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Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit

2 Beschäftigungspolitik der sozial-liberalen Koalition

2.3 Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit

2.3 Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Mit Ausnahme der Rezession 1967 /68 stellte die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik bis 1973 praktisch kein Problem dar. Die nach dem Krieg bestehende Arbeitslosigkeit wurde im Laufe der 50er Jahre fast vollständig abgebaut. In den 60er Jahren lag die Arbeitslosenquote mit Ausnahme der Jahre 1967 und 1968 zwischen 0,7 und 0,9%.95 Der Arbeitsmarkt war ge-kennzeichnet durch eine Übernachfrage, die durch das Anwerben von Gast-arbeitern jedoch abgemildert wurde. 96 Ein ernsthaftes Problem wurde die Arbeitslosigkeit erst in der Folge der ersten Ölkrise im Herbst 1973. Die Ar-beitslosenquote stieg bis 1975 sprunghaft auf 4,6% an. Trotz umfangreicher Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme und obwohl bereits 1976 wieder ein reales Bruttosozialproduktswachstum von 5,5% zu verzeichnen ist, nahm die Zahl der Arbeitslosen nur langsam ab. 1979/80 lag die Arbeitslosenquote noch bei 3,6%. Anstelle einer nachhaltigen Verbesserung auf dem Arbeits-markt löste der zweite Ölpreisschock einen neuerlichen Anstieg - noch über das Niveau von 1975 hinaus - aus. Im Unterschied zum ersten Ölpreis-schock, der die deutsche Wirtschaft am Anfang einer Rezession traf, trat der zweite Ölpreisschock inmitten eines Aufschwungs auf. 97 Mit einer Quote von 8,8-8,9% 1983 bis 1985 erreichte die Arbeitslosigkeit einen neuen Höchststand. Erst gegen Ende der 80er Jahre sank die Arbeitslosenquote wiederum. Sie fiel jedoch nicht unterhalb von 6%, sondern erhielt seit 1992 rezessionsbedingt erneut Auftrieb.98 Insgesamt ergibt sich ein treppenförmi-ger Verlauf der Arbeitslosenquote (vgl. Schaubild 3). Der in der Krise Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre ausgelöste Anstieg der Arbeitslosigkeit konnte im darauffolgenden Aufschwung nicht nachhaltig abgebaut werden.

95 Zu den hier verwendeten Arbeitslosenquoten siehe Sachverständigenrat zur Begut-achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (1996), Tabelle 21 *.

96 Die Zahl der Gastarbeiter stieg von 280.000 im Jahre 1960 auf 2,6 Mio. im Jahre 1973, das ist ein Anstieg von 1,3% der Beschäftigten aufrund 10%. In der Rezes-sion 1967 /68 fungierten sie als eine Art Puffer. Ihre Zahl ging zunächst zurück, er-reichte aber Mitte 1969 wieder das Niveau vor der Rezession, vgl. Franz/König (1986), S. S219 f

97 Vgl. ebenda, S. S220.

98 Die neuen Bundesländer sind hier nicht mit betrachtet. Nimmt man sie hinzu, dann erhält man bereits ab 1991 wachsende Arbeitslosenzahlen.

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Entwicklung der Arbeitslosenquote

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1970 1975 1980 1985

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früheres Blllldesgebiet · · · Deutschland

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1990 1995

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2. 3 Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Statt dessen ging die deutsche Wirtschaft jeweils mit einem erhöhten Sockel an Arbeitslosen in den nächsten Abschwung. 99

Hinter der Entwicklung in den 70er Jahren stand zum einen eine tendenziell gewachsene Anzahl an Arbeitskräften, die u.a. mit einer höheren Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt sowie einem gestiegenen Anteil ausländischer Arbeitnehmer begründet werden kann. Zum anderen war seit 1973 ein Rück-gang der Beschäftigung zu beobachten, der vor allem das verarbeitende Ge-werbe betraf, während Dienstleistungs- und öffentlicher Sektor einen steti-gen Anstieg der Beschäftigten verzeichneten.100 Die offiziellen Arbeitslosen-zahlen, die lediglich jene Personen erfassen, die sich beim Arbeitsamt als ar-beitslos registrieren lassen, geben die Unterauslastung des Arbeitskräftepo-tentials allerdings nur unzureichend wieder. Nicht erfaßt sind Personen, die sich nicht arbeitslos melden, weil sie ohne Hilfe des Arbeitsamtes einen Arbeitsplatz suchen und/oder keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben sowie jene, die sich vom Arbeitsmarkt zurückziehen bzw. erst gar nicht in den Arbeitsmarkt eintreten, da sie wegen der schlechten Arbeitsmarktlage keine Chancen auf einen Arbeitsplatz sehen (,,entmutigte Arbeitskräfte"

oder „Stille Reserve"). Ebenfalls nicht eingerechnet sind Gastarbeiter, die ,,unfreiwillig" in ihre Heimatländer zurückgehen sowie Kurzarbeit und Per-sonen in Umschulungen. Rechnet man diese hinzu, dann erhält man für 1970 eine Unterauslastungsquote von 0,8%, die bis 1973 auf 1,4% ansteigt. Die Differenzen zur offiziellen Statistik (1970: 0,8%; 1973: 1,2%) halten sich somit zunächst noch in Grenzen. Ab 1974 ist jedoch eine deutlich höhere Unterauslastung als sie durch die offizielle Arbeitslosenquote ausgedrückt wird festzustellen. 1974 und 1975 liegt die Unterauslastungsquote bei 4,1 bzw. 8,6%. Bis 1980 geht sie wieder auf 6,5% zurück und erfährt 1981 und 1982 einen Anstieg auf 9,4 bzw. 12,7%, der sich auch im Folgejahr noch fortsetzt.101

