• Keine Ergebnisse gefunden

2 Theoretischer Teil

2.7 Schlaf und Psychometrie

2.7 Schlaf und Psychometrie

2.7.2 Die Funktion des normalen Schlafes

Die Funktion des Schlafes beruht auf unterschiedlichen theoretischen Ansätzen, denen allen die Vorstellung des Schlafes als Ruhephase mit regenerativen und/oder adaptiven Prozessen gemein ist. Dabei können die Theorien zur Funktion des Schlafes in homöostatische und heteroplastische Theorien unterteilt werden. Homöostatische Theorien beziehen sich auf physiologische Systeme, die ein konstantes Spektrum an inneren Zuständen anstreben. So nimmt die Aktivität der aminergen Neurone („REM-off“-Neurone), denen eine wichtige Funktion bei Lern- und Gedächtnisprozessen zugeschrieben wird, im Schlaf bis hin zur Rapid-eye-movement-Phase (REM-Phase) fast vollständig ab.

Die am meisten wissenschaftlich untersuchten heteroplastischen Theorien sind lerntheoretischer Natur und beziehen sich auf eine dauerhafte Integration von umweltbedingten Abwandlungen. Diese schreiben dem Schlaf (vor allem dem REM-Schlaf) eine gedächtnisfördernde Wirkung zu, indem gespeicherte Informationen durch die Förderung der Informationsübertragung vom Kurzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis aufgearbeitet und weiter verarbeitet werden (Steinberg, 2000).

2.7.3 Schlafregulation und zirkadiane Rhythmik

Die Mechanismen der Schlaf-Wach-Regulation bestimmen Zeitpunkt und Dauer des Schlafes im Laufe des 24-Stunden-Tages und werden durch homöostatische, endogen periodische und externe Komponenten gesteuert. Das Zusammenspiel beider Komponenten beschreibt Borbély (1982) durch das Zwei-Prozess-Modell der Schlafregulation, auf das hier aus Platzgründen nicht ausführlich eingegangen werden soll. Im Wesentlichen geht das Modell davon aus, dass die homöostatische, endogen periodische Komponente dem Einfluss externer Komponenten, wie soziale Zeitgeber und dem Schlaf-Wach-Rhythmus unterliegt.

Der homöostatisch regulierende Vorgang hängt von der vorhergehenden Schlafdauer und der fortdauernden Wachzeit ab. Je länger die vorausgegangene Wachphase ist, desto höher werden die folgende Schlafdauer und Schlafintensität. Die Beibehaltung eines optimalen Schlaf-Wach-Verhältnisses nennt Borbély Prozess S (siehe Abbildung 2.7.4). Dieser Prozess S läuft während

oberflächlicher, was sich in einer verringerten Weckschwelle und der Zunahme der Körperbewegungen äußert. Dieses Phänomen ist im Hinblick auf die Einsatzgestaltung von Flugbesatzungsmitgliedern für diese Studie wichtig, da durch frühe Aufwachzeiten, lange Flugdienstzeiten und Dienstketten mit wachsendem Schlafdruck zu rechnen ist. Die Objektivierung dieses Prozesses erfolgt über die Elektroenzephalografie (EEG) und die Aktimetrie. Aufgrund der langen Studienzeit von 8 Wochen wurde die Aktimetrie dem EEG vorgezogen, da eine EEG-Aufzeichnung aus technischen sowie ökonomischen Gründen nicht angemessen und für die Piloten über einen so langen Zeitraum nicht zumutbar schien. Zudem bietet die Aktimetrie als nicht invasive Methode eine kontinuierliche Erfassung der Bewegungsaktivität unter den normalen Lebensbedingungen. Es werden sowohl Tag- und Nacht-Episoden des Schlafes erfasst, wie auch die Regelmäßigkeit der Bett- und Aufstehzeiten (Tobler, 2004).

Die periodische Komponente bezieht sich auf regelmäßige Schwankungen z.B.

des Temperaturverlaufs und des Cortisolspiegels innerhalb der tageszeitlich vorgegebenen 24 Stunden und wird als zirkadiane Rhythmik bezeichnet. Borbély spricht bei diesem zirkadianen Aspekt von Prozess C, der von der vorangegangen Schlaf- oder Wachdauer unabhängig ist. Die zirkadiane Rhythmik ist endogen gesteuert („innere Uhr“), da sie auch unter so genannten zeitgeberfreien Bedingungen (ohne Hell/Dunkel-Einflüsse; ohne soziale Zeitgeber) zu beobachten ist, sich aber in ihrer Periodendauer ändert. Isolationsstudien zur „zeitfreien Umgebung“ haben belegt (z.B. unter Laborbedingungen oder im Bunker ohne Hell-/Dunkelbezug und jegliche Zeitinformation), dass sich die Periodendauer der zirkadianen Rhythmik auf einen 25-Stunden Rhythmus velängern kann (Aschhoff, 1965; Borbély, 1982; Steinberg, 2000; Wever, 1979). Dabei verläuft diese Verschiebung der Phasenlage von den Probanden eher unbemerkt, wogegen eine von außen auferlegte, abrupte Desynchronisation z.B. durch Schichtarbeit eher als unangenehm empfunden wird.

