirkungen auf die Tragfähigkeit der Verschuldung

3 Beurteilung des Deficit Spending in der sozial-liberalen Koalition aus langfristiger Sicht

3.4 Einfluß der Finanzpolitik auf Wachstum und Zinsen und ihre Auswirkungen auf die Tragfähigkeit der Verschuldung

In den vorangegangenen Abschnitten wurde die Finanzpolitik der sozial-li-beralen Koalition eingehend auf ihre Tragfähigkeit hin analysiert. Grundsätz-lich können die Tragfähigkeitsindikatoren als ex post- oder als ex ante-Maße, d.h. zur Beurteilung einer vergangenen bzw. einer prognostizierten Schuldenpolitik herangezogen werden. 180 Hier wurde gewissermaßen eine Mischung aus beidem vorgenommen. Zum einen wurden die in der Zeit von 1969 bis 1982 realisierten Haushalts- und Verschuldungsdaten zur Berech-nung herangezogen. Gleichzeitig wurde aber in Form von Szenarien - ge-wissermaßen aus der Vergangenheit heraus - in die Zukunft prognostiziert.

Die ,,Prognose" bezog sich allerdings allein auf die Entwicklung der Einnah-men und Ausgaben bzw. EinnahEinnah-men- und Ausgabenquoten. Für das Wachs-tum des Bruttosozialprodukts und die Zinsentwicklung wurde zunächst an-genommen, daß sie durch die Szenarien nicht beeinflußt werden, d.h. es wurden trotz Unterschieden in der auf den Szenarien basierenden und der nach 1982 tatsächlich realisierten Haushaltspolitik die tatsächlichen Werte angesetzt. Auf eine Trendbildung wurde verzichtet, da die Interdependenzen zwischen Haushalts- und Wirtschaftsentwicklung zu vielfältig sind. Eine voneinander unabhängige „Prognose" für Einnahmen und Ausgaben sowie Wachstum und (rechnerischen) Zins hätte die Ergebnisse eher verfälscht und die Aussagekraft eingeschränkt. Dennoch müssen die Resultate im folgen-den relativiert werfolgen-den.

Dadurch, daß rechnerischer Zins und Wachstumsrate in Form der tatsächlich realisierten Werte exogen vorgegeben wurden, blieb somit unberücksichtigt, wie sich die Entwicklung der Haushalte bzw. der Schulden auf diese Größen auswirkt. Durch das öffentliche Defizit wird das Nettokapitalangebot für die Privatwirtschaft verringert. Dies ließe einen Anstieg der Zinsen vermuten.

Empirische Betrachtungen liefern diesbezüglich jedoch kein übereinstim-mendes Ergebnis. Dem Anschein nach ist ein solcher Zusammenhang, so er denn existiert, eher bei den langfristigen Zinsen zu finden, während die kurz-fristigen Zinsen davon weniger betroffen zu sein scheinen. 181 In einer

offe-180 Eine reine ex post-Analyse kann jedoch einfacher durch eine Betrachtung der Schul-denquote, der Zinsentwicklung etc. durchgeführt werden.

181 Vgl. Boss/Lorz (1995), S. 18 f.

3. 4 Einfluß der Finanzpolitik auf Wachstum und Zinsen

nen Volkswirtschaft mit einem leistungsfähigen Bankensystem wie der Bun-desrepublik Deutschland sollte zudem das Geldangebot relativ elastisch rea-gieren. 182 Ein Anstieg der Zinsen kann nicht ausgeschlossen werden, ist je-doch nicht zwingend. So kann Evans183 im Rahmen einer Untersuchung von sechs OECD-Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, keinen zinstreibenden Effekt der Staatsverschuldung feststellen.

Die Wirkung der Verschuldung auf die Wachstumsrate ist noch weniger of-fensichtlich. In den Anfängen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes war man zunächst optimistisch davon ausgegangen, daß sich ein Deficit Spen-ding mehr oder weniger über ein höheres Wachstum selber finanzieren würde. Wie sich die öffentliche Verschuldung auf das Wachstum auswirkt, wird zum einen davon abhängen, ob die aufgenommenen Kreditmittel inve-stiv oder konsumtiv verwendet werden. Eine Erhöhung des Staatsverbrauchs wird sich eher negativ auf das Wachstum des Bruttosozialprodukts auswir-ken. Dies wird durch eine neuere Untersuchung von Barro und Sala-I-Martin tendenziell bestätigt. 184 Im Falle öffentlicher Investitionen ist eher ein positiver Effekt zu positivermuten. Theoretische und empirische Untersuchungen -insbesondere zu den ökonomischen Wirkungen öffentlicher Infrastrukturin-vestitionen - kommen jedoch zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. 185 Die Höhe des Schuldenstandes und sein Wachstumstempo kann sich ebenfalls auf das Wachstum auswirken. Entsteht der Eindruck, der Staat habe seinen Haushalt nicht mehr im Griff, dann werden negative Erwartungen zu einem Sinken der Wachstumsrate führen. Dies war zu einem gewissen Grade ge-gen Ende der sozial-liberalen Koalition der Fall.