99 Zu möglichen Erklärungen für dieses als ,,Hysterese" oder „Persistenz" sowie in der mikroökonomischen Arbeitsmarktforschung als „state dependence" bezeichnete Phänomen vgl. Abschnitt 2.5.

100 Die Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Energie, Baugewerbe und Handel und Ver-kehr verzeichneten ebenfalls einen Rückgang. Vgl. Franz/König (1986), S. S220-S224.

IOI Vgl. Franz (1985) sowie Franz/König (1986). Schätzungen des IAB gehen von einer Stillen Reserve von 53.000 Personen für die Jahre 1970 bis 1974 sowie 697.000

Tabelle 1: Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich Standardisierte Arbeitslosenquoten

in v.H. der gesamten Arbeitskräfte

1970 1973 1975 1980 1982 1983 1991 1995

USA 4,8 4,8 8,3 7,0 9,5 9,5 6,8 5,5

Japan 1,1 1,3 1,9 2,0 2,4 2,6 2,1 3,1

BRD 0,8 0,8 3,6 2,9 5,9 7,7 4,2 8,2

Frankreich 2,5 2,7 4,0 6,2 8,1 8,3 9,4 11,6

Italien 5,3 6,2 5,8 7,5 8,4 8,8 9,9 12,2

Großbritannien 3,0 3,0 4,3 6,4 11,3 12,4 8,8 8,7 Kanada 5,6 5,5 6,9 7,5 10,9 11,9 10,3 9,5 Australien 1,6 2,3 4,8 6,0 7,1 9,9 9,5 8,5 Belgien 2,1 2,7 5,0 8,8 12,6 12,1 7,2 9,5 Finnland 1,9 2,3 2,2 4,6 5,3 5,4 7,5 17,1 Niederlande 1,0 2,2 5,2 6,0 11,4 12,0 7,0 6,5

Norwegen 1,6 1,5 2,3 1,6 2,6 3,4 5,5 4,9

Spanien 2,4 2,5 3,6 11,1 15,6 17,0 16,0 22,7 Schweden 1,5 2!5 1,6 2,0 3,2 3,5 3!3 9!2 OECD gesamt 3,1 3,3 5,2 5!8 822 8,6 6!8 7!5

Anmerkung: BRD bis 1991 früheres Bundesgebiet.

Quelle: OECD (1990, 1996).

Diese Entwicklung zu höherer Arbeitslosigkeit vollzieht sich nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland. Praktisch alle OECD-Länder haben in den 70er und 80er Jahren einen Anstieg der Arbeitslosigkeit erfahren. Die Län-der Län-der EG waren jedoch am stärksten betroffen, wohingegen Län-der Anstieg in den EFTA-Ländern sowie in Japan relativ moderat ausfiel. Die USA ver-zeichneten ebenfalls Mitte der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre einen Anstieg der Arbeitslosenquoten, der aber - im Gegensatz zur EG - jeweils in der Folgezeit wieder abgebaut werden konnte, so daß sie Ende der 80er Jahre etwa auf dem Niveau zu Beginn der 60er Jahre lagen. Zu Beginn der 60er Jahre hatte die Arbeitslosenquote allerdings über der in der EG gelegen und blieb auch bis Anfang der 80er Jahre noch darüber. Die unterschiedli-chen Entwicklungen in den einzelnen Ländern können einen Hinweis auf mögliche Ursachen der anhaltenden Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik

Personen für die Jahre 1975 bis 1979 aus. 1990 bis 1992 liegt die Schätzung bereits bei 1,3 Millionen Personen. Vgl. Franz (1994), S. 330.

2. 3 Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit

geben. So ist beispielsweise in der Bundesrepublik (wie generell in der EG) ein relativ hoher Anteil Langzeitarbeitsloser festzustellen. 102 Bevor jedoch auf mögliche strukturelle Ursachen für die Verfestigung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik seit Mitte der 70er Jahre eingegangen wird, soll zu-nächst untersucht werden, inwieweit sich die Arbeitslosigkeit in dem hier in-teressierenden Zeitraum von 1970 (bzw. 1973) bis 1982 als „klassisch" oder ,,keynesianisch" klassifizieren läßt.

102 Vgl. Layard/NickelVJackman (1994), insbesondere S. 1-8 sowie Kapitel 9.