Zudem kann ein unregelmäßiger, desynchronisierter Schlaf-Wach-Rhythmus, wie er häufig Folge von Schichtarbeit ist, zu einer Auflösung der physiologischen Schlafstruktur (Schlafarchitektur) führen (Steinberg, 2000). Darüber hinaus hat man festgestellt, dass ohne die Synchronisierung auf den 24-Stunden-Rhythmus des geophysikalischen Tages der zirkadiane Rhythmus intraindividuell stabil ist, aber interindividuell variieren kann, wie der Chronotyp eines Menschen zeigt (Griefahn, 2002).

2.7.4 Beeinflussende Faktoren auf die zirkadiane Rhythmik

Insgesamt verbringt der Mensch ungefähr ein Drittel seiner Lebensdauer im Schlaf. Dabei ist die Dauer der nächtlichen Schlafperiode intraindividuell sehr stabil. Im interindividuellen Vergleich ist sie jedoch sehr variabel und wird durch vielerlei Faktoren beeinflusst (Steinberg, 2000). Das Alter, der Lebensstil, das Geschlecht, die Tages- und Jahreszeit sowie der Chronotyp spielen eine wesentliche Rolle (Mongrain, 2005). So variiert das Schlafbedürfnis über die Lebensspanne hinweg beträchtlich. Schlaf lässt sich bereits pränatal nachweisen.

Die durchschnittliche Schlafmenge eines Neugeborenen beträgt 16 Stunden, die eines Erwachsenen 7-9 Stunden und bleibt relativ konstant. Im Senium kommt es

Schlaf-Wach-Zyklus

S

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

C S

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

C S

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

C S

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

C S

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

WACH SCHLAF WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

C

Schlafentzug

S

C

WACH

7 7

23 23

SCHLAF

7

TAGESZEIT S

C

WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

S

C

WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

WACH

7 7

23 23

SCHLAF 7

WACH

7 7

23 23

SCHLAF

7

TAGESZEIT

Abbildung 2.7.4: Zwei-Prozeß-Modell der Schlafregulation nach Borbély, 1982, S. 2.

Prozess S = Die Beibehaltung eines optimalen Schlaf-Wach-Verhältnisses. Prozess C = Die zirkadiane Rhythmik („innere Uhr“).

Report, 2001; Koella, 1988; Steinberg, 2000). Eine geschlechtsspezifische Veränderung des Schlafes scheint die Reduktion des Tiefschlafes zu sein, die bei Männern früher einsetzt als bei Frauen. Der Geschlechtsunterschied ist aber über das Lebensalter marginal und für diese Untersuchung aufgrund der ausschließlich männlichen Stichprobe unwichtig.

Der Chronotyp ist ein langfristiges stabiles Persönlichkeitsmerkmal und unterscheidet zwischen dem Morgen- und Abendtyp bzw. Lerchen- und Eulentyp (Griefahn, 2002; Horne und Östberg, 1976; Taillard, Philip & Bioulac, 1999;

Taillard, Philip & Coste, 2003). Der so genannte Morgentyp ist morgens schneller aktiv, wobei die Leistungsfähigkeit dann im Verlauf des Tages abfällt. Umgekehrt brauchen Abendtypen nach dem Aufstehen etwas länger Zeit, um ihr volles Aktivitätsniveau zu erreichen (BGAG, 2001). Trotz Synchronisationszwang im sozialen Alltag unterscheiden sich die mittleren Bettgehzeiten zwischen den Chronotypen um ca. ein bis zwei Stunden. Zudem haben Morgen- und Abendtypen ausgeprägte Unterschiede in der Phasenlage ihrer zirkadianen Rhythmik (z.B. Tagesmaximum der Körpertemperatur bei Morgentypen deutlich vor den Abendtypen), die, aufgrund der kaum unterschiedlichen Schlafdauer, nicht allein durch den Zeitversatz ihrer Bettgehzeiten zu erklären sind. Abendtypen zeigen eher Anpassungsschwierigkeiten an Frühschichten, wohingegen Morgentypen eher Anpassungsprobleme an Wechselschichtsysteme haben (Folkard et al., 1984; Griefahn, 2002). Auch in der subjektiven Einschätzung der Müdigkeit unterscheiden sich die beiden Chronotypen. Die subjektive Morgenmüdigkeit ist an Standardarbeitstagen bei Abendtypen höher als bei Morgentypen (Stephan, 2004). Allerdings finden sich die Unterschiede hauptsächlich unter Berücksichtigung der von Horne und Östberg (1976) gefunden ‚Extremtypen’ und weniger bei ‚indifferenten Typen’, die weder extreme Morgen- noch Abendtypen sind.