Zins und Wachstum wirken wiederum zurück auf den Haushalt, zum einen in Form der Zinsdynamik, zum anderen über die eingebauten Stabilisatoren, wobei von einem Mehr an Wachstum auch ein positiver Effekt auf den

182 Vgl. Rürup (1982), S. 630 f

183 Vgl. Evans (1987).

184 Vgl. Barro/Sala-1-Martin (1995), S. 414-461, insbesondere S. 434.

185 Vgl. etwa Aschauer (1989), Conrad/Seitz (1994) sowie Ludvigson (1996), die zu einem recht positiven Ergebnis bezogen auf Produktivität und Wachstum gelangen, im Gegensatz zu bspw. Holtz-Eakin/Schwartz (1995) und Crihfield/Panggabean ( 1995), deren Ergebnisse pessimistisch ausfallen. Allerdings betrachten lediglich Conrad/Seitz die Bundesrepublik.

Tabelle 5: langfristige Primärüberschußlücken

bei alternativen Zins-Wachstums-Differentialen für die Jahre 1983 bis 1991 in v.H. des Bruttosozialprodukts

Zins-Wachstums-Differential

Jahr

(in v.H.)

tatsächl

Werte -2,0 -1,0 0,0 0,5 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 1969 -0,82 -0,82 -0,82 -0,82 -0,82 -0,82 -0,82 -0,82 -0,82 -0,82 1970 -0,62 -0,62 -0,62 -0,62 -0,62 -0,62 -0,62 -0,62 -0,62 -0,62 1971 -0,29 -0,29 -0,29 -0,29 -0,29 -0,29 -0,29 -0,29 -0,29 -0,29 1972 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 1973 -0,05 -0,05 -0,05 -0,05 -0,05 -0,05 -0,05 -0,05 -0,05 -0,05 1974 0,69 0,66 0,67 0,67 0,68 0,68 0,68 0,69 0,70 0,70 1975 2,98 2,92 2,93 2,95 2,95 2,96 2,97 2,99 3,00 3,01 1976 2,06 1,91 1,94 1,97 1,98 2,00 2,03 2,06 2,09 2,12 1977 1,37 1,16 1,21 1,25 1,27 1,30 1,34 1,38 1,42 1,46 1978 1,57 1,26 1,32 1,39 1,42 1,45 1,51 1,57 1,62 1,68 1979 1,38 0,99 1,07 1,15 1,19 1,23 1,32 1,40 1,48 1,55 1980 1,31 0,85 0,95 1,05 1, 11 1,16 1,26 1,36 1,46 1,56 1981 1,69 1, 17 1,30 1,43 1,49 1,56 1,69 1,82 1,95 2,08 1982 1,19 0,74 0,90 1,06 1,14 1,23 1,39 1,55 1,72 1,89

Anmerkung: Aus Gründen der Vergleichbarkeit ist 1m Gegensatz zu Tabelle 3 für die Primärüber-schußlücken der Jahre 1981 und 1982 auf Basis der tatsächlichen Werte ebenfalls ein zehnjähriger Zeit-horizont zugrundegelegt.

Quelle: Statistisches Bundesamt (1994a, 1994b) sowie interne Unterlagen, Sachverständigenrat zur Be-gutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (1995); eigene Berechnungen.

Haushalt zu erwarten ist. Prinzipiell kann die Frage, wie sich die durch die Szenario-Bildung vorgenommenen Änderungen des Haushalts auf die Zins-dynamik auswirken, nur in einem geschlossenen dynamischen Modell be-antwortet werden, das die Interdependenzen zwischen Finanzpolitik, Sozial-produkts- und Zinsentwicklung erfaßt, wobei innerhalb eines umfassenderen Modells zusätzlich Informationen über die Haushaltsstruktur notwendig wür-den, die bei der Tragfähigkeitsbetrachtung selbst gar nicht berücksichtigt werden. Eine empirische Analyse auf der Basis eines solchen Modells liegt jedoch außerhalb des Rahmens dieser Studie. Tendenziell kann angesichts der Größenordnung der für die sozial-liberale Koalition berechneten Tragfä-higkeitsindikatoren und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der

kon-3. 4 Einfluß der Finanzpolitik auf Wachstum und Zinsen

sumtive Anteil des Haushalts zu Lasten des investiven Anteils an Gewicht gewonnen hat, eher von einem höheren als dem bei den vorangegangenen Berechnungen unterstellten Zins-Wachstums-Differential ausgegangen wer-den. In Tabelle 5 ist die langfristige Primärüberschußlücke des Jahres 1982 für alternative Zins-Wachstums-Differentiale abgebildet. Wäre z.B. nach 1982 ein Zins-Wachstums-Differential von durchschnittlich 2% realisiert worden, dann wären im Jahre 1982 Anpassungsmaßnahmen in Höhe von 1,39% des Bruttosozialprodukts (über die nächsten 10 Jahre) notwendig ge-wesen, um die Schuldenquote zu stabilisieren, d.h. 0,2 Prozentpunkte mehr als bei den tatsächlich realisierten Werten des Zins-Wachstums-Differen-tials.