2.7.5 Operationalisierung des Schlaf-Wach-Verhaltens

Zur strukturierten Erfassung des Schlaf-Wach-Rhythmus werden sowohl in der klinischen als auch in der experimentellen Schlafforschung neben polysomnographischen Methoden (EEG, EOG, EMG) grundsätzlich standardisierte Schlaftagebücher eingesetzt. Neben den so genannten klassisch zu bezeichnenden Schlafparametern wie die ‚Licht aus’ - und Einschlafzeit’, die

‚Aufwach- und Aufstehzeit’, die ‚Wachzeit im Bett’ (= Time in bed (TiB)), die

Gesamtschlafdauer (= Sleep period time (SPT)) sowie die nächtliche Aufwachfrequenz werden subjektive Bewertungen der Schlafparameter durch Self-Rating-Skalen zur Erfassung psychologischer Dimensionen, die als schlafassoziierte Parameter angesehen werden können, zusätzlich als wichtiges Kriterium herangezogen (Liendl, 2004). Als schlafassoziierte Parameter werden die subjektive Einschätzung der Stimmung, Anspannung, Erholung, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Schlafqualität und des Schlafbedürfnisses verstanden (Akerstedt, 1991; Akerstedt & Gillberg, 1994; Akerstedt & Hume, 1994; Gillberg, 1998; Liendl, 2004).

Als subjektive Schlafqualität bezeichnet man das Resultat der Beurteilung des Schlafes durch das Individuum z.B. hinsichtlich Dauer, Schlaflatenz, Dichte der Aufwachepisoden und des Ergebnisses im Sinne von Restitution, Entmüdung und Wohlbefinden nach dem Aufwachen (Becker-Carus, 2004). Generell neigt der normale Schläfer dazu, seine Schlafqualität zu überschätzen. Schichtarbeit führt dagegen auf lange Sicht zu einer Verschlechterung der Schlafqualität (Marquié &

Foret, 1998).

Die subjektiven Einschätzungen zur Erholung und zum Schlafbedürfnis zeigen sich zur Schlafqualität komplementär. Je schlechter die Schlafqualität eingeschätzt wird, desto mehr sinkt der Erholungsgrad nach dem Schlaf eines normalen Schläfers. Zudem ist als wichtige Ressource für die Erholung erholsamer Schlaf zu sehen. Darüber hinaus steigen mit wachsendem Schlafdruck (z.B. aufgrund von Schlafrestriktion) auch die Schlafeffizienz und das Schlafbedürfnis (Becker-Carus, 1997). Dementsprechend wird durch das Schlafbedürfnis erfasst, ob der Schlaf ausreichend war oder nicht (Becker-Carus, 2004; Liendl, 2004).

Nach Hoffmann (2004) ist die Übereinstimmung der subjektiven Beurteilung des Schlafes mit polysomnographischen Schlafparametern (Einschlaflatenz, nächtliche Wachzeit, Gesamtschlafzeit) in der Regel weniger zufrieden stellend, da Versuchspersonen ihren Schlaf zumeist subjektiv defizitärer beurteilen als die

„objektive“ Polysomnographie. So wird die Einschlafdauer bei normalen Schläfern meist überschätzt, die Schlafdauer hingegen unterschätzt (Baekeland & Hoy, 1971; Becker-Carus, 2004; Meier, 2004). Dennoch wird das Schlaftagebuch insofern reliabel, als es intraindividuelle Variationen des Schlafes über die Zeit

Akerstedt et al. (1994) bekräftigen das Argument zu den subjektiven Einschätzungen des Schlafes durch konsistente und hohe Korrelationen zwischen polysomnographisch objektiven Daten (EEG/EOG) und der subjektiv quantitativen Erhebung der Müdigkeit und Schläfrigkeit.

Im Allgemeinen bestehen akzeptable und konsistente Korrelationen zwischen polysomnographischen Maßen und der subjektiven Wahrnehmung des Schlafes bei normalen Schläfern, solange sie nicht pharmakologisch beeinflusst werden (Hoffmann, 2004). Wie bereits erwähnt, nehmen auch Parameter wie die Persönlichkeit, der Lebensstil und der Chronotyp des Menschen Einfluss auf das Schlafverhalten (Griefahn, 2001, Hoffmann, 2004; Horne und Östberg, 1976;

Stephan, 2004). Somit ist auch der Chronotyp als Moderator mit zu berücksichtigen, zumal der Morgentyp mehr Anpassungsprobleme an die Wechselschichtarbeit hat als der Abendtyp.